Der Zwillingseffekt (eBook)

Roman

(Autor)

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2018
Heyne Verlag
978-3-641-22309-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der Zwillingseffekt - Tal M. Klein
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Wir schreiben das Jahr 2147. Nanotechnologie verhindert den Alterungsprozess, genmodifizierte Mücken ernähren sich von Kohlenstoffdioxid statt von Blut und man reist nicht mehr mit dem Flugzeug sondern via Teleportation. Es ist die Welt von Joel Byram. Ein durchschnittlicher Typ mit durchschnittlichen Problemen - sein Job als KI-Coach langweilt ihn und seine Ehe mit der hübschen Sylvia steht vor dem Aus. Ein Kurztrip nach Costa Rica soll neuen Schwung in die Beziehung bringen, doch dann passiert es: Joel wird beim Teleportieren versehentlich dupliziert. Nicht genug damit, dass Sylvia nun mit seinem Doppelgänger urlaubt, jetzt wird Joel auch noch von dem mächtigen Konzern International Transport gejagt ...

Tal M. Klein wurde in Israel geboren und wuchs in New York auf. Er ist Autor und Musiker und legte mit Punch Escrow sein Romandebüt vor. Tal M. Klein lebt mit seiner Familie in Detroit.

Symmetriebruch

DAS ERWACHEN WAR EINE TORTUR.

Keine Ahnung, wie viel Volt ich eingesteckt hatte. Vorsichtig geschätzt bestimmt genug, um meine Wohnung ein oder zwei Stunden lang mit Energie zu versorgen.

Gemurmel war das Erste, was ich hörte.

Was zum Teufel ist passiert? Wurde ich vom Blitz getroffen oder was?

Weiteres Gemurmel.

Eine Frauenstimme. Ich war mir nicht sicher, was sie sagte, aber ja, es war definitiv eine Frau.

Meine Verwirrung schwächte mich zu sehr, um mich darüber hinaus auf die Worte oder die Identität der Sprecherin konzentrieren zu können. Sonst war da nur dieses schreckliche Klingeln. Und das Violett.

Wenn ich als Kind wütend war, drückte ich meine Augen so fest wie möglich zu. Irgendwann wurde aus dem Pechschwarz ein dunkles Violett.

Öffne die Augen!

Meine Lider reagierten nicht. Ich sah nicht mehr als dieses Violett.

Ich erinnerte mich daran, gelesen zu haben, dass sich das Gehirn eines Blinden neu verkabelt, um den visuellen Cortex nutzen zu können, den es dann sozusagen missbraucht, um die Verarbeitung anderer Informationen wie Geräusche und Berührungen zu verbessern. Auf diese Weise lernen manche Blinde, sich mit Echo-Ortung zurechtzufinden. Sie nutzen reflektierte Schallwellen, um ein mentales Bild ihrer Umgebung zu erstellen, wie es Fledermäuse oder Delfine tun.

Abe, einer der Leute, mit denen ich zusammenarbeitete, war dazu imstande. Er kam blind zur Welt, aber seine Eltern gehörten den Fundamentalisten der Drei Religionen an, also ließen sie nicht zu, dass er als Kind mit Implantaten ausgestattet wurde. Als er älter war, gab er die Religion auf und lief von zu Hause weg. In seinen weltlichen Zwanzigern bekam er endlich sein Kom, aber er lehnte es ab, sich künstliche Augen implantieren zu lassen. Blind zu sein war ein wesentlicher Teil seiner Identität. Ich erinnerte mich, wie er behauptete, die Entfernung, Größe, Struktur und Dichte eines Gegenstands bestimmen zu können, indem er dreimal pro Sekunde mit der Zunge schnalzte. Ich hatte Fotos von ihm gesehen, wie er Wandern ging und mit dem Fahrrad unterwegs war, also stimmte es vielleicht sogar. Aber er war genauso ein Besserwisser wie ich, also besteht durchaus die Chance, dass er Scheiße erzählt hat.

Nur zum Spaß legte ich die Zunge an den Gaumen und schnalzte.

Klick. Klick. Klick.

Es funktionierte! Nicht das mit der Echo-Ortung, aber meine Zunge gehorchte! Fortschritt!

Ich versuchte, blinzelnd die Augen zu öffnen. Viel zu hell!

Die Stimmen wurden deutlicher. Gemurmel war zu vernehmen, das nach einer nahöstlichen Sprache klang, einer der levantinischen Sprachen, vermutete ich.

Ich hatte keine Ahnung, wo ich mich befand und zu wem der nur unscharf erkennbare Kopf gehörte, der mit mir zu kommunizieren versuchte. Jetzt strahlte mir jemand mit einem Licht, das wie eine Verhörlampe aussah, ins Gesicht, blendete mich damit und löste sogar noch heftigere Kopfschmerzen aus.

»He! Macht das aus!« Wie es schien, funktionierten auch meine Stimmbänder wieder.

»Ahlan habibi«, begrüßte mich das verschwommene Gesicht. Ich roch Kardamom und Jasmin. »Mein Name ist Ifrit. Geht es Ihnen gut?«

»Nein, es geht mir nicht gut. Könnten Sie bitte aufhören, mich mit diesem Ding anzuleuchten?«

Die helle Verhörlampe ging aus.

Sie fragte mich erneut, ob es mir gut ging.

Ich rieb mir die Schläfen und stöhnte. »Zumindest bin ich nicht tot.«

Ifrits verwaschenes Gesicht nahm deutlichere Konturen an. Sie war Ende zwanzig oder Anfang dreißig, mit attraktiven nahöstlichen Zügen – kaffeefarbenes Haar, dunkle Mandelaugen und olivfarbene Haut.

»Es tut mir leid, dass wir Sie schocken mussten, aber unser Sicherheitssystem mag keine unbefugten Besucher.«

»Na gut. Danke.«

Ich blickte mich um. Abgesehen von der Frau, die sich um mich kümmerte, hatte der Raum, in dem ich mich befand, nichts Bemerkenswertes an sich. Warum haben sie mich hierher geschickt? Es war irgendein Konferenzraum, ähnlich wie der, aus dem ich kurz zuvor entkommen war, obwohl die verhältnismäßig dürftige Einrichtung darauf hindeutete, dass man hier nur ein sehr geringes Budget für dekorative Elemente zur Verfügung hatte. Zum Beispiel war der Tisch, auf dem ich lag, aus Plastik und nicht aus Holz, und die Stühle waren weniger »ergonomisch bequem«, sondern eher »pragmatisch schmerzhaft« gestaltet. Allerdings stand ein mittelgroßer Drucker neben der Tür. Ein brandneues Modell, das den größten Teil einer Arbeitsfläche einnahm, ein ungewöhnlich kostspieliger Einrichtungsgegenstand in einem ansonsten kargen Raum.2

Aber ich hatte es geschafft. Ich war am Leben.

Tu es jetzt!

Diesen Moment hatte ich vor meiner Flucht immer wieder im Kopf durchgespielt.

»Mein Name ist Joel Byram. Man will mich töten. Mein Kom wurde deaktiviert. Ich brauche Hilfe!«

»Psst!«, machte Ifrit vorwurfsvoll. »Sie müssen nicht brüllen. Wir können Sie hören.«

Anscheinend habe ich gebrüllt. Moment – »wir«?

Unter Schmerzen hob ich den Kopf, um mich zu orientieren. Hinter Ifrit, am Kopfende des Tischs, auf dem ich lag, saß ein schlanker, elegant gekleideter älterer Mann mit grau meliertem Haar. Das Erste, was mir an ihm auffiel, war seine Stirn. Er hatte mehr Falten auf dieser Stirn, als ich Metaphern hatte, um sie zu beschreiben.

Der Rauch seiner Zigarette schlängelte sich auf mich zu und umrahmte sein Gesicht, als wäre er eine Figur aus einem dieser altmodischen Film noirs, wie sie vor zwei Jahrhunderten gedreht worden waren.

»Geht es ihm gut?«, fragte der Mann Ifrit mit tiefer, rauer Stimme.

Sie nickte. »Ja, ich glaube schon.«

Ruckhaft wandte der Mann den Kopf zur Seite, und Ifrit, die einzige Person, die seit dem Angriff aufrichtig an meinem Wohlergehen interessiert schien, verließ den Raum.

Als sie hinausging, versuchte ich erneut, auf mein Kom zuzugreifen und meine GDS-Position abzufragen, um eine ungefähre Ahnung zu haben, wo ich war. Doch ich erhielt wieder nur die gleiche unangenehm vertraute Fehlermeldung:

UNBERECHTIGTER ZUGRIFF
UNBEFUGTER NUTZER

Der Mann starrte mich schweigend an. Es war das kalte, abschätzende Schweigen, das jeden Small Talk unmöglich machte. Schließlich stand er auf und gab mir mit einer Geste zu verstehen, dass ich mich vom Tisch erheben sollte.

Als ich es tat, nutzte mein Körper die Gelegenheit, mein Gehirn an verschiedene schmerzende Stellen zu erinnern. Die schlimmste von allen schien sich über meine rechte Seite auszubreiten. Auch mein Handgelenk stand in Flammen, sodass ich meine Hand kaum benutzen konnte. Mit jeder Bewegung jagten pulsierende Schmerzstöße durch meine Schulter, und mein Arsch fühlte sich an, als würde ich auf einer Kolonie Feuerameisen sitzen.

Schlagartig wurde es heller. Videostreams von typischen exotischen Urlaubsorten am Meer wurden auf den Wänden des ansonsten schlicht eingerichteten Raums abgespielt.

»Kaffee?«, bot mir der Mann an und legte seine Zigarette auf der Tischkante ab.

Ich nickte und setzte mich auf einen unbequemen, nicht regulierbaren Stuhl zwischen dem Tisch und der Wand.

»Türkisch«, sagte er zum Drucker. Sein levantinischer Akzent verharrte auf dem ü, als wäre es lang wie vier ü.

Bald bildete sich aus dem Nichts eine kleine Kupferkanne mit einem langen Holzstiel. Daneben standen zwei kleine Keramiktassen auf winzigen verzierten Untertassen. Das alles stellte er auf ein kleines Tablett und kehrte damit zu mir zurück.

Er setzte das Tablett auf dem Plastiktisch ab. Dann hielt er die Kanne mit sicherem Griff und füllte jede Tasse zu drei Vierteln, etwa so viel wie ein Schnapsglas.

»Zu Hause, weit entfernt von hier, gibt es einen kleinen Mann mit einem Handwagen, der den Kaffee noch auf die richtige Weise zubereitet«, sagte er. »Ich habe viel Zeit und eine Menge Chits gebraucht, bis er zuließ, dass ich ihn kopiere, aber nun kann ich ihn jederzeit nachdrucken.«3

Der Mann nahm einen winzigen Schluck. Ich fragte mich, ob er davon überzeugt war, dass der Kaffee wirklich genauso wie das Originalgetränk in seiner Erinnerung schmeckte.

Er hob seine Zigarette vom Tisch auf, zog daran und setzte sich dann auf den Stuhl mir gegenüber, das Zeichen, dass wir jetzt zum Geschäftlichen kamen.

»Mein Name ist Moti Ahuvi. Sie sind ein Gast der LAST Agency. Land, Air, Sea Travel.« Er breitete die Hände aus und deutete auf den kleinen Raum, in dem wir uns befanden. »Das ist Ihr Aufenthaltsort. Wir versorgen Levantiner und andere Völker, für die Teleportation nicht infrage kommt. Ich bin hier für die Sicherheit zuständig.«

Zumindest werde ich nicht irgendwohin teleportiert.

»Mein Name ist Joel. Joel Byram«, sagte ich und wartete ab, ob mein Name irgendeine Reaktion hervorrief. Offenbar nicht. Also bestand die Hoffnung, dass mein Gesicht noch nicht über alle Koms verbreitet worden war. »Falls Sie mir die Frage gestatten: Wozu braucht ein Reisebüro Sicherheitspersonal?«

Der Mann lächelte. »Die Welt ist ein gefährlicher Ort, mein Freund. Die Menschen möchten nicht, dass ihnen schlimme Dinge zustoßen, während sie unterwegs sind. Das sehen Sie doch bestimmt genauso,...

Erscheint lt. Verlag 10.4.2018
Übersetzer Bernhard Kempen
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel The Punch Escrow
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Abenteuer • eBooks • Hollywood • Joel Byram • John Punch • Teleportation • Zukunfts-Thriller
ISBN-10 3-641-22309-1 / 3641223091
ISBN-13 978-3-641-22309-0 / 9783641223090
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