Deep Ocean Six (eBook)
240 Seiten
Panini (Verlag)
978-3-7367-9995-0 (ISBN)
Kapitel 1
Während hinter ihnen die Sonne in einem gold-rosafarbenen Ozean versank, saßen der Quartiermeister und der Waffenmeister von Bataillon Null im Stallhof beisammen, um die Pläne für den Abend zu besprechen. Ihre vier Kavalleriekameraden arbeiteten in der Nähe. Der blasse, schmale Teenager blickte den tätowierten Söldner ernst an. „Wenn ich mich nicht irre – und ich irre mich bekanntlich nie –, ist das Lorensystem der Schlüssel zu unserem Erfolg.“ Jools fuhr sich durch den kurzen, gewellten braunen Haarschopf und wartete darauf, dass Turner seine Voraussicht lobte.
Der Sergeant bohrte eine Hand durch einen Riss in seinem T-Shirt und kratzte sich den gebräunten Bauch. „Tja, wird wohl so sein. Niemand ist perfekt.“
Jools verzog das Gesicht. Wenn seine Berechnungen stimmten, würde es dem Kavallerietrupp noch vor Einbruch der Nacht gelingen, zur selben Zeit einen Mob aus Silberfischchen zu vernichten, den Griefer zu besiegen, der ihn kontrollierte, und eine Bombe zu entschärfen, die das Leben von über einhundert ahnungslosen Stadtbewohnern bedrohte. Eine echte Glanzleistung. Der besonnene Quartiermeister erinnerte sich kaum an das letzte Mal, als einer seiner Pläne nicht aufgegangen war. Wenn er genauer darüber nachdachte, konnte er die Misserfolge an nur einer Hand abzählen.
„Unrecht zu haben ist nicht dasselbe, wie sich zu irren“, betonte Jools. „Lass mich nachdenken. Wann hatte ich in der Vergangenheit unrecht? Da war dieser eine Zwischenfall … als ich beschloss, mir Flügel aus Frischhaltefolie zu basteln. Das ging ordentlich in die Hose. Obwohl … wenn ich am Ball geblieben wäre, hätte ich womöglich den nächsten Durchbruch in der Luftfahrt errungen. Dann war da noch dieser verflixte Modell-Vulkan für das Wissenschaftsprojekt in der Schule, der einfach nicht ausbrechen wollte. Aber das lag nur daran, dass ich mich mit einer Ausbruchwahrscheinlichkeit von unter einhundert Prozent zufriedengegeben hatte. Ich war wohl der Einzige in meiner Klasse, der das Projekt realistisch angegangen ist.“ Er schob die Ärmel seiner Tweedjacke hoch und ließ seine Gedanken weiterschweifen. „Ah, richtig. Mein Plan, die Oberwelt zu umwandern, indem ich einfach immer geradeaus weitergehe, hatte einen entscheidenden Fehler. Aber den hätte ich kaum vorhersehen können, als ich damals das Spiel betrat – schließlich war ich ein Neuling.“
„Welchen denn? Dass die Oberwelt nicht rund ist?“
„Exakt. Außer diesen zu vernachlässigenden Dingen ist mir nie ein Fehler unterlaufen. Also sollte mein aktueller Plan auch fehlerfrei sein.“
„Fehlerfrei, hm?“ Turner warf ihm einen skeptischen Blick zu. „Mag ja sein, aber wie sieht’s mit der Liebe aus? Kann mich nicht erinnern, dich jemals mit ’ner besonderen Person an deiner Seite gesehen zu haben. Nicht ein einziges Mal, solange ich dich kenn.“ Er pausierte kurz. „Pferde zählen nicht.“ Der muskelbepackte Söldner nahm selbstzufrieden lächelnd auf einem Erdblock Platz.
Autsch. Das tat weh. Jools hatte tatsächlich an seinen vierbeinigen Kumpel gedacht, aber nur, weil es mal wieder an der Zeit war, Becketts Hufe auszuschneiden. „Ich könnte immer noch deiner Herzensdame von deiner neuen Freundin berichten, vergiss das nicht“, stichelte Jools. Diese Drohung hatte er sich für genau so eine Situation aufgespart.
Doch Turner blieb unbeeindruckt. „Rose? Die ist Schnee von gestern, Quartiermeister. Die Frau kann mir den Buckel runterrutschen. War nie ’ne Freundin. Sundra braucht überhaupt nichts von ihr zu erfahren. Lass uns lieber über deine Eroberungen reden. Und damit mein ich keine Zombies und Skelette.“
Jools war es nicht gewöhnt, dass Turners Sticheleien ihm derart an die Nieren gingen. Ahnte er etwa, dass mich meine Klassenkameraden einst zum „Kandidat, der wahrscheinlich niemals heiraten wird“ gekürt haben? Ich mag ja ein Einzelgänger sein, aber in einer Welt, in der die Mädchen zufällig generiert werden, ist es eben nicht leicht, jemanden kennenzulernen. Ist ja nicht so, als könnte ich mich mal eben zum nächsten Rüstungsfärbe-Salon aufmachen – oder wo auch immer die weiblichen Wesen dieser Welt ihre Zeit verbrachten.
Trotzdem schien Turner keine Probleme zu haben, Bekanntschaften zu machen. Gekränkt lenkte Jools das Gespräch zurück in sichere Gewässer. „Meine wahren Eroberungen, wie du es auszudrücken beliebst, bestehen aus perfekten Strategien, an deren Ende immer irgendein Erfolg steht. Die aktuelle wird uns zum Beispiel den Weltfrieden bescheren. Was sagst du jetzt?“
Turner verdrehte die Augen. „Hör mal, Frieden wird überbewertet. Tief drinnen wissen wir doch beide, dass eine friedliche Oberwelt für Kerle wie uns deutlich weniger attraktiv ist. Wir verdienen unser Gold mit Konflikten und werden von denen bezahlt, die gerade die Oberhand haben.“
„Sicher, Konflikte bringen auch Vorteile“, stimmte Jools ihm zu. „Aber das heißt nicht, dass wir in einer gerechten Oberwelt kein ehrliches Auskommen fänden.“
„Ehrliches Auskommen? Das lockt mich nicht, Gefreiter.“
„Dann eben ein angemessenes. Ja, ja, ich weiß schon, angemessen reicht dir nicht aus. Aber warum bist du dem Bataillon dann überhaupt beigetreten?“ Herausfordernd starrte er den Sergeant aus hellbraunen Augen an.
„Aus demselben Grund wie du. Ein Mann muss dafür sorgen, dass der Dreck unter seinen Füßen bleibt.“
Jools war es nicht gewohnt, einer Meinung mit dem Waffenmeister zu sein. Aber Turner hatte recht. Sie beide waren Robs Bataillon Null beigetreten, als die Griefer-Allianz anfing, ihren Lebensstil zu bedrohen, der darin bestanden hatte, ihre Dienste demjenigen zu verkaufen, der am meisten zahlte. Seine Karriere als Freiberufler hatte Jools die größtmögliche persönliche Freiheit beschert. Er hatte viel Freizeit, fand immer Arbeit, wenn er sie brauchte, und musste nie klar Stellung beziehen. Die Kavallerie war nur eine vorübergehende Position mit dem Ziel, irgendwann in die Selbstständigkeit zurückzukehren.
Die guten alten Zeiten, dachte Jools. Damals, bevor sich die Griefer-Bosse eine Biomgrenze nach der anderen unter den Nagel rissen, um die Oberwelt zu kontrollieren, war Jools auf dem Rücken seines honigfarbenen Hengstes Beckett dorthin geritten, wo immer ihn sein Weg hinführte. Wenn ein Verbrechersyndikat eine Strategie brauchte, um finanzielle Mittel unauffällig aus Bauprojekten abzuzweigen, war Jools zur Stelle. Wollten Baumeister ihre Baustellen vor Dieben beschützen, bot er ebenfalls seine Dienste an. Der Ruf seiner Arbeitgeber kümmerte ihn wenig – Jools interessierte einzig und allein das Ausklügeln der perfekten Strategie, um das gewünschte Ergebnis zu erzielen. Solange der junge Stratege sich aus den inneren Kreisen seiner Auftraggeber heraushielt, interessierten ihn gesetzliche oder moralische Konsequenzen nicht im Geringsten.
Doch als die Griefer begannen, verzauberte Monster als Grenzposten einzusetzen, um den Reiseverkehr einzuschränken, war es mit Jools’ Karriere vorbei gewesen. Seine Kavalleriekameraden Turner und Stormie, die ihre Edelsteine ebenfalls freischaffend verdient hatten, stießen auf dieselben Probleme. Und als sie sich schließlich alle zufällig über den Weg liefen, war es Jools nur logisch vorgekommen, sich mit Rob und den anderen zusammenzuschließen, um das natürliche Gleichgewicht freier Unternehmen unter dem Schutz einer gerechten Regierung wiederherzustellen. An diesem Ziel arbeiteten sie noch immer.
Jools’ alter Drang nach Unabhängigkeit war ihm irgendwann abhandengekommen, und er spürte, dass es Turner und Stormie genauso ging. Die einstigen Einzelgänger hatten gemeinsam mehrere Schlachten gegen die Kaiserliche Griefer-Armee bestritten und verspürten mittlerweile eine gewisse Loyalität zueinander und sogar zu den neu erblühenden Vereinigten Biomen der Oberwelt. Schließlich war die Alternative zum armseligen Sklavendasein, das ihnen allen in Griefer-Gefangenschaft blühte, eine Oberwelt, in der sie mit vereinten Kräften das Böse aufhalten konnten.
„Ich bevorzuge es in der Tat, mein eigenes Vermögen anzuhäufen, anstatt Dr. Dreck oder Lady Craven mehr Macht zu verschaffen … oder Termite“, gab Jools zu. „Um ein Auskommen zu finden, muss man zunächst einmal am Leben bleiben.“
„Oder wenigstens neben seiner Beute wiederbelebt werden“, schloss Turner.
Jools betrachtete ihn forschend. „Du hast also deinen Spawnpunkt geändert?“
Turner lehnte sich zurück. „Das hab ich nicht gesagt.“ Er trommelte mit den Fingern auf seinem Knie herum. „Vielleicht mach ich’s nach einem kleinen Haushüter-Auftrag, den ich noch vor mir hab. Und dann nehm ich mir ’ne Auszeit. Nachdem wir meinen Plan umgesetzt haben.“
„Deinen Plan?“ Jools zog die Augenbrauen hoch. „Die Grundidee mag von dir stammen, aber ich habe sie ausgefeilt. Obendrein bin ich für das Lorenprojekt verantwortlich, ohne das es überhaupt keinen Plan gäbe. Damit sind der Plan und die Strategie auf meinem Mist gewachsen.“
Turner grunzte und blickte nach oben. „’s wird dunkel. Wenn wir die Mobs nicht erledigen, wird’s egal sein, wer sich alles ausgedacht hat, Gefreiter.“ Er stand auf und klopfte sich den Staub von den Händen, wobei sich die eintätowierten Berge auf seinen Knöcheln bewegten. „Zeit für echte Heldentaten.“
Turner hatte ein Silberfischchen-Massaker vor sich, während Jools’ Rolle in der Vereitelung des Griefer-Plans eine andere war. Den Quartiermeister...
Erscheint lt. Verlag | 29.9.2017 |
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Reihe/Serie | Verteidiger der Oberwelt |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Schlagworte | Adventure • Jugendroman • Minecraft • Videogame-Roman • Videospiel-Roman |
ISBN-10 | 3-7367-9995-0 / 3736799950 |
ISBN-13 | 978-3-7367-9995-0 / 9783736799950 |
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