Kometenjahre (eBook)

1918: Die Welt im Aufbruch
eBook Download: EPUB
2017 | 1. Auflage
320 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-403561-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Kometenjahre -  Daniel Schönpflug
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Die Geschichte eines einzigartigen historischen Moments, als alles möglich schien - »ein meisterhaftes Werk« (Philipp Blom) November 1918. Der Große Krieg hat die alte Welt in Schutt und Asche gelegt, und doch scheint das Schicksal der Menschheit so offen wie selten zuvor. Hell leuchten neue Möglichkeiten und Träume auf, das Ringen um die Zukunft beginnt. Die Kosakin Marina Yurlova kämpft in Sibirien gegen die Revolution, Käthe Kollwitz macht ihren Schmerz zu Kunst, Rudolf Höß marschiert mit dem Freikorps, Virginia Woolf revolutioniert den Roman, Walter Gropius will mit der Architektur die Gesellschaft verändern und die Publizistin Louise Weiss wirbt in Paris leidenschaftlich für ein vereintes Europa. Virtuos schildert Daniel Schönpflug diesen einmaligen Moment und die Jahre, die folgten, aus der Perspektive von Menschen, die sie erfahren und geprägt haben. Das glänzend geschriebene Panorama einer einzigartigen Zeit zwischen Enthusiasmus und Enttäuschung, zwischen Zukunftstrunkenheit und Zerstörung. »Daniel Schönpflug schreibt so, dass man ihm direkt in das erstaunliche Jahr 1918 folgen will. Mit großer Behutsamkeit, einem wunderbaren Auge für Details und großem stilistischen Können eröffnet er diese Zeit neu und erlaubt es seinen Lesern, sich selbst und das 20. Jahrhundert auf diesen Seiten wiederzuentdecken. Ein meisterhaftes Werk.« Philipp Blom, Historiker und Autor des Bestsellers »Der taumelnde Kontinent: Europa 1900-1914« »In die verschiedensten Lebensläufe hat diese turbulente Zeit ihren Prägestempel eingedrückt. Schönpflug führt dem Leser die einzelnen Schicksale so eindringlich vor Augen, als wäre es gerade erst geschehen.« Sibylle Lewitscharoff

Daniel Schönpflug, geboren 1969, ist Professor für Geschichte der Freien Universität Berlin und Wissenschaftlicher Koordinator des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Sein Arbeitsgebiet ist die europäische Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. Neben seiner Arbeit als Wissenschaftler hat sich Daniel Schönpflug erfolgreich als Vermittler historischen Wissens in die Öffentlichkeit betätigt. Seine hochgelobte Biographie »Luise von Preußen - Königin der Herzen« stand mehrere Wochen auf den Bestsellerlisten. Als Autor und Koautor zahlreicher Drehbücher ist er an internationalen Koproduktionen beteiligt und hat so das Genre des Dokudramas für die Geschichtsvermittlung weiterentwickelt.

Daniel Schönpflug, geboren 1969, ist Professor für Geschichte der Freien Universität Berlin und Wissenschaftlicher Koordinator des Wissenschaftskollegs zu Berlin. Sein Arbeitsgebiet ist die europäische Geschichte des 18. bis 20. Jahrhunderts. Neben seiner Arbeit als Wissenschaftler hat sich Daniel Schönpflug erfolgreich als Vermittler historischen Wissens in die Öffentlichkeit betätigt. Seine hochgelobte Biographie »Luise von Preußen – Königin der Herzen« stand mehrere Wochen auf den Bestsellerlisten. Als Autor und Koautor zahlreicher Drehbücher ist er an internationalen Koproduktionen beteiligt und hat so das Genre des Dokudramas für die Geschichtsvermittlung weiterentwickelt.

Aus diesem biografischen Panoptikum ergeben sich faszinierende historische Momentaufnahmen.

eine höchst unterhaltende Lektüre

ein farbiges, einnehmendes, anspruchsvolles und gekonnt arrangiertes Buch

Der Historiker verlässt sich auf die subjektive Sicht seiner Protagonisten, greift nur ein, wenn es nötig ist, erklärt zurückhaltend.

Das Buch überrascht durch seinen permanenten Perspektivwechsel und ist wegen seiner Detailfreude ein zugleich anregend zu lesendes Buch.

Die Biografien dienen als Sonden [...] Das macht die Lektüre zu einer fast mitreißenden Erfahrung.

›Kometenjahre‹ eignet sich auch für Laien als Einstieg, um sich mit dieser spannenden Umbruchszeit vertraut zu machen.

Prolog Der Kern des Kometen


Am frühen Morgen des 11. November 1918 wird der deutsche Kaiser zwischen zwei Wolkenkratzern in New York aufgehängt. Leblos baumelt der Monarch an einem langen Seil, um ihn schwebt flirrend Konfetti im Sonnenlicht. Freilich ist es nicht Wilhelm II. persönlich, sondern sein Ebenbild, eine überlebensgroße Stoffpuppe, dekoriert mit mächtigem Schnurrbart und Pickelhaube. An deren Spitze bleiben lange, weiße Papierstreifen hängen, die aus den oberen Stockwerken geworfen werden und in majestätischer Langsamkeit in die Straßenschlucht hinabschweben.

Um 5 Uhr morgens amerikanischer Ostküstenzeit ist der Waffenstillstand zwischen den alliierten Mächten und dem Deutschen Reich in Kraft getreten. Die »Hunnen«, wie die Deutschen in Amerika seit Beginn des Krieges genannt werden, sind nach vier Jahren unerbittlichen Kampfes in die Knie gezwungen. Der Erste Weltkrieg, der sechzehn Millionen Menschen auf der ganzen Welt das Leben gekostet hat, ist gewonnen. Die New Yorker haben es in den Morgenzeitungen gelesen und sind zu Tausenden in die Straßen geströmt. Zwischen den Wolkenkratzern wogt ein Meer von Menschen, festlich herausgeputzt, in Anzügen und Melonen, in Sonntagskleidern, in Uniformen und Schwesterntrachten, Schulter an Schulter, Arm in Arm, salutierend, sich um den Hals fallend. Glocken, Salutschüsse, Marschmusik und Fanfaren verbinden sich mit Millionen lachenden, singenden und Sprechchöre skandierenden Stimmen zu einem Donnern wie von gewaltiger Brandung. Automobile, über deren Dächern enthusiastisch Fahnen geschwenkt werden, rollen hupend im Schritttempo durch die Menge. Die Stadt feiert ein improvisiertes Straßenfest mit handgemalten Plakaten, selbsternannten Volkstribunen, Kapellen, ausgelassenen Tänzen auf dem Pflaster. Die Arbeit steht still an diesem Tag des Sieges in New York, der, davon sind die Menschen überzeugt, bald zu Frieden in der Welt führen wird.

Moina Michael ist kurz zuvor von ihrem Dienst als Hausmutter und Lehrerin eines Mädchencolleges in Georgia beurlaubt worden. Seit einigen Wochen arbeitet die stämmige, fast fünfzigjährige Dame in einem Ausbildungscamp des »Christlichen Vereins Junger Frauen« – des weiblichen Pendants der YMCA. In den Gebäuden der Columbia University in Manhattan hilft Michael, junge Frauen und Männer auf ihren Einsatz in Europa vorzubereiten. Wenig später werden die Fähigsten unter ihnen als zivile Helfer über den Atlantik reisen, um dort Versorgungsstationen für Soldaten hinter der Front aufzubauen. Zwei Tage vor dem Waffenstillstand ist Moina Michael eine Ausgabe des Ladies Home Journal in die Hände gefallen, in dem das Kriegsgedicht In Flanders Fields des kanadischen Leutnants John McCrae abgedruckt ist: »Auf Flanderns Feldern wogt der Mohn / Zwischen den Kreuzen …« Die Seite ist reich verziert mit heroischen Soldatenfiguren, die den Blick zum Himmel richten. Sie liest gebannt bis zur letzten Zeile, in der McCrae das Bild von einem sterbenden Soldaten beschwört, dessen schwächer werdende Hände den Überlebenden die Fackel des Kampfes weiterreichen. Während die Worte und Bilder in ihrem Inneren nachklingen, ist ihr, als wäre das Gedicht für sie geschrieben, als sprächen die Stimmen der Toten durch die Zeilen direkt zu ihr. Sie ist gemeint! Sie muss ihre Hand ausstrecken und die sinkende Fackel von Frieden und Freiheit ergreifen! Sie muss das Werkzeug von »Treue und Glauben« werden, und sie muss dafür Sorge tragen, dass die Erinnerung an Millionen Opfer nicht verblasst, dass sie nicht umsonst gekämpft haben und dass ihr Tod nicht sinnlos war!

So tief berührt ist Moina von dem Gedicht und ihrer Mission, dass sie einen Bleistift zur Hand nimmt und auf einem gelben Briefumschlag ihre eigenen Zeilen an den Mohn, »an die Blume, die über den Toten blüht«, niederschreibt. Wie in einem gereimten Schwur gelobt sie, die »Lektion aus den Feldern von Flandern« an die Überlebenden weiterzugeben: »Jetzt tragen wir die Fackel und die rote Mohnblüte / zu Ehren unserer Toten. / Fürchtet nicht, dass Ihr umsonst gestorben seid; / wir werden die Lektion weitergeben, die ihr geschmiedet habt / in Flanderns Feldern.«

Während sie diese Worte zu Papier bringt, tritt eine Abordnung von jungen Männern an ihren Schreibtisch. Zehn Dollar haben sie als Dank für Moinas Unterstützung bei der Ausstattung ihres YMCA-Quartiers gesammelt. Als sie den Scheck entgegennimmt, fügt sich plötzlich alles in ihrem Kopf zusammen: Sie will es nicht bei Worten belassen, und seien sie noch so schön gereimt. Das Gedicht soll Wirklichkeit werden! »Ich werde rote Mohnblüten kaufen. (…) Ich werde von jetzt an immer rote Mohnblüten tragen«, verkündet sie den verblüfften Männern. Dann zeigt sie ihnen McCraes Gedicht, und nach kurzem Zögern liest sie ihnen auch ihr eigenes vor. Die Männer sind begeistert. Sie wollen sich auch Mohnblüten an die Kleider stecken, und Moina verspricht, ihnen welche zu besorgen. So verbringt sie die verbleibenden Stunden bis zum Waffenstillstand damit, in den New Yorker Geschäften nach künstlichen Mohnblüten zu suchen. Es stellt sich heraus, dass es im reichen Angebot der Weltmetropole zwar künstliche Blumen in allen Farben und Formen gibt, doch die Auswahl an der in den Gedichten besungenen klatschroten Spezies Papaver rhoeas ist begrenzt. Bei Wanamaker’s, einem der turmhohen New Yorker Warenhäuser, wo es von Kurzwaren bis hin zu Automobilen einfach alles und sogar eine kristallene Teestube gibt, wird sie schließlich fündig. Sie ersteht eine große Kunstmohnblume für ihren Schreibtisch und zwei Dutzend kleine vierblättrige Seidenblüten. Zurück bei der YMCA, heftet sie die Blüten an die Revers der jungen Männer, die bald zu ihrem Dienst nach Frankreich aufbrechen werden. Es ist der bescheidene Anfang des Siegeszugs eines Symbols. Wenige Jahre später schon sollen die Remembrance Poppies in der gesamten englischsprachigen Welt zum Inbegriff der Erinnerung an die Toten des Weltkriegs werden.

 

Der Mohnblütenkult ist aus einem außergewöhnlichen historischen Augenblick geboren, in dessen weltumspannender Gegenwart Millionen Menschen feierten, innehielten, trauerten oder Rache schworen. Doch aus dem Moment heraus verweisen die Mohnblüten in die Vergangenheit, und ebenso in die Zukunft. Sie mahnen einerseits, sich einer gerade erst vergangenen Wirklichkeit zu stellen, sie nicht zu vergessen. In diesem Sinne sind sie Teil einer weltweiten Gedenkkultur, in deren Rahmen Zeremonien abgehalten, Denkmäler errichtet und in Schulen, Behörden und Kasernen die Namen der Gefallenen in Steintafeln gemeißelt werden. Andererseits weist Moina Michaels Idee auch nach vorn, denn für sie bedeuten das vergossene Blut und die massenhaften Opfer eine Verpflichtung für das Kommende: Auf den Gräbern sollen Blumen blühen, so ihre zunächst naive, aus einer spontanen Eingebung und ihrer tiefen Religiosität geborene Zukunftshoffnung. Nicht nur für sie, sondern für viele Zeitgenossen wirft das Kriegsende die drängende Frage nach der Zukunft auf. Es setzt Visionen eines besseren Lebens frei, aber auch Ängste; es gebiert umstürzlerische Ideen, Träume und Sehnsüchte, aber auch Alpdrücke.

Paul Klee hat 1918 in seinem gleichermaßen ironischen wie emblematischen Bild Der Komet von Paris genau jene Zwischenstellung zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen Realität und Projektionen aufs Korn genommen. Die aquarellierte Federzeichnung des Soldaten der Königlich Bayerischen Fliegerschule zeigt bei näherem Hinsehen nicht einen, sondern zwei Kometen: einen grünen mit einem langen geschwungenen Schweif und einen zweiten in der Form eines Davidsterns. Beide umkreisen den Kopf eines Seiltänzers, der, eine Stange in den Händen haltend, hoch über dem Pariser Eiffelturm auf einem unsichtbaren Seil balanciert. Es ist eines von vielen Blättern Paul Klees aus dieser Zeit, die Gestirne über Städten zeigen, und wie so häufig betätigt sich der Künstler als »Illustrator von Ideen«. In der Zeichnung erscheint das ferne Paris – Hauptstadt des Feindes, aber Heimat der Kunst – als ein modernes Bethlehem. Gleichzeitig gilt der Komet – seit jeher und auch in der fragilen, aufgeladenen Atmosphäre des frühen 20. Jahrhunderts – als Zeichen des Unvorhersehbaren, als ein Vorbote von großen Ereignissen, tiefgreifenden Veränderungen, gar Katastrophen. Er steht für das Aufleuchten ungeahnter Möglichkeiten am Horizont, für unbekannte Zukünfte. Die kleine Schwester des Kometen, die Sternschnuppe, lädt zum Wünschen ein. Eine verwandte Himmelserscheinung jedoch, der Meteorit, der auf die Erde stürzt, erschreckt durch seine Zerstörungskraft. Die Welt hatte zuletzt im Jahr 1910 innerhalb weniger Monate den Durchgang des Johannesburger und des Halleyschen Kometen erlebt, und die Ängstlichen unter den Erdenbürgern aller Kontinente hatten sich auf den Weltuntergang vorbereitet. Dies und die Berichte über den Einschlag des Himmelskörpers »Richardton« in North Dakota vom 30. Juni 1918 mögen Klee zu diesem Blatt inspiriert haben.

Klees Seiltänzer balanciert auf halbem Weg zwischen dem irdischen Wunderwerk, dem Eiffelturm, und den gleichermaßen verheißenden wie bedrohlichen Himmelskörpern. Er hält sich in der Schwebe, gehört keiner der Sphären ganz an, hat den Kopf in den Wolken und ist doch immer in Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren und...

Erscheint lt. Verlag 21.9.2017
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Romane / Erzählungen
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Allgemeines / Lexika
Geisteswissenschaften Geschichte
Schlagworte 1920er Jahre • Anspruchsvolle Literatur • Arbeiterrechte • Bauhaus • Erster Weltkrieg • Europa • Frauenrechte • Freikorps • George Grosz • Harlem Hellfighters • Harry S. Truman • Ho Chi Minh • Ideologien • Ilija Ehrenburg • Käthe Kollwitz • Kommunismus • Krieg der Träume • Lawrence von Arabien • Louise Weiss • Mahatma Gandhi • Marina Yurlova • Nationalismus • Nguyen Singh Cung • Novemberrevolution • Revolution • Rudolf Höß • Solhomon Tahangiri • Terence McSwiney • Virginia Woolf • Walter Gropius • Weimarer Republik
ISBN-10 3-10-403561-X / 310403561X
ISBN-13 978-3-10-403561-1 / 9783104035611
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