'Das war im Plan nicht eingezeichnet' (eBook)
224 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-44078-0 (ISBN)
Verbraucheranwältin Manuela Reibold-Rolinger berät seit 20 Jahren in ihrer Kanzlei Bauherren. Die teils existenzbedrohenden Schicksale ihrer Mandanten wecken den Kampfgeist in ihr - ebenso wie arrogante Finanzierungsberater und Baufirmen, die ihr als Frau nichts zutrauen. So hat sie schon zahlreiche aussichtslose Fälle gelöst, wie sie auch in ihrer Sendung 'Die Bauretter' auf RTL II zeigt.
Verbraucheranwältin Manuela Reibold-Rolinger berät seit 20 Jahren in ihrer Kanzlei Bauherren. Die teils existenzbedrohenden Schicksale ihrer Mandanten wecken den Kampfgeist in ihr – ebenso wie arrogante Finanzierungsberater und Baufirmen, die ihr als Frau nichts zutrauen. So hat sie schon zahlreiche aussichtslose Fälle gelöst, wie sie auch in ihrer Sendung "Die Bauretter" auf RTL II zeigt.
»Ohne Moos nichts los«
Viel versprochen und noch mehr abkassiert
Genau so stand es da, in Klein- und Großbuchstaben, quer über der Fensterfront des Rohbaus, gut lesbar für alle Nachbarn und Passanten, aufgesprüht mit schwarzer Farbe, fast über die gesamte Breite der linken Haushälfte: »Ohne MOOS nichts LOS«. Als ich aus meinem Wagen stieg und vor dem Haus ein sichtlich eingeschüchtertes Ehepaar antraf, fiel mein Blick sofort auf die bösartige Schmiererei. Man konnte sie gar nicht übersehen – und im selben Augenblick verstand ich den aufgewühlten Anruf eine Stunde zuvor. Fangen wir also besser noch einmal ganz vorne an:
»Guten Morgen, Frau Rechtsanwältin, wir haben ein Problem und hoffen, dass Sie uns helfen können.« Mit diesen Worten und einer leicht zittrigen Stimme begann an diesem Morgen ein Fall, den ich so bisher nur ein einziges Mal erlebt habe. Etliche Streitigkeiten, zu denen ich hinzugezogen werde, haben mit den immer wiederkehrenden Problemen des Hausbaus zu tun, den Klassikern unter den Hausbauärgernissen. Im Grunde hat sich seit den Semmelings (der Familie aus Dieter Wedels großartigem Dreiteiler Einmal im Leben – Geschichte eines Eigenheims von 1972) rein gar nichts geändert. Da können die Häuser noch so »smart« und »intelligent« werden, der technische Fortschritt hat die banalsten Probleme, Missverständnisse und Fehler beim Bau noch lange nicht beseitigen können. Und wird es wohl auch nie – schließlich wird immer noch von und für Menschen gebaut. Und da halten es leider viele nur für »smart«, wenn bei ihnen die Kasse stimmt, und sonst nichts.
Ich jedenfalls war gespannt, wobei ich dem Anrufer behilflich sein sollte, und tippte innerlich auf einen insolventen Bauträger, einen der typischen Fälle, die private Bauherren zur Verzweiflung bringen können. Doch es kam anders.
Inzwischen hatte Herr Bärenberg, wie er sich vorstellte, ein bisschen Zutrauen gefasst. Ein Bekannter hätte ihm meine Kanzlei empfohlen, und er wirkte gleich ein bisschen gelöster, weil ich ein offenes Ohr für sein Anliegen hatte. Es fiel ihm aber weiterhin schwer, die richtigen Worte zu finden, so groß war seine Verunsicherung – ich konnte förmlich sehen, wie er sich am anderen Ende der Leitung vor Unbehagen wand. Er erzählte mir, wo die Baustelle lag und in welchem Stadium sich der Bau befand. Oder hätte befinden sollen. Beziehungsweise schon einmal befunden hatte. Als wir uns der entscheidenden Stelle seines Anliegens näherten, kam er wieder ins Stocken. Schließlich sagte er: »Ich kann es kaum beschreiben, Sie müssen sich das selbst ansehen! Wann können Sie kommen?«
»Ich bin so schnell wie möglich da, geben Sie mir eine Stunde«, sagte ich spontan. Ich hatte das Gefühl, dass in diesem Fall wirklich Eile geboten war, und stand auf, noch während ich den Hörer auflegte. Außerdem werden die meisten Probleme dort gelöst, wo sie entstanden sind: auf der Baustelle. Also nichts wie hin.
Mein Arbeitsalltag ist normalerweise sehr straff strukturiert. Das geht auch gar nicht anders, denn alle Fälle, die in meiner Kanzlei behandelt werden, ziehen sich in der Regel über einen längeren Zeitraum hin, oftmals über Jahre. Vor allem dann, wenn sich ein Prozess vor Gericht nicht vermeiden lässt, sind sechs, sieben Jahre keine Seltenheit. Das bedeutet natürlich, dass permanent zig Vorgänge parallel laufen und die jeweiligen Arbeitszeiten und Termine möglichst reibungslos aufeinander abgestimmt werden müssen. Gutes Zeitmanagement ist die halbe Miete – zugegeben, ein etwas schiefer Vergleich in meinem Fall.
Ohne Frau Kaiser, meine Bürovorsteherin, wären mein Kalender und ich jedenfalls vollkommen aufgeschmissen. Sie hält mir immer wieder den Rücken frei, und auch an diesem Morgen war ich mehr als dankbar, dass sie mir ohne Murren zur Seite stand und kurzerhand die ursprünglich geplanten Termine von hier nach da verschob, ohne einen Mandanten aufgrund der Umstände zu verärgern.
Wenn so ein spontaner Zwischenfall den Tagesablauf durcheinanderwürfelt, macht mir meine Arbeit besonders viel Spaß. Meistens jedenfalls, es gibt natürlich auch böse Überraschungen, die kein Mensch braucht. Was mir aber vor allem gefällt, ist diese plötzliche Ungewissheit, was einen nun wohl erwarten wird, diese Hektik fernab der Schreibtischroutine. Es mag Kollegen geben, die genau das hassen – aber ich genieße dieses kurzzeitige Chaos. Das sind die Momente, in denen ich besonders intensiv spüre, warum ich diesen Job so liebe.
Nach Herrn Bärenbergs Anruf zögerte ich also keine Sekunde und machte mich nach kurzer Rücksprache mit Frau Kaiser, die nun ihrerseits direkt zum Hörer griff, auf den Weg. Ich war gespannt, was denn nun wirklich für die Ratlosigkeit in Herrn Bärenbergs Stimme gesorgt hatte, und als ich wenig später auf ihn und seine Frau traf, wusste ich immer noch nicht, ob es sich nun um eine dieser bösen Überraschungen handelte – oder nur um einen Dumme-Jungen-Streich. Im Grunde weiß ich es bis heute nicht wirklich.
Das Ehepaar Bärenberg – ich schätzte beide auf Mitte bis Ende vierzig – war sichtlich angegriffen. Sie wirkte geradezu verängstigt, der »Anschlag« hatte sie spürbar mitgenommen, ihr Händedruck zeigte mir, dass sie kaum noch Kraft hatte, die Sache durchzustehen. Sie sah blass aus, so als hätte sie nicht erst seit einer Nacht schlecht geschlafen. Hier würde neben juristischer Beratung auch viel psychologische Aufbauarbeit nötig sein, dachte ich noch, als mich Herr Bärenberg leise und freundlich begrüßte: »Wir haben telefoniert. Vielen Dank, dass Sie so schnell kommen konnten.«
Er versuchte, stark zu wirken, hinter der Fassade aber sah man auch bei ihm jede Menge Ratlosigkeit. Optisch hatte er tatsächlich etwas von einem Bären, allerdings einem absolut zahmen, ungefährlichen, also eher Teddy als Grizzly. Von der Kraft und dem Selbstbewusstsein eines ausgewachsenen Grizzlybären war Herr Bärenberg an diesem Morgen meilenweit entfernt. Mit bedachten Worten beantwortete er nun meine drängendsten Fragen zur Baustelle.
Schon als ich erfuhr, wer der Bauunternehmer war, schwante mir, dass der Fall kein Zuckerschlecken werden würde. Ich hatte schon mehrfach das »Vergnügen« gehabt, ihn auf der Gegenseite anzutreffen. Und je mehr ich über die Vorgeschichte der Baustelle in Erfahrung brachte, desto mehr tendierte ich nun in Richtung böse Überraschung, denn Bauunternehmer Hund ist als absolut abgebrüht bekannt und scheut vor nichts zurück – wie wir drei nun schwarz auf weiß vor uns auf der Hauswand nachlesen konnten.
Unter Bauanwälten ist er in der Region seit langem schon berühmt-berüchtigt dafür, dass er in vielen Fällen schlecht und billig gebaut hat. Und als eine Art »Wiederholungstäter« streitet er das in genauso vielen Fällen vehement ab. Er ist das Paradebeispiel eines schlechten Verlierers – besonders, wenn er in seiner Männerwelt auch noch gegen eine Frau den Kürzeren zieht. Sobald er erfährt, dass ich auf der Gegenseite stehe, verkündet er den Bauherren regelmäßig: »Die kann nix, suchen Sie sich einen anderen Anwalt«, nur um noch mehr einzuschüchtern. Und wenn er mit seiner Einschüchterungsmasche nicht durchkommt, dann sitzt er die Angelegenheit auch über mehrere Instanzen aus, weil er weiß, dass viele Bauherren, vor allem junge Familien, das allein schon finanziell nicht lange durchstehen. Von der mentalen Belastung ganz zu schweigen. Der Mann kann kalt sein wie eine Hundeschnauze.
Leider hat sich sein Ruf bis zu den Bauherren, die in erster Linie dem günstigsten Anbieter den Zuschlag geben, noch nicht herumgesprochen – die sind dann ein gefundenes Fressen für diesen Hund, der in keiner Sekunde an die Menschen denkt, für die er baut, sondern nur an seinen Profit. Und es gibt erschreckend viele Bauherren, die auf seine Angebote eingehen. Erst recht, seit es Vergleichsportale gibt, bei denen die billigsten Auftraggeber im Ranking ganz oben stehen.
Sie merken, ich bin nicht besonders gut auf diesen Mann zu sprechen. Als mir Herr Bärenberg den Namen Hund nannte, versuchte ich, mir meine böse Vorahnung nicht anmerken zu lassen, und antwortete nur kurz: »Kenne ich. Mit dem hatte ich schon öfter zu tun.« Das würde die Bärenbergs mehr beruhigen als beunruhigen, hoffte ich, war mir aber nicht sicher, ob mir das in diesem Moment gelungen war. Denn auf dieser Baustelle schien Hund noch weiter gegangen zu sein als jemals zuvor. Damit hatte selbst ich nicht gerechnet. Ich konnte mein Erstaunen deshalb kaum verbergen und machte im wahrsten Sinne des Wortes große Augen, als ich mir seine »Botschaft« aus der Nähe ansah.
»Ohne MOOS nichts LOS« – wer so etwas auf einen Rohbau sprüht, den er bis zum Vortag selbst hochgezogen hat, der muss sich seiner Sache mehr als sicher sein, dachte ich, während Herr Bärenberg weiter berichtete. Als seine Frau, die schweigend neben ihm stand, die ganze Geschichte aus seinem Munde hörte, sammelten sich Tränen in ihren Augen. Sie fühlte sich bis auf die Knochen blamiert, bloßgestellt in aller Öffentlichkeit, persönlich erniedrigt. Wenn das Hunds eigentlicher Plan bei der ganzen Sache gewesen war, kam es mir in den Sinn, dann schien er spätestens in diesem Moment aufzugehen. Der Widerstand der Bärenbergs wirkte an diesem Morgen jedenfalls so gut wie gebrochen. Es fehlte nicht mehr viel, und sie würden entnervt aufgeben.
Frau Bärenberg hielt sich schweigend zurück, das Gespräch führte ich im Grunde ausschließlich mit ihrem Mann. Doch ihr trauriger Blick und das gelegentliche schwache Kopfschütteln entgingen mir nicht. So viel...
Erscheint lt. Verlag | 26.9.2016 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Sachbuch/Ratgeber ► Natur / Technik ► Naturwissenschaft | |
Technik | |
Schlagworte | Baufirma • Bauherren • Baurecht • Bauretterin • Baustelle • Die Bauretter • Eigenheim • Erzählendes Sachbuch • Haus • Immobilien |
ISBN-10 | 3-426-44078-4 / 3426440784 |
ISBN-13 | 978-3-426-44078-0 / 9783426440780 |
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