Die Insel der Stimmen - The Isle of Voices -  Robert Louis Stevenson

Die Insel der Stimmen - The Isle of Voices (eBook)

zweisprachig: deutsch/englisch - bilingual: German/English
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2018 | 1. Auflage
62 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-8423-3248-5 (ISBN)
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Diese Geschichte handelt von einem Mann, der durch seine Habgier den Zorn seines Schwiegervaters, eines Südseezauberers, auf sich zieht. Mit ihrer Botschaft, dass es gefährlich sein kann, den Verlockungen schnellen Reichtums zu erliegen, zeichnet sich Stevensons Erzählung durch eine hochaktuelle Botschaft aus. Formal handelt es sich um ein Kunstmärchen, das sich wegen Ähnlichkeiten mit einer Horrorgeschichte eher an Erwachsene als an Kinder richtet. Hier liegt Stevensons Erzählung in der englischen Originalfassung sowie einer aktualisierten deutschen Übersetzung vor. Wie bei allen Werken der ofd edition wurden die ursprünglichen Druckversionen nicht automatisiert kopiert, sondern sorgfältig neu editiert und dabei den heute geltenden Rechtschreibregeln angepasst - die bessere Lesbarkeit und Gestaltung verhelfen so zu einem ungetrübten Lesegenuss.

Der in Schottland geborene Robert Louis Stevenson (1850 - 1894) verfasste zahlreiche Romane, Novellen, Erzählungen und Kurzgeschichten. Zu seinen bekanntesten Werken gehören "Die Schatzinsel" und "Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde".

Die Insel der Stimmen



Keola hatte Lehua, die Tochter Kalamakes, des weisen Mannes von Molokai, geheiratet und wohnte bei dem Vater seines Weibes. Es gab keinen schlaueren Menschen als jenen Propheten. Er las in den Sternen, er verstand aus den Körpern der Toten und mit Hilfe böser Geschöpfe zu weissagen; ja, er konnte auch auf die höchsten Spitzen der Berge gehen, in das Reich der Dämonen, wo er Fallen stellte, um die Geister der Alten einzufangen.


Im ganzen Königreiche Hawaii war daher keines Mannes Rat so begehrt wie der seine. Leute, die gerne auf Nummer Sicher gehen, richteten ihr Leben nach seinen Ratschlägen ein, etwa wenn sie etwas kauften oder verkauften oder heirateten wollten; und der König hatte ihn zweimal nach Kona kommen lassen, um nach den Schätzen der Kamehamehas zu suchen. Niemand war so gefürchtet wie er, einige seiner Feinden hatten sich kraft seiner Beschwörungen in Siechtum verzehrt, andere waren an Leben und Leib verzaubert und verschwanden, so dass die Leute sogar nach ihren Knochen vergeblich suchten. Es ging das Gerücht um, dass er die Künste und Fertigkeiten der alten Helden beherrschte. Menschen hatten ihn des Nachts in den Bergen gesehen, wie er von Fels zu Felsen schritt; in den hohen Wäldern hatten sie ihn wandeln sehen, und er überragte die Bäume um Haupt- und Schulterslänge.


Dieser Kalamake war seltsam anzuschauen. Er war vom besten Blute Molokais und Mauis, von reinster Herkunft, und dennoch von hellerer Hautfarbe als jeder Ausländer. Sein Haar hatte die Farbe trockenen Grases, und seine Augen waren rot und sehr trübe, so dass es auf den Inseln das Sprichwort: „Blind wie Kalamake, der jenseits des Morgen sehen kann“, gab.


Von allem diesen Tun und Treiben seines Schwiegervaters wusste Keola manches vom Hörensagen, einiges vermutete er, und vom Rest wusste er nichts. Aber eine Sache bekümmerte ihn. Kalamake war ein Mann, der sich nichts abgehen ließ, weder Essen noch Trinken noch Kleidung, und der für alles in glänzenden, neuen Dollars zahlte. „Blank wie Kalamakes Dollars“ war ein weiteres Sprichwort auf den Acht Inseln. Dennoch verkaufte er weder etwas, noch pflanzte er, noch nahm er Lohn – außer gelegentlich für seine Zaubereien – und es war nicht klar, woher so viele Silbermünzen kamen.


Und es geschah eines Tages, dass Keolas Weib zu Besuch nach Kaunakakai gegangen war, das auf der Leeseite der Insel liegt, die Männer befanden sich währenddessen auf See beim Fischfang. Keola aber war ein müßiger Gesell, er lag auf der Veranda und sah, wie die Brandung gegen die Küste lief und die Vögel um die Klippen flogen. Er dachte andauernd über die vielen blanken Dollar nach. Wenn er im Bett lag, wunderte er sich, warum es derer so viele seien, und erwachte er am Morgen, so fragte er sich, weshalb sie alle neu wären, und die Sache wich niemals aus seinem Geiste. Aber gerade an diesem Tage war er sich sicher, auf etwas gekommen zu sein. Es schien, als habe er mitbekommen, wo Kalamake seinen Schatz aufbewahrte. Es handelte sich um einen verschließbaren Schreibtisch, der an der Wand des Wohnzimmers stand, unterhalb eines Öldrucks Kamehamehas des Fünften und einer Fotografie der Königin Victoria, die mit einer Krone auf dem Kopf abgebildet war; und es scheint außerdem, dass er erst in der vorigen Nacht eine Gelegenheit hatte, hereinzuschauen, und siehe da: Der Beutel war leer. Heute aber war der Tag des Dampfschiffs; er konnte den Rauch in der Höhe von Kalaupapa sehen, und bald musste es eintreffen mit Waren für einen Monat: Dosenlachs und Gin und alle möglichen seltenen Delikatessen für Kalamake.


Wenn er seine Waren bezahlen kann, dachte Keola, dann weiß ist klar, dass der Mann ein Zauberer ist, und dass die Dollars aus des Teufels Tasche stammen.


Während er so überlegte, stand plötzlich sein Schwiegervater hinter ihm, und er sah verärgert aus.


„Ist das das Dampfschiff?“, fragte er.


„Ja“, sagte Keola. „Es läuft nur noch in Pelekunu an und wird dann hier sein.“


„So bleibt nichts anders übrig, als Dich in mein Vertrauen zu ziehen, Keola“, entgegnete Kalamake, „ich habe keinen Besseren. Komm ins Haus herein.“


So betraten sie gemeinsam das Wohnzimmer, einen sehr schönen Raum, tapeziert und mit Öldrucken behangen, möbliert mit einem Schaukelstuhl, einem Tisch und einem Sofa im europäischen Stil. Außerdem gab es dort noch ein Bücherregal, eine Familienbibel lag in der Mitte des Tisches, und an der Wand stand der verschließbare Schreibtisch. Jeder konnte erkennen, dass hier ein wohlhabender Mann wohnte.


Kalamake ließ Keola die Fensterläden zuziehen, während er selbst alle Türen verschloss und den Deckel des Schreibpultes öffnete. Diesem entnahm er ein paar Halsketten, an denen Amulette und Muscheln hingen, ein Bündel getrockneter Kräuter, getrocknete Blätter und ein grünes Palmenwedel.


„Was ich nun tun werde“, sagte er, „liegt jenseits aller Wunder. Die Alten waren weise, sie wirkten Wunderbares, unter anderem auch dieses; doch geschah es in der Nacht, im Dunkeln, wie es sich gehört, unter den Sternen und in der Einöde. Das Gleiche werde ich hier in meinem eigenen Hause und am helllichten Tage tun.“


Mit diesen Worten schob er die Bibel unter das Sofakissen, so dass sie ganz bedeckt war, holte von der gleichen Stelle eine aus einem wunderbar feinem Geflecht bestehende Matte hervor und häufte die Kräuter und Blätter auf eine mit Sand bestreute Pfanne aus Zinn. Dann hingen er und Keola sich die Halsketten um und stellten sich an gegenüberliegenden Enden der Matte auf.


„Die Zeit ist gekommen“, sagte der Hexenmeister, „fürchte Dich nicht.“


Währenddessen zündete er die Kräuter an und begann, während er mit dem Palmzweig wedelte, vor sich hinzumurmeln. Anfangs war es wegen der geschlossenen Fensterläden recht düster gewesen, als die Kräuter entflammten waren, wurde es aber schnell heller. Rauch stieg auf, von dem es Keola schwindlig wurde und sein Blick sich verdunkelte, das Gemurmel Kalamakes summte in den Ohren. Plötzlich war an der Matte, auf der sie standen ein Rucken und Zerren zu spüren, es kam schneller als der Blitz. Im gleichen Augenblick waren Zimmer und Haus verschwunden, und Keolas verschlug es den Atem. Wellen von Licht fuhren ihm über die Augen und den Kopf, und er fand sich am Meeresstrand wider, die Sonne brannte kräftig, eine starke Brandung tobte. Er und der Zauberer standen noch immer da auf der Matte, atemlos und sich aneinander klammernd, und fuhren sich mit der Hand über die Augen.


„Was war das?“, rief Keola, der sich als erster wieder gesammelt hatte, da er der jüngere war. „Der Schmerz war wie der Schmerz des Todes.“


„Es ist egal“, keuchte Kalamake. „Es ist bereits vorbei.“


„Und wo in Gottes Namen sind wir?“, fragte Keola.


„Das tut nichts zur Sache“, entgegnete der Zauberer. „Wir sind jetzt hier und haben etwas zu erledigen. Während ich wieder zu Atem komme, begib Dich zum Waldrand und bringe mir die Blätter von einem bestimmten Kraut und von einem gewissen Baum, die, wie Du sehen wirst, dort in Mengen wachsen – drei Handvoll von jedem. Und beeil Dich. Wir müssen zurücksein, bevor das Dampfschiff eintrifft, es würde zu sehr auffallen, wenn wir nicht da wären.“ Keuchend setzte er sich auf den Sand.


Keola ging den Strand hinauf, der aus leuchtendem Sand und Korallen bestand, vermischt mit seltsamen Muscheln, und er dachte in seinem Herzen:


„Wie kommt es, dass ich diesen Strand nicht kenne? Ich werde wiederkommen und hier Muscheln sammeln.“ Vor ihm zeichnete sich eine Reihe Palmen gegen den Himmel ab, sie glichen nicht den Palmen der Acht Inseln, sondern waren hochgewachsen, frisch und schön, und ihre welken Fächer ragten wie Gold aus dem Grün hervor, und er dachte in seinem Herzen:


„Es ist merkwürdig, dass ich diesen Hain noch nicht entdeckt habe. Ich werde wiederkommen, wenn es warm ist, und hier übernachten.“ Und er dachte: „Wie heiß ist es plötzlich geworden!“ Denn es war Winter in Hawaii, und der Tag war kühl gewesen. Und weiter dachte er: „Wo sind die grauen Berge? Wo sind die hohe Klippen mit dem hängenden Wald und den kreisenden Vögeln?“ Und je mehr er nachdachte, umso weniger begriff er, wo auf der Insel er gelandet war.


Am Saum des Haines, dort, wo dieser den Strand berührte, wuchs das Kraut, der gesuchte Baum jedoch stand weiter hinten. Als nun Keola sich dem Baum näherte, wurde er eines Mädchens gewahr, das nichts an ihrem Leibe trug als einen Blättergürtel.


„Nun“, dachte Keola, „mit der Kleidung nehmen sie es in diesem Teile des Landes nicht sehr genau.“ Und er hielt inne, befürchtend, dass sie ihn sehen und entfliehen werde, und da er merkte, dass sie immer noch da war und schaute, blieb er stehen und summte eine Melodie. Als sie diese wahrnahm sprang sie auf. Ihr Gesicht war aschfahl, sie blickte hin und her, den Mund war vor Schreck weit geöffnet. Seltsam war, dass sie Keola nicht ansah.


„Guten Tag“, sagte er. „Du brauchst Dich nicht zu fürchten. Ich werde Dich nicht essen.“ Und kaum hatte er gesprochen, floh das junge Mädchen in den Busch.


„Seltsames Verhalten“, dachte Keola, und eilte ihr, ohne nachzudenken, hinterher. Im Laufen schrie sie etwas in einer Sprache, die auf Hawaii nicht gebräuchlich war, doch einige der Ausdrücke verstand er. Sie...

Erscheint lt. Verlag 31.1.2018
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Fantasy
ISBN-10 3-8423-3248-3 / 3842332483
ISBN-13 978-3-8423-3248-5 / 9783842332485
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