Dein bis in den Tod (eBook)

Krimi
eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
288 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-560555-4 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Dein bis in den Tod -  Gunnar Staalesen
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Dieser Titel gehört zu einer Romanreihe, auf der die bekannte Krimifernsehserie ?Der Wolf? um den Privatdetektiv Varg Veum basiert. Die Erstausstrahlung der beiden Staffeln erfolgte in Deutschland 2008 bei Das Erste und 2013/2014 beim ZDF. Varg Veum bekommt Besuch: Sein bisher jüngster Kunde, ein achtjähriger Junge, bittet den Privatdetektiv, sein Fahrrad wiederzufinden. Eine Clique von Jugendlichen hat es ihm gestohlen. Veum beschließt, dem Jungen zu helfen. Doch kurz darauf ist das Kind verschwunden ... (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)

Gunnar Staalesen wurde 1947 im norwegischen Bergen geboren. Er studierte Literaturwissenschaft und arbeitete als Dramaturg. Mit dem Privatdetektiv Varg Veum schuf er eine der populärsten Figuren der norwegischen Krimi-Landschaft.

Gunnar Staalesen wurde 1947 im norwegischen Bergen geboren. Er studierte Literaturwissenschaft und arbeitete als Dramaturg. Mit dem Privatdetektiv Varg Veum schuf er eine der populärsten Figuren der norwegischen Krimi-Landschaft.

4


Eigentlich sahen sie eher furchtsam als furchteinflößend aus. Sechs gewöhnliche, noch nicht ausgewachsene Teenager mit den altbekannten Pickeln und den altbekannten flaumbewachsenen Kinnpartien und dem altbekannten dämlichen Grinsen. Ein langer, schlaksiger Bursche ganz außen versuchte, sich eine Zigarette zu drehen, aber die Hälfte des Tabaks landete auf der Erde, und als er die Zigarette schließlich in den Mund stecken wollte, fehlte nicht viel, und er hätte sie sich ins Auge gepikt. In der Mitte stand ein anderer, der auffiel, weil er klein und dick war. Er hatte ein rotes Gesicht und rötlich blonde Haare. Der Ausdruck seiner Augen erinnerte an einen getreten Hund, woraus ich schloss, dass er der Narr der Bande war. Denn alle Banden haben ihren Narren, doch wehe dem armen Schwein aus einer anderen Gang, der ihm etwas tut. Bewusst oder unbewusst ist der Narr derjenige, der die Gang im Grunde zusammenhält, denn es ist ihre Aufgabe, ihn zu verteidigen und zu beschützen. Das musste der sein, den Roar Tasse genannt hatte. Die vier übrigen unterschieden sich in Haarfarbe, Größe und Gesichtsausdruck, ansonsten waren sie ziemlich austauschbar. Alle trugen Jeans, ein paar Daunenjacken, die anderen Lederjacken.

Dann trat der letzte Mann aus der Hütte, und das ganze Bild änderte sich. Die anderen waren wie eine Schafherde aus der Hütte getrappelt, dieser hier erschien, schlendernd, als gehe er nur zufällig vorbei.

Er hatte etwas Einstudiertes und Künstliches, das augenblicklich den Psychopathen verriet, und ich bemerkte sofort die Angst und den Respekt, die ihn umgaben. Was vor einer halben Minute noch eine Ansammlung von Konfirmanden gewesen war, die ich dazu hätte bringen könne, mir das Vaterunser vorzubeten, war auf einen Schlag zu einer Gang geworden. Das unsichere Lächeln wich zusammengepressten, willensstarken Lippen. Die ängstlichen Augen wurden hart wie Kiesel. Die Zigarette des langen Labans zur Linken fand plötzlich Ruhe in seinem einen Mundwinkel und Tasse streckte den Bauch heraus und stemmte seine kleinen plumpen Hände in die Hüften.

Er stellte sich nicht vor. Das war nicht nötig. Er wirkte irgendwie uninteressiert an der Situation und strahlte fast etwas Einschläferndes aus. Aber seine schmalen, blinzelnden Augen waren nicht schläfrig. Sie waren schwarz und wach wie bei einem Raubtier auf der Jagd.

Er war dunkel, und sein Haar war aus der Stirn und glatt nach hinten gekämmt. Das gab ihm das Aussehen eines Pastors. Die Stirn war hoch und weiß. Seine Nase war ungewöhnlich schmal und dünn, fast wie ein Messer, als könnte er sie als Waffe benutzen, wenn er wollte. Sein Mund erinnerte an den von Elvis Presley. Die Oberlippe war in einem höhnischen Grinsen nach hinten gezogen, doch die Zähne darunter würde er nie auf einem Plattencover zeigen können, sie waren verfaulte Karikaturen ihrer selbst.

Er trug enge, fast weiße Jeans und eine schwarze Lederjacke mit einer Menge glitzernder Reißverschlüsse. Sein Körper war von der angespannten, mageren Sorte. Besonders groß war er nicht, aber ich ging davon aus, dass er ziemlich fix mit dem Messer sein konnte, wie die meisten Leute seines Kalibers.

Seine Stimme klang genau so, wie ich sie mir vorgestellt hatte, gespannt wie ein Stahldraht und so gefühlvoll wie eine gebrauchte Rasierklinge. Genau in dem Moment, als er anfing zu sprechen, verirrte sich ein nachmittagsgoldener Sonnenstrahl durch das Dach der Kiefernzweige und fiel ihm direkt ins Gesicht. Seine papierbleiche Haut färbte sich golden wie die eines Engels, und seine fülligen Lippen erschienen blutvoll und raffaelmäßig. Es war eine Illusion wie das meiste, auf das die Sonne ihre Strahlen wirft. Er sagte: »Was willst du hier, Opa?«

Er brauchte sich nicht nach Applaus umzuschauen, er bekam ihn auf der Stelle. Ein dröhnendes Unisonogelächter brach die Stille des Waldes. Es war ein unschönes Gelächter, wie Teenager eben lachen.

»Ich suche den Kindergarten. Aber jetzt habe ich ihn ja gefunden.« Ich konnte nicht den gleichen Charme entwickeln, denn ich hatte keine Lacher auf meiner Seite.

Seine Zunge spielte zwischen seinen vergammelten Zahnstummeln. »Das Altenheim liegt aber da unten. Sollen wir dir vielleicht einen Rollstuhl besorgen?«

Eine neue dröhnende Lachsalve. So etwas Witziges hatten sie noch nie gehört. Sie lachten sich fast tot.

»Brauchst du denn einen?«, fragte ich und fügte, solange ich das Wort hatte, rasch hinzu: »Im übrigen wollte ich nach meinem Fahrrad sehen.«

»Deinem Fahrrad?« Er blickte sich um, als entdecke er erst jetzt, dass er nicht allein dort stand. »Habt ihr ein Fahrrad gesehen, Leute?«

Alle Clowns blickten sich um und grinsten. Alle schüttelten den Kopf, Der, den sie Tasse nannten, sah aus, als platze er gleich vor unterdrücktem Lachen. Joker sagte: »Schick lieber deine Tante, Opa, oder eine der Pflegerinnen aus dem Altenheim, dann sehen wir mal, was wir tun können in der … Angelegenheit.«

Diesmal glaubte ich wirklich, sie würden sterben. Sie lachten so, als wollten ihnen die Eingeweide platzen, als feierten sie schon drei Tage lang mit Lachgas und hätten noch ein paar Behälter übrig. Ich spürte, wie dicht ich davor war, eine Rede zu halten.

So bin ich. Wenn ich Angst habe, muss ich immer eine Rede halten. An der Schwelle des Todes werde ich stehen und eine Rede halten mit der Verzweiflung eines Schwulen, dem sie die Lobrede auf die Frauen aufs Auge gedrückt haben. An der Himmelspforte werde ich Petrus beschwatzen, bis ihm die Ohren abfallen und er mich an die Reklamationsabteilung im ersten Stock verweist.

Ich fing an, machte zwei Schritte und nahm vor dem langen Lulatsch Aufstellung. Ich starrte ihm in die Augen und hoffte, dass mein Blick bei ihm Erinnerungen an die Steinbeißererlebnisse seiner Kindheit weckte. Und zu meiner Befriedigung sah ich, dass die Zigarette in seinem Mundwinkel zu zittern begann.

»Ich sehe vielleicht auf den ersten Blick nicht so gefährlich aus«, sagte ich, »wenn ihr sieben Paar Augen und fünfzehn, zwanzig Jahre jünger seid als ich. Ein Löwe, der ein paar Jahre im Zoo ausgestellt gewesen ist, sieht auch nicht besonders gefährlich aus, bis sich jemand in seinen Käfig wagt.«

Ich ging einen Schritt weiter zum Nächsten. Der war ungefähr gleich groß wie ich, hatte einen großen Pickel am linken Nasenflügel und Schweiß auf der Oberlippe.

»Ihr macht mir keine Angst, nur weil ihr hier steht und im Gesicht ausseht wie das norwegische Hochgebirge. Sogar noch im Sonnenuntergang.« Er wurde sichtlich rot und ich ging weiter zum Nächsten.

Der Junge hatte bereits einen prächtigen grauschwarzen Stoppelbart. Er hatte dichte, dunkle Augenbrauen, aber die Augen darunter waren verräterisch kurzsichtig. Er sollte eigentlich eine Brille tragen. Ich wedelte mit der Hand vor seinen Augen herum. Er wusste nicht, worauf er den Blick fixieren sollte.

»Hallooo? Jemand zu Hause? Hier bin ich. Nein, hier. Geh nach Hause und hol deine Brille, Kumpel. Du siehst ja aus wie ein Abgesandter der dritten Dimension. Ja, das verstehst du, wenn du ein bisschen älter geworden bist. Wirf bei Gelegenheit mal einen Blick in ein Lexikon, falls du weißt, was das ist.«

Der nächste Mann war Joker, und ich ging einfach an ihm vorbei. Im Augenwinkel sah ich, dass er daran schwer zu schlucken hatte. Rechts von ihm stand Tasse, der Narr.

Ein Narr ist eine leichte Beute, wenn er nicht bereits immun geworden ist. »Hallo, Schweinchen Schlau. Du siehst aus, als hättest du selbst dann und wann ein Fahrrad nötig.« Ich wartete einen Moment. »Kondition, Fitness, Gewichtsreduzierung. Steht alles im Fremdwörterbuch.«

Die beiden letzten erledigte ich in einem Aufwasch. »Und wer ist das hier? Dick und Doof im Kindergarten?« Ich ging zurück in die zentrale Position und ließ den Blick über sie alle gleiten. »Wisst ihr, wer ich bin? Veum, der Redewütige, schon mal von mir gehört? Ihr findet mich im Telefonbuch, unter M für Monster. Manchmal auch in der Zeitung, jedes Mal, wenn ich einen zum Krüppel geschlagen habe. Also ich kann euch nicht empfehlen, zu mir in den Käfig zu kommen. Das müsst ihr so sehen: Ich spiele in der Nationalelf, und ihr seid die F-Jugend eines Vereins der fünften Liga von Møre og Romsdal. Ihr habt nur einen Vorteil: Ich darf eigentlich keinen schlagen, der kleiner ist als ich. Aber so ganz genau habe ich es damit bisher nie genommen. Ihr könnt es ja versuchen.« Und solange ich noch einen kleinen Vorsprung hatte, fügte ich noch schnell hinzu: »Ich bin hergekommen, um mein Fahrrad zu holen, und das werde ich jetzt tun. Habt ihr was dagegen?«

Ich fixierte Joker. Psychopathen und Bären gleichen sich in einem: Die beste Methode, sie zu zähmen, ist, ihnen direkt in die Augen zu starren. Ich sagte: »Wenn Männer pokern, ist nie ein Joker im Spiel.«

Damit schritt ich direkt an ihm vorbei, griff den Lenker des Fahrrads und schwang es herum. Sechs Augenpaare gafften mich an. Joker stand da wie vorher, mit dem Rücken zu mir.

Einem Psychopathen den Rücken zuzuwenden ist das Dümmste, was du tun kannst, aber ich hatte ein fasziniertes Publikum und nicht viele Alternativen. Während ich auf dem Weg aus dem Bannkreis heraus an Joker vorbeiging, drehte ich den Kopf und behielt ihn im Blick. »Geht rein und holt eurem Chef eine frische Windel, Jungs.« Ich hielt den Kopf in dieser Stellung, als hätte ich einen Hexenschuss bekommen, und ließ seinen Blick nicht los, bis ich so weit entfernt war, dass er mir kein Springmesser mehr zwischen die Schulterblätter stoßen konnte, ohne eine große Nummer daraus zu machen.

Hinter mir war kein Laut zu hören. Keiner wagte zu lachen. Niemand lacht, wenn er Zeuge einer Majestätsbeleidigung wird, jedenfalls...

Erscheint lt. Verlag 15.10.2015
Reihe/Serie Privatdetektiv Varg Veum
Privatdetektiv Varg Veum
Übersetzer Kerstin Hartmann
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Bergen • Diebstahl • Ehemann • Fahrrad • Jugendgang • Junge • Krimi • Mutter • Privatdetektiv • Spannung • Unterhalt • Varg Veum
ISBN-10 3-10-560555-X / 310560555X
ISBN-13 978-3-10-560555-4 / 9783105605554
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