Olympos (eBook)

Roman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014
1040 Seiten
Heyne (Verlag)
978-3-641-14919-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Olympos - Dan Simmons
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Thomas Hockenberry, einst Professor für Philosophie an der University of Indiana, wird nach seinem Tod von den Göttern des Olymp auserwählt, um als Kriegsberichterstatter in Ilium tätig zu werden. Raffinierte High-Tech-Geräte erlauben es ihm, mitten im Kampfgetümmel zu erscheinen und in Sekundenbruchteilen wieder zu verschwinden. Doch Hockenberry kennt die »Ilias« zu genau, um nicht zu merken, dass sich zwischen dem, was er sieht, und den Versen Homers beträchtliche Diskrepanzen auftun. Schnell stellt er fest, dass er nicht auf dem griechischen Olymp wiedererweckt wurde, sondern auf dem Olympus Mons, dem höchsten Berg des Mars. Und es hat ihn nicht in die Antike, sondern in eine ferne Zukunft verschlagen. Als durch seine Intervention der Krieg eine völlig neue Wendung nimmt, geraten die Ereignisse zunehmend außer Kontrolle ...

Dan Simmons wurde 1948 in Illinois geboren. Nach dem Studium arbeitete er einige Jahre als Englischlehrer, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Simmons ist heute einer der erfolgreichsten amerikanischen Schriftsteller der Gegenwart. Seine Romane »Terror«, »Die Hyperion-Gesänge« und »Endymion« wurden zu internationalen Bestsellern, die Verfilmung von »Terror« ist eine der erfolgreichsten TV-Serien unserer Zeit. Der Autor lebt mit seiner Familie in Colorado.

2


Angetan mit seiner besten Rüstung, stand der rothaarige Menelaos reglos, königlich und stolz zwischen Odysseus und Diomedes in der ersten Reihe der achäischen Delegation von Helden, die sich zum Bestattungsritual innerhalb der Mauern Iliums versammelt hatten, um seinen frauenraubenden Feind zu ehren, den Sohn des Priamos, diesen scheißefressenden Schweinehund Paris. Während er schweigend und aufrecht dort stand, sann Menelaos unablässig darüber nach, wie und wann er Helena töten würde.

Eigentlich sollte ihm das keine größeren Schwierigkeiten bereiten. Sie war keine fünfzehn Meter entfernt, gleich jenseits der breiten Gasse, gegenüber der achäischen Delegation auf dem riesigen Marktplatz von Troja, oben auf der königlichen Ehrentribüne bei dem alten Priamos. Mit etwas Glück würde er so schnell dort sein, dass niemand ihn aufhalten konnte. Und wenn er Pech hatte und die Trojaner es doch noch schafften, sich zwischen ihn und seine Gemahlin zu stellen, würde er sie wie Unkraut niedermähen.

Menelaos war kein hoch gewachsener Mann, weder ein edler Riese wie sein abwesender Bruder, Agamemnon, noch ein unedler Riese wie dieser Ameisenpimmel Achilles. Er wusste, dass es ihm niemals gelingen würde, auf den Tribünenrand zu springen, sondern dass er sich mit Ellbogen, Schultern und Schwert einen Weg durch die dicht gedrängten Trojaner auf der Treppe bahnen musste. Aber das störte ihn nicht weiter.

Helena konnte ihm nicht entkommen. Von der Zuschauertribüne an der Mauer des Zeustempels führte nur diese eine Treppe zum Marktplatz herab. Sie konnte in den Zeustempel fliehen, aber er würde ihr dorthin folgen und sie stellen. Menelaos wusste, er würde sie töten, bevor er von Dutzenden empörter Trojaner übermannt wurde – unter ihnen auch Hektor, der den gerade in Sicht kommenden Trauerzug anführte –, und dann würden die Achäer und Trojaner wieder gegeneinander kämpfen und ihren aberwitzigen Krieg gegen die Götter aufgeben. Natürlich wäre Menelaos’ Leben zweifellos verwirkt, wenn der trojanische Krieg hier und heute von neuem entbrannte – ebenso wie das von Odysseus und Diomedes, ja, vielleicht sogar das Leben des unverwundbaren Achilles –, denn an der Bestattung dieses Schweins nahmen nur dreißig Achäer teil, während sich überall auf dem Platz, auf den Mauern und erst recht zwischen den Achäern und dem skäischen Tor hinter ihnen Tausende von Trojanern drängten.

Das ist es wert.

Dieser Gedanke schoss Menelaos wie eine Lanzenspitze durch den Kopf. Das ist es wert – kein Preis wäre zu hoch, um diese treulose Hündin zu töten. Trotz des Wetters – es war ein kühler, grauer Wintertag  – lief ihm der Schweiß in Strömen unter dem Helm herab, rann durch seinen kurzen, roten Bart, tropfte ihm vom Kinn und klatschte auf seinen bronzenen Brustharnisch. Dieses Klatschen von Tropfen auf Metall hatte er natürlich schon oft gehört, aber es war immer das Blut seiner Feinde gewesen, das auf ihre Rüstung troff. Menelaos’ rechte Hand, die leicht an seinem mit Silber verzierten Schwert lag, schloss sich mit ingrimmiger Wildheit um das Heft.

Jetzt?

Nicht jetzt.

Wieso nicht? Wenn nicht jetzt, wann dann?

Nicht jetzt.

Die beiden widerstreitenden Stimmen in seinem schmerzenden Schädel – beides seine eigenen Stimmen, denn die Götter sprachen ja nicht mehr mit ihm – machten Menelaos verrückt.

Warte, bis Hektor den Scheiterhaufen anzündet. Dann handle.

Menelaos blinzelte sich den Schweiß aus den Augen. Er wusste nicht, welche Stimme das war – diejenige, die ihn zum Handeln drängte, oder die feige, die ihn zur Zurückhaltung mahnte –, aber er war mit dem Vorschlag einverstanden. Der Trauerzug hatte das riesige skäische Tor passiert und brachte Paris’ verbrannten Leichnam  – der nun unter einem seidenen Leichentuch verborgen lag – auf der Hauptstraße zum Marktplatz von Troja, wo zahllose Würdenträger und Helden warteten, während die Frauen – darunter Helena – von der erhöhten Mauertribüne aus zuschauten. Nur noch ein paar Minuten, dann würde der ältere Bruder des Toten, Hektor, den Scheiterhaufen entzünden, und aller Augen würden auf die Flammen gerichtet sein, die den bereits verbrannten Körper verzehrten. Genau der richtige Moment, um zu handeln – niemand wird mich bemerken, bis meine Klinge fünfundzwanzig Zentimeter tief in Helenas verräterischer Brust steckt.

 

Traditionell dauerten die Bestattungsfeierlichkeiten für Verblichene königlichen Geblüts wie Paris, Sohn des Priamos, einen der Prinzen von Troja, neun Tage, die großenteils von Spielen zu Ehren des Toten eingenommen wurden – darunter Wagenrennen und sportliche Wettkämpfe, an deren Ende meist ein Speerwerfen stand. Doch Menelaos wusste, dass die rituellen neun Tage, seit Apollo Paris in Holzkohle verwandelt hatte, für die lange Reise der Karren und Holzfäller zu den verbliebenen Wäldern im Ida-Gebirge, viele Kilometer entfernt im Südosten, draufgegangen waren. Man hatte die kleinen Maschinenwesen namens Moravecs gebeten, die Holzfäller mit ihren Hornissen und magischen Geräten zu begleiten und sie mit ihrem Kraftfeld vor einem etwaigen Angriff der Götter zu schützen – der natürlich erfolgt war. Aber die Holzfäller hatten ihre Arbeit getan.

Erst jetzt, am zehnten Tag, war das gesammelte Holz in Troja eingetroffen, wo es nun für den Scheiterhaufen bereitlag. Menelaos und viele seiner Freunde, darunter auch Diomedes, der jetzt im achäischen Kontingent neben ihm stand, hielten die Verbrennung von Paris’ stinkendem Kadaver auf einem Scheiterhaufen allerdings für reine Verschwendung von gutem Brennholz; sowohl in Troja als auch in den sich kilometerweit hinziehenden achäischen Lagern an der Küste gab es nämlich schon seit vielen Monaten kein Holz für Lagerfeuer mehr, weil die verkrüppelten Bäume und die Wälder in der Umgebung von Ilium nach zehn Jahren Krieg so gut wie abgeholzt waren. Auf dem Schlachtfeld wimmelte es von Baumstümpfen. Selbst die Zweige waren schon längst eingesammelt worden. Mittlerweile bereiteten die achäischen Sklaven das Essen für ihre Herren über Dungfeuern zu, was weder den Geschmack des Fleisches noch die schlechte Stimmung der achäischen Recken verbesserte.

Die Spitze des Leichenzugs bildete ein Korso einzelner trojanischer Streitwagen; die Hufe der Pferde waren mit schwarzem Filz umwickelt und erzeugten kaum ein Geräusch auf den großen Steinen der Hauptstraße und des Marktplatzes. Auf diesen Streitwagen, neben ihren Rosselenkern, standen schweigend einige der größten Helden Iliums, Kämpfer, die mehr als neun Jahre des ursprünglichen Krieges und nun auch noch acht Monate dieses noch schrecklicheren Krieges gegen die Götter überlebt hatten. Als Erster kam Polydoros, ein weiterer Sohn des Priamos, gefolgt von Paris’ anderem Halbbruder, Mestor. Der nächste Streitwagen gehörte dem trojanischen Verbündeten Ipheus, dann kam Laodokos, Antenors Sohn. Ihnen folgten jeweils in ihrem eigenen juwelengeschmückten Streitwagen der alte Antenor selbst, wie immer unten bei den Kämpfern statt oben bei den anderen Ältesten, dann der trojanische Führer Polyphetes und schließlich Sarpedons berühmter Wagenlenker Thrasymelos, der seinen Herrn vertrat, einen der Führer der Lykier, den Patroklos vor mehreren Monaten getötet hatte, als die Trojaner noch gegen die Griechen statt gegen die Götter kämpften. Als Nächster kam der edle Pylartes – natürlich nicht der Trojaner, den der große Ajax kurz vor Beginn des Krieges gegen die Götter getötet hatte, sondern der andere Pylartes, der so oft an der Seite von Elasos und Mulios kämpfte. Auch Perimos, Megas’ Sohn, sowie Epistor und Melanippos beteiligten sich an diesem Korso.

Menelaos erkannte sie alle, diese Männer, diese Helden, diese Feinde. Tausend Mal hatte er ihre verzerrten, blutbesudelten Gesichter unter den Bronzehelmen über die kleine, tödliche Distanz des Lanzenstoßes oder Schwerthiebs hinweg gesehen, die ihn von seinen beiden Zielen trennte – Ilium und Helena.

Sie ist nur fünfzehn Meter entfernt. Und niemand wird mit meinem Angriff rechnen.

Im Anschluss an die kaum hörbaren Streitwagen führten Stallburschen die potenziellen Opfertiere vorbei: zehn Pferde, die fast zu Paris’ besten gehörten, seine Jagdhunde und Scharen fetter Schafe – Letztere ein echtes Opfer, da sowohl Wolle als auch Lammfleisch unter der Belagerung der Götter knapp wurden –, dazu einige alte, schwerfällige Rinder mit krummen Hörnern. Diese Rinder waren keine stolze Opfergabe – wem sollte man schließlich opfern, wo die Götter nun Feinde waren? –, sondern ihr Fett sollte den Scheiterhaufen heller und heißer brennen lassen.

Hinter den Opfertieren kamen Tausende trojanischer Fußsoldaten, die an diesem trüben Wintertag alle ihre auf Hochglanz polierten Rüstungen trugen. Ihre Reihen erstreckten sich durchs skäische Tor bis hinaus auf die Ebene von Ilium. Mitten in dieser Menschenmasse befand sich Paris’ Totenbahre, getragen von zwölf seiner engsten Waffengefährten, Männern, die für Priamos’ zweitältesten Sohn gestorben wären und die selbst jetzt weinten, während sie die schwere Bahre mit dem Toten trugen.

Paris’ Leichnam war mit einem blauen Tuch bedeckt, das seinerseits schon unter abertausend Haarlocken begraben war – Zeichen der Trauer von Paris’ Männern und seinen entfernteren Verwandten, da Hektor und die engeren Angehörigen ihre Locken erst unmittelbar vor der Entzündung des Scheiterhaufens abschneiden würden. Die Trojaner hatten die Achäer nicht gebeten, Trauerlocken...

Erscheint lt. Verlag 16.7.2014
Übersetzer Peter Robert
Verlagsort München
Sprache deutsch
Original-Titel Olympos
Themenwelt Literatur Fantasy / Science Fiction Science Fiction
Schlagworte Antike Sagen • diezukunft.de • eBooks • epische Schlachten • Epos • Ferne Zukunft • Götter • griechische Götter • Homer • Illias • Krieg • Mars • Olympos Mons • Planeten • Reihe • Roboter • Roman • Roter Planet • Sciencefiction • Troja • Trojanischer Krieg • Zeus • Zukunft
ISBN-10 3-641-14919-3 / 3641149193
ISBN-13 978-3-641-14919-2 / 9783641149192
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