Lies mich
Verlag 3.0 Zsolt Majsai
978-3-95667-048-0 (ISBN)
Der Roman hat zwei Erzählstränge: Einen narrativem in der dritten Person, in dem Konkretes geschildert wird (Zeitstufe: Vergangenheit) und einen reflexiven in der ersten Person (Zeitstufe: Gegenwart), in dem das jeweilige Buch seine eigenen Empfindungen zum Ausdruck bringt.
Der erste Strang besteht aus 25 Geschichten vom „Urbuch“ und seinen 24 Klonen, die – und das ist die Ausgangssituation – noch ungelesen in einem Karton eingesperrt liegen. Es sind kleine, ein- bis mehrseitige Anekdoten teilweise mit Dialogen, in denen die einzelnen Bücher mit ihren Lesern oder mit einer Tageszeitung oder auch untereinander diskutieren. Es werden die konkreten Erlebnisse des Urbuchs Nummer eins und der anderen 24 identischen Ausgaben erzählt. Diese 25 Buch-Geschichten bilden das Gerüst des Romans.
Der zweite Erzählstrang beschreibt aus der Innenperspektive des jeweiligen Buchs die Gedanken bezügliches seines jeweiligen (Er)lebens. Inhaltlich handeln diese in lyrischer Prosa geschriebenen Zwischentexte vom Entstehen und Vergehen, vom Übersetztwerden, von der Liebe zwischen Buch und Leser, vom Zitiert- und Kopiertwerden, von einer möglichen neuen Existenz als e-book und von Vielem mehr.
Der Roman LIES MICH huldigt dem Buch als Kulturgegenstand genauso wie dem Lesen als Kulturtechnik. Das Buch als solches meldet sich als ein poetisches Ich zu Wort, das seine Existenz genießt oder rechtfertigt oder sogar aufgibt. LIES MICH soll Lust auf Bücher machen und aufs Lesen.
sara reichelt; geb. 1964 in Nürnberg; lebt in Berlin; seit 1986 literarische Veröffentlichungen in Anthologien und Zeitschriften; Einzelveröffentlichungen “Wenn du mich suchen willst“ (2005), „Wer hat Angst vorm Seitensprung“ (2008), „Seiltänzer“ (2011), „Die (Un)Möglichkeit der Liebe“ (2011)
Urbuch oder Buch Nummer eins LAUFEN (I) - ‚Laufen lernen ist ein nahezu natürlicher Vorgang‘, sagten die einen. - ‚Laufen muss gelernt werden‘, sagten die anderen. - Wer oder was läuft oder nicht läuft, ist eine Frage des Marktes. Es war einmal ein neugeborenes Buch, das nicht laufen lernte. Es war nicht in der Lage zu laufen, weil seine Schöpferin unbekannt war, bekam es zu hören. Zudem würden gedruckte Bücher heutzutage eh immer schlechter laufen, woran weder es selbst noch seine Erzeugerin schuld wären. Womöglich würde es mit einem anderen Titel oder gar in Kombination mit einer Tangomusik-CD besser laufen lernen, wurde dem Buch und dessen Schöpferin mitgeteilt. - ‚Dann nennt mich doch „Buchstabentango“‘, sagte das Urbuch zu den Meistern der Bücherwelt. - Du bist zwar kein Tango, aber dieser Titel könnte bei potenziellen Lesern tatsächlich gut ankommen. Dennoch wirst du nicht laufen. - Ich verstehe das alles nicht. Es wunderte sich, warum in Worte gegossene Gedanken nicht mehr ausreichen, um zu laufen? - ‚Die Zeiten haben sich geändert. Zumindest hier in Deutschland. Vielleicht wäre es in Buenos Aires für dich einfacher mit dem Laufen. Nur dafür müsstest du erst ins Spanische übersetzt werden,‘ sagten die Meister des Literaturbetriebs. - Bei dem Gedanken an eine derartige Verwandlung wird mir schwindelig. Andererseits würde ich gerne gemeinsam mit vielen Klonen meiner selbst in einer der unzähligen Buchhandlungen der Avenida Corrientes liegen oder stehen. - Träume weiter, liebes Buch, aber so wird das nichts! - ‚Was läuft denn so im Moment?‘, beharrte das Buch. - Französische Gedichte laufen, doch nur, wenn sie bei einer Kulturveranstaltung mit einem Drei-Sterne-Menü und Wein kombiniert werden. - Was hat denn Essen und Trinken inhaltlich mit französischen oder sonstigen Gedichten zu tun? - Auf die Inhalte kommt es immer weniger an, sondern auf die Verpackung. - Dann verpackt mich eben gemeinsam mit argentinischem Tango, sodass ich mit ihm laufe oder neben ihm herlaufe. - Das könnten wir versuchen, denn Musik ist für viele leichter zugänglich als das Wort. - ‚Das habe ich nicht gewusst‘, meinte das Buch Nummer eins und schloss erstaunt seinen Deckel.
Es gibt ihn, den Leser, dessen Ich sich mit mir verschmelzen wird, dachte sich Buch Nummer sechs, als die Bibliothek geöffnet wurde. Es wartete auf den Moment, an dem es herausgenommen würde von seinem regelmäßigen Leser, der es montags, mittwochs und manchmal sogar freitags besuchte. Bei diesem Leser handelte es sich um einen Studenten der Germanistik, der seine Masterarbeit über „Selbstreferenzielle Phänomene im deutschen Gegenwartsroman“ schrieb und in den Sätzen des Buches Nummer sechs nach Belegen für seine Hypothesen suchte. Jedes Mal, bevor er den von oben bis unten bzw. von unten bis oben mit Büchern vollgestopften Lesesaal betrat, entledigte er sich nicht nur seines Mantels und Schals, sondern auch teilweise seines Ichs. Danach schritt er direkt zum Regal, wo das Buch Nummer sechs mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auf ihn wartete. Als er es sah, packte er es am Rücken, nahm es heraus und strich über seine Vorderseite. - „Guten Morgen Bich“, sagte das Buch Nummer sechs, denn es hatte dem Leser, dessen Ich im Laufen des Tages immer mehr mit ihm zu verschmelzen schien, den Namen ‚Bich‘ gegeben. - „Ich bin gut ausgeschlafen und du?“, fuhr das Buch Nummer sechs fort. - „Das kann ich von mir nicht behaupten. Ich habe die letzte Nacht durchgefeiert.“
Erscheint lt. Verlag | 24.5.2014 |
---|---|
Sprache | deutsch |
Maße | 137 x 210 mm |
Gewicht | 177 g |
Einbandart | Englisch Broschur |
Themenwelt | Literatur ► Romane / Erzählungen |
Schlagworte | Bich • Bücherkarton • Buchgeschichten • Buchhandlung • Buchregal • Kulturgegenstand • Lesen • Sprechendes Buch • Urbuch |
ISBN-10 | 3-95667-048-5 / 3956670485 |
ISBN-13 | 978-3-95667-048-0 / 9783956670480 |
Zustand | Neuware |
Informationen gemäß Produktsicherheitsverordnung (GPSR) | |
Haben Sie eine Frage zum Produkt? |
aus dem Bereich