Bitterer Chianti (eBook)

Kriminalroman

(Autor)

eBook Download: EPUB
2014 | 1. Auflage
368 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-42366-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Bitterer Chianti -  Paul Grote
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Ein Winzer und sein Sohn verschwinden, einem Weingut werden Strom und Wasser abgestellt, ein anderes geht in Flammen auf. Frank Gatow, der in der Toskana für einen Weinführer fotografiert, bemerkt die Manipulation von Proben. Anfangs ist er nur Beobachter der mysteriösen Ereignisse, aber als der Winzer und sein Sohn nicht wieder auftauchen, wird er selbst zum Verdächtigen. Da kommen ihm zwei Winzerinnen unerwartet zu Hilfe.

Paul Grote ist Deutschlands bekanntester Weinkrimi-Autor. Als Reporter in Südamerika entdeckte er sein Interesse für Wein und Weinbau und machte ihn zu seinem Thema. Seitdem hat er die wichtigsten europäischen Weinbaugebiete bereist und 18 Weinkrimis veröffentlicht.

Paul Grote ist Deutschlands bekanntester Weinkrimi-Autor. Als Reporter in Südamerika entdeckte er sein Interesse für Wein und Weinbau und machte ihn zu seinem Thema. Seitdem hat er die wichtigsten europäischen Weinbaugebiete bereist und 18 Weinkrimis veröffentlicht.

1


Montag, 27. September

Die beiden Männer kamen zielstrebig auf ihn zu. Frank ließ die Kamera sinken, duckte sich und kniff die Augen zusammen, dann sah er sich rasch um. Außer ihm war niemand hier oben, kein Mensch weit und breit, und der Weg aus dem Tal herauf in die Weinberge endete genau da, wo er jetzt stand – also konnten sie nur ihn meinen, obwohl … er erinnerte sich nicht, diese Männer jemals zuvor gesehen zu haben.

In ihren dunklen Anzügen sahen sie aus wie Geschäftsleute – waren sie Einkäufer oder Weinhändler, die sich an Ort und Stelle ein Urteil über die Qualität der Weinberge bilden wollten? Dass Spaziergänger sich in diese Einsamkeit verirrten oder von hier oben die Aussicht genießen wollten, wo die steilen Feldwege in Wildwechsel übergingen, war ziemlich ausgeschlossen.

Frank blickte über das satte Grün der Weinberge und die silbern schimmernden Olivenhaine, sein Blick blieb an den Zypressen hängen, die als dunkle Säulen den steinigen Weg unten säumten, der zur Kellerei von Niccolò Palermo führte. Dahinter zog sich Mischwald bis hinauf zum Kamm des nächsten Hügels. Weiter im Westen, wo inmitten längst gemähter Weizenfelder eine Landmaschine Staubwolken aufwirbelte, neigte sich das Land der Ebene zu. Siena war erst von der nächsten Hügelkette aus zu sehen.

Frank hielt sich für einen sehr guten Beobachter; ja, wenn er sich etwas zutraute, dann war es das genaue Hinschauen – nur beim Erkennen fühlte er sich längst nicht mehr so sicher wie früher, als er mit dem Fotografieren begonnen hatte. Statt sofort auf den Auslöser zu drücken, fragte er sich heute immer wieder, vielleicht zu oft, was eigentlich unter der sichtbaren Oberfläche lag. Was also trieb diese Männer so entschlossen den Hügel herauf ? Sie wirkten wenig vertrauenerweckend, und ein ungutes Gefühl beschlich Frank, er roch den Ärger förmlich …

Er hatte die beiden erst entdeckt, als sie aus ihrem Auto gestiegen waren, ihren großen Geländewagen hatte er weder gehört noch kommen gesehen. Jetzt stand dieser direkt vor seinem eigenen Wagen. Wieder hob Frank die Kamera mit dem Teleobjektiv ans Auge – mit der 200er Brennweite und dem dazwischengesetzten Telekonverter, der die Brennweite noch erhöhte, wirkte es wie ein Fernrohr. Einer der beiden Männer stand in merkwürdiger Haltung da und sah durch ein Fernglas zu Frank herauf. Die Gestalten erinnerten ihn jetzt an amerikanische Prediger, wie man sie durch europäische Innenstädte hasten sah, immer einen einheimischen Helfer im Schlepptau. In ihren abgewetzten Anzügen mit Namensschild am Revers, in der Hand altmodische Aktentaschen, schienen sie unbeirrbar ihrem Ziel zu folgen: Seelen für ihre Sekte zu fangen, und wenn sie die erst mal hatten, war es zum Bankkonto der armen Seelen auch nicht mehr weit.

In ihrem Aufzug wirkten die beiden Männer grotesk, ein Antagonismus zur Natur ringsum. Schwarze Anzüge, weiße Hemden, die Gesichter blass, um den Hals schwarze Krawatten wie zu einer Beerdigung  – und um sie herum das blühende Leben: späte Sommerblumen in Gelb und Rot, blaue Glockenblumen im weichen, schmeichelnden Licht des Nachmittags und der nach Rosmarin und Lavendel duftenden Hitze. Bestattungsunternehmer? Nein, das war kein passender Vergleich, da war Prediger schon besser. Der eine war wesentlich kleiner als der andere, gedrungen, aber sportlich, eine Kanonenkugel auf zwei Beinen, das Sakko zu eng für den Brustkorb, der Hals zu dick für den Kragen, aber der Mann war nicht fett, beileibe nicht – er schien vielmehr fast nur aus Muskeln zu bestehen.

Die Männer kamen näher, viel zu schnell für die Hitze des Nachmittags und die starke Steigung, und als sie so nah waren, dass Frank fast ihre Gesichter erkennen konnte, knapp zehn Meter mochten es jetzt noch sein, setzten beide, als hätten sie es eingeübt, gleichzeitig ihre Sonnenbrille auf. Mit den obligatorischen Ray-Ban Wayfarers sahen sie jetzt endgültig wie nahe Verwandte der Blues Brothers aus.

Später versuchte Frank immer wieder, sich an ihre Gesichtszüge zu erinnern, aber es gelang ihm nicht, weder als er abends bei den Carabinieri seine Anzeige machte, noch als ihn der Commissario verhörte. Schwierigkeiten hatte er auch mit dem Alter der beiden. Sie mochten etwa so alt sein wie er selbst, Ende dreißig – oder älter? Es war schwer zu sagen.

Die Unbekannten erreichten den Kamm des Hügels, sie waren schneller heraufgekommen, als er es je geschafft hätte, und ohne außer Atem zu geraten. Jetzt waren sie mit Frank auf einer Höhe, ihre Schritte durchbrachen die Stille, Sand knirschte unter harten Sohlen, das Atmen mischte sich mit dem Zirpen der Grillen, die Sonnenbrillen wirkten so undurchdringlich wie die schwarzen Balken über den Augen einer unkenntlich gemachten Person in der Zeitung. Fünf Schritte waren sie entfernt, dann noch vier …

Irritiert beobachtete Frank, wie der Große weiche Lederhandschuhe überstreifte – wozu das, bei dieser Hitze? Frank wich zurück, er spürte eine Welle der Aggression, unwillkürlich packte er mit der linken Hand das Teleobjektiv, hob die Kamera, bereit zur Aufnahme, versuchte zu begreifen, was sie von ihm wollten. Da schoss die Hand mit dem Handschuh auf ihn zu …

An sie konnte Frank sich später genau erinnern – im Gegensatz zu den blassen, nichtssagenden Gesichtern. Braun war der Handschuh, so glänzend wie eine frische Kastanie, feine Nähte, die kaum auftrugen, verdammt teuer, dünnstes Leder, das nirgends eine Falte warf, am Handrücken und über den Knöcheln waren dunkle Flecken. Jetzt hatte Frank die Kamera am Auge –

Zu spät, der Handschuh war schneller, er griff nach dem Objektiv:

»Dammi la macchina!«, hörte Frank den Mann sagen. Die tiefe Stimme kam aus voller Brust, und der breite amerikanische Akzent war unüberhörbar. Er packte das Objektiv und wollte es Frank mit einem Ruck aus den Händen reißen, doch der Trageriemen blieb an Franks Nacken hängen. Frank stürzte nach vorn, prallte gegen den Mann, stieß sich den Kopf an der Kamera, versuchte, sie mit einer Hand festzuhalten und sich mit der anderen abzustützen. Da rutschte der Riemen über seinen Hinterkopf, und er erhielt einen derben Schlag vor die Brust, der ihn zurückwarf. Er strauchelte, fing sich wieder und richtete sich erschrocken auf.

»How do you open that shit?«, hörte er den Mann sagen.

Franks Sorge galt nun weniger sich selbst als der Kamera, entsetzt bemerkte er, wie grob sein Gegenüber an ihr herumfingerte. Empört streckte Frank die Arme aus. »He! Was soll das? Gib den Apparat her!«

Der verdammte Idiot stand im Begriff, sie zu ruinieren. Gleichzeitig kam Frank sich lächerlich vor, wie ein Kind, das heulend die Arme nach seinem Spielzeug ausstreckt. Er stutzte – hatte der Kerl eben nicht sowohl Italienisch als auch Englisch gesprochen?

Der Kleinere ging dazwischen und schlug Frank die Hände weg. »Leva le tue sporche mani di dosso!« Er sprach fehlerfrei italienisch, aber der Akzent war derselbe wie der seines Begleiters.

»Meine Kamera … he, was soll das? Seid ihr verrückt geworden? Give it back … dammela!«, stieß Frank hervor, eher perplex und verständnislos als wütend, aber gleichzeitig dämmerte ihm, dass es sich hier nicht um einen gewöhnlichen Straßenraub handelte.

Kleinkriminelle und Autoknacker bevorzugten Pisa, Genua und die Adria, in touristischen Zentren gab es was zu holen, aber nicht in der Einsamkeit toskanischer Berge. Dass die beiden es nicht auf die Kamera, sondern auf den Film abgesehen hatten, wurde beim nächsten Satz klar.

»Merda! Come cazzo si apre?«, schimpfte der Große.

Fassungslos sah Frank den Mann auf alle Knöpfe drücken und an jedem Hebelchen drehen, als hätte er nie eine Spiegelreflex in Händen gehalten. Das Herumfummeln mit den sporche mani, den dreckigen Händen, wie der Kleinere gesagt hatte, das traf auf ihn selbst zu – seine sporche mani würden die Kamera ruinieren. Es reichte.

»No. Stop!«, stieß Frank wütend hervor. »Ich zeige euch, wie sie aufgeht.« Vielleicht ließen sie von der Kamera ab, wenn er ihnen den Film gab? »Man muss die Entriegelung vom Rückspulknopf nach links drehen und ihn anheben, dann springt die Rückwand auf …«

Weshalb vergriff sich dieser Idiot an seinem Fotoapparat? Frank kapierte es einfach nicht. Kamen jetzt die Amis schon zum Klauen nach Europa? Hielten sie ihn womöglich doch für einen Touristen? Wenn die Burschen nur den Film wollten – na schön, dafür würde er sich nicht die Zähne einschlagen lassen, aber sie sollten verdammt noch mal die neue Kamera in Frieden lassen – er hatte sie eigens für diesen Auftrag gekauft. All das schoss ihm in diesem Moment durch den Kopf.

Frank machte einen Satz auf den Mann zu – und sprang in die Faust des Kleineren hinein, die ihn direkt unterhalb der Rippen traf. Ihm war, als würde die gesamte Luft aus seiner Lunge gepresst, und wie ein leerer Sack klappte er zusammen. Der Große packte Frank am Kragen, der Kleinere half, ihn auf die Beine zu stellen, es fiel ihnen nicht schwer, denn Frank taumelte, rang verzweifelt nach Atem  – und dann schlug der Große zu, rechts-links, blitzschnell, distanziert, sachlich und überlegen wie jemand, der in der Trainingshalle tausendmal auf einen Punchingball eingedroschen hat.

Es knallte zweimal, so kurz hintereinander, dass Frank später nicht wusste, ob es ein oder zwei Schläge gewesen waren, sein Kopf wurde hin und her gestoßen, das Gehirn schien zu explodieren, Sternchen überall, die Wucht der Schläge warf ihn zurück, und er...

Erscheint lt. Verlag 1.9.2014
Reihe/Serie Europäische-Weinkrimi-Reihe
Europäische-Weinkrimi-Reihe
Verlagsort München
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Krimi / Thriller / Horror Krimi / Thriller
Schlagworte Belletristik • Cosy Crime • eBook • Italien • Kriminalroman • Kulinarischer Krimi • Spannung • Toskana • Unterhaltung • Urlaubslektüre • Wein • Weinanbau • Weingut • Weinkrimi • Winzerkrimi
ISBN-10 3-423-42366-8 / 3423423668
ISBN-13 978-3-423-42366-3 / 9783423423663
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