Flucht übers Watt (eBook)
304 Seiten
dtv Deutscher Taschenbuch Verlag
978-3-423-40131-9 (ISBN)
Krischan Koch wurde 1953 in Hamburg geboren. Die für einen Autor üblichen Karrierestationen als Seefahrer, Rockmusiker und Kneipenwirt hat er sich geschenkt. Stattdessen macht er Kabarett und Kurzfilme und schreibt seit vielen Jahren Filmkritiken u.a. für die >DIE ZEIT< und den NDR. Koch lebt mit seiner Frau in Hamburg und auf der Nordseeinsel Amrum, wo er mit Blick aufs Watt seine Kriminalromane schreibt.
Krischan Koch wurde 1953 in Hamburg geboren. Die für einen Autor üblichen Karrierestationen als Seefahrer, Rockmusiker und Kneipenwirt hat er sich geschenkt. Stattdessen macht er Kabarett und Kurzfilme und schreibt seit vielen Jahren Filmkritiken u.a. für die ›DIE ZEIT‹ und den NDR. Koch lebt mit seiner Frau in Hamburg und auf der Nordseeinsel Amrum, wo er mit Blick aufs Watt seine Kriminalromane schreibt.
1
Viel scheint sich nicht verändert zu haben in den letzten achtzehn Jahren. Auf der »Uthlande« gibt es noch immer dieselben lappigen Fischbrötchen, die von kroatischen Obern in abgetragenen Kellneranzügen mit einem unbeteiligten, aber verblüffend friesisch klingenden »Moin« an den Tisch gebracht werden.
»Aber heute Abend will ich richtigen Fisch. Und Oysters. Versprochen?« Zoe runzelt die Nase unter ihrer Sonnenbrille.
»Wollen mal sehen, was uns erwartet«, sagt Harry. »Damals musste man sich die Austern selbst sammeln.«
Die Resopaltische unter den Bullaugenfenstern im Passagierraum der Fähre und die angestaubten Hydrokulturen zwischen den Sitzecken sind dieselben und auch die Leute: Familien mit Kleinkindern, Ehepaare aus dem Ruhrpott, die seit Jahrzehnten in die Pension »Wattblick« fahren und nach vier Wochen Freikörperkultur wie ihre eigene Ledertasche aussehen, Hamburger Ferienhäusler in Edel-Matrosenshirts von »Hilfiger« und ein paar Einheimische, die sich auf dem Festland mit neuen Kaffeemaschinen eingedeckt haben oder was man sonst für die Vermietung von Ferienwohnungen so braucht. Zumindest haben die Vogelkundler in den altmodischen Anoraks inzwischen graue Bärte. Und vielleicht ist der Fahrkartenkontrolleur der »Wyker Dampfschiffs-Reederei« etwas freundlicher geworden. Auf den Inseln gibt es neben Aquarellkursen mittlerweile auch Ayurveda. Und die Rentnerinnen haben alle Walkingstöcke dabei. So ganz ist die Zeit an der nordfriesischen Inselwelt dann doch nicht vorübergegangen.
Zum ersten Mal nach seiner dramatischen Flucht über die Nordsee in jenen stürmischen Herbsttagen vor achtzehn Jahren kehrt Harry Oldenburg nach Deutschland zurück. Er will Zoe, die er nach seinem ersten Kunstcoup in New York kennengelernt hat, seine norddeutsche Heimat zeigen: Hamburg, die Inseln und das Nolde-Museum in Seebüll. Er will das Grab eines alten Freundes in Keitum auf Sylt besuchen, das heißt, ein Freund war er eigentlich nicht. Vor allem hofft Harry auf Amrum ein Bild zu finden, von dem er Zoe viel erzählt hat und durch das sie damals überhaupt erst zusammengekommen sind. Und vielleicht gibt es ja auch noch die Stelle im Watt, wo man bei Niedrigwasser wilde Austern sammeln kann. Ohne jedes Schwanken gleitet die »Uthlande« über die sommerlich glitzernde Nordsee. Zoe ist ganz erstaunt über die Weite und die Ähnlichkeit mit der Atlantikküste in Maryland, wo sie seit ein paar Jahren leben, in einem Leuchtturm an der Chesapeake Bay. Am Horizont ziehen die wie auf das Wasser gesetzten Halligen vorüber. Harry spürt diese Hochstimmung, die er von früheren Nordseeurlauben kennt. Sie ergreift ihn, sobald er sich auf einer Fähre zu den Nordfriesischen Inseln befindet. Ein Schwung, der bald einer müden Schwere weicht. Ein paar Möwen segeln träge vor dem tiefblauen Himmel über dem oberen Sonnendeck, auf dem die beiden jetzt auf einer der Polyesterbänke sitzen.
Zoe wendet ihr Gesicht der Sonne zu und lässt sich die laue Nordseebrise in ihr kurz geschnittenes schwarzes Haar wehen. Harry hat eine deutsche Zeitung aufgeschlagen. Aber er liest nicht, sondern beobachtet die Leute an Deck. Er sieht sich prüfend um, ob er jemanden kennt. Er weiß, wie unsinnig das ist. Aber er muss es tun.
»Aufgeregt, wieder hier zu sein?«, sagt Zoe, die seine Unruhe spürt.
»Na ja – geht so …«, erwidert Harry mit demonstrativer Gelassenheit.
Ein überaktives Kind turnt trotz der von der Mutter schrill über das ganze Deck gerufenen Verbote gefährlich an der Reling herum. Ein kleiner dicker Mann in einer bunt gezackten Trainingsjacke lehnt gegenüber an dem Geländer und verfolgt mit einem Fernglas einen vorüberziehenden Krabbenfischer. Die lang gelassenen Haare, die von einem tief liegenden Scheitel über den kahlen Kopf gelegt sind, wehen ihm immer wieder auf die falsche Seite über den Kragen seiner Jacke. Die Frau mit rotblonden Locken zwei Sitzreihen vor ihnen liest in einem Buch, dessen Titel Harry nicht erkennen kann. Er muss immer wieder hingucken, weil er wissen will, was sie liest.
Vor allem aber behält er den Mann in der blassblauen Sportjacke im Auge. Irgendwie kommt ihm der bleiche Typ mit dem graublonden Bart und der überdimensionalen gelb getönten Stahlrandbrille bekannt vor. Als er mit seiner Digitalkamera herumzufuchteln beginnt, wird Harry unruhig. Der Typ läuft auf dem Deck herum und blinzelt in die Sonne, dass seine schlechten spitzen Zähne zu sehen sind, die ihm zusammen mit dem dünnen hellen Bart etwas Rattenhaftes verleihen.
»Entspann dich«, sagt Zoe und streicht ihm das Haar aus der Stirn.
Wahrscheinlich hat sie recht. Ihm kommen alle möglichen Leute bekannt vor. Das ist ein Tick von ihm. Harry hat lange gezögert, nach Deutschland und gerade auch auf die Nordseeinseln zurückzukehren. Die Geschichte mit den Nolde-Bildern ist verjährt. Das hatte ein befreundeter Anwalt für ihn in Erfahrung gebracht. Aber dann sind da ja noch diese Todesfälle. Harry geht davon aus, dass die Behörden nach so langer Zeit nicht mehr ermitteln. Er hat nicht die leiseste Ahnung, wie weit er damals überhaupt mit den Leichenfunden in Verbindung gebracht worden war. Der Coup im Nolde-Museum war ja alles andere als glatt gelaufen.
Unglaublich jung war er damals gewesen, gerade mal fünfundzwanzig und restlos desillusioniert. Während sein Mitstudent Albrecht Ahlen aus der Malerei-Klasse von Herburger mit riesigen, wilden, surrealen Bildern schon erstaunliche Preise erzielte, war Harry, der ganz ähnlich malte, wenn auch in kleineren Formaten, am Kunstmarkt bis dahin kläglich gescheitert. Dabei war sein Stil damals eigentlich Mode. Und Harry Oldenburg, das klang doch irgendwie nach amerikanischer Pop-Art. In der Kunsthochschule hatte er streng darauf geachtet, dass sie ihn nicht Harald, sondern Harry nannten, damals noch deutsch ausgesprochen, nicht englisch, wie Zoe es macht. Harald ist kein Name für einen Künstler und für einen Kunstdieb erst recht nicht. Aber inzwischen hat er es durch die Kunst tatsächlich zu einigem Wohlstand gebracht. Wenn auch anders als gedacht. Seine nicht gerade bürgerliche Karriere hat ihm ein durchaus bürgerliches Leben beschert.
Als er jetzt zusammen mit Zoe auf dem Sonnendeck über die wie Silberlametta flirrende See gleitet, fühlt er sich jünger als damals. Sein immer noch volles Haar hat zwar inzwischen einige graue Strähnen bekommen, aber das steht ihm besser als das schmutzige Dunkelblond, das er als Mittzwanziger hatte. Eine längere Tolle, auf der Zoe besteht, fällt ihm immer wieder ins Gesicht, beim Tennis oder beim Hantieren mit den großformatigen Bildern in der kleinen Galerie, die sie mittlerweile in einem kleinen Nest in der Nähe von Annapolis an der Ostküste betreiben. Die große fleischige Nase, die er früher immer als Makel empfunden hat, ist inzwischen sein Markenzeichen. Und auch mit den verbliebenen Aknenarben hat er sich arrangiert.
Harry hat sich das Rauchen abgewöhnt und außerdem das Stottern, zumindest, wenn er Englisch spricht. Zoe tut ihm gut. Ihre amerikanische Art. Als er sie zum ersten Mal gesehen hatte, in dem Kunsthandel ihres Vaters, war sie ein flippiges achtzehnjähriges New Yorker Mädchen aus dem East Village. Sie trug ein schwarzes Unterhemd, hatte schwarz geschminkte Augen und zottelige lange Haare. Er hatte sich sofort in sie verliebt.
Inzwischen sieht Zoe wie eine richtige Ostküstenamerikanerin aus mit ihren sportlich kurzen Haaren, den wachen graugrünen Augen und den etwas zu großen, ein wenig nach vorn stehenden Schneidezähnen. Harry mag es, dass sie beim Lachen ungeniert ihre Zähne zeigt, selbst beim Kaugummikauen. Ihr metallisch riechendes Parfüm mischt sich dann mit dem Minze-Aroma des Kaugummis. Wenn sie an der Bay zusammen in ihrem alten Volvo-Kombi zu dem Lokal auf dem Bootssteg fahren und Krebse mit Gabel und Hammer essen und Bier in Glaskaraffen dazu trinken, kommt er sich wie ein echter Amerikaner vor. Deutschland, seine missglückte Kindheit und Jugend sind dann in weite Ferne gerückt.
Heute Vormittag aber war Harry das erste Mal seit langer Zeit wieder ein bisschen ins Stottern geraten. Das deutsche Wort »Feriengäste« hatte er nicht gleich herausgebracht: »Feferiengäste.«
Aber es war für Harry auch eine böse Überraschung gewesen, die ihn heute Mittag im Nolde-Museum erwartete. Bevor sie in ihrem Golf, den sie am Hamburger Flughafen gemietet hatten, zur Fähre nach Dagebüll fuhren, wollte er Zoe unbedingt das kleine Museum in Seebüll zeigen, vor allem Noldes ›Ungemalte Bilder‹. In seiner Zeit an der Kunsthochschule waren Nolde, Schmidt-Rottluff und die anderen »Brücke«-Maler gerade wieder entdeckt worden von den »Neuen Wilden«, zu denen auch Harry gern gehört hätte. Dabei war ihm Nolde schon vorher vertraut. Seine Großmutter, bei der er aufgewachsen war, hatte in einem Schuhkarton lauter Kunstpostkarten gesammelt, darunter auch etliche Bilder von Emil Nolde: Vor allem Blumenaquarelle, aber auch rot-gelb brennende Wolkengebilde über der Nordsee, ein violett oder türkis leuchtendes Meer, dann wieder schwarz-blaue Wellen mit grellweißen Schaumkronen. Das war seine erste Kunsterziehung gewesen.
Die Räume in dem kleinen Museum waren schnell besichtigt. Im Erdgeschoss Noldes ehemaliges Atelier mit dem großen biblischen Triptychon. In den Fluren und den zu kleinen Kabinetten umgebauten Wohnräumen im ersten Stock hingen dicht aneinander die ›Ungemalten Bilder‹, kleinformatige Aquarelle, die Nolde, der während der Nazizeit nicht malen durfte, schnell vor seinen Verfolgern verstecken konnte. Er hatte sich auf Aquarelle verlegt, damit ihn der Geruch von Ölfarbe nicht...
Erscheint lt. Verlag | 1.8.2009 |
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Reihe/Serie | Harry Oldenburg | Harry Oldenburg |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | Amrum • Belletristik • Bestseller • Cosy Crime • Cosy Mystery • Deutschsprachige Krimis • eBook • Emil Nolde • Emil-Nolde-Gemälde • Harry Oldenburg • Heimatkrimi • Humor • Inselkrimi • Inselroman • Krimi • Krimikomödie • Kriminalroman • Krmikomödie • Kunstdiebstahl • Kunstraub • Mystery Roman • Norddeutschland • Nordfriesische Inseln • Nordsee-Krimi • Regiokrimi • Regiokrimi Norddeutschland • regiokrimi nordsee • Regionalkrimi • Schleswig-Holstein • Seebüll • spannender Regionalroman • Strandlektüre • Urlaubslektüre • Wattenmeer |
ISBN-10 | 3-423-40131-1 / 3423401311 |
ISBN-13 | 978-3-423-40131-9 / 9783423401319 |
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