Die Insel der besonderen Kinder (eBook)
416 Seiten
Verlagsgruppe Droemer Knaur
978-3-426-41195-7 (ISBN)
Ransom Riggs wuchs in einem kleinen Fischerdorf im südlichen Florida auf, einer Region, in der sich viele Amerikaner zur Ruhe setzen. Um nicht vor Langeweile zu sterben, begann er, in Musikbands zu spielen und mit seinen Freunden Filme zu drehen. Später studierte er in Ohio und Los Angeles Literatur und Filmproduktion. Ransom Riggs dreht heute Werbefilme für Firmen wie Absolut Vodka und Nissan und arbeitet als Drehbuchautor, Journalist und Fotograf. Mehr Informationen finden sich auf seiner Website: www.ransomriggs.com
Ransom Riggs wuchs in einem kleinen Fischerdorf im südlichen Florida auf, einer Region, in der sich viele Amerikaner zur Ruhe setzen. Um nicht vor Langeweile zu sterben, begann er, in Musikbands zu spielen und mit seinen Freunden Filme zu drehen. Später studierte er in Ohio und Los Angeles Literatur und Filmproduktion. Ransom Riggs dreht heute Werbefilme für Firmen wie Absolut Vodka und Nissan und arbeitet als Drehbuchautor, Journalist und Fotograf. Mehr Informationen finden sich auf seiner Website: www.ransomriggs.com
Prolog
Gerade als ich mich an den Gedanken zu gewöhnen begann, dass dieses Leben keine großen Abenteuer für mich bereithalten würde, geschah etwas Seltsames. Es war das erste einer Reihe von Ereignissen, und es versetzte mir einen furchtbaren Schock. So wie alles, was einen für immer verändert, teilte es mein Leben in zwei Hälften: vorher und nachher. Und wie bei so vielen der außergewöhnlichen Dinge, die sich noch ereignen würden, war mein Großvater, Abraham Portman, darin verwickelt.
Während meiner Kindheit war Grandpa Portman der faszinierendste Mensch, den ich kannte. Er hatte lange Jahre im Waisenhaus gelebt, in Kriegen gekämpft, mit dem Dampfer die Meere bereist und zu Pferde die Wüsten durchquert, war im Zirkus aufgetreten, wusste alles über Waffen, über Selbstverteidigung, das Überleben in der Wildnis, und er sprach außer Englisch mindestens drei weitere Sprachen. Für ein Kind, das niemals aus Florida hinausgekommen war, klang das unglaublich exotisch. Jedes Mal, wenn ich meinen Großvater sah, bekniete ich ihn, mich mit neuen Geschichten zu füttern. Er tat mir stets den Gefallen und erzählte mir von seinen Erlebnissen, als wären es Geheimnisse, die er nur mir anvertrauen konnte.
Im Alter von sechs Jahren kam ich zu der Erkenntnis, dass meine einzige Chance auf ein nur halb so aufregendes Leben, wie es das meines Großvaters gewesen war, darin bestand, Entdecker zu werden. Er bestärkte mich darin, indem wir ganze Nachmittage gemeinsam über Weltkarten brüteten, mit roten Reißzwecken die Routen unserer erdachten Expeditionen festlegten und er mir von den fantastischen Orten erzählte, die ich eines Tages entdecken würde. Zu Hause tat ich meine ehrgeizigen Ziele kund, indem ich mit einer Pappröhre vor dem Auge herummarschierte und rief »Land in Sicht!« oder »Bereitmachen zur Landung!«, bis mich meine Eltern nach draußen scheuchten. Offenbar befürchteten sie, dass mich Großvater mit seiner unheilbaren Verträumtheit anstecken könnte und dass mich meine Fantasien gegenüber nützlichen Ambitionen immunisierten. Also nahm mich meine Mutter eines Tages beiseite und erklärte mir, dass ich kein Entdecker werden könne, weil bereits alles auf der Welt entdeckt worden sei. Das machte mich im ersten Moment traurig und dann wütend. Ich war im falschen Jahrhundert geboren worden und fühlte mich betrogen.
Aber wie verraten kam ich mir erst vor, als ich herausfand, dass viele von Grandpa Portmans Geschichten unmöglich wahr sein konnten! Seine aufregendsten Erlebnisse drehten sich um seine Kindheit. Er war in Polen zur Welt gekommen und im Alter von zwölf Jahren in ein Waisenhaus nach Wales geschickt worden. Ich fragte ihn unzählige Male, warum er seine Eltern verlassen musste, und seine Antwort lautete immer gleich: weil die Monster hinter ihm her waren. Polen sei durch sie vollkommen verrottet gewesen, sagte er.
»Was für Monster?«, fragte ich dann mit großen Augen. Dieses Frage-und-Antwort-Spiel wurde für uns zur lieben Gewohnheit. »Schrecklich aussehende, bucklige Wesen mit faulender Haut und schwarzen Augen«, antwortete er stets. »Und soll ich dir mal zeigen, wie sie gingen?« Daraufhin kam er auf mich zugeschlurft wie diese Monster in alten Filmen, bis ich lachend fortlief.
Jedes Mal, wenn er die Kreaturen beschrieb, fügte er ein neues grässliches Detail hinzu: Sie stanken wie fauliger Abfall, sie waren unsichtbar bis auf ihre Schatten, in ihren Mündern lauerten schlangenartige Tentakel, die herausschnellen und einen zwischen die starken Kiefer ziehen konnten.
Es dauerte nicht lange, und ich konnte abends vor Angst kaum noch einschlafen. Meine ausgeprägte Fantasie verwandelte das Zischen der Autoreifen auf dem nassen Asphalt draußen in ein schweres Keuchen und die Schatten unter der Tür in kriechende, grauschwarze Tentakel. Ich fürchtete mich vor den Monstern, stellte mir jedoch mit Begeisterung vor, wie mein Großvater sie besiegte und den Kampf überlebte, um mir davon erzählen zu können.
Noch fantastischer waren seine Erzählungen über das Leben in dem walisischen Waisenhaus. Er sagte, es sei ein verzauberter Ort gewesen, an dem die Kinder vor den Monstern sicher waren. Das Haus befand sich auf einer Insel, wo jeden Tag die Sonne schien und nie jemand krank wurde oder starb. Alle lebten zusammen in einem großen Haus, das von einem klugen, alten Vogel beschützt wurde – oder so ähnlich. Als ich älter wurde, kamen mir Zweifel.
»Was für ein Vogel?«, fragte ich Großvater eines Nachmittags. Ich war damals sieben Jahre alt und beäugte ihn misstrauisch über den Tisch hinweg, an dem er mich gerade bei Monopoly gewinnen ließ.
»Ein großer, Pfeife rauchender Habicht«, antwortete er und blätterte durch den dünner werdenden Stapel seiner orangefarbenen und blauen Geldscheine.
»Du musst mich für sehr dumm halten, Grandpa.«
»Das würde ich niemals tun, Yakob. Aber wenn du mir nicht glaubst, ist das dein Problem.« Ich hatte ihn gekränkt. Das konnte ich daran merken, dass sein polnischer Akzent, den er nie ganz hatte ablegen können, hervortrat, so dass er wirde sagte statt würde.
Ich bekam sofort ein schlechtes Gewissen und fragte ihn: »Aber warum wollten dir die Monster etwas tun?«
»Weil wir nicht wie andere Menschen waren. Wir waren besonders.«
»Wie besonders?«
»Ach, auf alle möglichen Arten«, antwortete er so beiläufig, als würden wir über das Wetter sprechen. »Da gab es ein Mädchen, das konnte fliegen, einen Jungen, in dem Bienen lebten, Bruder und Schwester, die mühelos Felsblöcke zu stemmen vermochten …«
Es war schwer zu sagen, ob er das ernst meinte. Andererseits war mein Großvater nicht dafür bekannt, dass er Unsinn erzählte. Als er mein zweifelndes Gesicht sah, runzelte er die Stirn.
»Also gut, du glaubst mir nicht«, sagte er. »Aber ich habe Fotos!« Er schob seinen Gartenstuhl zurück und ging ins Haus, ließ mich allein auf der verglasten Veranda zurück. Nur eine Minute später war er wieder da und hielt eine alte Zigarrenkiste in den Händen. Er setzte sich und nahm vier zerknitterte und vergilbte Schnappschüsse heraus. Ich beugte mich darüber, um sie mir anzusehen.
Der erste war eine unscharfe Aufnahme von etwas, das aussah wie Kleider, in denen kein Mensch steckte. Entweder das – oder dieser Mensch hatte keinen Kopf.
»Natürlich hat er einen Kopf!« Großvater grinste. »Du kannst ihn nur nicht sehen.«
»Warum nicht? Ist er unsichtbar?«
»Da schau sich einer diesen cleveren Burschen an!« Er zog die Augenbrauen hoch, als hätte ich ihn mit meinen kombinatorischen Fähigkeiten überrascht. »Sein Name war Millard. Witziger Bursche. Manchmal sagte er: ›Hey Abe, ich weiß, was du heute getan hast‹, und dann erzählte er dir, wo du gewesen warst, was du gegessen hattest und ob du heimlich in der Nase gebohrt hattest. Manchmal ist er dir mucksmäuschenstill gefolgt und hat dich beobachtet. Er trug dabei keine Kleider, damit du ihn nicht sehen konntest.« Großvater schüttelte den Kopf. »Das stelle man sich mal vor!«
Er reichte mir noch ein Foto. Nachdem er mir einen Moment Zeit gelassen hatte, es zu betrachten, fragte er: »Und? Was siehst du?«
»Ein kleines Mädchen.«
»Und?«
»Sie hat eine Krone auf.«
Er tippte auf den unteren Teil des Bildes. »Was ist mit ihren Füßen?«
Ich hielt mir den Schnappschuss näher an die Augen. Die Füße des Mädchens berührten nicht den Boden – aber es sah auch nicht so aus, als würde sie hüpfen. Mir fiel die Kinnlade runter.
»Sie fliegt!«
»Fast«, sagte Großvater. »Sie schwebt. Allerdings hatte sie sich nicht besonders gut unter Kontrolle. Wir mussten sie mit einem Seil festbinden, damit sie nicht davonschwebte!«
Ich starrte gebannt auf das finster dreinblickende, puppenartige Gesicht. »Ist das wahr?«
»Natürlich!«, knurrte er. Dann riss er mir das Foto aus der Hand und gab mir ein anderes – das eines kleinen Jungen, der einen Felsblock stemmt. »Victor und seine Schwester waren nicht besonders helle«, sagte er. »Aber, Junge, die waren vielleicht stark!«
»Er sieht gar nicht danach aus«, erwiderte ich und betrachtete die dünnen Ärmchen.
»Glaub mir, er war es. Einmal sind wir beide zum Angeln rausgefahren. Das Boot blieb auf einer Sandbank stecken, und er hat es herausgehoben, obwohl ich noch drinsaß!«
Das letzte Foto war das sonderbarste. Grandpa Portman reichte es mir, und ich musste zweimal hingucken. Es war der Hinterkopf eines Jungen – auf den ein Gesicht gemalt war.
Während Großvater erklärte, starrte ich das Bild unverwandt an. »Er hatte zwei Münder, siehst du? Einen vorn und einen hinten. Deshalb ist er auch so groß und dick geworden!«
»Aber das ist nicht echt«, sagte ich. »Das Gesicht ist nur aufgemalt.«
»Sicher ist die Farbe aufgemalt. Das war für einen Zirkusauftritt. Aber wenn ich’s dir doch sage, er hatte zwei Münder. Du glaubst mir nicht?«
»Ich glaube dir«, beteuerte ich.
Und ich glaubte ihm wirklich – zumindest ein paar Jahre lang. Aber das tat ich vor allem deshalb, weil ich es wollte, so wie andere Kinder in meinem Alter an den Weihnachtsmann glauben wollen. Wir klammern uns an unsere Märchen und wundersamen Geschichten, bis wir einen zu hohen Preis für diesen Glauben zahlen müssen. Bei mir war das in der zweiten Klasse der Fall. An dem Tag stellte mich Robbie Jensen beim Mittagessen vor einem Tisch voller Mädchen damit bloß, dass ich noch an Märchen glauben würde. Ich sollte vermutlich mein Fett dafür wegbekommen, dass ich Großvaters Geschichten in der Schule erzählt hatte. Dennoch verriet mir das mulmige...
Erscheint lt. Verlag | 2.11.2011 |
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Reihe/Serie | Die besonderen Kinder | Die besonderen Kinder |
Übersetzer | Silvia Kinkel |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Fantasy |
Literatur ► Fantasy / Science Fiction ► Science Fiction | |
Schlagworte | Abenteuer • All Age Fantasy • besondere Fähigkeiten • besondere Fantasybücher • besonere Kinder Riggs • Cairnholm • Dark Fantasy Bücher • Das Vermächtnis der besonderen Kinder • Der Atlas der besonderen Kinder • Die besonderen Kinder Band 1 • die bibliothek der besonderen kinder • Die Insel der besonderen Kinder • Die Stadt der besonderen Kinder • Die Zukunft der besonderen Kinder • Fantasy Abenteuer • Fantasy Bestseller • Fantasy Bücher • Fantasy Bücher Erwachsene • Fantasy für Bibliophile • Fantasy für Sammler • Fantasy Geschenk Buch • Fantasy Jugendbücher • Fantasy Reihe • Fantasy Romane • fantasy romane für erwachsene • Fantasy Saga • Fantasy Serie • Geheimnis • Gestaltwandler • gute fantasy bücher • Heranwachsen • historische Fantasy • historische Fantasy Romane • Hügelgrab • in andere Welten eintauchen • Insel • Jacob Portman • Jugendliche Fantasy • Kinder mit besonderen Kräften • Kindheit • magische Begabung • Magisches Abenteuer • Magische Welt • Miss Peregrine • Miss Peregrine's Home for Peculiar Children deutsch • Miss Peregrine's Peculiar Children deutsch • Monster • Phantastischer Roman • Pubertät • Ransom Riggs • Schauergeschichten • Superhelden-Kräfte • Teenager mit besonderen Kräften • unheimliche und phantastische Geschichten • Unsichtbarkeit • Urban Fantasy • Ymbryne • Zeitreise • Zeitschleife • Zeitschleifen |
ISBN-10 | 3-426-41195-4 / 3426411954 |
ISBN-13 | 978-3-426-41195-7 / 9783426411957 |
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