Die Stimme der Violine (eBook)
256 Seiten
Bastei Lübbe (Verlag)
978-3-8387-0326-8 (ISBN)
Schöne Frauen machen das Leben eines Sizilianers erst interessant. Das kann Commissario Montalbano nur bestätigen, denn es sind gleich drei junge Damen, die ihm den Schlaf rauben: Michela, die in ihrer Villa ermordet aufgefunden wird, ihre Freundin Anna, die Montalbano bei seinen Ermittlungen zur Seite steht und die sein Herz höher schlagen lässt, als es ihm gut tut, und natürlich Livia, die Dritte im Bunde, die Frau, die er liebt, die jedoch etwas von ihm einfordert, was er ihr in einem schwachen Moment versprochen hat, die Ehe ... Da fällt es Montalbano nicht nur schwer, einen klaren Kopf zu behalten - es ist auch noch ausgerechnet eine Violine, die den höchst unmusikalischen Commisssario auf die richtige Spur bringen soll...
Eins
Mit diesem Tag war überhaupt nichts anzufangen, das wusste der Commissario sofort, als er die Fensterläden des Schlafzimmers öffnete. Es war dunkel, bis zum Morgengrauen dauerte es mindestens noch eine Stunde, doch war die Dunkelheit nicht mehr ganz so undurchdringlich, immerhin war schon, voller dicker Regenwolken, der Himmel zu erkennen und jenseits des hellen Sandstrands das Meer, das aussah wie ein Pekinese. Seit ihn einmal ein winziges, mit Schleifchen verziertes Exemplar dieser Hunderasse nach einem wütenden, als Bellen ausgegebenen geifernden Krächzen schmerzhaft in die Wade gebissen hatte, nannte Montalbano das Meer so, wenn es von kurzen, kalten Windstößen aufgewühlt wurde und auf den unzähligen kleinen Wellen lächerliche Schaumbüschel saßen. Und da er an diesem Vormittag etwas Unangenehmes zu tun hatte, wurde seine Laune noch schlechter. Er musste nämlich auf eine Beerdigung.
Am Abend zuvor hatte er im Kühlschrank von seiner Haushälterin gekaufte frische Sardinen vorgefunden, sie als Salat mit viel Zitronensaft, Olivenöl und frisch gemahlenem Pfeffer zubereitet und mit großem Appetit verdrückt. Er hatte es sich so richtig schmecken lassen, aber dann hatte ein Telefonanruf ihm alles verdorben.
»Pronti, Dottori? Dottori, sind Sie’s wirklich selber?«
»Ich bin’s wirklich selber, Catarè. Was gibt’s denn?«
Im Kommissariat hatten sie Catarella, in der irrigen Annahme, er werde dort weniger Schaden anrichten als anderswo, in die Telefonvermittlung verbannt. Nach einigen saftigen Wutanfällen hatte Montalbano begriffen, dass die einzige Chance, mit Catarella ein Gespräch zu führen, ohne an den Rand des Deliriums zu geraten, darin bestand, sich derselben Redeweise zu bedienen.
»Domando pirdonanza e compressione, dottori.«
Oje. Er bat um Verzeihung und Verständnis. Montalbano spitzte die Ohren – wenn Catarellas so genanntes Italienisch förmlich und gespreizt daherkam, konnte es sich nur um ein größeres Problem handeln.
»Sag nur, was los ist, Catarè.«
»Vor drei Tagen, da wollte jemand Sie ganz persönlich sprechen, Dottori, aber Sie waren gar nicht da, und ich hab vergessen, es Ihnen auszurichten.«
»Woher kam der Anruf?«
»Aus Florida, Dottori.«
Montalbano erstarrte vor Schreck. Augenblicklich sah er sich selbst im Jogginganzug auf Trimmpfaden trainieren, zusammen mit athletisch gebauten, strammen amerikanischen Beamten von der Drogenbekämpfung, mit denen er in einem komplizierten Fall von Rauschgifthandel ermittelte.
»Sag mal, Catarè, wie habt ihr denn miteinander geredet?«
»Wie wir geredet haben? In taliàno, Dottori, italienisch.« »Hat der Anrufer dir gesagt, was er wollte?«
»Klar, alles hat er mir gesagt. Er hat gesagt, dass die Frau vom Vicequestore Tamburrano gestorben ist.«
Montalbano konnte einen Seufzer der Erleichterung nicht zurückhalten. Der Anruf war nicht aus Florida, sondern aus dem Kommissariat von Florìdia bei Syrakus gekommen. Caterina Tamburrano war schon seit langem schwer krank gewesen, und die Nachricht kam nicht überraschend.
»Dottori, sind Sie immer noch dran, Sie selber?«
»Ich bin immer noch dran, Catarè, ich bin kein anderer geworden.«
»Der Anrufer hat noch gesagt, dass die Beerdigung Donnerstagmorgen um neun ist.«
»Donnerstag? Morgen früh also?«
»Sissi, Dottori.«
Montalbano war mit Michele Tamburrano zu eng befreundet, als dass er der Beerdigung hätte fernbleiben können; so konnte er auch wieder gutmachen, dass er nicht mal bei ihm angerufen hatte. Von Vigàta nach Florìdia brauchte man mit dem Auto mindestens dreieinhalb Stunden.
»Hör zu, Catarè, mein Auto ist in der Werkstatt. Ich brauch morgen früh pünktlich um fünf einen Streifenwagen hier bei mir in Marinella. Sag Dottor Augello Bescheid, dass ich nicht ins Büro komm und erst am frühen Nachmittag zurück bin. Hast du alles richtig verstanden?«
Als er aus der Dusche kam, war seine Haut rot wie eine Languste: Um das Frösteln wettzumachen, das er beim Anblick des Meeres gespürt hatte, hatte er zu lange zu heiß geduscht. Er fing gerade an, sich zu rasieren, als er den Streifenwagen kommen hörte. Dessen Ankunft war im Umkreis von zehn Kilometern auch kaum zu überhören. Mit Überschallgeschwindigkeit schoss er daher, bremste kreischend, wobei er Salven von Kies abfeuerte, der in alle Richtungen spritzte, dann hörte man das verzweifelte Geheul eines überdrehten Motors, gequältes Gangschalten, schrilles Reifengequietsche und noch mal spritzenden Kies. Der Fahrer hatte den Wagen gewendet und startbereit hingestellt.
Als Montalbano reisefertig das Haus verließ, stand Gallo da, der Fahrer des Kommissariats, und juchzte.
»Taliasse ccà, Dottore! Schauen Sie sich diese Reifenspuren an! Fabelhaft gewendet! Ich hab den Wagen um sich selbst gedreht!«
»Toll«, sagte Montalbano finster.
»Soll ich das Martinshorn anmachen?«, fragte Gallo, als sie losfuhren.
»Steck’s dir sonstwohin«, gab Montalbano giftig zurück und schloss die Augen. Er hatte keine Lust zu reden.
Als Gallo, der am Indianapolis-Syndrom litt, sah, dass sein Chef die Augen zugemacht hatte, drückte er aufs Gas, um auf einen Kilometerschnitt gemäß den Fahrerqualitäten, die er zu haben glaubte, zu kommen. Sie waren noch keine Viertelstunde unterwegs, da krachte es schon. Als die Bremsen quietschten, öffnete Montalbano die Augen, sah aber überhaupt nichts; sein Kopf wurde erst heftig nach vorn geschleudert und dann durch den Sicherheitsgurt wieder nach hinten gedrückt. Es folgte das verheerende Geräusch, wenn Blech gegen Blech knallt, und dann Stille, eine Stille wie im Märchen, mit Vogelgezwitscher und Hundegebell.
»Hast du dir weh getan?«, fragte der Commissario, als er sah, dass Gallo sich die Brust massierte.
»Nein. Und Sie?«
»Ich auch nicht. Wie ist denn das passiert?«
»Una gaddrina, ein Huhn ist mir reingelaufen.«
»Ich hab noch nie erlebt, dass ein Huhn die Straße überquert, wenn ein Auto kommt. Sehen wir mal nach, was kaputt ist.«
Sie stiegen aus. Keine Menschenseele fuhr vorbei. Der lange Bremsweg hatte Spuren auf dem Asphalt hinterlassen: Da, wo sie anfingen, war ein dunkler Klumpen zu sehen. Gallo ging hin und wandte sich dann triumphierend dem Commissario zu.
»Was hab ich gesagt? Ein Huhn war’s.«
Eindeutig Selbstmord. Das Auto, das sie gerammt hatten und dessen Heck völlig zertrümmert war, war wohl ordnungsgemäß am Straßenrand geparkt gewesen, aber nach dem Aufprall stand es etwas schräg. Es war ein flaschengrüner Renault Twingo, der anscheinend die Zufahrt zu einem Weg versperren sollte; dieser Weg führte nach etwa dreißig Metern zu einer kleinen zweistöckigen Villa, deren Tür und Fenster verriegelt waren. An dem Streifenwagen waren nur ein Scheinwerfer zersplittert und der rechte Kotflügel verbeult.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Gallo zerknirscht.
»Wir fahren weiter. Glaubst du, unser Auto geht noch?«
»Ich probier’s mal.«
Knirschend löste sich der Wagen im Rückwärtsgang aus dem anderen Auto, in das er sich verkeilt hatte. Auch jetzt zeigte sich niemand an einem der Fenster der Villa. Die Leute hatten offenbar einen guten Schlaf, denn der Twingo gehörte sicher jemandem, der hier wohnte, es gab keine anderen Häuser in der Umgebung. Während Gallo mit beiden Händen versuchte, den Kotflügel anzuheben, der am Reifen schleifte, schrieb Montalbano die Telefonnummer des Kommissariats auf einen Zettel und steckte ihn hinter den Scheibenwischer.
Wenn ein Tag schon so anfängt … Eine halbe Stunde nachdem sie weitergefahren waren, massierte Gallo sich erneut die Brust und verzog hin und wieder vor Schmerz das Gesicht.
»Lass mich fahren«, sagte der Commissario, und Gallo hatte nichts dagegen.
Als sie auf der Höhe von Fela waren, fuhr Montalbano nicht die Superstrada weiter, sondern bog in eine Abzweigung ein, die in die Stadtmitte führte. Gallo merkte es nicht, er hatte seine Augen geschlossen und den Kopf ans Seitenfenster gelehnt.
»Wo sind wir?«, fragte er und machte sofort die Augen auf, als er merkte, dass der Wagen hielt.
»In Fela, ich bring dich ins Krankenhaus. Steig aus.«
»Aber es ist nichts, Commissario.«
»Steig aus. Sie sollen dich wenigstens kurz anschauen.«
»Dann bleib ich hier, und Sie fahren weiter. Auf der Rückfahrt holen Sie mich wieder ab.«
»Red keinen Stuss. Komm.«
Der kurze Blick, den man auf Gallo warf, dauerte mit Abhören, dreimaligem Blutdruckmessen, Röntgen und so weiter über zwei Stunden. Am Ende lautete die Diagnose, dass Gallo sich nichts gebrochen hatte, die Schmerzen rührten daher, dass er bös ans Lenkrad geknallt war, und der Schwächezustand war auf den Schreck zurückzuführen, den er bekommen hatte.
»Und was machen wir jetzt?«, fragte Gallo noch zerknirschter.
»Was wohl, wir fahren weiter. Aber ich setz mich ans Steuer.«
Er war schon zwei- oder dreimal in Florìdia gewesen und wusste auch noch, wo Tamburrano wohnte. Also fuhr er in Richtung Chiesa della Madonna delle Grazie, der Kirche, die praktisch an das Haus seines Kollegen angrenzte. Als er auf die Piazza kam, sah er...
Erscheint lt. Verlag | 21.6.2010 |
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Reihe/Serie | Commissario Montalbano | Commissario Montalbano |
Übersetzer | Christiane von Bechtolsheim |
Verlagsort | Köln |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | La voce del violino |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror ► Krimi / Thriller |
Schlagworte | 20. - 21. Jahrhundert • Affäre • Agrigento • Arzt • Camilleri • Catania • cherringham • Commissario Montalbano • criminale • Dedektiv • detective • Detektiv • Deutsche Krimis • Dolce Vita • Ehe • Ehebruch • Ermittler • Ermittlung • Familie • Frauen / Männer • Freundschaft • Geheimdienst • Geheimnis • Geige • Italien • Kassette • Komissar • Kommisar • Kommissar • Kommissarin • Krimi • Krimi Bestseller • Kriminalliteratur • Kriminalpolizei • Kriminalroman • Kriminalromane • Krimis • Krimis; Italien; Sizilien; Serienkrimi (Serienermittler) • Krimis und Thriller • Kulinarik • Liaison • Libido • Liebe • Liebe / Beziehung • Liebesaffäre • Montelusa • Mord • Mörder • Mordkommission • Musik • Mystery • Palermo • Partne • Polizei • Polizeibeamter • polizeikommissar • Polizeikrimi • Polizist • Porto Empedocle • Privatdetektiv • Psychothriller • Regionalkrimi • Salvo Montalbano • San Giorgio - Librino - S.G. La Rena - Zia Lisa • Schicksale und Wendepunkte • Schlitzer • Seitensprung • Serienkrimi (Serienermittler) • Serienmörder • Sicilianità • sizilianische Küche • sizilianische Küste • sizilianische Lebensart • Sizilien • Sizilienurlaub • Spannung • Spannungsroman • Tatort • Thriller • Verbrechen • Verrat • Verschwörung • verschwunden • Vigàta • Violine • Wien-Krimi |
ISBN-10 | 3-8387-0326-X / 383870326X |
ISBN-13 | 978-3-8387-0326-8 / 9783838703268 |
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