Lexikon der überflüssigen Dinge (eBook)

Wie man ohne Luxus glücklich wird
eBook Download: EPUB
2009 | 1. Auflage
208 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-10121-0 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lexikon der überflüssigen Dinge -  Alexander Graf von Schönburg
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Unser Alltag ist überfrachtet mit Dingen, die wir nicht wirklich brauchen, die Zeit, Geld und Lebensqualität stehlen. Ein Handy muss heute fotografieren, mailen, im Internet surfen, waschen und bügeln, Filmclips abspielen und MP3-Musikdateien wiedergeben können. Vor jeder Ampel drängen sich Geländewagen, mit denen man Sibirien durchqueren könnte, und bevor wir uns zum Frühstück niedersetzen, bedienen wir ein Dutzend Küchengeräte. Mit Witz und Ironie lichtet Alexander von Schönburg das Dickicht, das uns ständig umgibt. Sein Lexikon reicht von A (wie «Anrufbeantworter») bis Z (wie «Zigarette danach»). Dazwischen finden sich so überflüssige Dinge wie «Beziehungskrisen», «Dekotomate», «Horoskop», «Lavalampe», «Pikkolöchen» oder «Zahnbürste, elektrische», auf dem Prüfstand stehen Verhaltensweisen (nachts zu Fuß allein vor einer roten Ampel warten), Geisteshaltungen (sich unnötig Sorgen machen) und Redewendungen («Ich sag mal so»). Eine Gebrauchsanweisung für den modernen Menschen, die hilft, mit Anstand und Würde durchs Leben zu kommen.

Alexander von Schönburg, Jahrgang 1969, war u. a. Redakteur der «FAZ» und Chefredakteur von «Park Avenue», seit 2009 ist er Mitglied der «Bild»-Chefredaktion. Seine Bücher «Die Kunst des stilvollen Verarmens» (2005), «Das Lexikon der überflüssigen Dinge» (2006), «Alles, was Sie schon immer über Könige wissen wollten, aber nie zu fragen wagten» (2008) und «Smalltalk» (2015) waren Bestseller. Alexander von Schönburg lebt mit seiner Familie in Berlin.

Alexander von Schönburg, Jahrgang 1969, war u. a. Redakteur der «FAZ» und Chefredakteur von «Park Avenue», seit 2009 ist er Mitglied der «Bild»-Chefredaktion. Seine Bücher «Die Kunst des stilvollen Verarmens» (2005), «Das Lexikon der überflüssigen Dinge» (2006), «Alles, was Sie schon immer über Könige wissen wollten, aber nie zu fragen wagten» (2008) und «Smalltalk» (2015) waren Bestseller. Alexander von Schönburg lebt mit seiner Familie in Berlin.

A


Abschiede, ohne zu gehen


Wir alle haben schrecklich viel zu tun. Das übermäßige Beschäftigt- und Verpflichtetsein ist eine solche allgemeine Selbstverständlichkeit, dass man nicht mehr darüber sprechen muss. Man setzt es einfach voraus, solange nicht etwas eintritt, mit dem wir vor lauter Hektik nicht gerechnet haben: Arbeitslosigkeit zum Beispiel. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass man sich auch als Arbeitsloser nach kurzem fragt, wo man früher die Zeit zum Arbeiten hergenommen hat.

«Leider können wir nicht lange bleiben», sagen unsere Gäste, «morgen müssen wir ganz früh wieder raus; wir haben schrecklich viel zu tun.» Schade ist es schon, wir haben uns schon eine ganze Weile nicht gesehen, und meine Frau hat etwas Gutes gekocht. Aber wir wollen den Druck, unter dem unsere Freunde stehen, nicht vergrößern. Also ziehen wir das Essen einfach vor und setzen uns ohne Aperitif an den Tisch.

Die Unterhaltung läuft gut, obwohl die Gäste gelegentlich auf die Uhr sehen. Unterhaltungen, die solcherart befristet sind, stehen unter einem eigenen Gesetz. Man will möglichst schnell mit allen anstehenden Themen durchkommen, denn es wäre doch schade, die Zeit bis zum drohenden Aufbruch nicht effektiv zu nutzen.

Unsere Gäste suchen einander mit Blicken und nicken sich zu. Jawohl, es ist so weit; wir waren darauf vorbereitet, bieten aber noch ein letztes Glas an. Ein letztes Glas, nun gut. Das letzte Glas ist schnell geleert. Vorsichtig, nicht drängend, nähere ich mich nochmals mit der Flasche – das erneute Einschenken wird gar nicht registriert, das Gespräch ist wieder in Gang gekommen.

«Wir wollen euch nicht aufhalten», sage ich nach einer Weile. «Ja, wir müssen jetzt wirklich los», ist die Antwort. Eine Zigarette ist aber noch drin, und zu einer trockenen Zigarette gehört noch ein Glas.

Was soll man sagen – es wurde zwei Uhr, und bis dahin saßen wir gleichsam die ganze Zeit auf gepackten Koffern. Nachdem wir dann weitere zwanzig Minuten unten an der Haustür gestanden hatten, sah es kurz sogar danach aus, dass wir noch einmal in die Wohnung zurückkehren würden. Aber dazu war leider die Zeit zu knapp.

Adlon


Das Hotel Adlon ist ein hervorragendes Beispiel für die typische Berliner Sehnsucht nach dem Glamour der zwanziger Jahre, ein eindeutiger Beweis für das Fehlen jeglicher Identität im Heute. Um die kuschelige und pompöse Kulisse der roaring twenties wiederherzustellen, schufen überambitionierte Investoren einen Betonklotz und gaben ihn als exakte Replik des alten Adlon aus, das der Krieg geholt hatte. (Ähnliches soll demnächst mit dem von den DDR-Herrschern gesprengten Stadtschloss geschehen.) Dabei entspricht nicht einmal die Fassade dem Original, und der einzigartige, legendäre Stil des Adlon ließ sich in Ermangelung eines salonfähigen Bürgertums erst recht nicht wiederherstellen. Vielmehr wimmelt es in der busbahnhofartigen Lobby nun von herangekarrten Touristen, die ein wohliger Schauer überkommt, wenn sie die hohen Teepreise sehen. Der Traum vom alten Adlon ist unerfüllt geblieben. Das Adlon ist kein Grandhotel, sondern eher die Wachsfigur eines Grandhotels und würde daher besser in das Kabinett der Madame Tussaud passen.

Amuse-Gueule (Gruß aus der Küche)


Mit dem «Gruß aus der Küche» entziehen sich viele Köche der Spitzengastronomie ihrer gesellschaftlichen Pflicht, dem Gast persönlich ihre Aufwartung zu machen. Stattdessen bekommt man ungefragt und ohne sich dagegen wehren zu können, Häppchen serviert, die man nicht bestellt hat und deren Zutaten sich meist nur schwer ermitteln lassen. Eine Impertinenz. Die einzig mögliche Antwort auf diese Aufdringlichkeit lautet: «Viele Grüße zurück.»

Andy-Warhol-Porträt


Es muss einmal klar gesagt werden: Die Ahnengalerien wohlhabender Aristokraten und Bürgerfamilien bestanden keineswegs nur aus Meisterstücken von Raphael Mengs, Lucas Cranach, Ingres oder Reynolds. Es hingen dort oft schaudervolle Porträts herum, lieblos gemalt von Handwerkern, denen man diesen Ehrentitel eigentlich nicht zuerkennen möchte. Mit der Zeit jedoch wuchs ihren Stümpereien eine gewisse Atmosphäre zu, und so haben sie allein durch ihr Alter eine Daseinsberechtigung erworben und müssen nicht auf dem Dachboden verschwinden.

Ich bin also keineswegs der Meinung, früher sei mit der Porträtkunst alles zum Besten bestellt gewesen. Und zu Modemalern, die viel Geld verlangten, ist man immer schon gegangen; in unzähligen Salons hängt eine Urgroßmutter, auf braunes Packpapier von Lenbach husch, husch hingeworfen.

Dass reiche Leute sich von Erfolgskünstlern schlecht bedienen lassen, ist völlig in Ordnung. Genau genommen kann es gar nicht anders sein, denn reiche Leute steigen bei einem Künstler erst ein, wenn er bereits Erfolg hat, und Erfolg haben heißt, schlechtere Arbeit für mehr Geld abliefern. Aber das Andy-Warhol-Porträt, das sich Fabrikanten und Verleger, Fürsten und Bankiers auf der ganzen Welt angeschafft haben und das nun in tausend Hallen und «Wohnbereichen» hängt, um zu beweisen, dass die Porträtierten «auch einmal jung waren» und mutig genug, sich «mit der Kunst unserer Zeit auseinander zu setzen» – das muss dann doch in die Reihe der überflüssigen Dinge aufgenommen werden.

Warhol gehörte altersmäßig zu jener Generation von Kunstlehrern, die mit den Kindern vor allem «neue Techniken» ausprobierten: Da wurde dann gespritzt und gesprenkelt und mit Kartoffeln gedruckt, und das sah dann ganz, ganz toll aus. Aber dass solcher Kitsch das Bild der gesamten Machtelite in die Zukunft tragen soll, ist dennoch bedauerlich: Man hätte sich diese Leute gern etwas genauer angeschaut.

Angst


Die Zeiten, in denen unablässig von Angst die Rede war, sind Gott sei Dank vorbei. Anstatt zu sagen, dass man eine Stationierung weiterer amerikanischer Atomraketen auf deutschem Boden für nicht mit den deutschen Interessen vereinbar halte, sagte man, man habe «Angst» davor. Anstatt zu sagen, dass ein Krieg gegen den Irak das prekäre politische Gleichgewicht des Nahen und Mittleren Ostens stören werde, erklärte man, davor «Angst» zu haben. Andererseits wurde Angst von den Medien als verkaufsfördernde Maßnahme entdeckt. Am Montag empfehlen die Gesundheitsseiten der Zeitschriften Fisch wegen der wertvollen Omega-3-Fette, ohne die man in kürzester Zeit an Arterienverkalkung sterben werde, am Dienstag wird vor der hohen Belastung der Fische durch Schadstoffe gewarnt. Am Mittwoch wird Vitamin B als «Stress-Buster» empfohlen, der den drohenden Herzinfarkt verhindere, am Donnerstag heißt es, zu viel Vitamin B sei krebsfördernd.

Was ist eigentlich, wenn etwas geschieht, vor dem man wirklich Angst haben muss? Keine Ahnung. Es ist für den ungeübten Medienkonsumenten nicht mehr zu unterscheiden, ob Vogelgrippe nun eine ernsthafte Bedrohung darstellt oder ob es sich wieder nur um eine herkömmliche Hysterie handelt.

Ich erinnere mich noch an ein Foto, das ich zu Zeiten von BSE in einer Zeitung fand. Darauf war eine betroffen in die Kamera blickende Hausfrau zu sehen, die ein riesiges Steak mit spitzen Fingern über den geöffneten Mülleimer hielt, als wolle sie ihn füttern. Ich weiß nicht mehr, ob die Angst vor Rinderwahn damals so groß war wie die vor der Vogelgrippe, aber wenn sie dazu führt, dass solche Fotos entstehen, lohnt es sich, sich hin und wieder ein bisschen zu fürchten.

Animateur


Anima heißt Seele. Der oberste Animateur, der Seeleneinbläser schlechthin, ist Gott, aber von dem soll im Folgenden nicht die Rede sein. Vielmehr geht es um einen Beruf in der Touristikindustrie, der in Club-Méditerranée-artigen Ferienhäuschen-Ansammlungen und auf →Kreuzfahrten zum Einsatz kommt, um die Urlauber zu beschäftigen und damit irgendwie zu beseelen. Es handelt sich also um ein neuzeitliches Phänomen, auch wenn ich vermute, dass der dahinter stehende Gedanke von den luxuriösen Weekend-Einladungen der englischen Oberschicht stammt.

In England wird das Bewirten von Gästen verdächtigerweise als entertainment bezeichnet. Daran ist schon zu sehen, dass es nicht beim bloßen Zusammensein bleiben soll. Animateur pflegte hier die Hausfrau zu sein, die sich einen Ruf als «blendende Gastgeberin» erwerben wollte. An den Wochenenden kommen in den großen englischen Landhäusern gelegentlich immer noch zwanzig bis dreißig Gäste zusammen, die nun in Trab gebracht werden sollen. Nur einfach da zu sein, spazieren zu gehen, sich in der Bibliothek umzusehen, mit andern Gästen zu plaudern oder auch einen schönen Mittagsschlaf zu halten – das genügt nicht. Es muss etwas geschehen to enliven the party. Es muss Krocket auf dem Rasen gespielt werden, es muss ein Kartenturnier veranstaltet, auf Tontauben geschossen, ausgeritten werden. Sonst könnte ja der Augenblick von Entspannung und Frieden eintreten, in dem ein unüblicher Gedanke gefasst werden könnte.

Dieses edwardianische Landhausmodell ist in Gestalt des Animateurs nun demokratisiert worden, die Situation jedoch ist gleich geblieben. Mit den englischen Landhausgästen teilen die Club-Méditerranée- und Kreuzfahrt-Gäste die soziale Homogenität. Manche von ihnen mögen etwas ungeübter im Umgang mit Fremden sein als die englischen Aristokraten, aber da wird Hilfe geboten, und mit dem Segen des Animateurs und nach vielen herrlichen Volleyball-Turnieren am Strand bilden Uschi und Torsten aus Duisburg und Tanja und Tom aus...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2009
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Literatur Essays / Feuilleton
Sachbuch/Ratgeber Gesundheit / Leben / Psychologie Lebenshilfe / Lebensführung
Schlagworte Alltag • Entrümpelung • Gebrauchsanweisung • Gegenstände • Lebensqualität • Luxus • Überfluss
ISBN-10 3-644-10121-3 / 3644101213
ISBN-13 978-3-644-10121-0 / 9783644101210
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