Tiroler Heimat 88 (2024) (eBook)
344 Seiten
Universitätsverlag Wagner
978-3-7030-6647-4 (ISBN)
Christina Antenhofer, Univ. Prof. MMag. Dr., seit 2018 Universitätsprofessorin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Salzburg; zuvor assoziierte Professorin für Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Innsbruck. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte des Mittelalters und der Renaissance mit Schwerpunkten auf der Geschichte Tirols, des süddeutschen und oberitalienischen Raums. Nadja Krajicek-Seidl, Mag. Dr. BA MA, Archivarin im Tiroler Landesarchiv, Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Forschungsschwerpunkte zur Geschichte des Spätmittelalters und der beginnenden Neuzeit, den Historischen Hilfswissenschaften und zur österreichischen, insbesondere Tiroler Verwaltungs- und Archivgeschichte.
Christina Antenhofer, Univ. Prof. MMag. Dr., seit 2018 Universitätsprofessorin für Mittelalterliche Geschichte an der Universität Salzburg; zuvor assoziierte Professorin für Geschichte des Mittelalters und Historische Hilfswissenschaften an der Universität Innsbruck. Zahlreiche Publikationen zur Geschichte des Mittelalters und der Renaissance mit Schwerpunkten auf der Geschichte Tirols, des süddeutschen und oberitalienischen Raums. Nadja Krajicek-Seidl, Mag. Dr. BA MA, Archivarin im Tiroler Landesarchiv, Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung. Forschungsschwerpunkte zur Geschichte des Spätmittelalters und der beginnenden Neuzeit, den Historischen Hilfswissenschaften und zur österreichischen, insbesondere Tiroler Verwaltungs- und Archivgeschichte.
Dienstethos auf dem Prüfstand: Die Amtsträger der Fürstbischöfe von Brixen im Jahrzehnt vor dem Bauernkrieg
ERIKA KUSTATSCHER
1. Einleitung
Im Jahrzehnt vor dem sogenannten Bauernkrieg blieben, so ergibt die Analyse des Verwaltungs- und Rechtsalltags im Hochstift Brixen, viele Untertanen, die das Recht suchten, mit ihren Nöten, Sorgen und Konflikten am Ende allein, weil die Verfahren zu keinem befriedigenden Ende gebracht werden konnten.1 Aus der tirolisch-landesfürstlichen Sphäre kennt man aus der Zeit König/Kaiser Maximilians I. Hinweise lokaler Obrigkeiten an das Regiment auf Defizite im Vollzug rechtlich-administrativer Verordnungen.2 Dabei mussten die Erwartungen prinzipiell hoch sein, denn die Fürsten waren im Begriff, ihre Herrschaft zu intensivieren, beschreibbar mit Max Weber als Übergang von der traditionalen zur rationalen Herrschaft.3 Im Folgenden werden die im Jahrzehnt 1515–1525 auf der oberen und mittleren, fallweise auch der unteren Verwaltungsebene des Hochstifts Brixen tätigen Personen in den Blick genommen, mit dem Ziel, aus der Struktur dieses Personenkreises und aus der Art, wie die ihm Angehörenden ihr Amt ausübten, ablesen zu können, ob bzw. in welchem Grad sich die neuen Konzepte, die gern als Frühform moderner Staatlichkeit gehandelt werden, bewährten. Das Interesse gilt der Verbindung von Institutionen, Strukturen und Individuen, in der jenes Gefüge der Werte und Einstellungen greifbar wird, das die politische Kultur der Amtsträger ausmachte.4
Die Quellen erlauben zunächst Aussagen zum Dienstrecht, zum Amtsverständnis und zu möglichen Kriterien der Auswahl der Personen: Dies und die Möglichkeit, weitgehend vollständige Listen der Amtsträger an der Zentrale und in sämtlichen peripheren Sprengeln vorzulegen, sind Gegenstand eines ersten, strukturellen Teils. In einem zweiten Durchgang wird, nach einer oberflächlichen Analyse der Sozialstruktur, der Frage nach den Zusammenhängen mit der Ämterhierarchie nachgegangen und das Amtsverhalten einzelner Personen in den Blick genommen, teilweise in narrativen Formen. Dies gibt Anlass zu Reflexionen, die soziologisch von hohem Interesse sind, die aber auch in den Bereich der Ethik verweisen. Manche Beispiele laden dazu ein, das in der Regel positiv konnotierte Phänomen sozialer Aufstieg zu hinterfragen. Damit ist, drittens, die Brücke geschlagen zu Michael Gaismair, den weitum bekannten Protagonisten des Bauernaufstands von 1525, der gern als Wegbereiter eines frühdemokratischen Staates bezeichnet wird und als solcher in der Erinnerungskultur zum Helden hochstilisiert wurde.5
2. Die Verwaltungsstruktur des Hochstifts Brixen: personal und territorial
Der Prozess staatlicher Verdichtung, der ein Mehr an Bürokratie bedeutete, ging einher mit einer Aufstockung des Personals, auch im Hochstift Brixen. Im modernen Verwaltungsstaat konnte der Fürst nicht mehr primus inter pares sein, sondern agierte als übergeordnete Instanz. Dabei war er auf einen loyalen Beamtenapparat dringend angewiesen.6 Die Ratsstellen in der Zentrale und die Verwaltungsämter in der Peripherie wurden in der Regel nicht mehr nach dem Lehenrecht, sondern nach einer Art Dienstrecht besetzt,7 durchaus vergleichbar mit der Praxis der Ämtervergabe, die seit dem 15. Jahrhundert auch bei adligen Grundherrschaften feststellbar ist.8 Nur eingeschränkt gültig ist diese Aussage für die Brixner Gerichte Tiers und Schenkenberg, die zu Lehen vergeben wurden.9 Im Rechtsalltag bedeutete dies, dass der Fürstbischof ausdrücklich nicht als Gerichtsinstanz gelten wollte, wie beispielsweise im Fall eines Tierser Untertanen, der seinem Gerichtsherrn Michael von Völs abgesagt, mithin öffentlich die Fehde erklärt bzw. die Anerkennung als Obrigkeit verweigert hatte.10 Im Gegenzug kommt die für den Lehensinhaber übliche Nomenklatur, Gerichtsherr, in den anderen Spengeln des geistlichen Territoriums nicht vor. Dort waren das unmittelbare Gegenüber der Untertanen die in bischöflichen Diensten stehenden Amtsträger, und in deren Händen lag die Normdurchsetzung.11 Selbst jene, die, wie die Stadtrichter, nicht auf der höchsten Ebene agierten, hatten Möglichkeiten weitreichender Einflussnahme auf den Alltag der Untertanen.12 Dass die Bischöfe bei der Wahl der Amtsträger nach so klar benennbaren Kriterien vorgegangen wären, wie man es für König/Kaiser Maximilian I. sicher feststellen kann, insbesondere nach jenem der Leistung,13 lässt sich nicht erkennen.
Die Bezüge der Amtsträger wurden von Fall zu Fall ausgehandelt und in der jeweiligen Amtsinstruktion festgeschrieben. Bei niederen Ämtern, wie beispielsweise Gerichtsschreibern, ist aber gleichwohl an fixe Geldbeträge zu denken.14 Die Inhaber hoher Ämter hatten daneben einen teilweisen Anspruch auf deren Gefälle;15 überdies erhielten sie in einiger Regelmäßigkeit Getreidelieferungen aus dem fürstbischöflichen Kasten.16
Von diesen Personen erwarteten die Fürstbischöfe, dass sie sich ganz als ihre Vertreter verstanden und in ihrem Namen agierten. Die Details wurden bei Antritt des Amtes in der jeweils individuell ausgefertigten Bestallungsurkunde festgeschrieben.17 Der Metamorphose vom Lehens- zum Verwaltungsstaat entspricht der im Rechtsalltag in Brixen vorherrschende Ton: So wurde beispielsweise dem St. Michelsburger Richter 1519 ausdrücklich nahegelegt, dass er ein Strafverfahren nicht ohne fürstbischöfliche Einwilligung einleiten dürfe; eigenmächtiges Handeln schade dem Ansehen der Obrigkeit.18 An den Unterhauptmann zu Säben erging die Weisung, dass er die Untertanen nicht ohne Aufforderung von Seiten des Fürstbischofs zu Aussagen bei Zeugenbefragungen anhalten dürfe.19 Seinem Nachfolger wurde ein Jahr später eine ins Detail gehende Instruktion für Verhandlungen mit den Untertanen ausgehändigt, die in unserem Namen zu führen seien.20 Hier scheint es sich nicht um den bei Amtsantritt üblichen Typus gehandelt zu haben, der einen Gesamtrahmen vorgab, sondern um einen anlassbezogenen Sonderfall.21 Besonders sorgfältig überwacht wurde die Rechnungslegung der damit Betrauten,22 die häufig auch nach dem Ausscheiden aus dem Amt noch Rede und Antwort stehen mussten, wie der Hauptmann zu Buchenstein Burghard von Brandis (1509–1514),23 der Zöllner zu Klausen Kaspar von Aichach (1510–1513),24 der Pfleger zu Algund Johann Gadolt (1514–1516)25 oder die Pfleger bzw. Richter zu Salern Joachim Seidl (1508–1511)26 und Sigmund Altenhofer (1516–1519).27 Selbst die Witwen verstorbener Amtsträger (Jakob Schreiner, Zyprian Vintler) wurden noch belangt.28
Einen besonders schweren Stand hatten die Träger spezialisierter niederer Ämter, wie beispielsweise die Waid- bzw. Fischmeister, denn ihnen oblag die Exekutierung von Verboten, die schon per se delikat waren. In Sprengeln gemischter Landeshoheit wie dem Gericht Heinfels,29 wo die Konfliktanfälligkeit generell groß war,30 wurden 1521 ein Forstknecht31 und ein Jahr später der Forstmeister Paul Weinpacher eingestellt, der außer für die Wildbänne auch für die Gewässer zuständig war; seine Kompetenz erstreckte sich überdies auf das benachbarte Gericht Anras.32 Von diesen Personen wurde eine ähnliche Dienstgesinnung erwartet wie von den Amtsträgern der höheren Ebenen. Wer den Anforderungen nicht entsprach, wurde, wie 1521 der fürstbischöfliche Fischer in Prags, kurzerhand entlassen.33 Dasselbe Schicksal ereilte 1522 den bereits genannten Weinpacher.34 Sein Nachfolger als Waidmeister war ab 1523 Christian Weyssl zu Tilliach, der sich als entschlossener Anwalt herrschaftlicher Rechte erwies.35
Die Vorstufe zur Entlassung war die Rüge: Eine solche erging 1520 an Hartmann Krakofler, dem eine schlechte Verwaltung des Schlosses Michelsburg angelastet wurde,36 1524 an den Brunecker Zöllner Wolfgang Visl,37 der fürstbischöfliche Befehle missachtet habe,38 oder 1523 an Georg Mörl, Pfleger zu Schöneck, weil er zu einem angesetzten Raittag nicht erschienen sei.39 Sein Richter Peter Troyer hatte in einem Einzelfall nicht das vom Fürstbischof erwartete Verhalten an den Tag gelegt.40 Auch von Personen, die, ohne ein Amt zu bekleiden, mit Sonderfunktionen betraut wurden, erwarteten die Fürstbischöfe Willfährigkeit.41 Diese Form politischen Agierens, in der auch im sich bildenden Verwaltungsstaat mit seinen Institutionen ein personales Herrschaftsverständnis, mithin ein traditionales Muster weiterlebte, ist als wichtiger Indikator der Beurteilung der Position einzelner Personen zu werten, die ein sogenanntes Credenzialschreiben (Empfehlungsschreiben) vorweisen konnten.42
Das vom Amtsträger erwartete Rollenverständnis kommt im Akt seiner Einsetzung, in einer nach geregelten Formen gestalteten, mehr oder weniger feierlichen Investitur (die Pflicht tun) symbolträchtig zum Ausdruck. Man hat sich diese nicht so vorzustellen, dass sich jeder zu Bestallende, wie 1516 Anton von Wolkenstein als angehender Pfleger zu Uttenheim,43 nach Brixen begab,...
Erscheint lt. Verlag | 28.11.2024 |
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Reihe/Serie | Tiroler Heimat 88/2024 |
Verlagsort | Innsbruck |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Antiquitäten |
Schlagworte | Bauernkriege • Bergbau • ersten Weltkriegs • Gregorianischen Kalenderreform • Grundsteuer • Kataster • Pilgerfahrten • Sigmund von Tirol • Tiroler Burginventaren • Waldstreunutzung |
ISBN-10 | 3-7030-6647-4 / 3703066474 |
ISBN-13 | 978-3-7030-6647-4 / 9783703066474 |
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Größe: 27,6 MB
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