Hugo Portischs große Momente der Zeitgeschichte (eBook)

Peter Schöber (Herausgeber)

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2024 | 1. Auflage
256 Seiten
edition a (Verlag)
978-3-99001-793-7 (ISBN)

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Hugo Portischs große Momente der Zeitgeschichte -
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Der Prager Fru?hling, die Ölkrise der 1970er-Jahre, das Attentat auf Papst Johannes Paul II. oder der Fall des Eisernen Vorhangs: Hugo Portisch war stets mittendrin. Als bedeutendster Journalist der Zweiten Republik berichtete er nicht nur von den Ereignissen in der Welt, er erklärte sie seinem Publikum. Durch seine Berichte werden politische Umbru?che verständlich, deren Folgen bis heute andauern. Ein Stu?ck Zeitgeschichte, wie es erhellender und spannender nicht sein könnte.

Peter Schöber, geboren 1970 in Steyr, ist österreichischer Journalist. Seine ersten Erfahrungen machte er Ende der 1980er bei Radio Oberösterreich. Seit 2010 ist Schöber Geschäftsfu?hrer des Fernsehsenders TW1, fu?r dessen Umbau und Genehmigungsverfahren hin zur Entwicklung des Kultur- und Informationsspartensenders ORF III er weitgehend verantwortete und leitet die gesamte Programmgestaltung.

Peter Schöber, geboren 1970 in Steyr, ist österreichischer Journalist. Seine ersten Erfahrungen machte er Ende der 1980er bei Radio Oberösterreich. Seit 2010 ist Schöber Geschäftsführer des Fernsehsenders TW1, für dessen Umbau und Genehmigungsverfahren hin zur Entwicklung des Kultur- und Informationsspartensenders ORF III er weitgehend verantwortete und leitet die gesamte Programmgestaltung.

Der Sonderweg Jugoslawiens


Nach dem Überfall Nazi-Deutschlands 1941 auf das Königreich Jugoslawien begann Josip Broz Tito, hochrangiges Mitglied der verbotenen Kommunistischen Partei Jugoslawiens, einen Partisanenkrieg gegen die deutschen Besatzer zu organisieren.

Tito war kein unbeschriebenes Blatt. Er wurde 1892 im heutigen Kroatien geboren, das damals Teil der Habsburger-Monarchie war. Tito arbeitete als Mechaniker, bis er im Ersten Weltkrieg aufseiten der Habsburger-Armee ins Feld zog. Er geriet 1915 in Russland in Kriegsgefangenschaft, kam während der russischen Februarrevolution 1917 frei und schloss sich den kommunistischen Bolschewiki an, die den Zaren stürzen wollten.

1920 kehrte er ins Königreich Jugoslawien zurück, wo er als Kommunist verhaftet und für mehrere Jahre inhaftiert wurde. Dann begann der Zweite Weltkrieg, der Überfall Nazi-Deutschlands auf das Königreich Jugoslawien und Titos Aufstieg.

Nachdem sich Tito als Partisanenführer im Widerstand gegen die Nazis hervorgetan hatte, erkannten die Alliierten ihn und seine provisorische Regierung für Jugoslawien an. Nach dem Zweiten Weltkrieg baute Tito Jugoslawien als sozialistischen Staat auf, der die heutigen Länder Serbien, Kroatien, Bosnien und Herzegowina, Montenegro, Nordmazedonien und Slowenien umfasste.

Tito etablierte ein autoritäres Regime, das auf dem Einparteienstaat und einer zentralisierten Planwirtschaft basierte. Ein zentrales Ereignis in der jugoslawischen Geschichte stellt der Bruch Titos mit der Sowjetunion im Jahr 1948 dar. Somit entstand neben den Staaten des Warschauer Pakts, angeführt von der Sowjetunion, mit Jugoslawien ein zweiter großer kommunistischer Machtblock.

Tito wählte also einen anderen Weg als die Sowjetunion, den sogenannten dritten Weg zwischen Ost und West. Als von der Sowjetunion unabhängiges Land konnte Jugoslawien diplomatische Beziehungen zu vielen Ländern aufbauen, es schloss sich keinem der Machtblöcke des Kalten Kriegs an und förderte stattdessen internationale Beziehungen.

Der multiethnische Staat stand über die Jahre hinweg vor wachsenden Herausforderungen. Im März 1969 fand eine bedeutende Zusammenkunft in Belgrad statt. Der Parteikongress sollte die politischen Linien und Strukturen des Landes stabilisieren, außerdem sollten interne politische und wirtschaftliche Herausforderungen des Landes nach dem Bruch mit der Sowjetunion behandelt und internationale Beziehungen gestärkt werden. Neben Themen wie Dezentralisierung und Föderalismus sollten auch Wirtschaftsreformen und der jugoslawische Weg im Sozialismus angeschnitten werden. Das Stimmungsbild Jugoslawiens während dieses Kongresses zeichnete Hugo Portisch damals direkt aus Belgrad für die Zuseherinnen und Zuseher.

ZK-Sitzung in Belgrad

10. März 1969

Meine Damen und Herren, wir melden uns heute aus Belgrad, aus der jugoslawischen Hauptstadt. Morgen wird hier in diesem Gebäude der Parteikongress des Bundes der jugoslawischen Kommunisten beginnen, und es hat ganz den Anschein, dass dieser Kongress eines der bedeutendsten Ereignisse im Kommunismus sein wird, so bedeutend wie der Prager Frühling, so bedeutend wie Titos Absprung aus dem Ostblock im Jahre 1948.

Im Prinzip wird dieser Parteikongress eine Zangenoperation durchführen. Erstens ein außenpolitisches Konzept, zweitens eine innere Reform des jugoslawischen Kommunismus. Was das außenpolitische Konzept betrifft, so wird die jugoslawische Partei feststellen, dass es überhaupt kein Prinzip in der Welt gibt, das über die Souveränität eines Staates gesetzt werden kann, auch über die Souveränität eines kommunistischen Staates.

Mit anderen Worten, die Jugoslawen werden hier der sogenannten Breschnew-Doktrin schwer widersprechen. Diese Doktrin wurde angewendet, um die Tschechoslowakei zu besetzen [siehe Prager Frühling auf Seite 22]. Damals hieß es, alle kommunistische Staaten haben eine gemeinsame Souveränität. Einer hat auf den anderen aufzupassen.

Hier wird gesagt werden, es gibt ein solches Prinzip nicht. Die Souveränität auch jedes kommunistischen Staates ist heilig. Damit aber werden die Jugoslawen auch feststellen: Es gibt keine kommunistische Internationale, und es darf keine geben. Und es gibt kein Lenkungszentrum für den Kommunismus, also kein Moskau, kein Peking. Jeder kommunistische Staat hat sich selbstständig zu entwickeln.

Ist das schon Sprengstoff genug, so wird die innere Reform der jugoslawischen Kommunisten noch mehr Sprengstoff bieten. Da ist vorgesehen, dass sich die Partei nach außen dem Volke gegenüber zu öffnen hat. Geheime Wahlen werden zum ersten Mal hier als ein Muss in die reformierten Parteistatuten aufgenommen werden. Zweitens, die Führer müssen geheim gewählt werden, und es muss mehrere Kandidaten dafür geben. Drittens, und das ist noch in keinem kommunistischen Parteistatut der Welt enthalten, die Meinungsfreiheit jedes Parteimitglieds wird gewährleistet. Ja, das Parteimitglied hat sogar die Pflicht, seine Meinung zu äußern, auch dann und gerade dann, wenn sie der Führung widerspricht.

Das allein, meine Damen und Herren, wird schon dazu führen, dass die übrigen kommunistischen Parteien der Welt hier in Jugoslawien unter Umständen sich ein Beispiel holen werden. Die Jugoslawen werden aber noch weiter gehen. Sie werden das Zentralkomitee der Partei auflösen. Nur ein Drittel der Mitglieder der Parteikonferenz werden gewählt sein und immer in dieser Parteikonferenz sitzen. Zwei Drittel dieser Mitglieder werden jeweils nach den Problemen, die diese Parteikonferenz zu behandeln hat, einberufen. Das heißt, Fachleute werden in diese Parteikonferenz geholt, und sie werden innerhalb der Parteikonferenz die Mehrheit haben. Das Zentralkomitee aber bleibt abgeschafft. Das Präsidium der Partei, das wird es geben, die oberste Führung, das oberste Führungsgremium. Aber dieses oberste Führungsgremium wird ebenfalls vom Parteikongress gewählt, nicht mehr vom Zentralkomitee, also von einer breiten Basis ausgewählt. Und selbst der Präsident dieses Präsidiums, in diesem Fall wird es wieder Tito sein, muss vom Parteikongress gewählt werden. Er wird nicht aus den obersten Führungsgremien gewählt. Das ist eine weitere Neuerung hier in Jugoslawien. Also eine nahezu revolutionäre Ansage an alle anderen kommunistischen Parteien. Und die Jugoslawen haben diese kommunistischen Parteien nach Belgrad eingeladen, die westlichen und östlichen mit Ausnahme von China, Albanien und Kuba. Die drei wurden von vornherein nicht eingeladen. Der Ostblock aber wird nicht kommen.

Nur Rumänien hat zugesagt. Die Sowjets kommen nicht, auch die Tschechoslowaken kommen nicht. Die Polen und die Ostdeutschen, die Ungarn und Bulgaren, sie alle kommen nicht, denn sie wissen, welcher Sprengstoff hier in Belgrad für sie lagern wird. Hingegen hat man, auch ein Novum in der kommunistischen Bewegung, die sozialistischen, die sozialdemokratischen Parteien des Westens eingeladen. Man hat das sehr vorsichtig getan. Man hat angefragt: Wollt ihr kommen? Haben wir Aussicht auf eine Zusage? Jene sozialistischen Parteien, die gemeint haben, wir kommen, sind dann auch eingeladen worden. Die italienischen Sozialisten, die französischen Sozialisten werden kommen. Aber am bedeutungsvollsten: Die Sozialdemokratische Partei Deutschlands, also der deutschen Bundesrepublik, wird hier mit einer 4-Mann-Delegation vertreten sein. Das wird als das bedeutungsvollste Ereignis gewertet.

Ich habe mich danach erkundigt, weshalb diese grundlegende innere Reform, weshalb diese Öffnung nicht nur im Innern, sondern auch nach außen, also zu den sozialdemokratischen Parteien? Und ein führender Parteifunktionär hat mir heute Vormittag hier erklärt: »Wir müssen es tun, sonst stagniert unsere Partei. Sonst wird das Schlagwort von der neuen Klasse absolut wahr. Sonst ist der Kommunismus verloren. Wenn wir nicht jetzt gründlich reformieren, gründlich unsere Grenzen aufreißen, dann wird es mit dem Kommunismus bergab gehen.« Das jedenfalls ist die Einschätzung eines Kommunisten. Alles hier spricht dafür, dass der Parteikongress ein bedeutungsvolles Ereignis sein wird. Wir melden uns wieder aus Belgrad.

Auf Wiederhören und auf Wiedersehen.

Neunter KP-Kongress Jugoslawien

12. März 1969

Meine Damen und Herren, wir melden uns heute wieder aus Belgrad vom neunten Kongress der jugoslawischen Kommunisten. Die Delegierten ziehen soeben in das Versammlungsgebäude ein, um den zweiten Tag ihrer Beratungen zu beginnen.

Nun, nach der großen Rede Präsident Titos, ist es vollkommen klar, dass Jugoslawien unter Umständen auf einen neuen ideologischen Bruch mit Moskau, mit der Sowjetunion zusteuert. Präsident Tito war in dieser Rede vorsichtig. Seine Ansprache war sehr abgewogen. Aber drei Dinge hat Präsident Tito klargestellt.

Erstens, der Stalinismus. Nicht wie man uns bisher weiszumachen versucht hat, sei der Stalinismus Personenkult gewesen, der Auswuchs einer einzelnen Person. Nein, der Stalinismus ist ein System, ist eine Denkungsart, ein System und eine Denkungsart, die auch heute noch existiert und die einfach darin besteht, dass Tausende und Zehntausende Funktionäre auf ihren Posten sitzen bleiben wollen, dass sie die totale Kontrolle über die Partei, den Staat und jeden einzelnen Bürger in einem Staat aufrechterhalten wollen und dass sie zu jedem Mittel greifen, um diese Kontrolle aufrechterhalten zu können. Selbst zu Mitteln der...

Erscheint lt. Verlag 9.11.2024
Verlagsort Wien
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Film / TV
Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Zeitgeschichte ab 1945
Schlagworte Bericht • Fernsehen • Geschichte • Journalismus • Kalter Krieg • Nachrichten • ORF • Österreich • Rundfunk • Russland • USA • Zeitgeschehen
ISBN-10 3-99001-793-4 / 3990017934
ISBN-13 978-3-99001-793-7 / 9783990017937
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