DAHEIM
4./5. Oktober 2003
Seiten
2023
Fotohofedition (Verlag)
978-3-903334-61-8 (ISBN)
Fotohofedition (Verlag)
978-3-903334-61-8 (ISBN)
Dieses Buch erscheint in Zusammenarbeit mit Contemporary Fine Arts, Berlin (Bruno Brunnet & Nicole Hackert)
Als der Schriftsteller Oswald Wiener mit seiner Frau Ingrid 1984 nach Dawson City in Kanada zog, war das ein weiterer Akt seiner Suche nach Erkenntnis. Er selbst meinte, nach dem epochalen Werk ‚die verbesserung von mitteleuropa, roman’¹ die Kunst hinter sich gelassen zu haben. Erste Expeditionen nach Island Ende der 1970er Jahre und die Übersiedlung in die kanadische Wildnis waren ein Teil davon, ein starkes Statement weg vom herkömmlichen, wenn auch ‚avantgardistischen’ Kulturbetrieb, im klaren Bewusstsein, diesem ohnehin nicht entkommen zu können.
Die arktische Tundra und die subarktischen Wälder wurden zum Schauplatz eines Lebensexperiments am Rande einer inzwischen globalen Kultur. Dawson City war dafür eben prädestiniert. In dieser Umgebung wurden die Lebensumgebungen, das Wohnen und das Arbeiten, ein Haus im Wald, dem von ihnen betriebenen Claims-Café - einem Restaurant mit Wiener Schnitzel und Apfelstrudel und der einzigen italienischen Espresso-Maschine auf einem Territorium von der Größe der Bundesrepublik - zu Stätten der Selbstbeobachtung und damit einer Praxis des Denkens jenseits von Kunst, Wissenschaft und Philosophie.
Als sich der langjährige Aufenthalt Anfang der 2000er Jahre dem Ende zuneigte, die Zeiten, die sie in Europa verbrachten immer länger wurden, und sich erneut die Interessen verschoben, entstand offensichtlich das Bedürfnis, den innersten Ort des Wirkens und der langen Refexionen abzubilden.
Das Haus wurde von innen ausführlich, und eher spärlich außen, in über 300 Fotografien festgehalten und damit gleichsam vermessen. Es zeigt die alltägliche Lebens- und Arbeitsumgebung des Paares, Ingrids Webstuhl ist ebenso Teil davon wie Oswalds Bücher und die Schallplatten der beiden. Die Bilder gehen aber weit darüber hinaus und können als Dokument eines Denk- und Wahrnehmungsraumes gelesen werden – als eine Welt für sich in ihrer faktischen Gültigkeit.
Diese Bildserie besteht aus Abzügen, die Oswald Wiener zu Lebzeiten angefertigt hat, die er ausstellte und die einer Ordnung unterworfen wurden. Einzelne Fotos wurden auch – gleichsam als seine Kunstwerke – zu besonderen Gelegenheiten verschenkt. So macht es durchaus Sinn, diese posthum einer umfassenden Ausstellung zuzuführen und damit in einen größeren Kontext zu bringen – sowohl in der Kunst- und Geistesgeschichte, wie in Wieners sprachlichen und denkerischen Werk. Es soll nicht verschwiegen werden, dass Wiener es auch anders sah, als er die Fotos 2004 in der Wiener Galerie Charim ausstellte:
Ich beanspruche für diese Photographien keinerlei Kunst-Status. Wenn es über Anregungen zur räumlichen und zeitlichen Rekonstruktion einer anonymen Situation – die vielleicht schon als Existenzgrund ausreichen – hinausgehen soll, sind sie auf ein gewisses Interesse an meiner Person und an der meiner Frau gewesen. Ihr Status unbedarfter Schnappschüsse geht nicht auf eine Künstler-Pose zurück; die Unschärfen und die scheinbaren Ungeschicklichkeiten sind angemessen, da diese Bilder sehr viel nicht manipulierte Information enthalten und Diskretion erwünscht ist.³
Diesem Widerspruch wird nachzugehen sein. Er ist aber auch symptomatisch für vieles, was Wiener in die Grenzbereiche seiner Interessen führte. Sein Misstrauen galt den Konstruktionen der Disziplinen und Felder wie der Literatur oder der Kunst, ebenso wie der Gesellschaft im Allgemeinen, der Wissenschaft oder der Philosophie.
Peter Pakesch
Lichtenberg, April 2022 (Text gekürzt) This book is published in collaboration with Contemporary Fine Arts, Berlin (Bruno Brunnet & Nicole Hackert).
When the writer Oswald Wiener moved to Dawson City in Canada with his wife Ingrid in 1984, it was another act in his quest for knowledge. He himself thought he had left art behind after his epoch-making work 'the improvement of central europe, novel'¹. His first expeditions to Iceland at the end of the 1970s and his move to the Canadian wilderness were part of this, a strong statement away from the conventional, albeit 'avant-garde' cultural establishment, in the clear awareness that he could not escape it anyway.
The Arctic tundra and the subarctic forests became the setting for an experiment in living on the edge of a now global culture. Dawson City was predestined for this. In this environment, the living and working environments, a house in the forest, the claims café they ran - a restaurant with Wiener schnitzel and apple strudel and the only Italian espresso machine on a territory the size of the Federal Republic of Germany - became sites of introspection and thus a practice of thinking beyond art, science and philosophy.
As their long residency drew to a close in the early 2000s, as the times they spent in Europe grew longer and longer, and as interests shifted once again, there was an obvious need to map the innermost place of their work and long refexions.
The house was captured in detail from the inside, and rather sparsely on the outside, in more than 300 photographs, thus surveying it as it were. It shows the couple's everyday living and working environment, Ingrid's loom is just as much a part of it as Oswald's books and their records. But the pictures go far beyond this and can be read as a document of a space of thought and perception - as a world unto itself in its factual validity.
This series of pictures consists of prints that Oswald Wiener made during his lifetime, which he exhibited and which were subjected to an order. Individual photos were also given away - as his works of art, as it were - on special occasions. So it makes perfect sense to posthumously present them in a comprehensive exhibition and thus bring them into a larger context - both in art and intellectual history, and in Wiener's linguistic and intellectual oeuvre. It should not be concealed that Wiener also saw it differently when he exhibited the photographs in 2004 at the Charim Gallery in Vienna:
I do not claim any art status for these photographs. If they are to go beyond suggestions for the spatial and temporal reconstruction of an anonymous situation - which may already suffice as a reason for existence - they have been for a certain interest in my person and that of my wife. Their status of innocent snapshots is not due to an artist's pose; the blurriness and apparent awkwardness are appropriate, since these images contain a great deal of unmanipulated information and discretion is desired.³.
This contradiction will need to be explored. But it is also symptomatic of much of what led Wiener into the borderlands of his interests. His distrust was directed at the constructions of disciplines and fields such as literature or art, as well as society in general, science or philosophy.
Peter Pakesch
Lichtenberg, April 2022 (text abridged)
Als der Schriftsteller Oswald Wiener mit seiner Frau Ingrid 1984 nach Dawson City in Kanada zog, war das ein weiterer Akt seiner Suche nach Erkenntnis. Er selbst meinte, nach dem epochalen Werk ‚die verbesserung von mitteleuropa, roman’¹ die Kunst hinter sich gelassen zu haben. Erste Expeditionen nach Island Ende der 1970er Jahre und die Übersiedlung in die kanadische Wildnis waren ein Teil davon, ein starkes Statement weg vom herkömmlichen, wenn auch ‚avantgardistischen’ Kulturbetrieb, im klaren Bewusstsein, diesem ohnehin nicht entkommen zu können.
Die arktische Tundra und die subarktischen Wälder wurden zum Schauplatz eines Lebensexperiments am Rande einer inzwischen globalen Kultur. Dawson City war dafür eben prädestiniert. In dieser Umgebung wurden die Lebensumgebungen, das Wohnen und das Arbeiten, ein Haus im Wald, dem von ihnen betriebenen Claims-Café - einem Restaurant mit Wiener Schnitzel und Apfelstrudel und der einzigen italienischen Espresso-Maschine auf einem Territorium von der Größe der Bundesrepublik - zu Stätten der Selbstbeobachtung und damit einer Praxis des Denkens jenseits von Kunst, Wissenschaft und Philosophie.
Als sich der langjährige Aufenthalt Anfang der 2000er Jahre dem Ende zuneigte, die Zeiten, die sie in Europa verbrachten immer länger wurden, und sich erneut die Interessen verschoben, entstand offensichtlich das Bedürfnis, den innersten Ort des Wirkens und der langen Refexionen abzubilden.
Das Haus wurde von innen ausführlich, und eher spärlich außen, in über 300 Fotografien festgehalten und damit gleichsam vermessen. Es zeigt die alltägliche Lebens- und Arbeitsumgebung des Paares, Ingrids Webstuhl ist ebenso Teil davon wie Oswalds Bücher und die Schallplatten der beiden. Die Bilder gehen aber weit darüber hinaus und können als Dokument eines Denk- und Wahrnehmungsraumes gelesen werden – als eine Welt für sich in ihrer faktischen Gültigkeit.
Diese Bildserie besteht aus Abzügen, die Oswald Wiener zu Lebzeiten angefertigt hat, die er ausstellte und die einer Ordnung unterworfen wurden. Einzelne Fotos wurden auch – gleichsam als seine Kunstwerke – zu besonderen Gelegenheiten verschenkt. So macht es durchaus Sinn, diese posthum einer umfassenden Ausstellung zuzuführen und damit in einen größeren Kontext zu bringen – sowohl in der Kunst- und Geistesgeschichte, wie in Wieners sprachlichen und denkerischen Werk. Es soll nicht verschwiegen werden, dass Wiener es auch anders sah, als er die Fotos 2004 in der Wiener Galerie Charim ausstellte:
Ich beanspruche für diese Photographien keinerlei Kunst-Status. Wenn es über Anregungen zur räumlichen und zeitlichen Rekonstruktion einer anonymen Situation – die vielleicht schon als Existenzgrund ausreichen – hinausgehen soll, sind sie auf ein gewisses Interesse an meiner Person und an der meiner Frau gewesen. Ihr Status unbedarfter Schnappschüsse geht nicht auf eine Künstler-Pose zurück; die Unschärfen und die scheinbaren Ungeschicklichkeiten sind angemessen, da diese Bilder sehr viel nicht manipulierte Information enthalten und Diskretion erwünscht ist.³
Diesem Widerspruch wird nachzugehen sein. Er ist aber auch symptomatisch für vieles, was Wiener in die Grenzbereiche seiner Interessen führte. Sein Misstrauen galt den Konstruktionen der Disziplinen und Felder wie der Literatur oder der Kunst, ebenso wie der Gesellschaft im Allgemeinen, der Wissenschaft oder der Philosophie.
Peter Pakesch
Lichtenberg, April 2022 (Text gekürzt) This book is published in collaboration with Contemporary Fine Arts, Berlin (Bruno Brunnet & Nicole Hackert).
When the writer Oswald Wiener moved to Dawson City in Canada with his wife Ingrid in 1984, it was another act in his quest for knowledge. He himself thought he had left art behind after his epoch-making work 'the improvement of central europe, novel'¹. His first expeditions to Iceland at the end of the 1970s and his move to the Canadian wilderness were part of this, a strong statement away from the conventional, albeit 'avant-garde' cultural establishment, in the clear awareness that he could not escape it anyway.
The Arctic tundra and the subarctic forests became the setting for an experiment in living on the edge of a now global culture. Dawson City was predestined for this. In this environment, the living and working environments, a house in the forest, the claims café they ran - a restaurant with Wiener schnitzel and apple strudel and the only Italian espresso machine on a territory the size of the Federal Republic of Germany - became sites of introspection and thus a practice of thinking beyond art, science and philosophy.
As their long residency drew to a close in the early 2000s, as the times they spent in Europe grew longer and longer, and as interests shifted once again, there was an obvious need to map the innermost place of their work and long refexions.
The house was captured in detail from the inside, and rather sparsely on the outside, in more than 300 photographs, thus surveying it as it were. It shows the couple's everyday living and working environment, Ingrid's loom is just as much a part of it as Oswald's books and their records. But the pictures go far beyond this and can be read as a document of a space of thought and perception - as a world unto itself in its factual validity.
This series of pictures consists of prints that Oswald Wiener made during his lifetime, which he exhibited and which were subjected to an order. Individual photos were also given away - as his works of art, as it were - on special occasions. So it makes perfect sense to posthumously present them in a comprehensive exhibition and thus bring them into a larger context - both in art and intellectual history, and in Wiener's linguistic and intellectual oeuvre. It should not be concealed that Wiener also saw it differently when he exhibited the photographs in 2004 at the Charim Gallery in Vienna:
I do not claim any art status for these photographs. If they are to go beyond suggestions for the spatial and temporal reconstruction of an anonymous situation - which may already suffice as a reason for existence - they have been for a certain interest in my person and that of my wife. Their status of innocent snapshots is not due to an artist's pose; the blurriness and apparent awkwardness are appropriate, since these images contain a great deal of unmanipulated information and discretion is desired.³.
This contradiction will need to be explored. But it is also symptomatic of much of what led Wiener into the borderlands of his interests. His distrust was directed at the constructions of disciplines and fields such as literature or art, as well as society in general, science or philosophy.
Peter Pakesch
Lichtenberg, April 2022 (text abridged)
Erscheinungsdatum | 21.06.2023 |
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Co-Autor | Gabriele Kaiser, Siegfried Kraus |
Zusatzinfo | zahlreiche Farbabbildungen |
Verlagsort | Salzburg |
Sprache | englisch; deutsch |
Maße | 200 x 280 mm |
Gewicht | 931 g |
Themenwelt | Kunst / Musik / Theater ► Fotokunst |
Schlagworte | h |
ISBN-10 | 3-903334-61-8 / 3903334618 |
ISBN-13 | 978-3-903334-61-8 / 9783903334618 |
Zustand | Neuware |
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