Webdoku (eBook)

Geschichte, Technik, Dramaturgie

(Autor)

eBook Download: EPUB
2015 | 1. Auflage
256 Seiten
Herbert von Halem Verlag
978-3-7445-0866-7 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Webdoku -  Andrea Figl
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Die Webdoku ist die erste Erzählform, die den interaktiven Charakter des Internets nutzt, um Geschichten zu erzählen. Als nonlineare Weiterentwicklung des Dokumentarfilms arbeitet sie mit Texten, Bildern, Audio- und Videodateien und lässt so die Grenzen zwischen Reportage und Videospiel verschwimmen. Passive, rein konsumierenden Zuschauer werden zu Akteuren, die auf vielfältige Art in die Handlung eingreifen und den Ablauf der Geschichte selbst mitbestimmen. Das Buch bietet einen Überblick über Entstehung, Produktionsbedingungen und Dramaturgie von Webdokus und ermöglicht Medienmachern, Studierenden und Lehrenden so einen schnellen Einstieg ins Genre. Andrea Figl stellt dabei die wichtigsten Player und ihre Projekte vor, analysiert die Produktionshintergründe und untersucht die dramaturgischen Aspekte einer Webdoku. Die Webdoku wird hier als innovative Erzählform an der Schnittstelle zwischen Film, Journalismus, Kunst und Computerspiel vorgestellt: als neuer Weg, dokumentarische Geschichten zu erzählen und als neue Art, Publikum für diese Geschichten und Themen zu gewinnen. Denn weder Mediengestalter noch Sender oder Contentprovider können sich länger mit nur einem Medium oder nur einem Vertriebskanal begnügen, wenn sie Aufmerksamkeit auf ihre Projekte lenken und Publikum an sich binden wollen. Mit ihrem interaktiven Ansatz und ihrem Multiplattform-Potenzial sind Webdokus damit ein Muss für alle, die zeitgemäßes Infotainment machen wollen.

Andrea Figl lebt als Filmemacherin, Autorin und Produzentin in Frankfurt und Wien. Sie studierte Philosophie und Linguistik in Wien sowie TV- und Filmproduktion an der Donau Universität Krems und arbeitete als Journalistin und Kolumnistin für verschiedene Print- und Onlinemedien. Als TV-Gestalterin war sie an zahlreichen Reportagen, Magazinbeiträgen und Dokumentationen für diverse Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beteiligt.

Andrea Figl lebt als Filmemacherin, Autorin und Produzentin in Frankfurt und Wien. Sie studierte Philosophie und Linguistik in Wien sowie TV- und Filmproduktion an der Donau Universität Krems und arbeitete als Journalistin und Kolumnistin für verschiedene Print- und Onlinemedien. Als TV-Gestalterin war sie an zahlreichen Reportagen, Magazinbeiträgen und Dokumentationen für diverse Sender des öffentlich-rechtlichen Rundfunks beteiligt.

A1 VON DEN ANFÄNGEN

Die Filme der Brüder Auguste und Louis Lumière aus dem Jahr 1895 sind nicht nur die ersten Filme überhaupt, sie gelten insbesondere auch als die ersten primitiven Dokumentarfilme: Mithilfe ihrer Erfindung, der Perforation, konnten die Brüder Einzelbilder hintereinander anzeigen und diese so zum Laufen bringen – lineares Kino war geboren. Ihre ersten Filme waren 17 Meter lang und zeigten mit einer Laufzeit von ca. 50 Sekunden unbearbeitete Szenen aus dem damaligen Alltag: Arbeiter beim Verlassen einer Fabrik, einen Zug, der in den Bahnhof einfährt, und die Familie Auguste Lumières beim Frühstück. Die Filme wurden erstmals im Pariser Grand Café der Öffentlichkeit präsentiert und im darauffolgenden Jahr tourten die Brüder mit ihren Miniaturen höchst erfolgreich um die Welt.

Das Ideal war das Eintauchen in eine unbekannte Welt und die möglichst getreue Abbildung derselben als „ungeschminkte Wirklichkeit“, wie es in einer zeitgenössischen Reklame der Brüder Lumière hieß: „Alles, was in der Natur lebt und sich bewegt, der Verkehr, der auf Strassen und Plätzen fluthet, die Wogen des Weltmeers. die sich thürmen und übereinanderwaelzen: alles das sehen wir vor uns, greifbar nah in unnachahmlicher Natürlichkeit. Da ist nichts vorbereitete, auf den Effekt berechnete Stellung, sondern alles ungeschminkte Wirklichkeit.“11

Richtiggehende Geschichten konnten in dieser Frühzeit des Films noch nicht erzählt werden, doch ein erster Schritt in diese Richtung war getan. Und die Faszination, die diese Verdoppelung der Welt auslöste,12 wurde zum Grundstein moderner Mythen – der Film L’arrivée d’un train en gare de La Ciotat soll aufgrund seines überwältigenden Realismus beim Publikum Panik ausgelöst haben und trieb Scharen früher Filmemacher auf die Straße, um alles zu filmen, was sie umgab.

FICTION FILMS OFTEN GIVE THE IMPRESSION THAT WE LOOK IN ON A PRIVATE OR UNUSUAL WORLD FROM OUTSIDE, FROM OUR VANTAGE POINT IN THE HISTORICAL WORLD, WHEREAS DOCUMENTARY IMAGES OFTEN GIVE THE IMPRESSION THAT WE LOOK OUT FROM OUR CORNER OF THE WORLD ONTO SOME OTHER PART OF THE SAME WORLD.10

BILL NICHOLS, FILMTHEORETIKER

L‘ARRIVÉE D‘UN TRAIN EN GARE À LA CIOTAT – AUGUSTE UND LOUIS LUMIÈRE

» www.perm.ly/web01

Die Filmkarriere der Brüder Lumière war aber nur von kurzer Dauer: Sie kamen zu dem Schluss, Film habe keine Zukunft, und konzentrierten sich auf Farbfotografie. Ihre Erfindung allerdings entwickelte sich weiter und bis mit Flaherty, Vertov und Grierson der eigentliche Dokumentarfilm einsetzte, wurden die Fähigkeiten der Kamera zur exakten Abbildung anderweitig genutzt: zu wissenschaftlichen Zwecken und zur Belustigung, als Spektakel.

Während es beim Spektakel in erster Linie darum geht, so viele Bilder wie möglich von so außergewöhnlichen Orten und Ereignissen wie möglich zu sammeln – ein Ansatz, der heute noch in Realityshows weiterlebt –, liegt es im Wesen des wissenschaftlichen Bildes, den Autor weitgehend verschwinden zu lassen, um die Abbildung so genau, unbeeinflusst und reproduzierbar zu halten wie möglich.

Im Dokumentarfilm aber geht es letztlich gerade um die Abweichung von der schlichten Reproduktion, um die eigene Stimme des Autors. Dies zeigt schon der erste abendfüllende Dokumentarfilm, Robert Flahertys Nanook of the North aus dem Jahr 1922. Flaherty, ein leidenschaftlicher Forscher, hatte sich 1913 mit einer Filmkamera aufgemacht, um seine kulturwissenschaftlichen Expeditionen zu dokumentieren. Durch einen Brand im Schneideraum hatte er damals zwar sein gesamte Rohmaterial verloren13, aber seine Begeisterung für Film war geweckt und er beschloss zehn Jahre später, an den Drehort zurückzukehren, um seinen Film über die Inuit zu vollenden.

NANOOK OF THE NORTH – ROBERT FLAHERTY, 1922

» www.perm.ly/web02

Das Leben der Inuit hatte sich freilich in der Zwischenzeit verändert und so musste er einen Großteil dessen, was er zeigen wollte, nachstellen: Er ließ einen eigens konstruierten Iglu aufbauen und castete Protagonisten, die das Leben der Inuit so nachspielten, wie Flaherty es in Erinnerung hatte – das zur Zeit dieser zweiten Dreharbeiten aber längst nicht mehr der Realität entsprach.

In den 1920er-Jahren kam neues Filmmaterial auf den Markt, das deutlich lichtempfindlicher und ausgeglichener und in Rollen von bis zu 300 m Länge verfügbar war. Ab 1923 gab es dank Kodak auch den 16-mm-Schmalfilm. Die Kamera der Wahl war damals die französische Debrie Parvo L, die mit ihren Tricks und Spezialeffekten wie Überblendungen und Mehrfachbelichtungen die Ästhetik der 1920er-Jahre prägte.

1923 brachte das Dresdner Fotokamerawerk ICA die Kinamo mit Federwerk auf den Markt. Mit ihr war es erstmals möglich zu drehen, ohne zu kurbeln, und somit zumindest kurze Sequenzen aus der Hand zu filmen. Die Kamera war klein, bot Zeitraffer und Einzelbildschaltung und konnte mittels Bajonettfassung mit fünf verschiedenen Brennweiten ausgestattet werden. Die Kamera wurde rasch zum Werkzeug der Filmavantgarde, so wurde sie von Dziga Vertov in Der Mann mit der Filmkamera eingesetzt, von Walter Ruttmann in Berlin – die Sinfonie der Großstadt oder auch von Joris Ivens.

THE MAN WITH THE MOVIE CAMERA – DZIGA VERTOV, 1929

» www.perm.ly/web03

In Russland wurde währenddessen am Aufbau einer neuen Gesellschaft gearbeitet, die Filmemacher und Filmemacherinnen wie Dziga Vertov oder Esther Shub im Film wiederfinden wollten. Die Konzepte der Photogénie und der Montage entstanden. Bill Nichols schildert die damalige Situation so: „The avant-garde flourished in Europe and Russia in the 1920s. Its emphasis on seeing things anew, through the eyes of the artist or filmmaker, had tremendous liberating potential. It freed cinema from replicating what came before the camera to celebrate how this ‚stuff‘ could become the raw material not only of narrative filmmaking but of a poetic cinema as well.“14

Karl Freund, der bedeutendste im Team der Kameramänner von Berlin – die Sinfonie der Großstadt, trieb die Entwicklung seines Metiers weiter voran. Er drehte nur noch mit Motor, um sich frei bewegen und voll auf das Bild konzentrieren zu können und wurde für den Stil seiner „entfesselten Kamera“ berühmt.

Die Begeisterung, die diese Freiheit damals hervorrief – alles filmen zu können, wie man es wahrnahm, ohne große Vorbereitung, ohne spezielle Beleuchtung „das Leben kinematographisch einzufangen und zwar das Leben, wo wir es auch finden mögen“15 –, diese Begeisterung findet man später bei den Videojournalisten wieder oder bei jungen YouTube-Filmern, die völlig unabhängig arbeiten können und allein verantwortlich für den gesamten kreativen Prozess sind.

Mit dem Tonfilm fand diese Freiheit der Kamera ein jähes Ende. Sie war plötzlich ein Teil eines enormen Geräteparks, war wieder an das Stativ gefesselt und wurde in sperrige, schalldichte Gehäuse verpackt. Aufgrund dieses Aufwands und der hohen Kosten wurden nonfiktionale Filme noch bis weit in die 1930er-Jahre hinein stumm gedreht und erst in der Postproduktion vertont.

Mit der Arriflex 35 kam 1937 die erste Spiegelreflex-Filmkamera auf den Markt, die eine bis dahin nicht gekannte Präzision der Bildeinstellung bot – Synchrontonaufnahmen blieben beim Dokumentarfilm aber weiterhin ein großes Problem. Das Tonequipment dieser Zeit wog stattliche 30 Kilogramm. Richard Leacock – ein großer Freund des filmenden Amateurs und einer der Mitbegründer des Direct Cinema – beschrieb die damalige Situation so: „I saw that when we were using small cameras, we had tremendous flexibility, we could do anything we wanted and get a wonderful sense of cinema. The moment we had to shoot dialogue, lip-sync, everything had to be locked down, and the whole nature of the film changed. The whole thing seemed to stop.“16

Dokumentarfilm entwickelte sich nun in eine ganz andere Richtung. In Deutschland etablierte sich bald eine eigene lehrreiche Variante des dokumentarischen Films, der „Kulturfilm“, ein populärwissenschaftliches Genre, das unterschiedliche Themen wie Medizin, Reisen oder Natur behandelte und dessen Ergebnisse im Beiprogramm des Kinos vorgeführt wurden.

In den 1930er- und -40er-Jahren kamen mit der Wochenschau erstmals aktuelle Nachrichten in die Kinos, wobei die Kameraleute mit ihrem schweren Equipment kaum jemals zeitgerecht am Ort des Geschehens sein konnten und die Wirklichkeit deshalb meist nachinszeniert hatte werden müssen.

In den folgenden Jahren nahm die Inszenierung weiter zu, Situationen wurden oft alleine ihrer Verfilmung willen geschaffen. Der Dokumentar- wurde zum Propagandafilm und dessen prominenteste Vertreterin ist bis heute Leni Riefenstahl mit Triumph des Willens (1934) und Olympia (1938). Für diese Filme wurden außergewöhnlich große Teams sowie die allerneueste damals verfügbare Aufnahmetechnik eingesetzt: 170 MitarbeiterInnen, bewegte Kameras, Teleobjektive, Unterwasserkameras, Schienenkameras und Luftaufnahmen standen zur Verfügung und das Verhältnis von Film und Realität erhielt endgültig eine neue Bedeutung: „In ‚Triumph des Willens‘ ist das Dokument (das Bild) nicht nur die Aufzeichnung der Realität, sondern ein Grund, warum die Realität hergestellt wird;...

Erscheint lt. Verlag 16.9.2015
Reihe/Serie Praxis Film
Praxis Film
Verlagsort Köln
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Malerei / Plastik
Schlagworte Computerspiel • Crossmedia • Doku • Dokumentarfilm • Dokumentation • Dramaturgie • Film • Filmisches Erzählen • Finanzierung • Format • Game • hybride Formate • Infotainment • Interaktion • Interaktive Dramaturgie • interaktive Erzählform • interaktive Genre • Internetdokumentation • Jouralistische Darstellungsform • Journalismus • Multimedia • Nonlinear • nonlineare Erzählform • Produktion • Reportage • Storytelling • Verwertung • Webdoku • Web-Dokumentarfilm • Webdokumentation
ISBN-10 3-7445-0866-8 / 3744508668
ISBN-13 978-3-7445-0866-7 / 9783744508667
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