Wann darf ich klatschen? (eBook)

Ein Wegweiser für Konzertgänger

(Autor)

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2009 | 1. Auflage
256 Seiten
Rowohlt Verlag GmbH
978-3-644-00471-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wann darf ich klatschen? -  Daniel Hope
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Klassische Musik mögen viele. Aber gerade dort, wo man sie in ihrer ganzen Schönheit «live» und authentisch erleben kann, im Konzertsaal, fühlen sich manche fremd und unbehaglich. Das liegt nicht zuletzt an überkommenen Traditionen und Ritualen, die sich dem Laien nur schwer erschließen. Der Stargeiger Daniel Hope begegnet bei seinen Konzerten immer wieder vielen Fragen: Warum werden die Instrumente nach dem Oboen-Ton gestimmt? Wieso gibt der Dirigent zu Beginn nur dem Konzertmeister die Hand? Weshalb wird mal mit, mal ohne Noten gespielt? Woher kommt der Frack als Dienstkleidung der Orchester? Was macht der Geiger, wenn ihm eine Saite reißt? Und wer hat eigentlich bestimmt, dass man zwischen den Sätzen einer Sinfonie nicht klatschen darf? Dies sind nur einige der Fragen, auf die das Buch Antworten gibt. Daniel Hope lädt ein zu einem vergnüglichen und lehrreichen Ausflug hinter die Kulissen des Konzertbetriebs.

Der Geigenvirtuose Daniel Hope wurde 1974 in Durban/Südafrika geboren und ist in London aufgewachsen. Er nahm Unterricht unter anderem bei Yehudi Menuhin. Von 2002 bis 2008 war er Mitglied des Beaux Arts Trios. Ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen, darunter mehrfach mit dem Klassik-Echo.

Der Geigenvirtuose Daniel Hope wurde 1974 in Durban/Südafrika geboren und ist in London aufgewachsen. Er nahm Unterricht unter anderem bei Yehudi Menuhin. Von 2002 bis 2008 war er Mitglied des Beaux Arts Trios. Ausgezeichnet mit zahlreichen Preisen, darunter mehrfach mit dem Klassik-Echo. Wolfgang Knauer, Jahrgang 1942, hat über vierzig Jahre als Redakteur und Moderator im Rundfunk gearbeitet und war zuletzt Chef des Kulturprogramms im NDR-Hörfunk. Er starb im Januar 2018.

RICH PEOPLE’S MUSIC?


«Musik zu hören ist zweifellos eine der

extravagantesten Arten, sein Geld auszugeben.»

Mauricio Kagel, Komponist

Vor einiger Zeit war ich zu einem kurzen Gastspiel in San Francisco, und der Terminplan war sehr eng. Ein paar Stunden nach der Ankunft die ersten Proben, zwei Tage später das Konzert und am Morgen danach schon wieder die Abreise. Als ich aus dem Hotel kam, war mein Gepäck bereits im Taxi verstaut. Bis auf die Geige. Sie trug ich wie immer über meiner Schulter. Seit ich sie mitsamt Geigenkasten vor Jahren mal in einem Restaurant vergessen und vor Schreck fast einen Herzinfarkt erlitten hatte, lasse ich sie keine Sekunde mehr aus den Augen. Nicht auszudenken, wenn ich sie damals nicht wiedergefunden hätte! Eine Januarius-Gagliano-Violine von 1769. Fünfzehn Jahre habe ich daran abbezahlt.

Dem Taxifahrer, etwa in meinem Alter, fiel sie sofort auf. Nachdem ich eingestiegen und er losgefahren war, rief er, um die Popmusik aus dem Radio zu übertönen, nach hinten: «In welcher Band spielen Sie?» Anscheinend hielt er mich für einen Pop-Musiker. Erst wollte ich so tun, als hätte ich die Frage nicht gehört. Ich war hundemüde, hatte kaum geschlafen, weil es nach dem Konzert einen Empfang und anschließend noch eine wilde Party gab, und hatte nicht die geringste Lust, mich zu unterhalten.

Aber ich wollte nicht unfreundlich wirken. «In keiner Band», klärte ich ihn auf, «ich spiele klassische Musik.» Er verdrehte die Augen und schaltete sofort das Radio aus. Dabei beobachtete ich ihn im Rückspiegel und sah, dass sein Ausdruck etwas ironisch wurde: «Aha, I see. Rich People’s Music!»

Ich weiß nicht, wieso, aber die Bemerkung ärgerte mich. Wieder eines dieser üblichen Vorurteile. Wahrscheinlich sagt er gleich auch noch, dass Klassik unmodern und muffig ist, dachte ich. Sollte ich eine Diskussion anfangen? Eigentlich nicht. Aber da fiel mir die Idee mit dem Buch ein, für das ich immer noch Stoff sammelte. Vielleicht würde sich ja etwas Brauchbares ergeben. Also gab ich mir einen Ruck, beugte mich nach vorn, und schon waren wir mitten im Gespräch.

Larry, so hieß der Taxifahrer, hatte seine festgefügten Ansichten, über die Kirche, die Wall Street und über Obama, aber auch über Musik, und er vertrat sie wortreich und ziemlich intelligent. Er hatte ursprünglich Anwalt werden wollen, sein Studium aber an den Nagel gehängt, als sein Vater starb und er als Ältester für die Familie sorgen musste. Als Kind, erzählte er stolz, hatte er für kurze Zeit Klavierstunden, konnte sogar mit einiger Mühe das Albumblatt «Für Elise» spielen. Aber dann reichte das Geld nicht mehr für den Unterricht, und seitdem hatte er mit Beethoven und Klassik nicht mehr viel im Sinn, höchstens dass er gelegentlich im Auto den örtlichen Klassiksender einschaltete oder zu Hause eine von den alten Opernplatten auflegte, die ihm sein Dad hinterlassen hatte. In Konzerte ging er nie, viel zu teuer, nicht seine Gehaltsklasse. Die Musik der Reichen eben.

Wenn ich an die gesalzenen Preise dachte, die man in Amerika und auch anderswo für Konzert- und Opernkarten bezahlen muss, konnte ich kaum widersprechen. Zumindest wenn die großen Stars auftreten, sind Tickets für Normalverdiener kaum noch erschwinglich.

ES GIBT DOCH ALLES AUF CD

Aber Larry fand das nicht weiter schlimm. Arm und Reich gab es ja immer, in Amerika sowieso. Wenn man unbedingt Mozart oder Beethoven oder sonst wen hören will, meinte er, legt man einfach eine CD auf oder lädt sich Aufnahmen aus dem Netz herunter. Man spart nicht nur einen Haufen Geld, sondern kann auch noch zu Hause bleiben und es sich mit einem Bier auf dem Sofa bequem machen, während man sich sein Lieblingsstück reinzieht. Genauso wie bei einer Baseball-Übertragung im Fernsehen. Wozu da noch Konzerte?

«Weil das Konzert live ist und die CD nicht!» Ich erschrak fast selbst über die Vehemenz, mit der ich das sagte. Aber ich kann mich immer wieder aufregen, wenn Leute sagen, die CD sei doch genau das Gleiche wie ein Konzert und genauso live. Sie können das nur behaupten, weil sie nicht kapiert haben, wie Schallplatten gemacht werden. Da wird erst einmal zwei, drei oder mehr Tage lang aufgenommen und hinterher so lange geschnitten, bis alle Patzer und Unebenheiten beseitigt sind und die gelungensten Passagen übrig bleiben.

«Wie bitte? Das ist doch Betrug!», meinte Larry.

In gewisser Weise schon, gab ich ihm recht. Selbst da, wo «live» draufsteht, wird mehr als nur ein bisschen nachgeholfen: Entweder werden mehrere Aufnahmen zusammengeschnitten oder von einzelnen Stellen, die nicht hundertprozentig geklappt haben, Korrekturaufnahmen gemacht, die man nachträglich einfügt.

Larry fand, das sei ja noch größerer Betrug. Aber ich hielt ihm entgegen, dass es ihn mit Sicherheit viel mehr stören würde, wenn er auf einer CD immer wieder denselben Horn-Kiekser oder schiefen Geigenton hören müsste, nur weil man sich den Schnitt gespart hat. Und außerdem erinnerte ich ihn daran, dass es beim Film genauso gemacht wird: Auch der wird ja nicht in einem Rutsch, sondern in endlos vielen Einzel-Takes gedreht, und die werden anschließend in mühevoller Kleinarbeit so zusammengesetzt, wie der Regisseur oder, häufiger noch, das Studio es haben will.

Und im Übrigen – wo wäre die Musik denn heute ohne Schallplatte? Dass sie sich so über die Welt ausgebreitet und so viele Menschen erreicht hat, wäre doch ohne diese grandiose Erfindung nie und nimmer möglich gewesen. Mittlerweile kann man fast alles, was je komponiert wurde, auf Platte oder CD hören, obendrein in ungezählten verschiedenen Versionen. Ein Riesenfortschritt! Wer sich in früheren Jahrhunderten für Musik interessierte, musste versuchen, Noten aufzutreiben, vorausgesetzt, er wusste überhaupt von der Existenz eines Stücks und kannte sich aus mit der Notenschrift.

Und hören konnte man Musik nur, wenn man sie sich entweder selber spielte oder ins Konzert ging, was allerdings lange Zeit einzig und allein den hohen Herrschaften des Adels vorbehalten war. Bis in die Beethoven-Zeit waren Konzerte, abgesehen von der Musik in Kirchen, fest in aristokratischer Hand, und erst danach entwickelte sich allmählich ein bürgerliches Musikleben.

Also nichts gegen die Schallplatte, meinte Larry; sie hat uns die Demokratisierung der Musik gebracht. Ich gab ihm recht. Und uns Musikern hat sie außerdem ungeahnte Möglichkeiten eröffnet. Nicht etwa nur als zusätzliche Einnahmequelle, sondern auch zur Steigerung des Bekanntheitsgrades und zur Dokumentation der eigenen Karriere. Und dann noch etwas: Dank der Schallplatte konnten sich die Musiker zum ersten Mal selbst hören. Eine Revolution! Die Geiger zum Beispiel kannten die Klänge, die sie produzierten, ja nur aus der unmittelbaren Nähe zu ihrem Instrument. Wie sich ihr Spiel aus der Distanz anhörte, wussten sie nicht. Jetzt plötzlich konnten sie sich gleichsam mitten ins Publikum setzen und selbstkritisch überprüfen, wie ihr Spiel klang. Die Wirkung muss ungeheuer gewesen sein, noch weit stärker als der Effekt, den jeder Laie kennt, wenn er zum ersten Mal seine eigene Stimme vom Tonband hört. Der berühmte Geiger Joseph Joachim soll vor Überwältigung sogar geweint haben, als man ihm eine Aufnahme von sich selber vorspielte. Inzwischen ist die Tonaufzeichnung als Mittel zur eigenen Kontrolle der Spieltechnik unverzichtbar geworden.

MOMENTAUFNAHMEN FÜR DIE EWIGKEIT

Allerdings gibt es auch eine Kehrseite: Wenn man die CD einspielt, entspricht sie dem, was man zu diesem Zeitpunkt für das Optimum hält. So und nicht anders, denkt man, wenn man die ziemlich anstrengende Aufnahmeprozedur hinter sich hat, und ist zufrieden mit sich und seiner Arbeit. Wenn die CD dann aber nach ein paar Monaten auf den Markt kommt, kann es schon wieder ganz anders sein. Da findet man unter Umständen, dass man diese oder jene Passage doch lieber anders gespielt hätte, hier ein anderer Akzent oder dort ein schnelleres Tempo besser gewesen wäre.

Das liegt daran, dass die Auffassung von einem Stück nie gleich bleibt, sondern sich immer weiterentwickelt, sich ständig ändert, nicht gravierend und schon gar nicht radikal und grundsätzlich, aber doch in Nuancen. Der Dirigent Simon Rattle hat mal gesagt: «Aufnahmen sind wie Kinder. Man freut sich riesig über sie, freut sich aber noch mehr, wenn sie wachsen.» Heute spiele ich ein Stück so, morgen schon wieder anders. Jede Aufführung ist neu. Weil auch die Umstände, unter denen sie stattfindet, immer neu sind. Viele Faktoren kommen da zusammen, die Atmosphäre, die Stimmung im Publikum, meine Tagesform, die Intuition des Augenblicks, vielleicht auch neue Einsichten und Erkenntnisse.

Die CD kann aber nur eine einzige Version festhalten, sie ist eine Momentaufnahme, und wer sie noch im Ohr hat, während er dasselbe Stück in einem Live-Konzert hört, stellt die Unterschiede fest, vergleicht und wundert sich womöglich. Und dann kommt die Frage: «Warum haben Sie das Stück heute anders gespielt als auf Ihrer Platte?» Genau begründen lässt es sich nicht. Es ist halt das Wesen des Live-Konzerts, dass es die Musik immer wieder neu entstehen lässt. Und nie ist das Ergebnis so wie vorher oder nachher. Eben weil die Bedingungen nie identisch sind. Andere Zuhörer, andere Säle, andere Begleitumstände, und wie sie sich auswirken, kann niemand voraussagen, man merkt es erst während des Konzerts selbst.

Nur eines steht fest: Das wahre Musikerlebnis hat man erst, wenn man unmittelbar dabei ist, wenn man hört und sieht, wie geschriebene Noten plötzlich zum Leben erweckt werden, wenn Melodien aufsteigen und sich ein riesiger Raum mit Klängen füllt, wenn man von der...

Erscheint lt. Verlag 5.10.2009
Co-Autor Wolfgang Knauer
Illustrationen Christina Thrän
Zusatzinfo MIt 11 s/w Zeichn.
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kunst / Musik / Theater Musik Klassik / Oper / Musical
Schlagworte Dirigent • Humor • Klassik • Klassikwissen • Klassische Musik • Knigge • Konzerte • Konzertführer • Kulturetikette • Musikführer • Musikgeschichte • Musikkultur • Oper • Orchester • Ratgeber • Solist • Violinist
ISBN-10 3-644-00471-4 / 3644004714
ISBN-13 978-3-644-00471-9 / 9783644004719
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