Die Muschelmagier (eBook)

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2024 | 1. Auflage
330 Seiten
Drachenmond Verlag
978-3-95991-678-3 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Die Muschelmagier -  Kai Meyer
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Eine Nebelwand schützt Aelenium vor den Blicken der Welt. Die schwimmende Stadt ist Wächter des gefährlichen Mahlstroms, der in den Tiefen der Karibik lauert. Aber Aelenium hat versagt. Während hinter dem Horizont der Mahlstrom die See verschlingt, ruht die letzte Hoffnung auf den Wellenläufern. Jolly und Munk werden in den Korallenpalästen der Stadt auf den Kampf gegen den Mahlstrom vorbereitet. Doch Jolly sehnt sich zurück nach ihrem Leben als Piratin. Als Klabauterheere vor Aelenium aufmarschieren, beginnt eine abenteuerliche Flucht: Über magische Brücken und dunkle Meere, durch wilde Dschungel und auf verlassene Inseln führt ihre Reise. Erst als Munk sie vor eine Entscheidung stellt, erkennt Jolly in ihm ihren gefährlichsten Gegner: Der Kampf um die Magie der Muscheln beginnt. Der zweite Band der Wellenläufer-Trilogie Band 1: Die Wellenläufer Band 2: Die Muschelmagier Band 3: Die Wasserweber

Kai Meyer hat rund siebzig Romane veröffentlicht, Übersetzungen erscheinen in dreißig Sprachen. Seine Geschichten wurden als Film, Hörspiel und Graphic Novel adaptiert und mit Preisen im In- und Ausland ausgezeichnet.

Kai Meyer hat rund siebzig Romane veröffentlicht, Übersetzungen erscheinen in dreißig Sprachen. Seine Geschichten wurden als Film, Hörspiel und Graphic Novel adaptiert und mit Preisen im In- und Ausland ausgezeichnet.

Brücke aus Feuer


Jolly fühlte sich, als hätte man sie an den Füßen gepackt und auf den Kopf gestellt. Sie fand kaum noch Halt an dem Holzgitter der Brücke. Ihr Körper bebte und schwankte, und ihr Verstand schien sich in einem verwirrenden Nichts zu verlieren.

Griffin hielt ihre Hand (oder hielt sie die seine?), aber die Finger fühlten sich kalt an, als sauge die Leere über dem endlosen schwarzen Ozean ihnen alle Kraft aus, um damit seine eigenen, schauderhaften Wesenheiten zu beleben.

Blitze zuckten in der Ferne über dem schäumenden Wasser, über einem Horizont, der auf absurde Weise viel weiter entfernt zu sein schien als jener in ihrer Welt. Vielleicht war die Welt des Mare Tenebrosum nicht gebogen wie ihre eigene, oder aber hier war einfach alles gewaltiger. Die Entfernungen, die Dunkelheit, die Wellenberge. Die Lebewesen.

Jolly und Griffin standen immer noch da, unfähig, sich zu rühren. Und wohin sollten sie auch gehen? Die Brücke führte etwa dreißig Schritt weit abwärts, dann verschwand sie in den tranigen Wogen des Mare Tenebrosum, umspült von schwarzer Gischt und umrundet von riesenhaften Schatten, die in engen Kreisen um den Fuß des Bauwerks glitten. Manchmal kam es Jolly so vor, als hörte sie zorniges Gebrüll, lang gezogen und dumpf, als würden unter der Oberfläche Rufe und Schreie ausgestoßen. Dabei war der Lärm der Wellen selbst schon ohrenbetäubend. Und erst der Wind, der um das hölzerne Gitter fegte – er seufzte und kreischte, und manchmal schien er auch zu flüstern: Worte in fremden Sprachen, kalt und abscheulich.

Es roch nach fauligem Seetang und Algen, durchmischt mit dem Gestank toter Fische. Aber da war noch ein anderer Geruch, etwas, das Jolly nicht auf Anhieb erkennen konnte.

»Vanille«, sagte Griffin, als hätte er gespürt, was ihr durch den Kopf ging. Vielleicht hatte sie ihren Gedanken auch laut ausgesprochen, ohne es zu bemerken. »Es riecht nach Vanille.«

Sie nickte stumm, weil sie Angst hatte, ihre Stimme könne ebenso kläglich klingen wie seine. Das Süßliche inmitten all dieser scheußlichen Ausdünstungen machte den Geruch noch unerträglicher. Es erinnerte sie an die Möglichkeit von etwas Schönerem, Besserem, das an diesem Ort auf einen Schlag unerreichbar geworden war.

»Wir können nicht weitergehen«, brachte Griffin hervor. Jedes Wort kam nur mit Mühe über seine Lippen, behäbig wie Schnecken, die aus seiner Kehle emporkrochen.

Immer noch war hinter ihnen keiner der Klabauter aufgetaucht. Die Brücke war leer, ein endloser Bogen, der sich irgendwo in der Schwärze auflöste. Aber jedes Mal, wenn dort hinten Blitze zuckten, sahen sie, dass die Brücke sich tatsächlich in die Unendlichkeit fortsetzte, dünn wie ein Faden, dünn wie das feinste Haar, aber doch noch zu erkennen, so als wären alle Regeln der Sichtweite aufgehoben. Der Blick reichte in dieser Welt ins Endlose. Reichte er auch hinaus in die Zeit, in die Vergangenheit und Zukunft? War das Mare Tenebrosum tatsächlich ein Urozean am Anbeginn der Zeiten und zugleich jener Zustand, zu dem alles irgendwann zurückkehren würde?

Sie standen da und überlegten, was sie tun sollten, hielten sich dabei fest an den Händen, verstört, verwundert, überwältigt von der schieren Andersartigkeit dieses tiefschwarzen Ozeans. Standen noch da und fanden sich mit ihrem Ende ab –

– als die Brücke vor ihnen Feuer fing.

Flammen schossen zwischen den Balken empor. Die plötzliche Helligkeit schmerzte in ihren Augen. Eine Hitzewelle fauchte über sie hinweg.

Die dunkle Gischt am Fuß der Holzkonstruktion wich zurück wie ein Lebewesen und formte einen Krater aus Wasser. Zugleich ertönte ein Kreischen aus den Tiefen der See, nicht mehr von den unsichtbaren Wesen dort unten, nicht einmal von den geheimnisvollen Meistern dieser Welt, sondern vom Mare Tenebrosum selbst. Turmhohe Fontänen spritzten in die Luft, merkwürdig langsam, als erstarrten sie in der Zeit, bildeten wundersame Muster in der Schwärze und sackten dann schwerfällig in sich zusammen. Einmal sah die Gischt fast so aus wie ein riesenhaftes Maul, mit Fangzähnen aus Wasser, das sich rund um die Brücke öffnete und dann in sich zusammensackte.

Währenddessen schlugen die Flammen am Fuß der Brücke immer höher, krochen auf den Planken entlang wie glühende Ameisenschwärme, verzehrten in Windeseile die fremdartigen Fasern des Holzes – Holz, von dem Jolly jetzt annahm, dass es von Pflanzen aus den Tiefen dieses Ozeans stammte, fremdartigen Gewächsen, die an Orten gediehen, die leer und kalt und dunkel waren wie der Schlund zwischen den Sternen. Agostini musste sein Material von den Meistern des Mare Tenebrosum erhalten haben, um sein Vorhaben, nein, ihr Vorhaben zu verwirklichen.

Eine Brücke zwischen den Welten, viel kleiner als der Mahlstrom, der ebenfalls die Barriere durchbrechen sollte, dafür aber unauffälliger. Das perfekte Nadelöhr für jene Wesen, die die Herrschaft des Mahlstroms vorbereiten sollten.

Gab es noch mehr solcher Tore an abgeschiedenen Orten der Karibik? Vielleicht sogar auf der ganzen Welt?

Jolly blieb keine Zeit, den Gedanken weiterzuspinnen. Sie wurde von Griffin nach hinten gerissen. Während sie wie betäubt in die Flammen starrte, war das Feuer näher gekommen. Griffin zog sie mit sich, und dann sprangen und rannten sie in die Richtung, aus der sie gekommen waren, dem unsichtbaren Übergang zwischen dieser und ihrer eigenen Welt entgegen.

Die Dunkelheit wich zurück, die Umgebung verschob sich, und einmal mehr durchfuhr Jolly der Gedanke, dass sie sich vielleicht auch in der Zeit bewegten, dass sie zurückkehrten vom Anbeginn der Äonen in ihre eigene, kurze, eng begrenzte Lebensspanne.

Die Brücke vor ihnen verkürzte sich, zog sich zusammen zu ihren ursprünglichen Ausmaßen. Aus der Vielfalt der Bilder und Farben und Klänge schälten sich die Körper der Klabauter, die hektisch zwischen den Streben des Holzgitters umhersprangen. Doch die Kreaturen beachteten die beiden nicht, die da vor ihnen aus dem Nebel der Zeiten und Welten wiederkehrten. Feuer war ihr natürlicher Feind, der Feind des Elements, in dem sie geboren wurden.

Auch auf dieser Seite des Übergangs loderte die Brücke lichterloh. Der schwarze Qualm der Flammen verdunkelte den Himmel, sodass der Wechsel zwischen den beiden Welten beinahe nicht zu bemerken war. Der Rauch biss in Jollys Lunge, sie hustete. Zugleich traf sie die Hitze wie ein Schlag, und sie hatte das Gefühl, dass sich ihre Haarspitzen kräuselten und ihre Augenbrauen verglühten.

Die Flammen waren überall – hinter ihnen, vor ihnen, sogar zu beiden Seiten, wo sie auf dem Geländer tanzten wie eine Heerschar glosender Feuerteufel.

Auch Agostini war noch da. Er stand inmitten der Flammen, als könnten sie ihm nichts anhaben. Seine Kleidung brannte, und die Krempe seines Hutes loderte um seinen Schädel wie ein grotesker Heiligenschein.

Trotzdem verzog er nicht einmal das Gesicht.

Oder das, was von seinem Gesicht geblieben war.

»Ein Gestaltwandler«, entfuhr es Griffin mit einer Selbstverständlichkeit, als hätte er täglich mit solchen Kreaturen zu tun. »Ein Wyvern!«

Jolly gelang es, für eine Sekunde ihren Blick von dem, was einmal Agostini gewesen war, abzuwenden und Griffin fassungslos anzusehen. »Ein … was?«

»Ein Wyvern. Ich hab von ihnen gehört. In den Häfen erzählen sich die –«

Ein Aufschrei unterbrach ihn. Agostinis Schädel kreiste auf seinem Hals, der brennende Hut glitt herunter und verschwand in der Flammenwand. Der Kopf des Baumeisters hatte keine menschlichen Züge mehr, nicht einmal menschliche Größe –pumpend wuchs er auf den doppelten Umfang an, ein lang gezogenes Oval aus wimmelnden Punkten, die Jolly mit Schrecken an den lebenden Gischtschaum des Mare Tenebrosum erinnerten. Und in der Tat bestand Agostinis Körper jetzt aus winzigen Krebsen, keiner größer als Jollys kleinster Fingernagel. Sie wogten durcheinander, bildeten Zerrbilder von menschlichen Gliedmaßen, gaben dann aber auch diese Erinnerung an ihren alten Körper auf und glitten schließlich als vielarmiger Krake aus Agostinis brennenden Kleiderfetzen.

Jolly glaubte erst, die Kreatur – oder der Schwarm von Kreaturen – werde sich auf sie und Griffin stürzen, doch die Fangarme des Wesens zuckten in der Luft vor und zurück. Etwas schien es zu alarmieren, denn schlagartig sackte es in sich zusammen und ergoss sich durch die Öffnungen in der Brücke in die Tiefe.

Jolly blieb keine Zeit, über das nachzudenken, was mit Agostini geschehen war. Das Feuer hatte sie jetzt nahezu eingekesselt. Brennende Klabauter setzten mit panischen Sprüngen über das Geländer, durchbrachen Flammenwände und spritzten wie heißes Fett auseinander, bis Jolly und Griffin allein auf der Brücke waren.

»Zurück zur Vulkaninsel!«, rief Jolly halbherzig, um nicht untätig dazustehen, bis das Feuer sie erreichte.

Ihr war klar, wie schlecht ihre Chancen standen: Der Weg an Land war durch ein Flammenmeer versperrt, und auch die andere Richtung ins Mare Tenebrosum war durch die fauchende Feuersbrunst abgeschnitten. Ohnehin wollte sie lieber verbrennen, als noch einmal dorthin zurückzugehen oder auch nur einen Blick in diese Welt des Schreckens zu werfen.

Sie liefen los, vorbei an...

Erscheint lt. Verlag 31.10.2024
Reihe/Serie Wellenläufer
Mitarbeit Cover Design: Christin Thomas
Verlagsort Hürth
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Kampf • Klabauter • Magie • Meer • Ozean • Wellenläufer
ISBN-10 3-95991-678-7 / 3959916787
ISBN-13 978-3-95991-678-3 / 9783959916783
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