Das Rätsel von Ainsley Castle (eBook)

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2024 | 1. Auflage
320 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0849-1 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Das Rätsel von Ainsley Castle -  Holly-Jane Rahlens
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Dass Lizzy mit ihrem Vater unbedingt an die Ku?ste ins Hotel Ainsley Castle ziehen musste, gefällt ihr ganz und gar nicht. Noch viel weniger gefällt Lizzy allerdings ihre neue Stiefmutter, die ständig etwas an ihr auszusetzen hat. Eines Tages erhält sie unheimliche E-Mails: Irgendjemand scheint ganz genau zu wissen, wie es Lizzy geht, was sie tut und - was sie denkt! Wer ist diese Person? Als dann noch ein Mädchen namens Betty auftaucht, das Lizzy bis aufs Haar gleicht, ist klar, dass etwas ganz und gar nicht normal ist. Gemeinsam mit ihrem Freund Mack versuchen die beiden Mädchen, hinter das Rätsel von Ainsley Castle zu kommen.

Holly-Jane Rahlens kam Anfang der 70er-Jahre aus ihrer Heimatstadt New York nach Berlin. Mit Funkerzählungen, Hörspielen und Solo-Bühnenshows machte sie sich dort in den 80ern und 90ern einen Namen. Außerdem arbeitete sie als Journalistin, Radiomoderatorin und Fernsehautorin, bis sie sich ganz dem Schreiben widmete.

Holly-Jane Rahlens kam Anfang der 70er-Jahre aus ihrer Heimatstadt New York nach Berlin. Mit Funkerzählungen, Hörspielen und Solo-Bühnenshows machte sie sich dort in den 80ern und 90ern einen Namen. Außerdem arbeitete sie als Journalistin, Radiomoderatorin und Fernsehautorin, bis sie sich ganz dem Schreiben widmete. Bettina Münch, Übersetzerin, Lektorin und Autorin, wurde 1962 geboren. Sie studierte Germanistik, Anglistik und Pädagogik in Marburg/Lahn.

1. Kapitel Stiefmutter


Tief in der Nacht reißt mich ein Geräusch aus dem Schlaf.

Erschrocken liege ich im Bett, so still wie möglich, halte die Luft an, lausche, versuche, im Dunkeln zu sehen.

Schwaches Mondlicht scheint ins Zimmer. Nebelschwaden wabern geisterhaft durch das offene Erkerfenster. Sie formen sich, verwandeln sich in Vögel, Geier, die über mir schweben. Sie lauern darauf, dass ich endlich wieder einschlafe, damit sie –

Eine Holzdiele knarrt.

Jemand ist im Zimmer.

Lauf weg!, denke ich. Jetzt! Sofort!

Doch ich bin zu langsam. Lange, knochige Finger, zehn rasiermesserscharf manikürte Nägel, ochsenblutrot lackierte Stahlklingen greifen nach meiner Kehle.

Es ist Stiefmutter.

 

Ich reiße die Augen auf.

Mein Zimmer ist in blasses Morgenrot getaucht.

Ich höre jemanden atmen. Schnell. Flach.

Das bin ich selbst, wird mir klar.

Ich hebe den Kopf und schaue mich um. Mein Zimmer dreht sich. Gleich wird mir schlecht. Ich greife nach dem Bettrahmen und halte mich fest, dann falle ich wieder ins Kissen.

Sie ist immer noch hier. Stiefmutter. Irgendwo. Ich weiß es. Ich spüre es. Sie wartet auf mich in den Schatten hinter meinen Augen. Ich kneife die Lider zusammen und treibe sie zurück in die Nacht.

Ihre roten Fingernägel sind das Letzte, was ich sehe. Sie flackern wie zehn Flammen. Dann verlöschen sie. Eine nach der anderen.

 

Jetzt ist sie fort.

Ich bin wach.

Und in Sicherheit – hoffe ich.

Diesen Traum habe ich schon häufiger gehabt.

Und dann, wenn ich wach werde, das rotierende Zimmer.

Beim ersten Mal vor ein paar Wochen habe ich Dad von dem Schwindelanfall erzählt. Da lebten wir noch in der Stadt. Er besorgte mir einen Termin bei der Kinderärztin.

«Dad», habe ich gesagt. «Ich bin fast vierzehn. Ich bin zu alt für eine Kinderärztin.»

Er bestand trotzdem darauf, dass ich hinging. Was ich verstehe. Schließlich liebt er mich.

Und weil ich ihn liebe, bin ich hingegangen.

Die Kinderärztin konnte nichts finden, deshalb überwies sie mich zu einem Ohrenspezialisten, der ein Gleichgewichtsproblem vermutete. Er saugte mir das Wachs aus den Ohren, was kitzelte. Dann empfahl er mir eine Neurologin, die mir ein paar Übungen gegen Schwindelanfälle zeigte.

Ich machte die Übungen ein paar Mal. Aber sie sind nervig. Also ließ ich es sein.

Die Schwindelanfälle kamen wieder.

Aber ich erzähle es Dad nicht mehr.

 

Das Zimmer dreht sich immer noch. Ich würde gern weiterschlafen, aber der Traum hat mich zu sehr aufgewühlt.

Es ist nach neun. Normalerweise höre ich Dad um diese Zeit ein Morgenlied summen oder pfeifen. Ich stelle ihn mir in seinem Arbeitszimmer nebenan vor, auf der anderen Seite des kleinen Badezimmers, das unsere Räume verbindet. Ich sehe den lackierten Kiefernholzboden vor mir, den eleganten Schreibtisch, seinen Laptop. Ein Babyfoto von mir schwebt wie eine in Bernstein gefangene Urzeit-Biene zwischen zwei Plexiglasscheiben.

Dad ist morgens immer früh auf den Beinen. Er joggt, frühstückt und sitzt längst vor seinem Computer, wenn ich aufwache. Meistens gesellt er sich für ein zweites Frühstück zu mir nach unten. Zusammen mit Stiefmutter. Sie bildet sich gern ein, dass wir eine Familie sind. Er hätte das gern. Ich kann mir nicht mal vorstellen, wie das gehen soll.

Formal gesehen, ist Stiefmutter gar nicht meine Stiefmutter – jedenfalls noch nicht. «Wir schauen mal, wie es für dich läuft», hatte Dad zu mir gesagt. «Sechs Monate zur Probe.»

Klar! Als würde er mir die Entscheidung überlassen, ob er heiraten wird oder nicht. Welcher klar denkende Mann würde das tun? Seit ihrer ersten Begegnung, seit der Sekunde, in der er mich aus der Stadt hierhergebracht hat, seit dem Augenblick, als ich dieses Haus betrat, hatte ich verloren.

Ich sollte ihm sagen, wie es mir damit geht.

Aber das tue ich nicht.

 

Ich habe keine Erinnerungen an meine Mutter. Da ist nur so ein Gefühl. Etwas Warmes, wie die Farbe Pfirsich … Etwas Süßes mit einer leicht herben Note, wie gezuckerte Schlagsahne mit Preiselbeeren.

Wäre ich doch nur älter gewesen, als sie starb. Dann hätte ich wenigstens Erinnerungen, eine Vorstellung von ihr, etwas Reales, an dem ich mich festhalten könnte.

Aber ich war erst drei.

«Sie hat dich sehr geliebt», sagt Dad immer. «Aber sie war von Dämonen getrieben.»

Er scheint diese Formulierung zu mögen, denn er verwendet sie immer wieder. «Sie hatte eine kranke Seele», sagt er. «Sie war von Dämonen getrieben.»

Dämonen. Was soll das heißen, von Dämonen getrieben?

 

Ich schleudere die Decke weg, schwinge die Beine über die Bettkante und stehe auf. Schon wird mir wieder schwindelig, und ich greife nach dem Bettpfosten. Vorsichtig gehe ich zum Fenster, das nach Osten hinausgeht.

Unser Umzug hat mich aus dem Gleichgewicht gebracht. Wird mir deshalb ständig schwindelig?

Ich vermisse mein altes Leben. Mein altes Zimmer, meine Klassenkameraden. Meine Freundin Maisie. Ich vermisse sogar Dr. Goodwin, meine Therapeutin.

Am offenen Fenster atme ich in tiefen Zügen die frische Luft ein.

Ich hasse diese Insel. Sie ist zu klein. Und dieses Haus, das zu groß ist und zu zugig. Es gibt so viele Türen. So viele Menschen. Überall Personal und Gäste.

Wir leben in einem Hotel am Rande des Meeres, ganz weit oben im Norden, dort, wo der dunkelste aller dunklen Himmel auf das Ende der Welt trifft.

Hotel Ainsley Castle ist seit einigen Wochen mein Zuhause. Es ist ein riesiges, vierstöckiges Steingebäude, ein Herrenhaus, um genau zu sein, oder besser noch: ein kleiner Palast mit Türmchen und Wendeltreppen und verborgenen Türen. Stiefmutter herrscht darüber wie eine Königin über ihr Reich.

Das Hotel ist auf reiche Leute ausgerichtet, die ihre Ruhe schätzen; auf wohlhabende Familien, die ihren Kindern mit der salzigen Luft etwas Gutes tun wollen; und auf den einen oder anderen Künstler, der nach Inspiration sucht. Laut Hotelbroschüre haben sie die Auswahl unter 102 Zimmern: Einzel- und Doppelzimmern sowie Suiten der Komfort-, Premium- und Luxusklasse. Worin sie sich unterscheiden, ist mir allerdings schleierhaft. Für mich klingt das alles gleich. Außerdem gibt es in allen Zimmern die gleichen großen, flauschigen Handtücher und die gleiche strahlend weiße Bettwäsche ‹aus hochwertiger ägyptischer Baumwolle›, wie Stiefmutter gern betont.

Manche Leute kommen zum Golfspielen ins Hotel Ainsley Castle. Andere wegen des Wellnessbereichs. Einige schätzen die Küche. Fast alle lieben das Meer. Nur wegen des Regens kommt keiner her. Doch genau den kriegen sie fast immer.

Nicht weit vom Hotel entfernt steht die uralte, halb verfallene Burg Ainsley Castle. Es heißt, dass der Geist einer jungen Frau darin herumspukt – ein Mädchen, das vor Jahrhunderten als Hexe angeklagt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde.

Dad meint, die Insel wäre magisch. Wenn ich ihn frage, in welcher Hinsicht, schaut er mich ganz ernst und geheimnisvoll an und sagt: «Das wirst du schon noch sehen.»

«Was meinst du damit?», lasse ich nicht locker. «Gibt es hier Feen oder Einhörner? Oder vielleicht Hexen?»

«Wenn ich dir verraten würde, warum sie magisch ist, würde es doch keinen Spaß machen, oder, Lizzy?», sagt mein Vater dann. «Du musst die Magie schon selbst entdecken. Halte einfach die Augen offen.»

Doch wenn ich mich umschaue, sehe ich bloß den kleinen Hafen, ein paar stinknormale Geschäfte – hauptsächlich Mini-Filialen irgendwelcher großer Ketten –, viele Schafe, ab und zu ein Pony; eine felsige Küste und überall Hügel – steile Hügel, flache Hügel, Hügel, die eigentlich Berge sind. Und eine nassgraue, windgepeitschte Landschaft, hier und da geschmückt mit kleinen, aber teuren Bed-and-Breakfast-Pensionen.

Was soll daran bitte magisch sein?

Das Hotel hat Stiefmutter von ihrem ersten Ehemann geerbt, der vor einigen Jahren gestorben ist. Deshalb führt sie den Laden jetzt, auch wenn sie zweimal im Monat nach Feierabend freiwillig als Krankenschwester arbeitet. Das war früher ihr Beruf, bevor sie geheiratet hat – das erste Mal. Dad ist stolz auf sie. «Sie besucht drei Fortbildungen im Jahr!», schwärmt er. Am liebsten würde er mir alles darüber erzählen, aber es interessiert mich nicht. Was weiß ich – vielleicht war sie sogar für den Tod ihres Mannes verantwortlich! Vielleicht wollte sie das Hotel für sich allein und hat ihm eine Giftspritze mit –

Ups. Besser nicht daran denken. Dad meint, ich hätte viel zu viel Phantasie.

Was vielleicht stimmt.

Dad ist Finanzberater. Er jongliert mit den Zahlen großer Unternehmen. Und sie bezahlen ihm viel Geld dafür. Manchmal denke ich, dass Stiefmutter ihn deshalb heiraten will. Wegen seines Vermögens. Als wären ihr die 102 Komfort-, Luxus- und Premiumzimmer mit Bettwäsche aus ägyptischer Baumwolle nicht genug.

Auf jeden Fall ist das Hotel der Grund für unseren Umzug. Dad kann überall arbeiten. Aber Stiefmutter braucht ihre Zimmer und ihre Suiten und ihren Bikini Beach, den Streifen Strand am Fuß der gewundenen Steintreppe, die vom Hotel zum Meer hinunterführt.

Ich bin die Einzige, die ihn Bikini Beach nennt. Natürlich ist das ironisch gemeint. Niemand, der halbwegs normal tickt, würde dort abhängen. Schon gar nicht in einem Bikini....

Erscheint lt. Verlag 1.6.2024
Übersetzer Bettina Münch
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Ainsley Castle • Autorin • Betty • Doppelgänger • Doppelgängerin • Hotel • Lizzy • Mac • Rätsel • Ruine • Schottland • Stiefmutter
ISBN-10 3-7336-0849-6 / 3733608496
ISBN-13 978-3-7336-0849-1 / 9783733608491
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