Der aus den Docks (eBook)

Abenteuer im Hafen
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2024 | 1. Auflage
192 Seiten
Fischer Sauerländer Verlag
978-3-7336-0703-6 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Der aus den Docks -  Mario Giordano
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Matthias und Alex retten einen Hund vor dem Ertrinken aus der Elbe. Das Geheimnis um den halbtoten Bullterrier reißt beide Jungen in den Sog lebensgefährlicher Abenteuer. Es geht um die Feindschaft zweier Brüder, um Liebe, Freundschaft, skurrile Typen in der Hafengegend und finstere Machenschaften in den Docks. Mario Giordano fasziniert seine Leser mit einer brillanten Milieuskizze, knallhart und zärtlich, die zugleich Krimi und Lovestory ist.

Mario Giordano wurde 1963 in München geboren, studierte Psychologie und Philosophie in Düsseldorf und lebt derzeit in Berlin. Seit 1992 schreibt er Kinder- und Jugendbücher, Romane, Kurzgeschichten, Hörspiele und Drehbücher. Seine Bücher wurden bereits mehrfach verfilmt.

Mario Giordano wurde 1963 in München geboren, studierte Psychologie und Philosophie in Düsseldorf und lebt derzeit in Berlin. Seit 1992 schreibt er Kinder- und Jugendbücher, Romane, Kurzgeschichten, Hörspiele und Drehbücher. Seine Bücher wurden bereits mehrfach verfilmt. Klaus Ensikat, geboren 1937 in Berlin, ist für seine Illustrationen mehrfach ausgezeichnet worden, unter anderem 1996 mit der »Hans-Christian-Andersen-Medaille« und 1997 mit dem Deutschen Jugendbuchpreis für sein Gesamtwerk. Er gilt als »ungekrönter König der deutschen Buchillustrationen«. Zuletzt erschien bei S. Fischer der von ihm illustrierte Band »Ein Land, genannt die DDR«.

Der aus den Docks


Immer wenn ich an Otto denke, denke ich auch an Alex. Und immer wenn ich an Alex denke, denke ich an Otto. Das ist so. Sie gehören zusammen, auch wenn sie jetzt beide tot sind. Und wenn ich an Otto und Alex denke, fällt mir alles wieder ein. Jeder Tag jenes Sommers, als ich schwimmen lernte. Der Sommer, in dem ich mit einem Schlag erwachsen wurde. Das ist alles lange her. Fünfzehn Jahre. Ich war damals dreizehn, als wir ihn fanden. Mit dreizehn wurde ich erwachsen.

Nierenversagen, sagte die Tierärztin. In den letzten Tagen torkelte Otto schon wie besoffen herum und stank aus dem Maul, als würde er inwendig verfaulen. Dr. Teerling gab ihm eine Spritze. Das Letzte, was wir für ihn tun konnten, der so viel für mich getan hatte. Mehr als jemals ein Mensch. Außer Alex, meine ich. Sechzehn sei unglaublich viel für einen Bullterrier, meinte die Ärztin. Ich weiß das. Ich hatte fünfzehn wunderbare Jahre mit Otto. Ich bin nicht unglücklich, nur traurig.

Vorgestern ist Otto gestorben, gestern habe ich ihn beerdigt und heute Morgen kamen die Erinnerungen. Alle. Ich frage mich, wo sie so lange steckten, doch vielleicht musste Otto erst tot sein, bevor ich mich an alles erinnern konnte.

Ich habe Rachma geschrieben, dass Otto gestorben ist. Postlagernd an die letzte Adresse, die ich von ihr habe. Ich bin fast sicher, sie weiß es schon! Rachma wusste immer, was los war. Mit Otto, mit Alex, mit Kai und mit mir. Sie nannte mich Thias. Aus ihrem Mund klang das ein bisschen wie der Name eines unglücklichen Heiligen.

Ich habe versucht zu schlafen, um die Erinnerung zu verscheuchen, aber es hilft nichts. Im Traum tritt alles nur noch deutlicher hervor. Also gut, wenn schon, dann richtig, an jede Einzelheit, an alles, was in jenem Sommer geschah. Es war die schönste Zeit meines Lebens. Ich werde alles aufschreiben, bis Rachma kommt. Ich bin sicher, dass sie kommt, wo auch immer sie jetzt steckt.

 

Dieser Sommer, als ich dreizehn war und schwimmen lernte, begann mit einem unauffälligen Frühling. Es regnete viel, nachdem der Winter uns die letzte Freude an Schnee gründlich ausgetrieben hatte. Acht Wochen war die Alster zugefroren – acht Wochen! Auf der Elbe türmten sich die Eisschollen im Hafenbecken zu dickem Packeis zusammen. Sogar die Eisbrecher kamen nicht mehr dagegen an. Eis überzog ganz Hamburg, die Schneeflocken schmolzen nicht mehr auf den Wangen, und die blonde Heike von nebenan, die jeden Abend im hautengen rosa Skianzug am Hans-Albers-Platz wartete, holte sich eine Lungenentzündung. Ich sehnte mich nach Löwenzahn und dem Geruch von Sonnencreme über den Stadtparkwiesen. Ich sehnte mich nach Sommer.

Es regnete auch an dem Maitag, als ich Alex zum ersten Mal sah. Ich meine, wirklich sah. Natürlich kannte ich ihn vom Schulhof. Jeder kannte ihn, aber nie hatte ich ihn richtig gesehen, vor diesem Maitag. Denn Alex konnte man eigentlich nur richtig sehen, wenn er sich bewegte, wenn er lief.

Es regnete, schiffte, kübelte aus allen Himmeln. Nicht so damenhaft feinfädig elegant, wie ich es mal in Düsseldorf erlebt habe, sondern so richtig satt, nach guter alter Hamburger Art. Eins a norddeutsches Sauwetter, sodass einem die Luft wegbleibt und man schon pures Wasser atmet. Ich hasste das. Regen war schlecht fürs Geschäft meines Vaters. Mein Vater hatte eine kleine Barkasse für Hafenrundfahrten, die Lütte Deern. Es war seine eigene, und es war alles, was wir besaßen. Die flachen Boote mit dem engen Ruderhaus legten von den St. Pauli Landungsbrücken ab, tuckerten durch den Gewürzduft aus den alten Kontoren der nahen Speicherstadt, überquerten die Elbe und kreuzten durch verschiedene Schleusen und Hafenbecken den großen Pötten hinterher, die immer einen besonderen Eindruck auf die Touristen machten. Bei schönem Wetter strömten die Menschen nur so vom Busparkplatz über die Kaibrücken in die Barkassen. Bei Regen machten immer nur die Cafés das Geschäft.

An diesem Maitag stand ich also an den Landungsbrücken und versuchte, ein paar Touristen, am besten leicht angetrunkene Kegelklubbrüder, in die Barkasse meines Vaters zu kriegen.

«Große Hafenrundfahrt mit Speicherstadt! Alle Wunder dieser Welt. Heute ausnahmsweise ohne Regenzuschlag. Der Käpt’n ist noch mit Störtebeker gefahren. Kommen Sie näher, lassen Sie ihr Geld hier, bevor wir Gewalt anwenden! Große Hafenrundfahrt!»

Ich hatte nichts Besseres zu tun. Außerdem verdiente ich auf den Touren manchmal was dazu und dudelte auf einer alten Ziehharmonika bekannte Shantys ab. Hamborger Veermaster rauf und runter. Wenn ich heute manchmal nicht schlafen kann, nehme ich mir das verstimmte alte Ungeheuer vor und quetsche und quäle gnadenlos mein ganzes Shanty-Programm von damals ab, bis wir beide vor Erschöpfung keuchen. La Paloma, ohe – einmal muss es vorbei sein!

Mein Vater war Nummer zwei in der Reihe. Vor uns machte Finke gerade seine Barkasse los, als ich das Geschrei hörte. Alex rannte oben von der U-Bahn-Station Baumwall runter die Straße lang. Selbst durch den Regenschleier erkannte ich ihn sofort an dem mühelosen Lauf, dem blassen Gesicht und den halblangen braunen Haaren, die gar nicht nass wirkten. So als sprühe der Regen respektvoll um ihn herum.

Niemand rannte so wie Alex. Ich meine, so perfekt. Den Jungen, der ihn verfolgte, konnte ich nicht genau erkennen. Alex rannte die Treppe zur Überseebrücke hinunter, übersprang drei Stufen auf einmal, sodass seine Turnschuhe laut auf den Beton patschten, und raste weiter. Er trug immer nur Turnschuhe. Nie diese schweren, ledernen Treter, wie sein Verfolger. Alex trug immer gut sitzende, bequeme Sachen. Nicht dieses überweite, dicke Zeug, das dem anderen Typ jetzt pitschnass um die Beine klatschte. Alex war klein, zierlich fast, wirkte aber nicht zerbrechlich. Er wog einfach wenig. Leichte Knochen, kein Fett, nur ein paar Sehnen und Muskeln, als sei alles an ihm auf perfekte Bewegung ausgerichtet, wie bei einem Geparden. Er lief im Zickzack, aber sein Verfolger erwischte ihn trotzdem und hielt ihn fest. Er war etwas größer, kräftiger vor allem. Sie schlugen sich, ziemlich heftig, wie es aussah, aber der andere glitt plötzlich aus, stürzte, und Alex rannte endlich weiter, auf die Landungsbrücken zu. Auf mich, und ich sah nichts anderes mehr in diesem Moment, als hätte der Regen jedes Geschehen und Treiben um mich herum verschluckt und nur Alex und seinen Verfolger zurückgelassen.

Es schien eine ernstere Sache zu sein. Das merkte ich am Gebrüll des Verfolgers und der Wut, mit der er Alex nachsetzte. Und plötzlich verstand ich überhaupt nicht mehr, was ablief. Ich erkannte nämlich Kai. Kein Zweifel, das war Kai! Die bürstenkurzen blonden Haare, die massige Gestalt, die rote Baseballjacke – Kai. Alex’ Bruder!

Und dann hörte ich Alex lachen. Er lachte! Das Lachen wehte ihm voraus wie ein Luftzug vor einer schweren Böe. Alex lachte, als sei die Hetzjagd durch den Regen ein Riesenspaß. Geschmeidig umlief er im Slalom die paar Passanten, die wie Pilze unter ihren Schirmen standen, und donnerte über eine der Holzbrücken auf die Anlegestelle. Sein Vorsprung reichte. Er konnte unten halten und sich umsehen.

Ich stand nicht weit entfernt, sah plötzlich die Bestürzung in seinen Augen, als er erkannte, dass er in eine Falle gelaufen war. Der kurze Landesteg mit den Fischbuden und Souvenirshops direkt am Wasser bot keinerlei weitere Fluchtmöglichkeit. Er hätte über eine der anderen Holzbrücken zurücklaufen können. Aber da konnte ihm Kai leicht den Weg abschneiden. In seinem Gesichtsausdruck lag keine Angst, nur Bestürzung. Wie über ein verlorenes Spiel. Hinter ihm donnerten schon die Stiefel seines Verfolgers über das Holz. Dann sah er mich. Mein Gott, an was ich mich plötzlich wieder erinnere! Zum Beispiel, dass seine Unterlippe blutete. Und daran, wie er mich in jenem Moment ansah. Als wären wir beide einmal Freunde gewesen, und ich hätte es nur vergessen. In diesem Blick lag Vorwurf! Dabei hatten wir nie ein Wort gewechselt. Ich las die Frage in seinen Augen, drehte mich kurz zu meinem Vater um, der gerade die Persenning nachzurrte, und nickte Alex zu. Im nächsten Moment war er an Bord, warf sich hinter die Bordwand, presste sich auf den nassen Boden unter die Sitzbänke und tat keinen Mucks. Ich blieb, wo ich war. Mein Vater wollte etwas rufen. Aber dann sah er Kai und verstand sofort. Mein Vater war Klasse. Wenn wir uns auch später oft bis zur Raserei angeschrien haben, wegen nichts, habe ich nie etwas anderes über ihn gedacht, als dass er ein verdammter Klassetyp ist.

Kai stürmte den Anleger und fahndete nach Alex. Mein Vater winkte mich aufs leere Boot, holte die Taue vom Poller und startete den Diesel. Als hätten wir eine Tour mit voll besetzten Bänken. Kai rannte in die Fischbuden und Andenkenläden, raste den kleinen Pier rauf und wieder zurück und glotzte in die Fenster der großen Elbfähren, während wir gemütlich ablegten. Schmute Lohmann, Nummer drei in der Reihe, rief etwas. Aber mein Vater machte ihm Zeichen, dass er eine Runde drehen wolle und Schmute nachrücken sollte. Schmute zeigte ihm einen Vogel. Kai merkte nichts.

Erst in den Kanälen der Speicherstadt rührte sich Alex aus dem Versteck. Ich hatte ihn die ganze Zeit beobachtet, wie er sich reglos unter die Sitzbank kauerte. Schlafend hätte man denken können oder tot. Wie ein Tier in großer Gefahr.

«Danke», sagte er zu meinem Vater, als er unter der Bank herauskam und sich mit einem Blick vergewissert hatte, dass er außer Gefahr war. Mich schien er gar nicht wahrzunehmen.

«Schon in...

Erscheint lt. Verlag 1.6.2024
Illustrationen Klaus Ensikat
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Schlagworte Abenteuer • Freundschaft • Hafen • Hamburg • Hamburger Hafen • Illegalität • Junge • Milieu • Schullektüre • Tierhandel
ISBN-10 3-7336-0703-1 / 3733607031
ISBN-13 978-3-7336-0703-6 / 9783733607036
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