Willkommen bei den Grauses 1: Wer ist schon normal? (eBook)
192 Seiten
Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-65576-7 (ISBN)
Geboren wurde Sabine Bohlmann in München, der schönsten Stadt der Welt. Als Kind wollte sie immer Prinzessin werden. Stattdessen wurde sie (nachdem sie keinen Prinzen finden konnte und der Realität ins Auge blicken musste) Schauspielerin, Synchronsprecherin und Autorin und durfte so zumindest ab und zu mal eine Prinzessin spielen, sprechen oder über eine schreiben. Geschichten fliegen ihr zu wie Schmetterlinge. Überall und zu allen Tages- und Nachtzeiten (dann eher wie Nachtfalter). Sabine Bohlmann kann sich nirgendwo verstecken, die Geschichten finden sie überall. Und sie ist sehr glücklich, endlich alles aus ihrem Kopf rausschreiben zu dürfen. Auf ein blitzeblankes, weißes - äh - Computerdokument. Und das Erste, was sie tut, wenn ein neues Buch in der Post liegt: Sie steckt ihre Nase ganz tief hinein und genießt diesen wunderbaren Buchduft.
Sommernebelnacht
Sie kamen in der Nacht. An einem Freitag, dem 13.
Nebel kroch durch die Sackgasse und das Licht der Straßenlaternen ließ die ganze Welt wie eine Bleistiftzeichnung wirken.
Ottilie Schmidt konnte nicht schlafen und stand am Fenster, um dem Nebel ein wenig zuzusehen. Da hörte sie das Auto, das hustend in die Straße einbog und direkt gegenüber vor der Nummer 13 stehen blieb.
Fünf Gestalten stiegen aus dem viel zu kleinen Wagen. Drei große und zwei kleine. Außerdem entdeckte Ottilie einen Schatten, der ebenfalls auf das Haus zuhuschte. Und etwas noch viel Kleineres im Zickzack hinterher. Es sah aus wie ein Hund. Doch genau konnte es Ottilie nicht sagen, denn der Nebel war zu dicht, die Nacht zu dunkel und ihre Augen zu schlecht ohne Brille, und die lag auf ihrem Nachtkästchen.
Nacheinander verschwanden die Gestalten im Haus, doch eine der kleineren blieb plötzlich stehen und sah zu Ottilie hinauf. Kurz hatte sie den Eindruck, als würden unter der Kapuze zwei dunkelgelbe Augen aufleuchten. Aber welcher Mensch hatte schon dunkelgelbe Augen?
Ottilie hielt die Luft an, auf einmal hob die kleine Gestalt die Hand und winkte. Und was blieb ihr anderes übrig? Ottilie winkte zurück. Dann waren alle im Haus verschwunden, als wäre nichts gewesen. Nur das Auto stand noch vor der Tür.
Und gerade als Ottilie wieder ins Bett wollte, flog eine schwarze Krähe durch den Nebel, direkt auf die Nummer 13 zu. Sie nahm auf dem Dachfirst Platz und es wirkte, als hätte sie schon immer dort gesessen.
Am nächsten Morgen wurde Ottilie von den Sonnenstrahlen geweckt. Kurz dachte sie, sie hätte verschlafen, aber dann fiel ihr ein, dass dies der erste Ferientag war. Bis gestern war sie noch Schülerin der vierten Klasse bei Frau Trieze gewesen und sie war froh, dass sie nach den Ferien eine neue Lehrerin bekommen sollte.
Die Ereignisse der Nacht hatte sie schon wieder vergessen. Na ja, nicht ganz. Aber Ottilie war sich sicher, dass sie nur geträumt hatte. Denn schließlich war Sommer. Und Nebel im Sommer, das gab es nicht. Und wer zog schon nachts in ein Haus ein? Noch dazu in eines, das nicht renoviert war und jahrelang leer gestanden hatte. Die Kinder in der Straße hatten es bereits vor langer Zeit als »Geisterhaus« betitelt und machten einen großen Bogen darum.
Ottilie Schmidt war schon oft vor dem Nachbarhaus gestanden und hatte sich so sehr gewünscht, dass endlich eine Familie einziehen würde. Mit ganz vielen Kindern, die ihre Freunde werden konnten.
Sie setzte sich im Bett auf, streckte sich und gähnte. Dann sah sie hinüber zu dem Käfig, in dem Fritz, ihr Meerschweinchen, schon eifrig an einem Salatblatt knabberte.
»Fröhliches Frühstück, Fritz«, rief sie zu ihm hinüber. »Hast du gut geschlafen? Und vom Meer geträumt?« Sie setzte ihre große runde Brille auf, sprang aus dem Bett und lief die Treppe hinunter in die Küche. Sie schnupperte.
Ihr Papa stand bereits mit Schürze am Herd. Auch er hatte eine dicke Brille auf der Nase, die allerdings gerade angelaufen war, als er den Ofen geöffnet hatte.
»Guten Morgen, Mäuschen. Ich hab Gugelhupf gebacken. Für die neuen Nachbarn. Als Willkommensgeschenk.«
Ottilies Augen weiteten sich. »Neue Nachbarn?«, fragte sie, setzte sich an den Tisch und füllte ihre Müslischüssel mit ihren Lieblingscornflakes.
»Sie sind anscheinend heute Nacht gegenüber in die Nummer 13 eingezogen«, erklärte ihr Vater.
»Heute Nacht?« Ottilie goss Milch auf die Cornflakes und beobachtete, wie sie zu wabern begannen.
»Bist du heute im Traum in Papageigonien gewesen, Ottilie?« Das Mädchen schüttelte den Kopf. »Du sprichst mir alles nach!«
Ottilie hielt im Kauen inne. In ihrem Kopf begann es zu rattern. Dann war das gar kein Traum gewesen. Die Gestalten von heute Nacht. Der Nebel und alles, das war wirklich so passiert. Sie sprang vom Stuhl auf und rannte zum Fenster.
»Ottilie, schluck doch erst mal runter. Mit vollem Mund rennt man nicht!«, mahnte ihr Vater.
Doch seine Tochter kümmerte sich nicht darum. Sie zog die Gardinen zur Seite und sah zur Nummer 13 hinüber.
»Ins Geisterhaus? Wirklich, Papa? Aber es sieht doch aus wie immer. Bis auf …« Ottilies Blick fiel auf das Auto auf der Straße.
»Hast du das Auto gesehen?«, fragte ihr Vater in diesem Moment und steckte ein Holzstäbchen in den Kuchen, um festzustellen, ob er bereits fertig war. »Es ist eine richtige alte Rostlaube. Dass das Ding überhaupt noch fährt …« Papa Schmidt nahm den Kuchen aus dem Rohr. »Mama ist schon bei der Arbeit, sie hat mir einen Kuss für dich dagelassen.« Er stellte den dampfenden Kuchen auf die Arbeitsplatte, ging zu Ottilie hinüber und gab ihr den Kuss auf den Kopf.
»Danke!«, sagte sie und beobachtete weiter das Haus. Nichts rührte sich.
»Die schlafen sicher noch. Ein Umzug in der Nacht ist ja schon sehr ungewöhnlich«, überlegte Ottilies Vater und blickte ebenfalls zu dem Haus.
»Die müssen auf jeden Fall erst mal Fenster putzen!«, meinte Ottilie.
»Ich fürchte, mit Fensterputzen ist es bei diesem Haus nicht getan. Dass die nicht erst mal renoviert haben, bevor sie da einziehen. Das Haus muss ja schlimm muffeln, da hat schon Jahre niemand mehr gelüftet. Ob die Elektrik überhaupt noch funktioniert? Und die Wasserleitungen? Das wage ich zu bezweifeln.«
Da bemerkte Ottilie die Krähe, die noch immer auf dem Dachfirst saß. Bewegungslos, als wäre sie eine Statue.
»Ach, guck mal, Otti, da sind ja deine Freundinnen. Mona, Lisa und Mona-Lisa.« Drei Mädchen umkreisten das rostige Auto. »Magst du nicht zu ihnen? Ihr könnt doch auf den Spielplatz gehen«, schlug ihr Vater vor.
Ottilie stöhnte. »Sie sind nicht meine Freundinnen. Und ich geh nicht mehr auf den Spielplatz. Und außerdem bin ich noch im Schlafanzug und …«
»Ja, ich hab verstanden. Aber Otti, Mäuschen, vielleicht wäre es an der Zeit, mal über deinen Schatten zu springen und auf diese Kinder zuzugehen. Immerhin geht ihr auch in eine Klasse. Und die Ferien sind lang. Mama und ich haben nicht immer für dich Zeit. Wir müssen weiterarbeiten, das weißt du, oder?«
Ottilie nickte. »Ich kann mich selbst beschäftigen. Ich bin gern allein und werde ganz viel lesen. Gleich geh ich in die Bücherei, gebe die zehn Bücher der letzten Woche zurück und leih mir einen riesigen Stapel neue Bücher aus.« Sie hörte ihren Vater leise seufzen. »Was? Andere Eltern wären froh, wenn ihre Kinder so viel lesen würden.«
»Ja, da hast du recht. Mama und ich finden es auch total toll, aber …«
Diesmal stöhnte Ottilie. »… aber normal ist das nicht, ich weiß. Und normale Kinder gehen immer raus und spielen mit ihren Freunden so komische Sachen wie Kuh am Berg, Seilziehen, Weglaufen oder Dieb und Polizist!«
»Es heißt Ochs am Berg und Tauziehen und Fangen, nicht Weglaufen. Und Dieb und Polizist nennt sich Räuber und Gendarm.«
Ottilie zuckte mit den Schultern. Sie kannte sich mit diesen Spielen nicht besonders gut aus. Da hörte sie Mona, Lisa und Mona-Lisa, die laut über das Auto lachten.
»Das ist das hässlichste Auto, das ich je gesehen hab«, sagte Mona. »Pass auf, ich zähle bis drei, dann fällt es auseinander!«, sagte Lisa und »Das ist kein Auto, das ist ein verrosteter Elefanten-Rollschuh!«, sagte Mona-Lisa. Die drei Mädchen bogen sich vor Lachen.
Ottilie bemerkte, wie sie Mitleid mit dem Auto bekam. Sie schüttelte leicht den Kopf. Denn wie konnte man Mitleid mit einem Auto haben?
»Der Kuchen muss noch etwas abkühlen, dann kommt Puderzucker drauf und dann kannst du ihn rüberbringen!«, fuhr ihr Vater fort, um das Thema zu wechseln.
»Rüberbringen?«
»Ja, kleiner Papagei. Denkst du, ich schicke ihn mit der Post?«
»Nein, aber ich weiß nicht, ob ich da klingeln möchte. Ich kenn die doch gar nicht. Und wahrscheinlich schlafen die noch. Oder sie mögen keinen Gugelhupf. Oder vielleicht …«
»Vielleicht sind sie Vampire und saugen dich aus!« Ottilies Augen wurden groß. Papa lachte laut auf. Er wuschelte seiner kleinen Tochter liebevoll durch die Haare. »Ottilie, das war ein Witz. Ich bin jetzt schon zweiundvierzig Jahre auf dieser Welt, also echt lang, und mir ist noch nie ein Vampir begegnet. Ich glaube, die Chancen, einem zu begegnen, liegen bei weniger als 0,0000001 Prozent. Es ist sicher genauso unwahrscheinlich, wie einem Werwolf, einem Geist oder einem sprechenden Koffer über den Weg zu laufen.«
Ottilie drehte sich zu ihrem Vater um, der wieder an der Arbeitsplatte stand und den leckeren Duft des Kuchens einsog.
»Ich trau mich aber nicht, bei fremden Leuten zu klingeln«, murmelte Ottilie.
»Du wirst natürlich nicht ins Haus gehen, Ottilein. Auch dann nicht, wenn sie dich reinbitten. Ich würde ja selbst vorbeigehen, aber ich habe gleich...
Erscheint lt. Verlag | 24.2.2024 |
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Reihe/Serie | Willkommen bei den Grauses | Willkommen bei den Grauses |
Illustrationen | Daniel Steudtner |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Abenteuer • Bestseller • Chaos • Diversität • Elfe • Familiengeheimnis • Fee • Frech • Freunde • Freundschaft • Gefahr • Geheim • Humor • lustig • Magie • magisch • Mobbing • Monster • Mut • Nachbarschaft • Opa • Regenbogen • skurril • Verrückt • Werwolf • witzig |
ISBN-10 | 3-522-65576-1 / 3522655761 |
ISBN-13 | 978-3-522-65576-7 / 9783522655767 |
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