Frau Honig: Wenn der Wind weht (eBook)
224 Seiten
Planet! in der Thienemann-Esslinger Verlag GmbH
978-3-522-65536-1 (ISBN)
Geboren wurde Sabine Bohlmann in München, der schönsten Stadt der Welt. Als Kind wollte sie immer Prinzessin werden. Stattdessen wurde sie (nachdem sie keinen Prinzen finden konnte und der Realität ins Auge blicken musste) Schauspielerin, Synchronsprecherin und Autorin und durfte so zumindest ab und zu mal eine Prinzessin spielen, sprechen oder über eine schreiben. Geschichten fliegen ihr zu wie Schmetterlinge. Überall und zu allen Tages- und Nachtzeiten (dann eher wie Nachtfalter). Sabine Bohlmann kann sich nirgendwo verstecken, die Geschichten finden sie überall. Und sie ist sehr glücklich, endlich alles aus ihrem Kopf rausschreiben zu dürfen. Auf ein blitzeblankes, weißes - äh - Computerdokument. Und das Erste, was sie tut, wenn ein neues Buch in der Post liegt: Sie steckt ihre Nase ganz tief hinein und genießt diesen wunderbaren Buchduft.
Ist Fantasie der Anfang von allem?
Eine Biene flog zickzack durch die Petunienallee. Sie flog von Haus zu Haus und blieb schließlich vor einem großen Tor mit der Nummer 29 in der Luft stehen.
»Ist es das?« Frau Honig blickte durch die gusseisernen Stäbe die Auffahrt entlang.
Ein langer schnurgerader Weg führte, umgeben von akkurat angeordneten Pappeln, auf ein Haus zu, das eher einem Schloss als einem Haus glich. Das Weiß des Hauses war so weiß, dass Frau Honig fast ein wenig geblendet wurde. Sie kniff die Augen zusammen und sah noch einmal auf ihren Zettel. Korb und Koffer hatte sie neben sich abgestellt.
»Groß. Ja, groß!«, stellte sie fest. »Und prächtig und irgendwie … bist du dir wirklich sicher, dass es dieses Haus ist?«, fragte sie die Biene und die schien tatsächlich zu nicken. Sie wirkte bereits etwas ungeduldig. Frau Honig seufzte. »Na gut, wenn du wirklich sicher bist, dann wollen wir mal.« Sie streckte den Finger aus, um den Klingelknopf zu berühren, doch dazu kam sie nicht, denn in diesem Moment öffnete sich das Tor wie von Geisterhand. »Huch!«, sagte Frau Honig, und »Treten Sie ein, Sie werden bereits erwartet!«, sagte eine Stimme. Frau Honig sah sich suchend um. Sie entdeckte ein kleines Kästchen mit Löchern, aus dem die Stimme wohl gekommen war. Sie räusperte sich, näherte sich dem Kästchen und sprach, so deutlich sie konnte: »Danke, aber normalerweise werde ich nicht erwartet.« Das Kästchen antwortete nicht mehr. Frau Honig wandte sich der Biene zu, die noch immer neben ihr in der Luft zu stehen schien. »Na, dann wollen wir mal!«, seufzte sie, griff nach ihrem Koffer und ihrem Korb und trat ein. Die Biene folgte ihr.
Schritt für Schritt ging Frau Honig den langen Weg entlang. Dabei wurde das Haus größer und größer.
»Nein, es ist nicht groß«, sagte Frau Honig zu sich selbst, »es ist enorm!«
Vor der Tür stellte sie erneut ihr Gepäck ab und auch diesmal versuchte sie den Klingelknopf zu betätigen, aber auch diesmal öffnete sich die große Tür wie von selbst.
»Oho!«, sagte Frau Honig, und »Aha« sagte zeitgleich ein langer dünner Mann in einem schwarzen Anzug. Er sah ein wenig aus, als hätte er einen Stock verschluckt.
»Da sind Sie ja!« Seine Stimme klang, als würde er durch die Nase sprechen und nicht durch den Mund. Außerdem stand seine Nase etwas höher, sodass Frau Honig in die riesigen Nasenlöcher schauen musste.
»Wie meinen Sie das, da bin ich ja?«, fragte sie und klang irritiert. »Honig. Elsa Honig mein Name und ich bin …«
»Das neue Kindermädchen, ich weiß. Wir haben Sie bereits erwartet.« Mit diesen Worten öffnete der Mann mit der hoch stehenden Nase die Tür ganz und ließ Frau Honig herein.
Frau Honig sah sich erst noch einmal nach allen Seiten um. Noch nie war sie erwartet worden. Wie konnte man sie erwarten? Frau Honig wurde niemals nie erwartet. Frau Honig kam. Und sie kam, wenn sie es für richtig hielt und wenn sie gebraucht wurde. Aber erwartet wurde sie nie. Vielleicht hatte sie doch an der falschen Klingel geklingelt. Beziehungsweise hatte sie ja gar nicht geklingelt, weil dieses Anwesen zwar Klingeln hatte, diese aber wohl niemand brauchte.
Mit großen fragenden Augen blinzelte sie die Biene an und hoffte, sie hätte vielleicht eine Erklärung für all das. Doch die Biene flog auf Frau Honigs Hut und ließ sich dort auf der Plastikanemone nieder.
»Mein Fräulein, das Kindermädchen ist da!«, sagte der große dünne Mann in ein kleines Mikrofon, das an seinem Kragen befestigt war.
»Und Sie sind?«, fragte Frau Honig und guckte wieder unfreiwillig in die großen Nasenlöcher.
»Ich bin Karl. Der Butler!« Er machte eine kleine, fast unmerkliche Verbeugung. »Fräulein Degenhardt wird sogleich hier sein!«
Frau Honig nickte. Karl stand reglos vor ihr wie eine Wachsfigur. Frau Honig ließ erneut ihren Blick schweifen und wippte auf ihren Zehenspitzen vor und zurück.
»Ganz schön groß hier!«, sagte sie zu der Wachsfigur. »Man könnte fast meinen, es wäre eine Bahnhofshalle und gleich würden Züge einfahren.« Sie lächelte Karl an. Doch der blieb reglos. »Also eine schöne Bahnhofshalle. Vielleicht eine für einen König oder so!«, fügte das Kindermädchen hinzu, aber Karl blieb stumm.
Zwei lange, geschwungene Treppen führten rechts und links in den ersten Stock hinauf.
Wunderbare Rutschgeländer! Frau Honig schmunzelte vor sich hin bei dem Gedanken, mit einem Hui von oben nach unten zu rutschen. Weißer Marmor überall auf dem Fußboden. Zum Schlittern sicher fabelhaft geeignet!, dachte Frau Honig jetzt und dann fiel ihr Blick auf den großen Kristallleuchter, der in der Mitte dieser Eingangshalle von der Decke hing. Wieder lächelte sie versonnen, denn sie stellte sich vor, sie würde an diesem Leuchter von rechts nach links schwingen.
Doch gerade als sie Karl fragen wollte, ob er schon einmal gerutscht, geschlittert oder geschwungen wäre, erschien oben an der Treppe ein kleines Mädchen.
»Nein, die Lieferung ist nicht zufriedenstellend. Ich hatte Rosa gesagt und das ist nicht Rosa, das ist Rosé, wenn nicht sogar schon Apricot. Und Apricot trägt heutzutage kein Mensch mehr. Das ist so was von out!« Sie telefonierte, während sie die Treppe herunterkam.
Frau Honig musterte das Mädchen: zehneinhalb Jahre alt, blonde lockige Haare, die allerdings durch ein Glätteisen geglättet worden waren. Sie trug eine hellblaue Rüschenbluse und darunter einen schwarzen Tüllrock. Sie sah aus, als wäre sie gerade unterwegs ins Theater, so herausgeputzt war sie.
Kein Outfit, um auf Bäume zu klettern, schoss es Frau Honig durch den Kopf.
»Kein Aber, ich möchte die Kollektion noch einmal in Rosa. Ich werde mich sicher nicht in Apricot vor die Kamera stellen. Und wenn ich Rosa sage, dann meine ich Rosa. Wiederhören!« Mit diesen Worten legte sie auf und war mittlerweile am Treppenabsatz angekommen. Sie musterte Elsa Honig von oben bis unten.
»Sie sind also mein neues Kindermädchen?«
»Scheint so!«, sagte Frau Honig. »Ich bin Elsa Honig. Die VFFDDFAGI schickt mich.«
»Meines Wissens, haben wir Sie bestellt!«, fuhr das Mädchen dazwischen.
Frau Honig holte Luft. »Na ja, genau genommen lasse ich mich nicht bestellen.« Dann drehte sie ihren Kopf von rechts nach links und stellte sich suchend auf die Zehenspitzen. »Wo sind denn die anderen Kinder?«
»Welche anderen?«, fragte das Mädchen.
Frau Honig zog einen kleinen Zettel aus der Tasche. »Ich soll mich um folgende Kinder hier kümmern: Jolanda, Olivia, Philomena, Viktoria und Penelope.«
»Das bin ich!«
»Das bist du? Ich meine, alle?«, fragte Frau Honig verwirrt. Sie war schon lange nicht mehr so oft verwirrt gewesen wie an diesem Tag.
»Ja, das bin alles ich. Jolanda Olivia Philomena Viktoria Penelope Degenhardt – so heiße ich. Aber Sie können Jolanda zu mir sagen, das reicht vollkommen. Mein Vater ist gerade auf Geschäftsreise und meine Mutter bei der Maniküre. Sie wird bald wieder hier sein, dann können Sie die Formalitäten mit ihr besprechen.«
»Aha!« Frau Honig wandte sich zu Karl, der immer noch wie angewurzelt neben ihr stand. Sie erschrak ein wenig, als dieser plötzlich wieder zu sprechen begann.
»Ich zeige Ihnen Ihr Zimmer!«, sagte er, doch Jolanda hob die Hand.
»Das werde ich ausnahmsweise übernehmen, Karl. Danke.« Sie nickte Frau Honig zu: »Folgen Sie mir!«
Elsa Honig griff nach ihrem Koffer und ihrem Korb und stieg hinter Jolanda Olivia Philomena Viktoria Penelope Degenhardt die Stufen hinauf in den ersten Stock.
»Wieso habt ihr mich erwartet?«, wollte sie wissen, denn diese Frage brannte ihr unter dem Hut.
»Heute ist doch der Erste. Jeden Ersten im Monat kommt ein neues Kindermädchen. Die halten es nicht sehr lange hier im Haus aus«, antwortete das Mädchen.
»Und warum nicht?«
»Wir stellen hohe Ansprüche an das Personal!« Mit diesen Worten öffnete Jolanda eine von vielen Türen eines ewig langen Flures.
»Ich glaube, hier werde ich mich hin und wieder verlaufen!«, murmelte Frau Honig und trat ein.
»Das ist das Kindermädchen-Zimmer. Gefällt es Ihnen? Direkt daneben ist mein Schlafzimmer.«
Frau Honig betrachtete den Raum. »Es ist groß. Hier muss man sich erst mal zurechtfinden.«
»Es ist doch nur ein Zimmer!«, sagte Jolanda.
»Ein großes Zimmer. Ich bin so große Zimmer nicht gewöhnt.«
»Dann gewöhnen Sie sich eben dran! Und hier ist Ihr Badezimmer«, erklärte Jolanda und zeigte auf eine weitere Tür. »Eine Dusche gibt es leider nicht, nur eine Badewanne, denn dies ist ein sehr altes Haus und Duschen hatte man damals noch nicht! Zumindest nicht in den Zimmern des...
Erscheint lt. Verlag | 29.9.2022 |
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Reihe/Serie | Frau Honig | Frau Honig |
Illustrationen | Joëlle Tourlonias |
Zusatzinfo | mit sw-Illus |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Achtsamkeit • Bienen • Familien-Buch • Freundschaft Kinderbuch • Geschenk Mädchen • Geschenk unter 15 Euro • Glück • Kinderbuch ab 8 • Kinderbuch Magie • Kinder-Erziehung • Kindermädchen • Kindheit • Nanny • Vorlesen |
ISBN-10 | 3-522-65536-2 / 3522655362 |
ISBN-13 | 978-3-522-65536-1 / 9783522655361 |
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