SpooKI: Den Geist aufgeben gibt's nicht! (eBook)
336 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93520-2 (ISBN)
Mit Büchern hatte Ruth Rahlff schon früh zu tun: Sie sortierte die Wälzer ihres Vaters um, probierte sich als Verkaufstalent in der Buchhandlung ihres Onkels, ließ sich zur Verlagsbuchhändlerin ausbilden, arbeitete in einem sehr großen und einem sehr kleinen Verlag und ist nun freie Autorin und Lektorin. Dabei schlüpft sie auch gern in andere Identitäten. Sie schreibt Geschichten, Sach- und Spielbücher, Kinderromane, verfasst Texte für Apps und gibt Workshops für Kinder im Vor- und Grundschulalter.
Mit Büchern hatte Ruth Rahlff schon früh zu tun: Sie sortierte die Wälzer ihres Vaters um, probierte sich als Verkaufstalent in der Buchhandlung ihres Onkels, ließ sich zur Verlagsbuchhändlerin ausbilden, arbeitete in einem sehr großen und einem sehr kleinen Verlag und ist nun freie Autorin und Lektorin. Dabei schlüpft sie auch gern in andere Identitäten. Sie schreibt Geschichten, Sach- und Spielbücher, Kinderromane, verfasst Texte für Apps und gibt Workshops für Kinder im Vor- und Grundschulalter. Timo Grubing lebt und arbeitet als freier Illustrator im Herzen des Ruhrgebiets. Dort ist er vor allem in den Bereichen Kinder- und Jugendbuch, Schulbuch, Familienspiele und Comic tätig, zeichnet aber auch für verschiedene Agenturen und Magazine.
KAPITEL 6
Keine andere Straße in der Stadt war so alt wie die Zwieselgasse – das hatte ich von Opa, und der musste es wissen. Schließlich war er dabei gewesen, als damals vor Jahrhunderten die ersten Häuser dort gebaut wurden. Und das Haus, in dem wir wohnten, war definitiv das älteste von allen.
Frau Watanabe hatte uns neulich die Redensart »Jemand oder etwas hat seine besten Zeiten hinter sich« erklärt.
Auf unser Haus traf das wohl eher nicht zu. Denn höchstwahrscheinlich hatte es nie gute Zeiten gehabt. Zumindest sah es auf Opas über hundert Jahre alten Schwarz-Weiß-Fotos auch schon windschief aus. Es befand sich am Ende einer langen, gewundenen Sackgasse, versteckt hinter Büschen und Bäumen. Unser Garten war ziemlich groß, im Gegensatz zu allen anderen Gärten in der Umgebung total verwildert und von einem hohen, rostigen Zaun umgeben, der menschlichen Besuch fernhalten sollte. Wobei wir sowieso nie welchen hatten.
Ständig hatte ich Angst, dass irgendwann mal jemand vom Bauamt auf uns aufmerksam werden würde, so morsch und baufällig war das Haus. Die Fenster hatten Sprünge und die Mauern waren voller Risse. An allen möglichen Ecken waren im Laufe der Jahrhunderte Balkone, Erker und Türmchen ergänzt worden, von denen ich die meisten aber nie freiwillig betreten hätte.
Ich war ja nicht lebensmüde.
Kurz bevor ich unser Gartentor erreichte, hörte ich ein Fiepen im Gebüsch des Nachbarhauses.
Oh! Hatte sich etwa Luzifer dort verkrochen? Oder vielmehr das, was nach seiner Begegnung mit Unfug noch übrig war von ihm?
Bevor ich mich vergewissern konnte, bogen sich die Zweige die Hecke auseinander und Tarantinos Gesicht tauchte vor mir auf.
Heute blieb mir auch nichts erspart.
Er hielt Luzifer im Arm und schnalzte anklagend mit der Zunge.
Soweit ich sehen konnte, war der Pudel unverletzt, wenn auch ziemlich zerzaust. In seinem Fell hingen Dreckklumpen und lange Dornen, und eine hellgraue Staubschicht überzog seinen Körper. Er guckte mich glücklich an und wedelte begeistert mit dem Schwanz – anscheinend hatte er heute richtig Spaß gehabt. Das sah Tarantino offensichtlich vollkommen anders.
»Der arme Kerl ist zu Tode erschrocken.« Vorwurfsvoll streckte er mir Luzifer entgegen. »Das möchte ich wirklich mit deinen Eltern besprechen. Wegen der ganzen Aufregung musste ich mich heute sogar krankmelden.«
Tarantino war eine Art Künstler, jedenfalls erzählte er das jedem. Besonders erfolgreich schien er mit seinen kitschigen Hundeporträts allerdings nicht zu sein. Deshalb arbeitete er halbtags in der Stadtbibliothek.
»Was würden wohl deine Eltern zu so einem Benehmen sagen?«, fragte er streng.
Eine Gänsehaut überzog meine Unterarme.
»Natürlich nichts«, antwortete ich.
»Weil sie nichts davon wissen!«, sagte er triumphierend.
»Nein, weil ich mich nicht schlecht benehme.«
Er zog die Augenbrauen hoch. »Ein Zwölfjähriger, der sich gut benimmt? Das ist wie ein vegetarischer Löwe: ein Mythos!«
»Äh … ja, natürlich.« Ich schulterte meinen Rucksack. »Aber Luzifer ist von ganz alleine weggelaufen.«
Dem stimmte Luzifer offenbar zu, denn er wedelte begeistert mit dem Schwanz.
Tarantino schnappte nach Luft, also sagte ich schnell: »Und jetzt muss ich los.« Mit festen Schritten marschierte ich auf unser Gartentor zu.
»Halt! Warte!«
Tarantino wollte mir hinterherlaufen, aber das dornige Gestrüpp am Zaun versperrte ihm den Weg.
»Richte deinen Eltern etwas aus!«, rief er mir nach. »Nächste Woche ist Nachbarschaftsversammlung. Es geht um die Müllabfuhr in unserer Straße.«
»Wir haben fast keinen Müll«, versuchte ich mich rauszureden. Doch so leicht ließ er nicht locker.
»Unsinn! In jedem normalen Haushalt mit mehreren Personen sammelt sich Müll an. Außerdem ist es wichtig, dass sich alle an der Versammlung beteiligen.«
»Werd ich ausrichten.« Ich lief schneller. Vor mir ragte das Gartentor auf. Meine Rettung!
Mit drei Sätzen brachte ich mich in Sicherheit, schlug das Tor zu und rannte zur Haustür.
Kaum stand ich im Flur und ließ meinen Rucksack auf den Boden fallen, schwebte Mama mir auch schon entgegen.
»Hattest du einen harten Tag, mein Schatz?«, fragte sie. »Komm! Papa hat ein tolles neues Rezept ausprobiert.«
Mein Magen machte einen Salto, allerdings nicht vor Freude. Aber natürlich wollte ich Papa nicht kränken und außerdem wusste ich ja noch gar nicht, was er heute gekocht hatte.
In der Regel gab es für mich normale Sachen wie Pizza, Spaghetti oder Fischstäbchen. Nur leider waren Mama und Papa ein paar Jahrhunderte aus der Übung. Deshalb ging meistens etwas schief, weil Papa entweder wichtige Zutaten vergaß, die Temperatur nicht richtig einstellte oder die Mengenangaben falsch umrechnete.
Abgesehen davon hatte Mama mir mal erzählt, dass die beiden zu Lebzeiten fürs Kochen Angestellte gehabt und sich nur ausnahmsweise in die Küche verirrt hatten.
Das zusammen erklärte also einiges.
Im Salon, wie Mama unser Wohnzimmer nannte, guckte Opa von seiner Zeitung hoch. Auf der Titelseite prangte die Schlagzeile ‚Spektakuläre Landung auf dem Mond!‘.
Nun ja, immerhin war er mittlerweile im Jahr 1969 angekommen.
»Junge, was bist du so blass? Hast du einen Geist gesehen?«, rief er und brach in polterndes Gelächter über seinen Witz aus.
»Was ist denn mit dir los?«, wollte jetzt auch Papa wissen und machte ein besorgtes Gesicht.
»Ist Unfug hier?«, fragte ich und hockte mich neben Papa aufs Sofa, wobei ich tunlichst vermied, mich auf den ausgestopften Hermelinkopf von Mamas Stola zu setzen.
Papa, der seinen rechten Arm bis zur Schulter in einem Zylinder stecken hatte, sah erstaunt auf. »Wieso? Hat er dich nicht abgeholt?«, erwiderte er und zog den Arm langsam heraus.
»Nein, und das ist …«
In dem Moment bewegte sich der Zylinder ein wenig und eine Schnauze mit ein paar Schnurrhaaren kam zum Vorschein.
Er hatte es wieder getan!
»Du hast mir doch versprochen, nicht mehr mit den Kaninchen herumzuzaubern«, sagte ich vorwurfsvoll. »Die bekommen jedes Mal Megaangst.«
Papa zog schuldbewusst die Schultern ein. »Ja … äh … tut mir leid. Das ist mir zufällig in den Zylinder geraten.«
Ich nahm ihm den Zylinder weg, griff mir das zitternde Bündel und brachte es zur Verandatür. Als ich es draußen zwischen den bröckeligen Steinfliesen absetzte, hoppelte es sofort davon.
»Ich weiß wirklich nicht, wie das passiert ist«, versuchte Papa sich rauszureden und fuhr sich verlegen durchs Haar.
»Unsinn, Henry!«, polterte Opa in seinem Sessel. »Das war wieder einer deiner angeblichen Zaubertricks, die schon so oft schiefgegangen sind.«
Papa knetete verschämt seine knochigen Finger und sank in sich zusammen.
»Es ist ja nichts passiert«, tröstete ich ihn.
»Dass du aber auch einfach nicht von dieser elenden Zauberei lassen kannst!«, grollte Opa weiter. »Sieh dich doch an, was es aus dir gemacht hat!«
»Damit bin ich hier ja in guter Gesellschaft«, sagte Papa. »Also, was ist mit Unfug?«
Bevor ich antworten konnte, kam Mama mit einer Suppenschüssel herein.
»Lass es dir schmecken, Robert.«
»Danke«, sagte ich matt und tauchte den Löffel in die tiefrote Flüssigkeit vor mir.
»Bon appetit.« Mama strahlte mich an und schwebte hinüber zum Kamin. »Papa hat Spargelcremesuppe gekocht.«
»Oh.« Ich stutzte und hielt mit dem Löffel kurz vor meinem Mund inne. Weißen Spargel kannte ich und grünen auch … Aber seit wann gab es dunkellila Spargelstangen? Und war die Spargelzeit nicht längst vorbei? Ich ließ den Löffel vorsichtig wieder sinken.
Papa musste mir meine Verwirrung angesehen haben, denn er stand vom Tisch auf und schwebte durch die Wand Richtung Küche.
»Als Plan B habe ich extra Spaghetti Napoli gekocht«, rief er mir zu und kam gleich darauf mit einer dampfenden Portion Nudeln herein. »Ich war mir nämlich nicht ganz sicher, ob das mit dem Rote-Bete-Saft zum Spargel so eine gute Idee war.«
Während ich mich auf die Spaghetti stürzte, erzählte ich, was heute passiert war.
»Dieser dämliche Bengel!«, rief Opa empört. »Wieder dieser Damon, sagst du?« Er nahm seinen Kopf ab und knallte ihn wütend auf die Tischplatte. »Ich denke, den sollte ich mir mal zur Brust nehmen! Danach …«
»Nein!«, unterbrachen Mama, Papa und ich ihn schnell.
Ich mochte mir gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn Opa sich Damon vorknöpfte.
Nicht nur, dass Opas beste Zeiten mittlerweile vorbei waren. Außerdem würde er damit gegen eine unserer eisernen Regeln verstoßen. Sämtliche Probleme, die ich in der Menschenwelt hatte, musste ich möglichst ohne fremde Geisterkraft regeln. Denn auf keinen Fall durfte jemand merken, dass ich in einer Familie aus lauter Geistern lebte. Deshalb griffen Mama oder Papa auch nur in ganz seltenen Ausnahmefällen ein. Wenn es unbedingt sein musste, konnten sie sich manifestieren und Gestalt annehmen. Das machten sie jedoch bloß, wenn es gar nicht anders ging, weil es sie unheimlich viel Kraft kostete.
Das letzte Mal hatten sie sich bei meiner Einschulung manifestiert. Und selbst da nur ganz kurz, bevor sie sich unter einem Vorwand wieder hatten...
Erscheint lt. Verlag | 29.9.2022 |
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Reihe/Serie | SpooKI | SpooKI |
Illustrationen | Timo Grubing |
Zusatzinfo | Schwarz-weiß illustriert |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | Abenteuer Buch Kinder ab 10 • Abenteuer Buch Kinder ab 9 • Action Buch ab 11 • Buch Junge 9 • Geister Buch Kinder • Geistergeschichten für Kinder • Gruselgeschichten ab 10 • Gruselgeschichten ab 9 • Gruselgeschichten für Kinder ab 10 • KI Buch Kinder • KI Kinderbuch • Künstliche Intelligenz Kinder • Künstliche Intelligenz Kinderbuch • Science Fiction Bücher Kinder • spannende Bücher ab 10 • spannende Bücher ab 9 |
ISBN-10 | 3-646-93520-0 / 3646935200 |
ISBN-13 | 978-3-646-93520-2 / 9783646935202 |
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