Bloom 3 (eBook)
456 Seiten
Beltz (Verlag)
978-3-407-81291-9 (ISBN)
Kenneth Oppel, geb. 1967, gilt als literarisches Phänomen. Von Roald Dahl dazu ermutigt, veröffentlichte er sein erstes Kinderbuch mit 14 Jahren. Inzwischen hat Kenneth Oppel zahlreiche Romane und Drehbücher verfasst. Heute lebt er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern in Toronto, Kanada. Bei Beltz & Gelberg ist seine weltweit erfolgreiche Fledermaus-Saga erschienen: Silberflügel, Sonnenflügel, Feuerflügel und Nachtflügel. Außerdem die ersten Bände der Himmels-Trilogie: Wolkenpanther und Wolkenpiraten. Mehr zum Autor und seinen Büchern unter www.kennethoppel.ca
Kapitel 1
Hoch über ihren Köpfen kreiste das geflügelte kryptogene Wesen. Die goldenen Flügel schimmerten im Sonnenlicht, das zwischen den Wolken hindurchfiel.
Anaya blickte blinzelnd nach oben, unfähig, sich zu bewegen. Das war das Letzte, was sie erwartet hatte, nachdem das Raumschiff eine Bruchlandung hingelegt hatte. Kein Laufender, kein Schwimmender, sondern … ein Fliegender.
Der Feind.
Wo war Terra? Oder hatte es nie eine Terra gegeben – und auch keine Rebellen? Hatte sie sich die ganze Zeit getäuscht? Warum hatte sie ihr vertraut?
Sie hatte naiv ein friedliches Aufeinandertreffen zwischen Menschen und drei kryptogenen Rebellen erwartet, um ein Bündnis zu schließen. Um zusammenzuarbeiten und eine Waffe zu fertigen, die ihren gemeinsamen Feind besiegen würde.
Das war alles Einbildung, eine Lüge – und es war ihr Fehler.
Schockiert sah sie zu, wie sich der Fliegende und der Helikopter in der Luft gegenüberstanden. Das stachelförmige Wappen auf dem Helm des Fliegenden schimmerte blassviolett und aus ihm entsprang ein unheilvolles Heulen. Selbst unten auf dem Boden konnte Anaya es hören. Alle um sie herum zuckten zusammen: Seth, Petra, Dr. Weber, Colonel Pearson, der übrig gebliebene Soldat. Sie wusste, dass dieses Heulen jeden Augenblick anschwellen konnte, um Menschen zu töten und Gebäude zu zerstören.
»Warum ist da ein Fliegender?«, schrie Pearson sie an.
»Ich weiß es nicht!«
»Ist dieser Helm eine Waffe?«
»Ja!«
»Sie wollten unbewaffnet kommen!«
Ihr habt uns angegriffen!
Diese Stimmte war nie zuvor in Anayas Kopf gewesen. Es war auf keinen Fall die von Terra, sondern gehörte dem Fliegenden. Die Worte trugen einen Hauch von beißendem Benzin und schmeckten metallisch – so als hätte sie sich gerade auf die Zunge gebissen.
Das war ein Versehen!, gab sie zurück und hoffte, dass der Fliegende ihren verzweifelten Worten Glauben schenkte.
»Nicht schießen!«, rief sie Pearson zu, plötzlich voller Hoffnung. »Ich spreche mit dem Fliegenden.«
»Sag ihm, er soll sich zurückziehen«, blaffte Pearson.
Anaya hatte nicht den Eindruck, dass sie in der Position waren, Forderungen zu stellen.
»Wir haben zuerst geschossen! Obwohl wir versprochen hatten, das nicht zu tun. Schicken Sie den Helikopter weg!«
Pearson sagte nichts. Es war eine Pattsituation. Der Helikopter bräuchte lediglich noch einmal zu schießen und der Fliegende würde ihn zerstören – und dann den Rest von ihnen auf dem Boden.
Plötzlich verstummte das Geräusch aus dem Helm des Fliegenden und er drehte sich vom Helikopter weg.
»Da!«, rief Petra.
Sie zeigte nicht in die Luft, sondern auf das qualmende Kryptogenenschiff auf dem Rasen. Aus der Luke tauchte eine zweite Kreatur auf. Auf den ersten Blick sah sie einem menschlichen Astronauten so ähnlich, dass Anaya erst einmal genau hinschauen musste, um zu erkennen, dass die Kreatur keinen Raumanzug, sondern eine künstliche weiße Haut trug, die ihren Körper fast komplett bedeckte.
Unter der Kapuze ragte ein fellbedecktes Gesicht mit einer langen, spitzen Schnauze hervor. Über den großen Nasenlöchern war eine Atemmaske befestigt, deren Schläuche zu einem dünnen Behälter auf ihrem Rücken führten. Die Erdatmosphäre war nicht für die Kryptogenen geeignet – noch nicht. Die Kreatur richtete sich auf ihren starken Beinen vollständig auf und machte dann einen Schritt auf Anaya zu.
In ihrem Kopf sah sie das vertraute bernsteinfarbene Leuchten, roch nasse Erde – und sofort überkam sie ein Gefühl der Vertrautheit und der Erleichterung. Das war das Wesen, dessen Stimme in den letzten Tagen so oft ihren Kopf erfüllt hatte. Und jetzt stand sie vor ihr. Tränen der Erleichterung liefen Anayas Wangen hinab.
»Es ist Terra!«, sagte sie zu den anderen.
»Bist du sicher?«, fragte Petra.
Instinktiv bewegte sich Anaya vorwärts, um Terra zu begrüßen.
Du hast versprochen, dass ihr nicht angreifen würdet!
Terras lautlose Worte vibrierten vor Fassungslosigkeit und Kränkung, aber auch Wut.
Es tut mir leid!, antwortete Anaya. Es war ein Soldat, der auf eigene Faust gehandelt hat. Wir haben das nicht befohlen!
Sie fühlte sich schuldig dafür, dass sie so schnell das Vertrauen in Terra verloren hatte. Doch der Anblick des Fliegenden war so schockierend, so Furcht einflößend gewesen – was hätte sie sonst denken können?
»Bleib auf Abstand, Anaya«, hörte sie den Colonel sagen.
»Das ist schon in Ordnung«, antwortete sie.
Dennoch blieb sie ein Stück von Terra entfernt stehen. Sie betrachteten sich gegenseitig. Trotz ihres weißen Anzugs ähnelte Terra verblüffend einem Känguru. Einem Känguru ohne Schwanz. Ihre Oberschenkel waren massiv, und die Unterschenkel wirkten sehr dünn, fast wie Knochen. Lange Zehen ragten aus der künstlichen weißen Haut hervor und Anaya sah die mörderisch scharfen schwarzen Krallen – im Vergleich dazu wirkten ihre eigenen mickrig.
Sind wir in Sicherheit?, fragte Terra.
»Anaya, sprichst du mit ihnen?«, blaffte Pearson.
»Sie wollen wissen, ob sie sicher sind. Lassen Sie den Hubschrauber abdrehen!«
»Nicht solange der Fliegende in der Luft ist!«
Warum ist da ein Fliegender?, fragte Anaya Terra. Du hast nicht gesagt, dass ein Fliegender mitkommt.
Er ist ein Rebell, genau wie wir.
War es eine Lüge? Aber wie immer fühlte sich alles, was von Terra in ihrem Kopf ankam, wie die Wahrheit an. Sie holte tief Luft und drehte sich zu Pearson um.
»Der Fliegende gehört zu den Rebellen. Von ihm geht keine Gefahr aus!«
Anaya konnte Pearsons Gesichtsausdruck nicht erkennen, aber sie vermutete, dass sich darin Ärger zeigte. Dennoch sprach er in sein Funkgerät und befahl: »Rückzug.«
Sofort drehte der Helikopter ab und flog zurück nach Deadman’s Island.
Du bist in Sicherheit, sagte Anaya zu Terra und sah, dass diese zitterte. Ist dir kalt?
Wolken hatten sich am Himmel gebildet und es roch nach Regen. Aber wegen ihrer dichten Behaarung war es Anaya angenehm warm, manchmal sogar zu warm, jetzt, da es Sommer geworden war.
Eure Atmosphäre ist kalt – für uns. Diese Häute halten uns warm.
Wie immer verstand Anaya mehr als nur die einzelnen Wörter. Mit Häuten waren die weißen Stoffe gemeint, die Terra trug. Eine Art Mikrofaser, die ihre Körpertemperatur regulierte. Nach so vielen anfangs unbeholfenen Unterhaltungen hatten sie beide irgendwie eine gemeinsame lautlose Sprache entwickelt, die wie ein Trampelpfad im Wald mit zunehmender Benutzung immer gangbarer wurde.
Terra machte ein Geräusch, das Anaya schließlich als Niesen erkannte.
Bist du krank?, fragte sie besorgt.
Allergisch.
Natürlich! Terra hatte dieselben Allergien, unter denen Anaya ihr ganzes Leben lang gelitten hatte. Es war seltsam, sich vorzustellen, dass die Kryptogenen solche Schwächen hatten, aber das hier war nicht ihre Welt. Nicht ihre Luft, nicht ihre Sonne – oder ihre Pollen.
Seid ihr nicht zu dritt?, fragte Anaya.
Doch. Da.
Anaya sah, wie ein weiteres kryptogenes Wesen das Schiff verließ.
* * *
Petra verspürte sofort Hass, als sie die Kreatur sah.
Sie lief auf allen vieren. Der Kopf, der aus dem seltsamen weißen Ganzkörperanzug herausragte, war lang gezogen wie der eines Alligators. Vielleicht auch wie der eines Delfins – wenn man es nett ausdrücken wollte. Die Augen befanden sich weiter hinten. Petra konnte keine Ohren erkennen. Die Füße der Kreatur endeten in langen Zehen mit Schwimmhäuten dazwischen – und am hinteren Teil des Körpers wuchs ein geringelter langer Schwanz. Als sie den Mund öffnete, sah Petra dort scharfe Zähne.
Wie schon die laufende Kryptogene trug auch das schwimmende eine Maske über den Nasenlöchern, die schmale Schlitze vor den Augen waren. Als die Kreatur Petra fixierte, schaute sie zur Seite. Sie wollte nicht mit ihr reden – und sie hatte Angst, dass die Wörter einfach in ihrem Kopf erscheinen würden.
Als die Rakete das kryptogene Schiff getroffen hatte, war sie schockiert gewesen – aber auch hoffnungsvoll. Sie wollte, dass es zerstört wurde. Und als sie dann den Fliegenden sah, hatte sie befürchtet, dass sie und alle ihre Freunde hierhergelockt worden waren,...
Erscheint lt. Verlag | 10.3.2022 |
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Übersetzer | Kanut Kirches |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch |
ISBN-10 | 3-407-81291-4 / 3407812914 |
ISBN-13 | 978-3-407-81291-9 / 9783407812919 |
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