Die Königliche (Die sieben Königreiche 3) (eBook)
568 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93687-2 (ISBN)
Kristin Cashore studierte am Center for the Study of Children's Literature in Boston. Ihre Bücher »Die Beschenkte«, »Die Flammende«, »Die Königliche« und »Die Wahrhaftige« schafften sofort den Sprung auf die New-York-Times-Bestsellerliste und wurden vielfach ausgezeichnet.
Kristin Cashore studierte am Center for the Study of Children's Literature in Boston. Ihre Bücher »Die Beschenkte«, »Die Flammende«, »Die Königliche« und »Die Wahrhaftige« schafften sofort den Sprung auf die New-York-Times-Bestsellerliste und wurden vielfach ausgezeichnet. Katharina Diestelmeier studierte nach einer Buchhändlerlehre Germanistik und Hispanistik in Marburg, Santiago de Compostela und Berlin, anschließend arbeitete sie mehrere Jahre als Lektorin. Inzwischen übersetzt sie Kinder- und Jugendliteratur aus dem Englischen und Spanischen, darunter Bücher von Lauren Oliver, E. Lockhart und Stephenie Meyer. Sie lebt mit ihrer Familie in Tübingen.
PROLOG
Es muss wehtun, wenn er Mama so am Handgelenk packt und zum Wandbehang zerrt. Aber sie schreit nicht. Sie versucht ihren Schmerz vor ihm zu verbergen, mir jedoch wirft sie noch einen Blick zu und in ihrem Gesicht sehe ich all ihre Gefühle. Wenn Vater erfährt, dass sie Schmerzen hat und sie mir auch zeigt, wird er ihre Schmerzen verschwinden lassen und durch etwas anderes ersetzen.
Er wird zu Mama sagen: »Alles in Ordnung, Liebling. Es tut nicht weh, du hast keine Angst«, und dann werde ich Zweifel in ihrem Gesicht auftauchen sehen, den Beginn ihrer Verwirrung. Er wird sagen: »Sieh dir unser hübsches Kind an. Sieh dir dieses hübsche Zimmer an. Wie glücklich wir sind. Alles ist in Ordnung. Komm mit, Liebling.« Mama wird ihn erstaunt ansehen und dann mich, ihr hübsches Kind in diesem hübschen Zimmer. Ihre Augen werden sanft und leer werden und sie wird darüber lächeln, wie glücklich wir sind. Ich werde auch lächeln, weil mein Bewusstsein nicht stärker ist als Mamas. »Viel Spaß! Kommt bald wieder!«, werde ich sagen. Dann wird Vater die Schlüssel hervorholen, die Tür hinter dem Wandbehang öffnen und Mama wird hindurchschlüpfen. Thiel, der – groß, wie er ist – beunruhigt und verwirrt mitten im Zimmer steht, wird hinter ihr herstürzen und Vater wird den beiden folgen.
Wenn der Riegel wieder an seinen Platz gleitet, werde ich dastehen und versuchen mich zu erinnern, was ich gerade gemacht habe, bevor das hier geschehen ist. Bevor Thiel, Vaters oberster Ratgeber, auf der Suche nach ihm in Mamas Zimmer kam. Bevor er, die Hände so fest an die Seiten gepresst, dass sie zitterten, versuchte, Vater etwas zu sagen, das ihn wütend machte, sodass er vom Tisch aufstand, dabei alle Papiere verstreute, seine Feder fallen ließ und sagte: »Thiel, du bist ein Idiot und kannst keine vernünftigen Entscheidungen treffen. Komm mit. Ich zeige dir, was passiert, wenn du eigenständig denkst.« Dann ging er zum Sofa und packte so unvermittelt nach Mamas Handgelenk, dass sie nach Luft schnappte und ihre Stickerei fallen ließ, aber nicht aufschrie.
»Kommt bald wieder!«, sage ich fröhlich, als die Geheimtür hinter ihnen ins Schloss fällt.
Ich bleibe zurück und blicke in die traurigen Augen des blauen Pferdes auf dem Wandbehang. Schneeflocken wehen gegen das Fenster. Ich versuche mich zu erinnern, was ich gemacht habe, bevor alle weggegangen sind.
Was ist eben passiert? Warum kann ich mich nicht daran erinnern, was eben passiert ist? Warum fühle ich mich so …
Zahlen.
Mama sagt, wenn ich verwirrt bin oder mich nicht erinnern kann, soll ich rechnen, weil Zahlen wie ein Anker sind. Für solche Momente hat sie mir Rechenaufgaben notiert. Sie liegen hier neben den Blättern, die Vater mit seiner komischen verschnörkelten Schrift bedeckt hat.
1058 durch 46.
Schriftlich hätte ich das in zwei Sekunden ausgerechnet, aber Mama sagt immer, ich soll es im Kopf rechnen. »Verbanne alles aus deinem Bewusstsein außer den Zahlen«, sagt sie. »Stell dir vor, du bist mit den Zahlen allein in einem leeren Raum.« Sie hat mir Tricks beigebracht. Zum Beispiel: 46 ist fast 50, und 1058 ist nur wenig mehr als 1000. 1000 durch 50 ist genau 20. Damit fange ich an und rechne dann den Rest aus. Eine Minute später habe ich herausbekommen, dass 1058 durch 46 genau 23 ist.
Ich löse noch eine Aufgabe. 2850 durch 75 ist 38. Noch eine. 1600 durch 32 ist 50.
Oh! Das sind gute Zahlen, die Mama da ausgesucht hat. Sie wecken Erinnerungen und bilden eine Geschichte, denn fünfzig ist Vaters Alter und zweiunddreißig Mamas. Sie sind seit vierzehn Jahren verheiratet und ich bin neuneinhalb. Mama ist eine Prinzessin aus Lienid. Vater hat sie bei einem Besuch des Inselkönigreichs Lienid erwählt, als sie erst achtzehn war. Er hat sie hierher mitgebracht und sie ist nie zurückgekehrt. Sie vermisst ihre Heimat, ihren Vater, ihre Geschwister und ihren Bruder Ror, den König. Sie spricht manchmal davon, mich dorthin zu schicken, damit ich in Sicherheit bin. Dann halte ich ihr den Mund zu, wickele eine Hand in ihre Schals und ziehe mich daran an sie, weil ich sie nicht verlassen will.
Bin ich hier nicht in Sicherheit?
Die Zahlen und die Geschichte machen meinen Verstand wieder klar und es fühlt sich an, als würde ich fallen. Atmen!
Vater ist der König von Monsea. Niemand weiß, dass er die verschiedenfarbigen Augen eines Beschenkten hat; niemand wundert sich, denn es ist eine schreckliche Gabe, die sich hinter seiner Augenklappe verbirgt: Wenn er spricht, benebeln seine Worte den Verstand der Menschen und sie glauben alles, was er sagt. Normalerweise lügt er. Deshalb sind jetzt, wo ich hier sitze, die Zahlen klar, aber andere Dinge in meinem Verstand sind durcheinander. Vater hat gerade gelogen.
Jetzt verstehe ich, warum ich allein in diesem Zimmer bin. Vater hat Mama und Thiel mit nach unten in seine Räume genommen und tut Thiel etwas Schreckliches an, damit er lernt zu gehorchen und nicht noch mal mit Nachrichten zu Vater kommt, die ihn wütend machen. Was dieses Schreckliche ist, weiß ich nicht. Vater zeigt mir nie, was er tut, und Mama behält nie genug in Erinnerung, um es mir erzählen zu können. Sie hat mir verboten, Vater jemals nach unten zu folgen. Sie sagt, wenn mir der Gedanke kommt, Vater die Treppe hinunter zu folgen, muss ich diesen Gedanken wegschieben und weiter rechnen. Sie sagt, wenn ich nicht auf sie höre, schickt sie mich nach Lienid.
Ich versuche es. Ich versuche es wirklich. Aber es gelingt mir nicht, mir vorzustellen, ich wäre mit den Zahlen allein in einem leeren Raum, und plötzlich schreie ich.
Dann bemerke ich, dass ich Vaters Papiere ins Feuer werfe. Ich renne zurück zum Schreibtisch, nehme einen Packen davon hoch, stolpere über den Teppich, werfe die Blätter in die Flammen und schreie, während ich zusehe, wie Vaters eigenartige schöne Schrift verschwindet. Ich schreie sie aus der Welt. Ich stolpere über Mamas Stickerei, ihre Leintücher mit den fröhlichen kleinen Reihen aus gestickten Sternen, Monden, Burgen; fröhliche bunte Blumen, Schlüssel und Kerzen. Ich hasse die Stickerei. Es ist die Lüge eines Glücks, von dem Vater sie überzeugt. Ich zerre die Laken zum Feuer.
Als Vater durch die Geheimtür platzt, stehe ich immer noch da und schreie aus vollem Hals. Die Luft ist verpestet, angefüllt vom stinkenden Rauch der Seide. Ein Stück Teppich brennt. Vater tritt die Flammen aus. Er packt mich an den Schultern und schüttelt mich so fest, dass ich mir auf die Zunge beiße. »Bitterblue«, sagt er geradezu verängstigt, »bist du verrückt geworden? Du könntest hier drin ersticken!«
»Ich hasse dich!«, brülle ich ihm direkt ins Gesicht. Da tut er etwas Eigenartiges: Sein einziges Auge leuchtet auf und er fängt an zu lachen.
»Du hasst mich nicht. Du liebst mich und ich liebe dich.«
»Ich hasse dich«, erwidere ich, aber jetzt zweifle ich daran, ich bin verwirrt. Seine Arme ziehen mich an sich.
»Du liebst mich«, sagt er. »Du bist mein wunderbarer, starker Liebling und eines Tages wirst du Königin sein. Wärst du nicht gern Königin?«
Ich umarme Vater, der vor mir in einem verrauchten Zimmer auf dem Boden kniet, so groß, so tröstlich. Vater ist warm und es ist schön, ihn zu umarmen, obwohl sein Hemd komisch riecht, nach irgendetwas Süßlichem, Verdorbenem. »Königin von ganz Monsea?«, frage ich voller Erstaunen. Die Worte füllen meinen ganzen Mund aus. Meine Zunge schmerzt. Ich kann mich nicht erinnern, warum.
»Eines Tages wirst du Königin sein«, sagt Vater. »Ich bringe dir alles Wichtige bei, damit du gut vorbereitet bist. Du musst hart arbeiten, Bitterblue. Du hast nicht dieselben Vorteile wie ich. Aber ich werde dich formen, ja?«
»Ja, Vater.«
»Und du musst mir immer gehorchen. Wenn du noch einmal meine Papiere vernichtest, Bitterblue, schneide ich deiner Mutter einen Finger ab.«
Das verwirrt mich. »Was? Vater! Das darfst du nicht!«
»Und wenn es danach noch mal vorkommt«, sagt Vater, »gebe ich dir das Messer und du schneidest ihr einen Finger ab.«
Ich falle erneut. Allein im Himmel mit den Worten, die Vater gerade gesagt hat; das Verständnis trifft mich mit voller Wucht. »Nein«, sage ich bestimmt. »Dazu könntest du mich nicht bringen.«
»Ich glaube, du weißt, dass ich das könnte«, sagt er, fasst mich an den Oberarmen und hält mich dicht vor sich. »Du bist meine starke Tochter und ich glaube, du weißt genau, wozu ich imstande bin. Sollen wir uns was versprechen, Liebling? Sollen wir uns versprechen, von jetzt an immer ehrlich zueinander zu sein? Ich werde dich zu einer strahlenden Königin machen.«
»Du kannst mich nicht dazu bringen, Mama wehzutun«, sage ich.
Vater hebt eine Hand und schlägt mir ins Gesicht. Ich kann nichts sehen, keuche und würde hinfallen, wenn er mich nicht festhielte. »Ich kann jeden dazu bringen, zu tun, was immer ich will«, sagt er ganz ruhig.
»Du kannst mich nicht dazu bringen, Mama wehzutun«, brülle ich mit brennendem Gesicht, über das Tränen und Rotz laufen. »Eines Tages werde ich groß genug sein, um dich umzubringen.«
Vater lacht wieder. »Mein Schatz«, sagt er und zieht mich erneut in seine Arme. »Sieh nur, wie perfekt du bist. Du wirst mein Meisterstück werden.«
Als Mama und Thiel durch die Geheimtür kommen, murmelt Vater mir etwas zu. Ich bin geborgen in seinen Armen, habe die Wange an seine Schulter gelehnt und frage mich, warum es im Zimmer nach Rauch riecht und meine Nase so schmerzt. »Bitterblue?«, sagt Mama ängstlich. Ich hebe das Gesicht. Sie macht große Augen, kommt zu mir...
Erscheint lt. Verlag | 29.6.2022 |
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Reihe/Serie | Die sieben Königreiche | Die sieben Königreiche |
Übersetzer | Katharina Diestelmeier |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | die besten Romantasy Jugendromane • Fantasy Buchreihe • Fantasy für Jugendliche • Fantasy für Mädchen ab 14 • Fantasy Liebesromane deutsch • Geschenk für Mädchen ab 14 • High Fantasy Bücher • Liebesromane deutsch • Liebesromane für Junge Erwachsene • liebesromane kindle deutsch • romance deutsch • Romance Romantasy Fantasy • romantasy ab 14 • Romantasy Jugendbücher • Romantic Fantasy • Romantische Bücher • romantischer Fantasy Liebesroman • starke frauen romane |
ISBN-10 | 3-646-93687-8 / 3646936878 |
ISBN-13 | 978-3-646-93687-2 / 9783646936872 |
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