Leo und Lucy 1: Die Sache mit dem dritten L (eBook)
288 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93480-9 (ISBN)
Bevor Rebecca Elbs die Bedeutung von Buchstaben kannte, bastelte sie Bücher aus buntem Tonpapier und Heftklammern. Seit dem Tag, an dem sie endlich in die Schule durfte, hat sie nicht mehr aufgehört zu lesen und zu schreiben. Für das Manuskript von Leo & Lucy - Die Sache mit dem dritten L gewann sie 2020 den Kirsten-Boie-Förderpreis. Im Jahr 2022 folgte das Kranichsteiner Kinderliteratur-Stipendium des Deutschen Literaturfonds und des Arbeitskreises für Jugendliteratur und der Titel wurde für den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis nominiert.
Bevor Rebecca Elbs die Bedeutung von Buchstaben kannte, bastelte sie Bücher aus buntem Tonpapier und Heftklammern. Seit dem Tag, an dem sie endlich in die Schule durfte, hat sie nicht mehr aufgehört zu lesen und zu schreiben. Für das Manuskript von Leo & Lucy – Die Sache mit dem dritten L gewann sie 2020 den Kirsten-Boie-Förderpreis. Im Jahr 2022 folgte das Kranichsteiner Kinderliteratur-Stipendium des Deutschen Literaturfonds und des Arbeitskreises für Jugendliteratur und der Titel wurde für den Deutsch-Französischen Jugendliteraturpreis nominiert. Julia Christians studierte Kommunikationsdesign an der HBK Braunschweig und arbeitet seit 2018 als freiberufliche Illustratorin. Sie lebt zusammen mit ihrem Mann, ihren zwei Kindern und der ständigen Frage, ob drei Hunde genug Hunde sind (die Antwort ist: Nein).
Regel 2:
Sich auf keinen Fall verschlucken lassen
Mit mir und dem Leben ist es so: Ich wohne in einer Weltraum-Rakete, die auf der Insel Köln-Chorweiler zurückgelassen wurde. Zumindest nennt Finn unseren Stadtteil immer eine Insel. Und der muss es ja wissen. Schließlich ist er der Sozialarbeiter des Chorweiler Jugendzentrums.
Ich finde eigentlich, unsere Gegend ist eher wie eine ganze Galaxie. Eine Galaxie, die so groß ist, dass mein Kopf fast explodiert, wenn ich sie mir vorstelle.
Denn darin gibt es so einiges: Sterne, Planeten, Astronauten auf geheimer Mission, meine Mama, meine beste Freundin Lucy, ihren Terrier Blumenkohl, Weiße-Mäuse-Toast mit Waldmeister-Brause und extraviel Schokocreme – und mich zum Beispiel. Und einmal im Jahr das Lille-Fest im Hof natürlich, mit Grillen, Lichterketten und allem Drum und Dran. Das ist fast so toll wie Silvester – nur ohne Böller.
Aber es gibt auch Außerirdische, erste Stunden bei Herrn Dölb (eine davon beginnt in 47 Minuten), die Idioten aus dem Orrer Weg, lautes Vorlesen und Nachsitzen. So wie gestern Nachmittag eben.
Und schwarze Löcher gibt es auch. In der Mitte unserer Galaxie befindet sich so eins. Und diese Mitte ist ausgerechnet genau in unserer Weltraum-Rakete drin. Direkt unter unserem Aufzug. Aber keiner außer mir scheint das bemerkt zu haben.
Keine Ahnung, wie das schwarze Loch da reingekommen ist. Aber jeden einzelnen Tag setze ich mich freiwillig der Gefahr aus, dort hineinzufallen. Weil ich wegen Lucy die Treppe ja nicht benutzen kann.
Doch bevor dieses schwarze Loch mich heute oder in naher Zukunft endgültig verschluckt, möchte ich mich noch schnell richtig vorstellen. Falls meine Geschichte irgendwann in den Nachrichten landet. Damit man nachlesen kann, wer dieser Held eigentlich war.
Mein Name ist Leo Lennert. Der Leo aus dem 15. Stock mit dem Skateboard vom Sperrmüll und den Comic-Bildern im Kopf, die sich ständig wie von selbst in meinen linierten Schreibheften ausbreiten. Der Leo, der nur alle vier Jahre großen Geburtstag hat. Weil die Erde nämlich nicht nur 365 Tage, sondern zusätzlich noch 5 Stunden, 48 Minuten und 46 Sekunden braucht, um die Sonne zu umkreisen. Und diese Zeitreste muss man dann vier Jahre lang zusammensparen, bis dann endlich wieder ein Geburtstag für mich rausspringt. (Morgen, am 29. Februar, ist es aber zum Glück wieder so weit. Weil endlich mal wieder Schaltjahr ist.)
»Ich glaube, es würde helfen, wenn du die Augen aufmachst, Leo. Und dein Skateboard unter den Arm klemmst«, höre ich Lucys Stimme neben mir.
Als ich meine Augen öffne, grinst sie mich breit an. Ihr 1-a-Zahnlücken-Grinsen. »Oder willst du den Aufzugsknopf mit deiner Gedankenkraft drücken?«
Will ich natürlich. Kann ich leider noch nicht. Muss dringend auf meine Liste. Meine Die-allerwichtigsten-Dinge-die-ich-noch-lernen-muss-bevor-ich-plötzlich-erwachsen-bin-Liste.
Ich schiebe mein Skateboard unter den Arm und drücke auf das orange leuchtende E – E wie Erde. Hoffen wir, dass die Anziehungskraft unseres Planeten heute stark genug ist.
Wenn man nämlich zu tief in ein schwarzes Loch fällt, wird man lang gezogen wie eine Spaghetti-Nudel. Das wäre von Vorteil für meine eins Komma einunddreißig Meter Körpergröße. Ist unter Durchschnitt, hat Dr. Mussmann gesagt. Aber Nachteil Nummer eins: Ich würde noch dünner aussehen. Nachteil Nummer zwei: Soweit ich weiß, ist noch keiner aus einem schwarzen Loch lebendig wieder herausgekommen.
Als der Sog im Aufzug so stark wird, dass mein Erdnussbutter-Aufbackbrötchen mit extraviel Käse in meinem Magen lang gezogen wird, halte ich mir mein Skateboard über den Kopf. Zur Sicherheit.
»Tut mir leid, dass es gestern nach der Schule nicht mehr geklappt hat. Mit dem Skater-Platz. Und vor allem, dass ich dir nicht mehr Bescheid sagen konnte«, sage ich und seufze. »Aber eine Stunde lang einem Kaktus die Seite 24 vorzulesen, ist auch kein Spaß. Das kannst du mir glauben.«
»Du musstest einem Kaktus was vorlesen?«, fragt Lucy und runzelt die Stirn.
»Ich war ja der Einzige, der gestern nachsitzen musste. Also habe ich erst dem Dölb den Anfang von Seite 24 vorgelesen. Laut und deutlich. Nach zehn Minuten ist ihm aber plötzlich eingefallen, dass er noch ganz viel kopieren muss. Und ich habe genau gehört, wie er gemurmelt hat, dass der Kaktus auf der Fensterbank vielleicht mehr Geduld hat als er.«
Lucy schüttelt den Kopf so fest, dass die schokobraunen Locken in ihr Gesicht hüpfen. Wie das Lametta an unserem Weihnachtsbaum immer, wenn Blumenkohl nach seinem Adventsknochen sucht.
»Dein Herr Dölb macht mich echt fertig, Leo. Der würde übrigens auch einen guten Kaktus abgeben, finde ich. Bei Frau Lubenstein würde das nicht passieren. Die nimmt sich immer extra viel Zeit für einen, wenn man etwas noch nicht so gut kann. Das mit gestern ist aber nicht so schlimm. Ich musste sowieso noch was Wichtiges erledigen. Kannst mir ja deinen Skateboard-Trick jetzt gleich noch vor der ersten Stunde zeigen.«
»Geht nicht. Dafür brauche ich den Schwung von der Rampe.«
Lucy nickt.
»Was musstest du denn gestern noch erledigen? Hattest du so viele Hausaufgaben?«, frage ich.
Lucy schüttelt den Kopf.
»Für deine Eltern wieder einen Brief übersetzen?«
»Nee.«
»Mit Blumenkohl um den Block fahren?«
»Auch nicht.« Lucy presst die Lippen zusammen. »Ich kann nicht darüber reden, Leo«, sagt sie schließlich und starrt dabei ihre Schuhe an.
Ich schlucke. Eigentlich erzählen wir uns immer alles. Aber na gut. Man muss den Menschen ihren eigenen Willen lassen. Auch wenn man sie nicht versteht. Sagt Mama immer.
»Glaubst du, dass du es morgen bekommst?«, fragt Lucy plötzlich und atmet tief durch.
Sie ist wahrscheinlich froh, dass ihr ein anderes Thema eingefallen ist. Dabei hält sie sich ganz oben an den Gurten ihres kleinen Einhorn-Rucksacks fest, den sie sich wie immer vor den Bauch geschnallt hat. Es sieht so aus, als wäre das ein nach vorne gerutschter Fallschirm und sie bereit zum Sprung.
Ich sehe zur silbernen Decke unseres Aufzugs. Die acht rostigen Schrauben wackeln wieder bedenklich.
»Wenn nicht«, antworte ich leise, »habe ich keine Ahnung, wie ich diesen Geburtstag überstehen soll, Lucy. Ehrlich. Dann kann ich nur noch hoffen, dass mich nicht die ganz große Leere überfällt. So wie damals, als Meerrettich in der Waschmaschine ums Leben kam.«
Lucy knabbert an ihrem rechten Daumennagel und nickt. Dazu muss sie nichts sagen. Sie war ja selbst dabei, als wir damals meinen Hamster Meerrettich aus der Waschtrommel fischten. Obwohl er da schon nicht mehr atmete, war er noch warm. Doch das kann auch am 90-Grad-Waschgang gelegen haben. Man weiß es ja nicht. Genauso, wie ich mir immer noch nicht erklären kann, wie der kleine Meerrettich überhaupt in die Waschtrommel kam.
Ich schaue zu Lucy und sie hat wieder diese Falte mitten auf der Stirn. Ihr muss ich die große Leere ganz bestimmt nicht erklären. Sie hat es ja auch nicht immer leicht in ihrem Leben.
»Du bekommst es sicher. Diesmal auf jeden Fall. Ich meine, wie viele gelbe Wunsch-Klebezettel hast du in eurer Wohnung verteilt?«, fragt sie und schaut mich mit großen Augen an.
»Hab sie nicht gezählt. Aber allein am Kühlschrank kleben drei. Außerdem habe ich schriftlich und im Voraus auf ein Weihnachtsgeschenk verzichtet. Wenns sein muss, braucht Mama mir überhaupt nie mehr etwas zu schenken, das habe ich ihr auf den Zettel am Badezimmerspiegel geschrieben. Bis ich 18 bin.«
Lucy nickt wieder und beißt sich auf ihre Unterlippe. So, wie sie es immer tut, wenn plötzlich eine Frage in ihrem Gehirn entsteht und sie darüber brütet, ob sie die rauslassen soll.
»Was denn?«, frage ich und atme tief durch.
Die Leuchtzahl für die Stockwerke hüpft von der 8 auf die 7. Ab da lässt der Sog des schwarzen Lochs immer nach.
»Na ja, ich frage mich halt manchmal …«, murmelt sie.
Ich seufze.
»Jetzt lass es schon raus, Lucy. Beste Freunde lassen immer alles raus.«
»Ist halt so, Leo: Ich frag mich manchmal, was denn dann anders ist, wenn du dein XW90-sonst-irgendwas bekommst.«
Ich muss schlucken. »Was dann anders ist, wenn ich morgen das Skateboard meiner Träume zum Geburtstag bekomme?«, frage ich und kann es nicht fassen. So eine Frage kann wirklich nur Lucy stellen.
In meinem Bauch kribbelt es plötzlich ein bisschen. Wir fahren gerade am vierten Stock vorbei.
»Wenn ich morgen das Skateboard bekomme, dann bin ich der glücklichste Junge der ganzen Liller Straße. Wahrscheinlich der glücklichste Junge überhaupt. Das sage ich dir. Weil … dann …«, ich schließe die Augen und stelle mir alles ganz genau vor, »… dann kann ich endlich bei der großen Skater-Meisterschaft in Köln mitmachen. Denn mit zwei Vorderrädern, die eiern, komme ich auf der großen Rampe kein Stück hoch. Aber mit dem neuen Brett und mit viel Übung und ein bisschen Glück gewinne ich den Skater-Pokal und …«
»Und dann, Leo?«, fragt Lucy. Mit dieser Besserwisser-Stimme, die einen in den Wahnsinn treiben kann. »Was genau ist dann anders? Ich wills ja nur verstehen, weil du dich so festbeißt. An diesem Skateboard.«
Wir sind gelandet. Auf E wie Erde. Ich lächle. Vor Erleichterung und weil Lucy ja irgendwie recht hat: Auch wenn ich das Skater-Turnier gewinne, bin ich immer noch derselbe Leo, der sich jeden Tag todesmutig dem schwarzen Loch stellen muss. Leo Lennert, der Panik davor hat, auch nur seine Adresse vor...
Erscheint lt. Verlag | 26.8.2021 |
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Reihe/Serie | Leo und Lucy | Leo und Lucy |
Illustrationen | Julia Christians |
Zusatzinfo | Schwarz-weiß illustriert |
Verlagsort | Hamburg |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Kinderbücher bis 11 Jahre |
Schlagworte | 3. Klasse Kinderbuch • Alleinerziehende • Behinderung Buch • beste Freunde • Brennpunkt • Bücher 4. Klasse Jungen • Bücher 4. Klasse Mädchen • Bücher ab 11 • Bücher für Jungs ab 10 • Bücher für Jungs ab 9 • Bücher für Mädchen ab 10 • Bücher für Mädchen ab 9 • Freundschaft • Kinder Rollstuhl • Legasthenie • Lesebücher 4. Klasse • Lesebücher ab 10 • Leseschwäche • Leseschwierigkeit • Lustige Bücher • Mobbing in der Schule • Rico Oskar • Rollstuhl • Rollstuhlfahrer • witzige Bücher • witzige Bücher für Kinder |
ISBN-10 | 3-646-93480-8 / 3646934808 |
ISBN-13 | 978-3-646-93480-9 / 9783646934809 |
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