Bis einer stirbt - Drogenszene Internet. Die Geschichte von Leyla und Josh (eBook)

Erschreckend und aufrüttelnd - 'Wir Kinder vom Bahnhof Zoo' der Generation Internet

(Autor)

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2021 | 1. Auflage
304 Seiten
Carlsen Verlag Gmbh
978-3-646-93509-7 (ISBN)

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Bis einer stirbt - Drogenszene Internet.  Die Geschichte von Leyla und Josh -  Isabell Beer
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Ein aufwühlender Bericht über 'Die Kinder vom Bahnhof Zoo' im digitalen Zeitalter. Nach ersten Drogenerfahrungen rutscht Josh in die Drogenszene im Internet ab. Er vernetzt sich mit anderen Konsumenten, bestellt immer krassere Substanzen, erhöht die Dosis. Online lernt er auch die heroinabhängige Leyla kennen. Sie tauschen sich über ihr Leben mit dem Rausch aus. Anders als Josh bewältigt sie ihren Alltag und schafft ihr Abi.?Aber die Drogen kosten beide viel: nicht nur?Zeit für Freunde?oder?Familie, sondern auch?ihre Freiheit und?ihre?Gesundheit. Schonungslos und hochaktuell: Die Investigativ-Journalistin Isabell Beer erzählt die Geschichte zweier Jugendlicher, die beim Experimentieren mit Drogen die Kontrolle verlieren.?

Isabell Beer, geboren 1994, arbeitet als Journalistin für funk, das junge Angebot von ARD und ZDF und schreibt freiberuflich für unterschiedliche Medien. Für eine Undercover-Recherche wurde sie für den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie Investigation nominiert. 'Bis einer stirbt - Drogenszene Internet' ist ihr erstes Buch. Für die zugrundeliegende ZEIT-Recherche erhielt sie den Otto-Brenner-Newcomerpreis 2019.

Isabell Beer, geboren 1994, arbeitet als Journalistin für funk, das junge Angebot von ARD und ZDF und schreibt freiberuflich für unterschiedliche Medien. Für eine Undercover-Recherche wurde sie für den Deutschen Reporterpreis in der Kategorie Investigation nominiert. "Bis einer stirbt – Drogenszene Internet" ist ihr erstes Buch. Für die zugrundeliegende ZEIT-Recherche erhielt sie den Otto-Brenner-Newcomerpreis 2019.

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ZUM ERSTEN MAL HIGH


»Er war anders, schon als Kind«, erzählt sein Vater, der auch heute noch in dem Haus lebt, in dem Josh groß geworden ist. Einem Haus in einem kleinen Dorf in Rheinland-Pfalz, in dem nur wenige Hundert Menschen leben und wo es noch nicht einmal einen Bahnhof gibt. Ein Haus mit vielen gerahmten Fotos dieses blonden Jungen mit Sommersprossen und einem breiten Grinsen im Gesicht. Der große Garten öffnet einen unglaublichen Blick auf unberührte Natur. In dieser Idylle wächst Josh auf, in diesem Ort, den er später als das »letzte Kuhkaff« bezeichnen wird.

Unter der Woche arbeitet sein Vater als Bauingenieur in der Schweiz, Josh ist dann mit seiner Mutter in dem großen Haus allein. Jeden Abend singt sie mit ihm Schlaflieder und liest ihm mindestens eine lange Gutenachtgeschichte vor. Am Wochenende übernimmt der Vater das Vorlesen und streicht ihm dabei vom Nasenrücken aus über die Stirn, bis er zufrieden einschläft. Josh ist ruhig und sensibel, ein Träumer. Seine Eltern fördern ihn, versuchen ihn fürs Skifahren zu begeistern, für Fußball, Leichtathletik, Karate, für irgendwas. »Er wollte meist schon nach einem Mal nicht mehr hin. Wir haben ihn aber ein paarmal hingefahren – ohne Erfolg«, erinnert sich sein Vater. Josh hat auf nichts wirklich Lust. Er ist am liebsten zu Hause.

»Manchmal haben wir ihn mitgenommen zum Radfahren«, erzählt sein Vater, »das hat er dann über sich ergehen lassen. Er war aber nie körperlich aktiv. Er hat sich bei allen Bereichen minimalistisch verhalten, so wenig wie möglich bewegt.«

Jede Anstrengung liegt Josh fern. In den gemeinsamen Urlauben geht er zwar ins Meer, aber nicht, um zu schwimmen. Er lässt sich einfach nur treiben, bis seine Lippen blau und seine Hände ganz schrumpelig sind.

Leyla ist kein geplantes Kind – doch als ihre Eltern von der Schwangerschaft erfahren, freuen sie sich riesig. Sie wird in einer deutschen Großstadt geboren. Mit ihren Eltern lebt sie in einer kleinen Wohnung im dritten Stock eines Plattenbaus, in einer Gegend, in der es viel Armut gibt.

Leylas Vater ist einige Jahre zuvor aus seiner Heimat, einem arabischen Land, geflüchtet. Ihre Mutter hat ebenfalls arabische Wurzeln. Ihre Eltern reisen mit ihr immer wieder für mehrere Monate in das Land ihres Vaters, das sie alle verbindet. Leyla spielt dort stundenlang mit den Katzen, die in den Gassen der Stadt herumstreunen. Schnell ist Leyla im Viertel für ihre unbändige Tierliebe bekannt.

Manchmal, wenn Leyla abends im Bett liegt, hört sie entfernt Schüsse. »Dass mal eine Bombe fällt, ist jetzt nichts so Ungewöhnliches«, sagt sie. Es gibt noch etwas, was sie als bedrohlich empfindet: Immer wieder fällt der Strom aus. »Das ist schon eine Atmosphäre, die einem den Boden unter den Füßen wegreißt. Vor allem das Geheul der Schakale und der Straßenhunde in der Umgebung. Man weiß nie: Wo sind die? Sind die vor dem Haus?« Dämmert es, will sie ihre Familie ganz nah bei sich haben und weigert sich, alleine zu schlafen – und so legt sich ihre Mutter jede Nacht zu ihr ins Bett und erzählt ihr Geschichten, bis ihr die Augen zufallen. Manchmal übernimmt das auch Leylas Vater.

Kurz vor ihrem sechsten Geburtstag bekommt sie einen Hund, den sie nachts zu sich ins Bett holt. Erst verbieten ihr das ihre Eltern. »Aber irgendwann haben sie gemerkt, das ist zwecklos.«

Als Leyla in Deutschland zur Schule geht, heißt es auf Elternabenden, sie sei »hibbelig«, so erinnert sich ihre Mutter. »Ich war voll das ADHS-Kind«, sagt Leyla selbst. Es gibt darüber sogar eine ärztliche Diagnose, die die Mutter aber wegwirft. Sie will das »nicht haben, nicht wissen«.

Leyla leidet unter ihrer Unruhe, besonders in der Schule. »Fünfundvierzig Minuten still zu sitzen – für mich war dieser dauernde Bewegungsdrang schon quälend, und dass ich permanent genervt habe – das hat mich selbst genervt. Konnte ich mich konzentrieren, hatte ich es ziemlich leicht, zwischen Eins und Drei zu stehen. Ließ ich es schleifen, kam es vor, dass ich Fünfen oder Sechsen nach Hause gebracht habe.«

Ihre Eltern bleiben nie lange an einem Ort. Leylas Kindheit ist von ständigen Umzügen in Deutschland geprägt und längeren Aufenthalten in der Heimat ihres Vaters. Als sie acht ist, geht Leyla sogar in der arabischen Heimat ihres Vaters zur Schule und ihre Mutter unterrichtet sie zudem zu Hause, sie leben nun dort. Dort spielt sie viel mit Kindern aus ihrer Familie. Trotz der bedrohlichen Atmosphäre fühlt sie sich hier wohl und frei. »Sie war sehr neugierig und wollte vieles ausprobieren. Ich ließ sie auch alles machen«, erzählt ihre Mutter. Leyla ist ein draufgängerisches Kind. Als sie einen etwa zwölf Meter hohen Mast hochklettert, sorgen sich andere Mütter um sie, sagen ihrer Mutter: »Um Gottes willen! Wie kannst du das zulassen?«, doch sie lässt ihre Tochter weiterklettern. Sie vertraut Leyla blind, sorgt sich nie wegen dem, was sie tut. Sondern nur um Dinge, die nichts mit Leylas eigenen Entscheidungen zu tun und auf die sie keinen Einfluss haben, wie Krankheiten.

In Deutschland genießt auch Josh Zeit mit Gleichaltrigen. An einem seiner Geburtstage pustet er Seifenblasen durch den Garten und tobt mit anderen Jungs und Mädchen herum, auf den Fotos von diesem Tag lächelt er. Josh hat gern Freunde um sich, solange sie zu ihm kommen – doch sie selbst besucht er nur selten. »Woanders hingehen war nie sein Ding«, sagt sein Vater.

Während Josh in Deutschland in einem Garten spielt, ist es bei Leyla ein ehemaliges Kriegsgebiet. In den Feldern liegen Landminen, sie sind Überbleibsel aus dem Krieg, aber niemand weiß, wo sie im Boden vergraben sind. »Und das fordert leider immer wieder Opfer«, so Leyla. Die versteckten Landminen sind nämlich teilweise noch scharf.

Eines Tages tritt einer ihrer Freunde beim Spielen auf eine solche Mine – sie explodiert. Leyla erinnert sich an seine aufgelöste Mutter, daran, wie ihre eigene Mutter versucht hat, sie zu beruhigen. Verwandte transportieren den schwer verletzten Jungen ins Krankenhaus. Leyla und ihre Mutter fahren hinterher. Sie sieht das Auto, in dem er transportiert wurde. Es ist voller Blut.

Die Ärzte können nichts mehr für den Jungen tun. Leylas Spielkamerad stirbt. Äußerlich zeigt sie keine Regung, weint nicht. »Sie hat als Kind nie geweint, bei keiner Sache«, sagt ihre Mutter. Auch nicht, wenn sie sich verletzt habe.

Nach der Beerdigung wird in der Familie nicht mehr darüber gesprochen. Leyla sagt, es sei anfangs schwierig gewesen, mit ihren Eltern über Probleme zu sprechen. Was aber immer da gewesen sei: Liebe und Nähe. »Wir konnten zwar, wenn jemand tot war, schlecht darüber reden, aber waren uns körperlich immer sehr nah.«

Der Tod des Jungen löst in der Familie viel aus. Der Mutter wird das Leben in der Heimat ihres Mannes zu gefährlich, sie denkt an eine Zukunft in Deutschland. Leyla ist zehn, müsste bald auf eine weiterführende Schule und sollte einen festen Ort haben, ohne ständig hin- und hergerissen zu sein.

Einige von Leylas Spielkameradinnen tragen inzwischen Hidschab, also Kopftuch. Auf Fotos aus dieser Zeit sitzt Leyla ohne Kopftuch zwischen ihnen. Sie lebt ihren Glauben anders, betet bis heute gemeinsam mit ihrem Vater. »Unser Glaube ist nicht an eine Religion geheftet«, so Leyla. »Weder an das Christentum noch an den Islam. Alle Religionen verfolgen letztendlich ein ähnliches Ziel, sie verfolgen nur andere Wege. Ich finde, man sollte sich frei von all den Regeln machen, die man nicht fühlt. Wenn mir jemand sagt: ›Trage ein Kopftuch!‹ – das fühle ich nicht.« Leyla sagt, sie lehne alles ab, wo Menschen benachteiligt werden, egal ob aufgrund von Geschlecht, Herkunft oder Religion.

Nicht jeder ihrer Verwandten habe ihre Entscheidung akzeptiert. »Die Familie fing an, Fragen zu stellen und komisch zu werden«, weil alle gleichaltrigen Mädchen Hidschab trugen. »Und das hat uns dann noch mehr weggetrieben. Für uns war das so eine Art Schlussstrich.« Ihre Mutter sieht zudem für ihre Tochter in diesem Land nicht die gleichen Chancen als Frau. Ihre Eltern ziehen deshalb dauerhaft nach Deutschland, damit ihre Tochter hier aufs Gymnasium gehen kann.

Auch in der Schule vermeidet Josh jede Anstrengung. Obwohl er kaum lernt, ist er ein guter Schüler und schafft es wie Leyla aufs Gymnasium.

In beinahe jedem Bereich seines Lebens ist Josh Minimalist, nicht einmal ein zweites Paar Schuhe will er haben. Nur selten spricht er Wünsche aus – bis auf einen, den er permanent wiederholt: Er will einen Hund haben. Einen Spielkameraden, der immer bei ihm ist. In der Nachbarschaft streichelt er jeden Vierbeiner, der ihm über den Weg läuft. Josh verspricht seinen Eltern, gut für einen Hund zu sorgen, und nachdem er lange bittet und bettelt, willigen seine Eltern schließlich ein.

Als in einem Nachbarort eine Labradorhündin Welpen hat, darf sich Josh einen aussuchen. Er entscheidet sich für ein Weibchen und tauft das kleine Fellknäuel Jule. Immer wieder besucht er Jule, bis er sie an seinem elften Geburtstag abholen darf. Seit diesem Tag ist die junge Hündin ständig bei Josh im Zimmer. Sehen seine Eltern nach ihm, liegen sie häufig auf dem Bett und kuscheln. Auf Fotos aus dieser Zeit grinst Josh breit in die Kamera.

Als er in die Pubertät kommt, zieht er sich weiter zurück. Nachts, wenn seine Eltern schlafen, schleicht er sich in den Keller, wo der Computer steht, und trifft sich in der Online-Welt mit gleichgesinnten Zockern. Er muss sein Zuhause nicht mehr verlassen, um Gesellschaft zu haben. Mit Freunden im realen Leben trifft er sich kaum noch. »Der...

Erscheint lt. Verlag 23.9.2021
Verlagsort Hamburg
Sprache deutsch
Themenwelt Kinder- / Jugendbuch Jugendbücher ab 12 Jahre
Kinder- / Jugendbuch Sachbücher
Schlagworte abhängige Jugendliche • Abhängigkeit • Absturz • ausgezeichnete Journalistin • Christiane F. • DIE ZEIT • Drogen • Drogen Jugendliche Buch • Drogenmissbrauch • Drogensucht • Drogentod • Haschisch • Internet • Isabell Beer • Journalistin • Sucht • Sucht Jugendbuch • synthetische Drogen • Überdosis • Wir Kinder vom Bahnhof Zoo • ZEIT-Dossier
ISBN-10 3-646-93509-X / 364693509X
ISBN-13 978-3-646-93509-7 / 9783646935097
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