Eine uralte Beschwörung droht das Kaiserreich Iwagoto für tausend Jahre in düsteres Chaos zu stürzen. Allein der Gestaltwandlerin Yumeko und ihrem geliebten Samurai Tatsumi kann noch die Rettung gelingen. Dafür mussten sie bereits zahlreiche Gefahren überwinden - und schreckliche Opfer bringen. Doch der größte Kampf steht ihnen und ihren Weggefährten noch bevor. Denn im Verborgenen lauert ein Feind, mit dem niemand gerechnet hat ...
Schon in ihrer Kindheit galt Julie Kagawas große Leidenschaft dem Schreiben. Nach Stationen als Buchhändlerin und Hundetrainerin machte sie ihr Interesse zum Beruf. Mit ihren Fantasy-Serien »Plötzlich Fee« und »Plötzlich Prinz« wurde sie rasch zur internationalen Bestsellerautorin. In ihrer neuesten Erfolgsserie »Plötzlich Rebell« erzählt sie von einer magischen Liebe, die nicht sein darf. Julie Kagawa lebt mit ihrem Mann in Louisville, Kentucky.
2
VERTRAUTE SCHATTEN
Tatsumi
Die Tengu verbannten uns aus dem Gebirge.
Mich am Leben zu lassen, war anscheinend das Höchste der Gefühle. Ihr Zuhause war zerstört worden, ihr Daitengu ermordet, und die Teile der Drachenrolle waren in die Hände ihres Feindes gefallen. Einen Dämon auf ihrem heiligen Berg zu dulden wäre ein unverzeihlicher Frevel, und als Yumeko ihnen untersagte, mich zu töten, gaben sie uns unmissverständlich zu verstehen, dass wir nicht länger im Tempel der Stählernen Feder willkommen waren, ihre Tore auf ewig für uns verborgen blieben und sie vom morgigen Tag an, sollten sie den Träger von Kamigoroshi noch einmal im Gebirge zu Gesicht bekommen, ihn ohne jedes Bedenken niederstrecken würden.
Und so blieb uns kaum genug Zeit, um unsere Wunden zu verbinden, bevor wir Hals über Kopf den Tempel der Stählernen Feder und das Heim der Tengu verließen und vom Berg und vor den Hütern der Schriftrolle mit ihrer drohenden Rachsucht flohen. Irgendwie schafften wir es zu den Ausläufern des Gebirgszugs, wo wir erschöpft, mit noch offenen Wunden den Eingang einer Höhle fanden, genau in dem Moment, als ein kalter Regen einsetzte. Die Höhle war für fünf Menschen und einen Hund, die sich dort zusammendrängten, viel zu klein, aber sie war leer und trocken, und wir hatten keine bessere Alternative. Während der Ronin ein Feuer entzündete und die Schreinmaid mit der mühsamen Aufgabe begann, unsere Wunden zu versorgen und neu zu verbinden, zog ich mich in eine dunkle Ecke zurück, fernab der anderen, um über alles nachzudenken, was geschehen war. Und die Frage zu beantworten, die mich seit unserer Flucht aus dem Tempel quälte.
Wer bin ich?
War ich Kage Tatsumi oder Hakaimono? Ich fühlte mich wie keiner von beiden, obwohl ich wusste, dass ich mich unwiederbringlich verändert hatte. Als dieser Körper von Hakaimono besessen gewesen war, hatte der Geist des Oni die menschliche Seele völlig unterjocht, sodass sie gefangen gewesen war und sich nicht wehren konnte. Bis Yumeko kam und mithilfe ihrer Fuchsmagie in den Dämonenjäger fuhr, um den Oni im Innern zu bekämpfen. Sie hatte Tatsumis Seele gefunden, sie befreit, und gemeinsam hatten sie versucht, Hakaimono zurück ins Schwert zu bannen. Doch der Erste Oni hatte sich als viel stärker erwiesen, als beide jemals erwartet hätten.
Bevor ein Sieger feststand, war Genno aufgetaucht, eine Armee von Dämonen im Schlepptau und mit der betrügerischen Absicht, die Schriftrolle an sich zu reißen. Er hatte Hakaimono hintergangen, ihm Kamigoroshi in die Brust gerammt und ihn sterbend auf dem Schlachtfeld zurückgelassen. Um sie beide zu retten, waren die Seelen von Kage Tatsumi und Hakaimono miteinander verschmolzen und hatten dem Oni gestattet, seine Macht zu nutzen, um ihren Körper zu heilen und sie am Leben zu halten. Auf wundersame Weise hatte es funktioniert, und es war mir gelungen, den Großteil von Gennos Armee niederzustrecken, bevor sie alle anderen töten konnten. Doch in meinem geschwächten Zustand war der Tempel zerstört worden, und Genno hatte sich mit allen drei Teilen der Drachenrolle aus dem Staub gemacht.
Der Meister der Dämonen hatte alles, was er brauchte, um den Großen Kami-Drachen herbeizurufen und seinen Wunsch zu äußern, der das Ende des Kaiserreichs einläuten würde. Wir mussten Genno finden und ihn daran hindern, die Schriftrolle einzusetzen, doch es würde eine lange, gefährliche Reise werden, und einige von uns könnten dabei ihr Leben lassen. Selbst ohne die Sorge, dass meine dämonische Hälfte jederzeit die Oberhand gewinnen und meine Gefährten in Stücke reißen könnte.
»Tatsumi?«
Ich blickte auf. Yumeko hatte sich vom Rest der Gruppe abgesondert und stand jetzt mit dem Rücken zum Feuer vor mir, das sie in ein sanftes oranges Glühen hüllte. Sie trug immer noch die elegante, rot-weiße Onmyoji-Robe von dem Abend, als sie vor dem Kaiser aufgetreten war, doch die bauschigen Ärmel waren nun zerrissen, ihre langen Haare ungekämmt, und Schmutz klebte an ihrem Gesicht und ihren Händen. Sie sah nicht mehr wie eine hochgeschätzte Wahrsagerin aus. Sie sah wie ein Bauernmädchen aus, das in einem Kostüm steckte, einmal abgesehen von den langen Fuchsohren mit den schwarzen Spitzen, die aus ihren Haaren hervorlugten, und dem buschigen weißen Schwanz hinter ihr. Ich wusste, dass die meisten Menschen ihre Fuchsmerkmale nicht sehen konnten, doch seit der Nacht, als sie in meine Seele eingedrungen war, waren sie für mich deutlich sichtbar. Eine Mahnung, dass Yumeko eine Kitsune war, eine Yokai. Kein echter Mensch.
Aber andererseits war ich es auch nicht.
»Darf ich mich zu dir setzen, Tatsumi?«, fragte sie mit weicher Stimme und großen Augen, die in den flackernden Schatten golden funkelten. Ich nickte, und sie bahnte sich behutsam einen Weg über die Steine, um sich neben mich zu setzen, wobei ihr buschiger orangefarbener Schwanz mein Bein streifte, als sie sich gegen die Höhlenwand lehnte. Es war sonderbar, dass ich bei der Berührung nicht zusammenzuckte, so wie ich es früher getan hätte.
»Wie fühlst du dich?«, erkundigte sie sich.
»Ich bin am Leben«, erwiderte ich mit ebenfalls sanfter Stimme. »Das ist alles, was ich mit Gewissheit sagen kann.« Sie starrte mich an, und ich spürte, wie sich meine Lippen zu einem matten, verbitterten Lächeln verzogen. »Ich weiß, worauf du eigentlich hinauswillst, Yumeko. Aber darauf kann ich keine Antwort geben. Ich fühle mich … anders. Eigenartig. Als wäre …« Ich versuchte, die richtigen Worte zu finden, um das Unmögliche zu erklären. »Als wäre da eine verborgene Wut in mir, ein … blutrünstiger Zorn, der beim kleinsten Anlass ausbrechen kann.«
Gedankenvoll blinzelte Yumeko mich an. »Wie damals, als Hakaimono in deinem Kopf war?«, fragte sie. »Du musstest die ganze Zeit mit ihm um Kontrolle ringen … Ist es jetzt dasselbe?«
»Nein.« Ich schüttelte den Kopf. »Wir waren immer getrennte Seelen, zwei Individuen, die beide um die Vorherrschaft über einen Körper gekämpft haben. Falls … Falls ich immer noch Tatsumi sein sollte, habe ich das Gefühl, als wäre Hakaimono nun ein Teil von mir. Dass seine Boshaftigkeit und Mordlust jederzeit die Oberhand gewinnen könnten. Und falls ich Hakaimono bin, kommt es mir vor, als habe Tatsumi mich mit seinen menschlichen Gedanken, Ängsten und Gefühlen angesteckt.« Ich hob eine Hand vor mein Gesicht; sie sah menschlich aus, aber ich erinnerte mich an die tödlichen Krallen, die in jener Nacht, als ich gegen Gennos Armee gekämpft hatte, aus meinen Fingerspitzen gewachsen waren. »Vielleicht wäre es das Beste, wenn wir getrennte Wege gingen«, murmelte ich. »Sollte ein Teil von mir ein Dämon sein, wäre niemand von euch jemals sicher.«
Ich warf Yumeko einen verstohlenen Seitenblick zu, um zu sehen, ob eines meiner Worte ihr Angst einjagte, doch in ihren goldenen Fuchsaugen spiegelte sich nichts als Mitgefühl. »Nein«, sagte sie energisch, was mich zusammenfahren ließ. »Geh nicht, Tatsumi … Hakaimono … wer auch immer du sein magst. Du hast versprochen, uns auf der Suche nach dem Meister der Dämonen zu helfen. Wir brauchen dich.«
»Und was, wenn ich nicht Tatsumi bin?«, fragte ich und drehte mein Gesicht zu ihr. »Was, wenn ich Hakaimono bin? Woher weißt du, wessen Seele stärker ist oder ob Kage Tatsumi das Verschmelzen von Mensch und Dämon überhaupt überlebt hat? Selbst ich kenne die Antwort darauf nicht.«
Sie starrte mich weiterhin furchtlos an. Da durchzuckte mich ein Blitzschlag, als sie sanft ihre Finger auf meinen Arm legte und eine Woge der Hitze mein Innerstes überrollte. Yumeko lächelte matt, doch in ihren Augen, die mich eindringlich musterten, lag unendliche Traurigkeit, aber auch ein Funken Sehnsucht, was ich zwar nicht verstand, was jedoch mein Herz sonderbar zum Pochen brachte.
»Ich vertraue dir«, sagte Yumeko ganz leise. »Selbst, wenn du nicht mehr derselbe bist, habe ich in jener Nacht deine Seele gesehen. Ich weiß, dass du uns nicht verraten wirst.«
»Yumeko«, rief eine Stimme, bevor ich meine aufgewühlten Gefühle gut genug unterdrücken konnte, um etwas zu erwidern. Neben dem Feuer sitzend, beobachtete die Schreinmaid uns mit ernster Miene, und auch ihr kleiner orangefarbener Hund funkelte mich eiskalt von seinem Platz zu ihren Füßen aus an. Die dunklen Augen der Miko glitzerten argwöhnisch, während sie zu mir glitten. »Kage-san. Willst du dich nicht zu uns gesellen … Wir haben das Gebirge hinter uns gelassen und die Rache der Tengu nicht mehr zu fürchten. Wir müssen entscheiden, wohin wir von hier aus gehen wollen.«
»Hai, Reika-san.« Yumeko erhob sich und tappte zum Feuer, während ihr Fuchsschwanz unter dem Saum ihrer Robe hin und her schwang. Ich stand langsam auf und folgte ihr, wobei mir das dunkle Funkeln und der misstrauische Blick des Ronin nicht entgingen. Die Schreinmaid und ihr Hund beäugten mich mit unverhohlenem Argwohn, als könnte ich mich jeden Moment in einen Dämon verwandeln und mich mit gefletschten Zähnen auf sie stürzen. Taiyo Daisuke vom Sonnenclan saß im Schneidersitz am Feuer, die Hände in seinen Ärmeln verborgen, seine Miene eine unlesbare Maske aus Höflichkeit. Neben ihm lehnte der Ronin lässig gegen sein Bündel, so ungepflegt und zerzaust wie eh und je, mit rötlich braunen Haaren, die sich aus seinem Pferdeschwanz gelöst hatten. Sie saßen, wie mir auffiel, sehr nah beisammen für zwei Männer, die aus zwei völlig unterschiedlichen sozialen Schichten stammten. Ich kannte Samurai, die sich nicht einmal herablassen würden, im selben Zimmer wie ein Ronin zu bleiben, geschweige denn um...
Erscheint lt. Verlag | 13.7.2020 |
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Reihe/Serie | Schatten-Serie | Schatten-Serie |
Übersetzer | Beate Brammertz |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Night of the Dragon |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | ab 14 • Abenteuer • Bestsellerautorin • Dämon • Drache • eBooks • Fantasy • Freundschaft • Gefahr • Gestaltwandler • Japan • Japanische Mythologie • Kinderkrimi • Liebe • Prophezeiung • Samurai • Young Adult |
ISBN-10 | 3-641-25618-6 / 3641256186 |
ISBN-13 | 978-3-641-25618-0 / 9783641256180 |
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