Die 16-jährige Bri wünscht sich nichts sehnlicher, als eine berühmte Rapperin zu werden. Als Tochter einer Rap-Legende ist das nicht leicht: Ihr Vater starb, kurz bevor er den großen Durchbruch schaffte, und Bri tritt in riesengroße Fußstapfen. Dann verliert ihre Mutter ihren Job. Plötzlich gehören Essensausgaben, Zahlungsaufforderungen und Kündigungen ebenso zu Bris Alltag wie Reime und Beats. Als sich die unbezahlten Rechnungen stapeln und ihre Familie kurz davor ist, ihre Bleibe zu verlieren, wird klar: Eine berühmte Rapperin zu werden, ist für Bri nicht länger nur ein Wunsch, sondern ein Muss ...
Angie Thomas bei cbj & cbt:
The Hate U Give
On The Come Up
Concrete Rose
Alle Bücher können unabhängig voneinander gelesen werden.
Angie Thomas ist in Jackson, Mississippi, aufgewachsen und lebt auch heute noch dort. Als Teenager tat sie sich als Rapperin hervor. Thomas hat einen Bachelor-Abschluss im Fach Kreatives Schreiben an der Belhaven Universität. Ihr preisgekröntes Debüt »The Hate U Give« erntete ein überschwängliches Presse- und Leserecho und schaffte es auf Anhieb auf Platz 1 der New York Times-Bestsellerliste, ebenso wie ihre Folgeromane »On the Come Up« und »Concrete Rose«. »The Hate U Give« wurde 2018 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet und mit der »Hunger-Games«-Darstellerin Amandla Stenberg in der Hauptrolle verfilmt.
KAPITEL 1
Vielleicht muss ich heute Abend noch jemand killen.
Das könnte jemand sein, den ich kenne. Oder ein Fremder. Oder jemand, der noch nie bei einem Battle mitgemacht hat. Es könnte auch ein Pro sein. Dabei spielt es keine Rolle, wie viele Punchlines die anderen raushauen oder wie gut ihr Flow ist. Ich muss sie killen.
Aber erst mal muss der Anruf kommen. Und damit ich den überhaupt annehmen kann, muss ich verdammt noch mal raus aus Mrs Murrays Stunde.
Irgendwelche Multiple-Choice-Fragen decken meinen Laptop fast zu. Bis auf die Uhr. Die Uhr bedeutet alles. Wenn sie stimmt, sind es noch zehn Minuten bis halb fünf. Und wenn Aunt Pooh stimmt, die jemand kennt, der jemand kennt, dann ruft DJ Hype zwischen halb fünf und halb sechs an. Wenn ich ihn verpasse, dann schwör ich …
Erst mal kann ich nur einen Dreck tun, weil Mrs Murray mein Handy hat und mit Mrs Murray nicht zu spaßen ist.
Ich sehe nur den oberen Teil ihrer Sisterlocks. Der Rest verbirgt sich hinter einem Buch von Nikki Giovanni. Gelegentlich summt sie ein »Mmmm«, genau wie meine Grandma während einer Predigt. Lyrik ist Mrs Murrays Religion.
Alle anderen haben die Midtown School of the Arts schon vor fast einer Stunde verlassen, bis auf uns Elftklässler, weil Eltern oder andere Erziehungsberechtigte uns für die Vorbereitung auf den American College Test, ACT, angemeldet haben. Das garantiert einem keine 36 Punkte, aber Jay meinte, die sollte ich mal lieber anstreben, weil sie »diesen Leuten eine glatte Stromrechnung für den Kurs bezahlt« hätte. Also schleppe ich mich jeden Dienstag- und Donnerstagnachmittag in dieses Klassenzimmer und händige Mrs Murray mein Mobiltelefon aus.
Eigentlich komme ich damit klar, eine ganze Stunde lang nicht zu wissen, was der Präsident getwittert hat. Oder keine Nachrichten von Sonny und Malik zu kriegen (in denen es manchmal auch nur um den Scheiß geht, den der Präsident twittert). Aber heute möchte ich am liebsten ans Pult treten, mir mein Handy aus dem Haufen schnappen und einfach rausrennen.
»Psst! Brianna.« Malik sitzt hinter mir, und hinter ihm formt Sonny stumm die Worte: »Schon was gehört?«
Ich lege den Kopf schräg und ziehe die Augenbrauen hoch, was so viel heißt wie: Wie soll ich das wissen, wenn ich kein Handy habe? Das zu verstehen ist zwar viel verlangt, aber Sonny, Malik und ich sind schon eng befreundet, seit wir in den Bäuchen unserer Moms waren. Die sind nämlich beste Freundinnen und waren alle drei gleichzeitig mit uns schwanger. Sie nennen uns die »Unheilige Dreieinigkeit«, denn sie behaupten, wir hätten schon synchron in ihren Bäuchen gestrampelt, wenn sie sich damals trafen. Nonverbale Kommunikation? Für uns also nichts Neues.
Sonny zuckt die Achseln, um mir zu sagen: Keine Ahnung, wollte nur mal fragen, aber auch: Verdammt, du brauchst nicht so eingebildet tun.
Aus schmalen Augen mustere ich seine zierliche, hellhäutige, an einen Hobbit erinnernde Gestalt – er hat dafür die passenden Locken und großen Ohren. Ich tue nicht eingebildet, du hast nur eine bescheuerte Frage gestellt.
Dann drehe ich mich wieder nach vorn. Mrs Murray beobachtet uns über die Kante ihres Buches hinweg und steuert ein bisschen eigene nonverbale Kommunikation bei. Ihr wisst genau, dass in meinem Kurs nicht gequasselt wird.
Genau genommen quasseln wir ja auch nicht, aber wie soll ich ihr das sagen – mit oder ohne Worte?
16:27.
Noch drei Minuten, und ich halte das Handy in der Hand.
16:28.
Noch zwei Minuten.
16:29.
Noch eine.
Mrs Murray klappt ihr Buch zu. »Die Zeit ist um. Gebt euren Übungstest so ab, wie er ist.«
Shit. Der Test.
Bei mir bedeutet, »wie er ist«, dass keine einzige Frage beantwortet ist. Zum Glück ist es Multiple Choice. Weil es pro Frage vier Möglichkeiten gibt, besteht eine 25-prozentige Chance, dass ich zufällig die richtige Antwort ankreuze. Während alle anderen schon ihre Handys abholen, kreuze ich willkürlich meine Kästchen an.
Alle außer Malik sind am Pult. Er überragt mich turmhoch, während er die Jeansjacke über seinen Hoodie zieht. In den letzten zwei Jahren ist er von »kleiner als ich« so in die Höhe geschossen, dass er sich jetzt bücken muss, um mich zu umarmen. Seine Frisur, ein High Top Fade, lässt ihn sogar noch größer wirken.
»Verdammt, Bri«, sagt Malik. »Hast du denn keine einzige –«
»Schhhh!« Dann gebe ich meine Antworten ab und hänge mir den Rucksack über die Schulter. »Ich hab den Test gemacht.«
»Und bist hoffentlich auf die Note L für Loser gefasst, Breezy.«
»Ein L in einem Übungstest ist kein richtiges L.« Ich setze mein Snapbackcap auf und ziehe es so tief ins Gesicht, dass es mein Babyhaar an den Seiten verdeckt. Das ist gerade ein bisschen strubbelig und wird es auch bleiben, bis Jay mir die Haare neu flechtet.
Sonny ist als Erster an Mrs Murrays Pult. Er will sich mein Handy als wahrer Freund noch vor mir schnappen, aber Mrs Murray ist schneller.
»Geht klar, Jackson.« Sie benutzt seinen richtigen Vornamen, der zufällig auch mein Nachname ist. Seine Momma hat ihn zu Ehren meiner Großeltern, ihrer Pateneltern, so genannt. »Ich muss kurz mit Brianna reden.«
Sonny und Malik sehen mich an. Was zum Teufel hast du angestellt?
Ich mache wahrscheinlich genauso große Augen wie sie. Seh ich so aus, als ob ich das wüsste?
Mrs Murray deutet mit dem Kopf zur Tür des Klassenraums. »Du und Malik, ihr könnt schon mal gehen. Es wird nicht lange dauern.«
Sonny dreht sich zu mir. Du bist am Arsch.
Könnte sein. Damit mich niemand falsch versteht, Mrs Murray ist nett, aber immer auch total direkt. Einmal habe ich einen halbherzigen Aufsatz über die Funktion von Träumen bei Langston Hughes geschrieben. Mrs Murray machte mich danach dermaßen rund, dass ich mir wünschte, Jay hätte mir stattdessen die Meinung gesagt. Und das will was heißen.
Sonny und Malik gehen raus. Mrs Murray setzt sich auf den Rand des Pults und legt mein Handy neben sich. Das Display ist dunkel. Also noch kein Anruf.
»Was ist los, Brianna?«
Ich schaue zwischen ihr und dem Telefon hin und her. »Was meinen Sie?«
»Du warst heute extrem abgelenkt«, sagt sie. »Und hast nicht mal den Übungstest gemacht.«
»Doch, hab ich!« Irgendwie. Ein bisschen. Sozusagen. Nicht wirklich. Nah.
»Mädchen, bis vor einer Minute hattest du keine einzige Frage beantwortet. Und ganz ehrlich, du bist schon seit einer ganzen Weile unkonzentriert. Glaub mir, wenn du nächste Woche dein Zeugnis bekommst, wirst du es schwarz auf weiß sehen. Aus Bs werden nicht ohne Grund Cs und Ds.«
Shit. »Ds?«
»Ich habe dir gegeben, was du verdienst. Also, was ist los? Du hast doch in letzter Zeit nicht mal den Unterricht versäumt.«
In letzter Zeit. Meine letzte Suspendierung liegt genau einen Monat zurück. Und ich wurde schon seit zwei Wochen nicht mehr ins Direktorat geschickt. Das ist ein neuer Rekord.
»Ist zu Hause alles okay?«
»Sie klingen wie Ms Collins.« Das ist die junge blonde Schulpsychologin, die zwar nett ist, aber übertreibt. Jedes Mal, wenn ich zu ihr geschickt werde, stellt sie mir Fragen, die klingen wie aus einem Handbuch mit dem Titel Wie spreche ich mit diesen schwarzen Quoten-Kindern, die so oft in mein Büro geschickt werden.
Wie ist dein Alltag zu Hause? (Geht Sie nichts an.)
Hast du in letzter Zeit irgendwelche traumatischen Ereignisse mit angesehen, zum Beispiel Schießereien? (Nur weil ich im »Ghetto« lebe, heißt das nicht, dass ich täglich Kugeln ausweichen muss.)
Fällt es dir noch schwer, mit der Ermordung deines Vaters zurechtzukommen? (Das war vor zwölf Jahren. Ich kann mich kaum an ihn oder den Vorfall erinnern.)
Fällt es dir noch schwer, mit der Abhängigkeit deiner Mutter zurechtzukommen? (Sie ist seit acht Jahren clean. Momentan ist sie nur süchtig nach Seifenopern.)
Was geht, homegirl, nah’mean? (Okay, Slang hat sie nicht benutzt, aber das kann ja noch kommen.)
Mrs Murray grinst. »Ich versuche nur rauszukriegen, was mit dir los ist. Also, was hat dich heute so abgelenkt, dass du meine Zeit und das hart verdiente Geld deiner Momma vergeudet hast?«
Ich seufze. Sie wird mir mein Handy nicht zurückgeben, bevor ich rede. Na schön, dann rede ich eben. »Ich warte darauf, dass DJ Hype mir sagt, dass ich heute Abend beim Battle im Ring antreten kann.«
»Im Ring?«
»Ja. In Jimmy’s Boxing Ring. Er veranstaltet da jeden Donnerstag Freestyle Battles. Ich hab mich für heute Abend beworben.«
»Ich weiß, was der Ring ist. Es überrascht mich nur, dass du da mitmachst.«
Sie betont das Du so, dass mir ganz flau im Magen wird. Als würde es bei jedem anderen auf der Welt mehr Sinn ergeben. »Warum überrascht Sie das?«
Sie hebt beschwichtigend die Hände. »Damit will ich gar nichts sagen. Ich weiß, dass du Talent hast. Ich habe deine Gedichte gelesen. Ich wusste nur nicht, dass du Rapperin werden willst.«
»Das wissen viele nicht.« Und genau da liegt das Problem. Ich rappe schon, seit ich zehn bin, habe mich damit aber nie so wirklich aus der Deckung getraut. Ich meine, klar, Sonny und Malik wissen davon, meine Familie auch. Aber seien wir doch mal ehrlich: Wenn deine Mom sagt, du bist eine gute Rapperin, dann ist das ungefähr so, als ob sie dich süß nennt, wenn du zwar gut, aber gleichzeitig fertig aussiehst. Solche Komplimente gehören von dem Augenblick an, wenn man ihren Bauch verlässt, zur elterlichen Verantwortung.
Vielleicht bin ich...
Erscheint lt. Verlag | 4.3.2019 |
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Übersetzer | Henriette Zeltner-Shane |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | On The Come Up |
Themenwelt | Kinder- / Jugendbuch ► Jugendbücher ab 12 Jahre |
Schlagworte | ab 14 • Amandla Stenberg • Armut • Black History Month • Black lives matter • Charlottesville • Diversity • eBooks • exit racism • Hip-Hop • Jugendbuch • Jugendbücher • Kunst • Mississippi • Musik • own voices • poc • Rap • Rassismus • Selbstwert • Soziale Ungerechtigkeit • The Hate U Give • Tupac • Young Adult • youtube |
ISBN-10 | 3-641-23491-3 / 3641234913 |
ISBN-13 | 978-3-641-23491-1 / 9783641234911 |
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