Die Rose von Nischapur (eBook)
239 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-82233-9 (ISBN)
Lese- und Medienproben
Amir Hassan Cheheltan wurde 1956 in Teheran geboren und studierte in England Elektrotechnik. Seine Romane dürfen seit über 20 Jahren nicht mehr im Iran erscheinen. <br> <br> Jutta Himmelreich studierte Romanistik, Amerikanistik und Ethnologie in Frankfurt, Tucson, Arizona und Paris. Sie ist seit 1985 als Übersetzerin und Dolmetscherin für die Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch und Farsi tätig.
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2015 – Teheran
Eine Frau mittleren Alters, relativ groß, trug Davids Namen in das voluminöse Gästebuch ein, das vor ihr lag, hob dann den Blick, lächelte und nickte Nader bekräftigend zu. Dann setzte sie ihre Brille ab, öffnete eine Schublade, entnahm ihr einen großen Ring, an dem viele Schlüssel hingen, trennte einen Schlüssel ab und legte den Bund zurück in die Lade.
Die Pension befand sich zwar im Norden der Stadt, war vom Stadtzentrum aber nicht allzu weit entfernt. Sie stand am Ende einer Nebenstraße, die in eine erst kürzlich angelegte schöne Parkanlage mündete. Noch wuchsen hier zwar keine großen Bäume, aber mit Rasenflächen, Wasserbecken und Fontänen versehen, war sie ansprechend gestaltet, wenngleich zu dieser Jahreszeit nur spärlich besucht. In direkter Nachbarschaft der Pension lag zur einen Seite ein Wohnheim für Studierende, zur anderen ein gruseliges altes Gefängnis, dessen Gelände man nach der Revolution im Jahr 1979 zu einem Park gemacht hatte und das heute auch einen Obst- und Gemüsemarkt beherbergt. Beide, Park und Markt, tragen den Namen der Haftanstalt.
Anders als man es vermuten mochte, besaß nicht Banu, die stämmige Mittfünfzigerin, die Pension, sondern ihr betagter Vater, der vormittags hier vorbeikam und Rezeptionsdienst versah. Dort aß er auch kurz zu Mittag, rückte seinen Stuhl dann an die Wand hinter sich, lehnte den Kopf zurück und hielt ein Schläfchen und begab sich, sobald es Abend wurde, ohne großes Aufhebens nach Hause. An manchen Tagen allerdings blieb er zwei, drei Stunden länger vor Ort und spielte mit seinem Freund, dem Konditor von gegenüber, Backgammon. Dann hallte das Foyer der Pension jedes Mal wider von ihren lebhaften Ausrufen und Kommentaren, die ihre Spielzüge begleiteten. Banus Vater nahm keinen Einfluss mehr auf die Geschäftsführung, die er vollständig in die Hände seiner Tochter gelegt hatte, weil ihm inzwischen die Kräfte dazu fehlten. Banu wohnte in der Pension und war rund um die Uhr vor Ort.
Nach ihren kurzen Hinweisen reichte sie David den Schlüssel zu seinem Zimmer und hieß ihn in gebrochenem Englisch willkommen. David lobte daraufhin in recht fließendem Persisch die angenehm entspannte Atmosphäre des Hauses. Was Nader erleichterte. Er entnahm dem kurzen Wortwechsel, dass David mit seiner, Naders, Wahl der Unterkunft zufrieden war. David gedachte, mindestens zwei Monate in der Pension zu bleiben.
Banu wies auf eine weitere Gepflogenheit des Hauses hin: «Ihr Zimmer wird einmal wöchentlich gereinigt, Sie können den Tag wählen. Frische Handtücher und Bettwäsche sind selbstverständlich jederzeit verfügbar.»
Sie wartete auf Davids Fragen zu ihren Hinweisen. Doch David lächelte nur.
«Darf ich Ihnen jetzt das Haus zeigen?»
David und Nader nickten zustimmend. Banu schob eine krause Haarsträhne unter ihr Kopftuch, zog den Knoten unterm Kinn fester und übernahm die Führung des Zuges. Der durchquerte das Foyer und betrat das Speisezimmer. In einer Ecke des Raums, auf einem hochbeinigen viereckigen Tisch, brodelte ein neusilberner Samowar vor sich hin, daneben ein Tablett mit Teegläsern und anderem Teezubehör. Ein elektrisch betriebener Kaffeeautomat stand ebenfalls dort.
Banu erläuterte: «Tee, Kaffee und warmes Wasser sind den ganzen Tag über verfügbar.»
Durch eine Flügeltür ging es weiter ins Esszimmer. Hier stand, außer zwei kleineren Vierertischen, am Fenster ein großer Tisch für acht Personen. Durch das Fenster schaute man hinaus in den Hof der Pension.
«Frühstück servieren wir morgens von sieben bis zehn Uhr, Gäste, die über Mittag in der Pension bleiben, versorgen sich selbst. Abends kommt eine Dame ins Haus, die für alle Gäste kocht und das Essen auch serviert. Um acht Uhr. Die Gäste nehmen das Abendessen meist gemeinsam ein, und nach vorheriger Vereinbarung bewirten wir gern auch jeweils zwei Freunde oder Bekannte unserer Gäste. Außer Ihnen sind das zurzeit vier weitere. Damit sind alle fünf Zimmer der Pension belegt, wir sind ausgebucht.»
Die Führung fortsetzend, ging Banu voraus, durchquerte den Raum und blieb jenseits, an der Schwelle zur Küche, stehen. «Hier ist unsere Küche, in der Sie natürlich nicht aktiv werden müssen.»
Eine schwarze Katze ging mit gerecktem Schwanz an Banu vorbei ins Esszimmer. «Ohne unsere Katze könnten wir die Mäuseplage in der Küche nicht bewältigen», erklärte Banu und führte Nader und David zurück ins Foyer, zu Davids Koffern. Es gab keinen Pagen, der das Gepäck der Gäste in die Zimmer bringen würde. Banu hob den kleineren der beiden Koffer mit der einen Hand hoch, schob mit der anderen erneut eine Haarlocke unter ihr Kopftuch und sagte: «Bitte folgen Sie mir.»
Bevor sie den Fuß auf die erste Treppenstufe setzte, erklärte sie: «Mein Zimmer ist auf der Seite», und deutete in die der Treppe gegenüberliegende Richtung. Dann stiegen die drei einige Stufen hinauf und betraten einen breiten Flur, in den durch ein gekipptes Fenster der gedämpfte Lärm der Straße drang. Banu stellte Davids Koffer vor dessen Zimmertür ab und erläuterte: «Alle Gästezimmer befinden sich auf dieser Etage. Dusche und WC sind am Ende des Gangs.»
Dann streckte sie die Hand aus, bat David um den Zimmerschlüssel und schloss die Tür auf. Sie trug Davids Koffer in die Zimmermitte und stellte ihn dort ab. Dann trat sie ans Fenster, zog den Vorhang auf und schaute nach draußen:
«Heute Morgen habe ich das Fenster ein, zwei Stunden offen gelassen, zum Lüften.»
Und an David gewandt, wollte sie wissen: «Gefällt Ihnen Ihr Zimmer?»
David nickte und ließ den Blick schweifen. Mitten im Zimmer, mit einem purpurfarbenen Überwurf bedeckt und etwa die Hälfte des Raums einnehmend, stand ein großes Bett. Daneben, auf einem Holztisch, eine Lampe mit farblich zum Überwurf passendem Schirm. An der Wand gegenüber hing ein großer Spiegel über einer Kommode mit drei Schubladen, und neben einem Sessel in einer Ecke war ein Schreibtisch platziert, davor stand ein einfacher Stuhl. Die gesamte Breite einer Seitenwand nahm ein großer Schrank ein, dessen Türen halb offen standen.
«Es ist alles bestens», sagte David.
Kurz ließ er den Blick auf dem farbigen Ölporträt einer jungen Dame ruhen, das neben dem Spiegel hing, ging dann ans Fenster und schaute in den kleinen Wintergarten der Pension: eine gemütliche Oase.
Banu trat neben David, als könne sie sein Urteil erst bestätigen, nachdem sie selbst in den Blick genommen hatte, was er sah: «Wie geschaffen für Menschen auf der Suche nach Ruhe und Abgeschiedenheit.»
Wer aufmerksam hinhörte, nahm den Lärm der Stadt gedämpft wahr. Und so relativierte Banu ihre positive Bewertung: «Das große Wohnheim für Studierende der Uni Teheran ist nicht weit von hier.»
Der Himmel hing voller marmorweißer Quellwolken. Dazwischen leuchtete er strahlend blau.
«Meine Studienzeit liegt noch nicht lange zurück.»
«Man sieht Ihnen an, dass Sie sehr jung sind.»
Beide entfernten sich vom Fenster. Banu sah David und Nader erwartungsvoll an: «Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?»
David verneinte dankend: «Sie sagten, es gibt jederzeit Tee und Kaffee?»
Und ohne Banus Antwort abzuwarten, wandte er sich an Nader: «Wie wär’s mit einem Schluck Tee?»
«Ich habe gerade frischen Tee gemacht», sagte Banu.
«Ich warte unten auf dich», sagte Nader.
«Ich brauche nur ein paar Minuten», sagte David.
«Du kannst ruhig auch duschen. Ich hab’s nicht eilig.»
David deutete auf die Zeitung unter Naders Arm: «Ich weiß, dir wird nie langweilig.» Er schaute auf seine Uhr.
«Mach dir um mich keine Gedanken.»
Bevor Banu das Zimmer verließ, sagte sie: «Ich habe übrigens einen weiteren Gast aus Übersee. Eine junge Deutsche. Sie sind also nicht allein!»
Schalkhaft zwinkerte sie David zu. Der nickte lachend. Nader fand das verschwörerische Getue unangebracht.
Er hatte David vor rund drei Stunden vom internationalen Flughafen, dreißig Kilometer südlich von Teheran, abgeholt. Während der Fahrt hatte er eine erste Frage an David gerichtet.
«Hast du dich endlich auf das gefährliche Abenteuer Orientreise...
Erscheint lt. Verlag | 10.10.2024 |
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Übersetzer | Jutta Himmelreich |
Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Krimi / Thriller / Horror |
Literatur ► Romane / Erzählungen | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft | |
Schlagworte | Autoritärer Staat • Belletristik • Cheheltan • Dreiecksbeziehung • Eifersucht • Engländer • Iran • Liebe • Literatur • Omar Khayyam • Proteste • Roman • Stadtleben • Tabubruch • Teheran |
ISBN-10 | 3-406-82233-9 / 3406822339 |
ISBN-13 | 978-3-406-82233-9 / 9783406822339 |
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