Spötter enthüllen die Wirklichkeit (eBook)

Lukians Werke
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2024 | 1. Auflage
690 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7693-2983-4 (ISBN)

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Lukian von Samosata war ein grch. Schriftsteller und Satiriker des 2. Jh. n. Chr. 75 seiner Werke, die hier zu finden sind, sind bekannt für ihren scharfen Witz und ihre kritische Haltung gegenüber verschiedenen gesellschaftlichen und philosophischen Themen. Lukian kritisiert häufig die Philosophen seiner Zeit, insbesondere die Sophisten und die Stoiker. Er verspottet deren Übertreibung und die oft abstrakten Theorien, die er als realitätsfern ansieht. Er hinterfragt Aberglauben und die religiösen Praktiken seiner Zeit, oft mit einem ironischen Unterton, ebenso die Götterverehrung und die Rituale, die er als irrational erachtet. Er beleuchtet Heuchelei, Machtspiele und die Absurditäten des Alltags. Er spielt mit literarischen Formen und konventionellen Erzähltechniken, um seine satirischen Anliegen zu verdeutlichen. Die Wissenschaft und die technischen Fortschritte thematisiert er oft mit einer skeptischen Haltung gegenüber deren Auswirkungen auf die Menschen. Lukian stellt oft das Individuum in den Mittelpunkt und reflektiert die Beziehungen zwischen Menschen und die Rolle des Einzelnen in der Gesellschaft mit dem Maßstab der Ethik und der Moral. Seine scharfsinnige Beobachtungsgabe und eine kritische, oft humorvolle Perspektive auf die Welt lassen seine Schriften auch heute noch als relevant erkennen.

Geboren in Marburg/Lahn, aufgewachsen in Berlin. Nach einer Elektrikerlehre Studium der ev. Theologie in der Kirchlichen Hochschule in Berlin und in Marburg. Vikariat in Kreuzberg (RU in Hauptschule), Kleinmachnow (Christenlehre), Gemeinde Heerstraße Nord und in der Ökumene (Südindien), Pastorat in Berlin-Staaken, Pfarrstellen in Eisenhüttenstadt, Müllrose und Berlin Friedrichshain (St. Markus). Nach der Pensionierung Landesbeauftragter für Männerarbeit in der Ev. Landeskirche.

Lukians Traum


Ich hatte vor kurzem aufgehört, die öffentlichen Schulen zu besuchen, und das Alter, wo der Knabe sich in den Jüngling verliert, beinahe erreicht, als mein Vater mit seinen Freunden zu Rate ging, was für eine Profession er mich lernen lassen sollte. Die meisten erklärten sich sogleich gegen das Studieren; es erforderte, meinten sie, große Mühe, lange Zeit und nicht geringen Aufwand; es gehörten schon ziemlich glänzende Glücksumstände dazu; die Unsrigen wären gering und bedürften vielmehr einer schleunigen Nachhilfe. Wenn ich ein Handwerk erlernte, so würde ich mich gar bald durch meine Kunst selbst ernähren können und nicht nötig haben, so ein großer Bursche als ich schon sei, des Vaters Brot zu essen; ja es würde nicht lange währen, so würde ich meinem Vater selbst zum Trost sein und ihn durch meinen Erwerb unterstützen können.

Es kam also nur noch auf den zweiten Punkt der Beratschlagung an, nämlich welche unter den mechanischen Professionen die beste, das ist einem freigeborenen Menschen anständig und leicht zu erlernen sei, die wenigsten Anstalten und Kosten erfordere und gleichwohl ihren Mann ernähre. Als nun jeder, je nachdem er Kenntnis oder Erfahrenheit hatte, der eine diese, der andere jene herausstrich, wandte sich mein Vater an meinen ebenfalls gegenwärtigen Mutterbruder, der einen stattlichen Bildhauer und unter den Steinmetzen unsrer Stadt abgab und unstreitig der Geschickteste war. „Es wäre nicht erlaubt“, sagte mein Vater, „in deiner Gegenwart einer anderen Kunst den Vorzug zu geben; nimm also den Jungen da mit dir nach Hause, und mach einen tüchtigen Steinmetz und Bildhauer aus ihm; an Anlage fehlt es ihm nicht, wie du weißt.“ Er bezog sich deshalben auf gewisse Spielwerke, womit ich mich als Knabe abgegeben hatte. Denn sobald ich von meinen Lehrern abgefertigt war, kratzte ich allenthalben Wachs zusammen und machte Ochsen, Pferde, ja, Gott verzeihe es mir! sogar Menschen, und recht ähnlich, wie es meinen Vater dünkte. Dies Kinderspiel, worüber ich manche Ohrfeige von meinen Schulmeistern bekommen hatte, wurde jetzt als ein Beweis meines natürlichen Berufs geltend gemacht; und man fasste die besten Hoffnungen, dass ich es mit diesem plastischen Naturtrieb in kurzem sehr weit in der Kunst bringen würde.

Sobald man also einen glücklichen Tag zum Antritt meiner Lehrjahre gefunden zu haben glaubte, ward ich meinem Oheim übergeben, ohne dass ich es mir eben sonderlich leid sein ließ: im Gegenteil, ich stellte es mir als etwas sehr Lustiges vor, und dass es mir ein Ansehen unter meinen Kameraden geben würde, Götter zu machen und allerlei kleine Bilderchen für mich selbst und andere, denen ich wohlwollte, zu fertigen.

Inzwischen gab mir mein Oheim, wie es bei Anfängern gebräuchlich ist, ein Grabeisen in die Hand und befahl mir, auf einer am Boden liegenden Tafel sachte damit hin und wieder zu beginnen: er fügte noch den alten Weidspruch hinzu: „Wohlangefangen ist halb getan“ und überließ mich nun meiner eigenen Geschicklichkeit. Weil ich aber aus Unerfahrenheit zu hart aufdrückte, ging die Tafel entzwei. Darüber entrüstete er sich, griff nach einer neben ihm liegenden Peitsche und gab mir damit einen so unfreundlichen Willkommen, dass mir alle Lust zur Kunst auf einmal verging. Ich lief davon, kam heulend und weinend in das väterliche Haus zurück, erzählte die Geschichte von der Peitsche, wies meine Striemen vor und erhob über die Grausamkeit meines Oheims große Klage; gewiss hätte er aus bloßem Neid so mit mir verfahren, sagte ich, weil er besorgt sei, ich möchte ihn einst in der Kunst übertreffen. Meine Mutter wurde darüber sehr aufgebracht und machte ihrem Bruder die bittersten Vorwürfe. Indessen kam die Nacht heran. Ich brachte sie in großer Betrübnis und beständigem Nachdenken über mein Schicksal zu, bis ich endlich mit tränenvollen Augen einschlummerte.

So weit, meine Freunde, ist freilich meine Erzählung nichts als ein läppisches Knabengeschichtchen: aber was nun folgt, ist schon weniger unbedeutend und verdient eure ganze Aufmerksamkeit. Es erschien nämlich, um mit Homer zu reden, im Schlaf ein göttlicher Traum mir durch die ambrosische Nacht, und zwar so deutlich und lebhaft, als ob ich wachte; dergestalt, dass nach langer Zeit die Bilder dessen, was ich gesehen, noch in meinen Augen waren und die Worte, die ich hörte, noch in meinen Ohren klangen. Zwei Frauenspersonen fassten mich zu gleicher Zeit bei den Händen und zogen mich jede mit solcher Gewalt und Heftigkeit auf ihre Seite, dass sie mich, weil keine die Schande haben wollte nachzugeben, beinahe darüber in Stücken zerrissen hätten. Bald wurde die eine Meister und hatte mich fast ganz, bald darauf fand ich mich wieder in den Armen der andern. Beide verführten ein gewaltiges Geschrei gegeneinander: „Er ist mein“, rief die eine, „ich habe ein älteres Recht an ihn und lass ihn mir nicht nehmen!“ – „Er geht dich nichts an“, schrie die andre, „du bemühst dich vergeblich, ihn von mir abzuziehen.“ Die erstere hatte ein arbeitsames und männliches Ansehen, ihre Haare waren schmutzig, ihre Hände voller Schwielen, ihr Rock hoch aufgeschürzt, ihre ganze Person mit Kalk bestäubt; kurz, sie sah geradeso aus wie mein Oheim, wenn er Steine polierte. Die andere hingegen war eine Frau von feiner Gesichtsbildung, von edlem Anstand und zierlich gekleidet. Endlich wurden sie zu meinem Glück einig, es auf mich selbst ankommen zu lassen, bei welcher von beiden ich bleiben wollte. Zuerst fing also jene derbe und männlich zu sprechen an:

„Lieber Sohn“, sagte sie, „ich bin die Bildhauerkunst, der du dich gestern zu widmen anfingst und die schon von langem her in deinem Hause einheimisch und, sozusagen, deine Blutsverwandte ist. Denn dein Großvater (hier nannte sie mir den Vater meiner Mutter) war ein Steinmetz, und deine beiden Mutterbrüder stehen unter den Unsrigen im Ruf einer vorzüglichen Geschicklichkeit. Wenn du dich nun der Possen und Lappalien dieser Närrin hier entschlagen und dich mir ergeben willst, so verspreche ich dir dafür ein gutes Auskommen und starke Schultern; die Plagen des Neides sollen dir was Unbekanntes bleiben; du wirst niemals nötig haben, dein Vaterland und deine Familie mit dem Rücken anzusehen; der Ruhm wird dich in deiner eigenen Heimat aufsuchen, und du wirst allgemeinen Beifall nicht durch Worte, sondern durch Werke erhalten. Übrigens stoße dich ja nicht an meinem schlichten Aufzug und dieser schmutzigen Kleidung! Jener große Phidias, der uns den Jupiter sehen ließ, Polykletus, dem seine Juno so viel Ehre macht, der berühmte Myron, der bewunderte Praxiteles haben keinen anderen Anfang gehabt, wiewohl sie nun die Kniebeugungen der Menschen mit den Göttern teilen. Wenn du also ihresgleichen würdest, wie könnte es dir fehlen, einen Namen in der Welt zu erhalten? Du würdest sogar deinen Vater beneidenswürdig machen und die Augen der Welt auf deine Vaterstadt ziehen.“

Dieses und noch mehr, wovon ich das meiste wieder vergessen habe, brachte die Kunst, stotternd und in einer pöbelhaften Provinzialmundart, vor. Die gute Frau ließ sich’s recht eifrig angelegen sein, mich zu überreden, und konnte lange das Ende nicht finden. Da sie aber doch endlich aufhören musste, fing die andre folgendermaßen an:

„Ich, mein Sohn, bin die Gelehrsamkeit. Auch in mir siehst du eine Person, deren Gesicht dir nicht fremd ist, wiewohl noch viel daran fehlt, dass du mich völlig kennen solltest. Das Beste, was du zu erwarten hättest, wenn du ein Steinmetz würdest, hast du von dieser hier vernommen: nämlich, am Ende würdest du doch nichts mehr sein als ein Handarbeiter, der die ganze Hoffnung seines Fortkommens in der Welt auf seine Hände gründet, ohne Ansehen, wenig besser als ein Taglöhner bezahlt, niedrig und beschränkt in deiner Denkungsart, eine unbedeutende Person im gemeinen Wesen, gleich unvermögend, dich deinen Freunden nützlich und deinen Feinden furchtbar zu machen, kurz, wie gesagt, ein bloßer Handwerksmann, einer vom großen Haufen, der sich vor jedem Vornehmern ducken und schmiegen muss, vor jedem Sprecher Respekt hat, ein wahres Hasenleben lebt und immer die Beute des Mächtigen ist. Gesetzt auch, du würdest ein Phidias oder Polykletus und hättest eine Menge bewundernswürdiger Werke gearbeitet: so wird zwar jeder, der sie sieht, deine Kunst erheben, aber gewiss keiner von allen, solange er bei Verstand ist, deinesgleichen zu sein wünschen. Denn wie groß du auch in deinem Fache sein möchtest, wirst du doch immer mit den Leuten, die ihr Leben mit ihren Händen gewinnen müssen, in eine Klasse geworfen werden. Folgest du hingegen mir, so werde ich dich vor allen Dingen mit allem, was die edelsten Menschen der Vorwelt Bewundernswürdiges gesprochen, getan und geschrieben haben, und überhaupt mit allem, was wissenswürdig ist, bekannt machen; vorzüglich aber werde ich dein edelstes Teil, dein Herz, mit Mäßigung, Gerechtigkeit, Frömmigkeit, Sanftmut, Billigkeit, Klugheit und Standhaftigkeit, mit der Liebe zum...

Erscheint lt. Verlag 23.10.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Philosophie
Schlagworte Hinterfrage stets Aberglaube uid religiöse Praktiken. • Lukian entlarvt Machspiele und Heuchelei. • Reiche sind verantwortlich für Armut. • Stolz auf das Lebenswerke - vor Charon sind alle gleich. • Technischer Fortschritt misst sich allein an den Auswirkungen auf Menschen
ISBN-10 3-7693-2983-X / 376932983X
ISBN-13 978-3-7693-2983-4 / 9783769329834
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