Verfassungsgefühle (eBook)
248 Seiten
Wallstein Verlag
978-3-8353-8758-4 (ISBN)
Ute Frevert, geb. 1954, Historikerin, ist Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin. Professuren an der Yale University sowie an den Universitäten Bielefeld, Konstanz und Berlin. Frevert ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und erhielt 1998 den Leibniz-Preis der DFG. Veröffentlichungen u.a.: Gefühlspolitik: Friedrich II. als Herr über die Herzen? (2012) und Vergängliche Gefühle (2013). Zuletzt hat Ute Frevert das Buch Writing the History of Emotions: Concept and Practices, Economies and Politics (2024); Emotions in History - Lost and Found (2011); Die kasernierte Nation. Militärdienst und Zivilgesellschaft in Deutschland (2001); »Mann und Weib, und Weib und Mann«. Geschlechter-Differenzen in der Moderne (1995); Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft (1991).
Ute Frevert, geb. 1954, Historikerin, ist Direktorin des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung, Berlin. Professuren an der Yale University sowie an den Universitäten Bielefeld, Konstanz und Berlin. Frevert ist Mitglied der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina und erhielt 1998 den Leibniz-Preis der DFG.
II. Die Liebe zur Verfassung
im Zeitalter der Konstitutionen
»Es ist heute«, schrieb der badische Hofrat Carl von Rotteck 1830, »ganz eigens das Zeitalter der Constitutionen. Alles ruft nach ihnen, oder bestreitet sie, preist oder verwirft sie.« Auf welcher Seite der liberale Professor und Politiker stand, war bekannt: selbstverständlich auf der der »Constitution«, worunter er die »rechtsgemäße und auf Grundsätzen beruhende Verfassung des Staates« verstand. Sie regelte nicht nur das Verhältnis der »Staatsgewalten« zueinander, sondern enthielt auch Bestimmungen über die Rechte und Pflichten der Bürger.[1]
Solche Konstitutionen, Verfassungen oder Staatsgrundgesetze – all diese Begriffe waren damals im Umlauf – gab es bereits, allerdings nicht überall. Die Vereinigten Staaten von Amerika hatten sich 1787 eine Verfassung gegeben. Als sie zwei Jahre später in Kraft trat, dauerte es nur noch wenige Monate, bis in Frankreich die Revolution ausbrach. Schon im August 1789 legte die Pariser Nationalversammlung mit der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ein Verfassungsdokument vor, das diese Rechte garantierte sowie die Gewaltenteilung festschrieb. In der Präambel betonten die Volksvertreter, die Erklärung solle die Bürger »unablässig an ihre Rechte und Pflichten« erinnern,
damit die Handlungen der gesetzgebenden wie der ausübenden Gewalt in jedem Augenblick mit dem Endzweck jeder politischen Einrichtung verglichen werden können und dadurch mehr geachtet werden; damit die Ansprüche der Bürger, fortan auf einfache und unbestreitbare Grundsätze begründet, sich immer auf die Erhaltung der Verfassung und das Allgemeinwohl richten mögen.[2]
Welche Bedeutung dieser Erklärung zukam, zeigt sich an der Art ihrer Popularisierung. Wenn den Mitgliedern der französischen Nation ihre »natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte beständig vor Augen« sein sollten, musste man sie ihnen vor Augen führen. Eine eindrucksvolle Präsentation war das Ölgemälde, das der Maler Jean-Jacques-François Le Barbier wohl noch im gleichen Jahr anfertigte und das als Druckgrafik und Tapete große Verbreitung fand.[3] Es bildete die siebzehn Artikel auf zwei monumentalen Gesetzestafeln ab. Über ihnen ist eine jüngere Frau im einfachen roten Kleid platziert, kräftig und schmucklos. Sie hat ihre Ketten gesprengt und trägt nun die königliche Krone und den königlichen Mantel in blauer Farbe mit goldenen Lilien. Ihr Blick richtet sich auf einen Engel, der seinerseits den Betrachter anschaut. Mit der linken Hand deutet er auf die Gesetzestafeln, während die rechte ein Zepter hält und damit auf das über allem thronende Auge Gottes zeigt. Die Bildaussage war unmittelbar verständlich: Hier hatte sich die Nation aus ihren Fesseln befreit und ihre heiligen Rechte zurückerobert. Sie waren in Stein gemeißelt und gesetzlich fixiert (darauf verwies das römische Liktorenbündel zwischen den Tafeln). Dass hier eine direkte Verbindung zum Alten Testament gezogen wurde, als Gott Moses die zehn Gebote übergab, begriff jedes Kind.
Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen, Gemälde von Jean-Jacques-François Le Barbier, ca. 1789
Die solcherart sakralisierte Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte war allerdings noch keine Verfassung. Erst 1791 verabschiedete die Nationalversammlung eine vollgültige constitution und stellte ihr die déclaration von 1789 voran. Damit war Frankreich zur konstitutionellen Monarchie geworden, zwei Jahre später folgte die Republik. Großen Wert legte die Konstituante darauf, den Text und seinen Inhalt im Volk bekannt und beliebt zu machen. Dazu dienten nicht zuletzt nationale Feste, die die Bürger »an die Verfassung, das Vaterland und die Gesetze« binden sollten. Inspiration bezog man aus den amerikanischen Bundesstaaten, wo schon 1788 federal processions zu Ehren der Verfassung stattgefunden hatten. Manche Prozessionen führten eine Druckerpresse mit, die die Verfassung oder an sie gerichtete Oden vor Ort vervielfältigte; die Kopien wurden an die Zuschauenden verteilt.[4] Bei den französischen Festzügen stand das Verfassungsdokument ebenfalls im Mittelpunkt, und die Teilnehmenden legten gemeinsam und feierlich den Eid darauf ab. Religiöse Verweise gehörten, wie bei den Gesetzestafeln, zum Programm und woben einen Hauch von Heiligkeit in die neue säkulare Ordnung. Große Wirkung erzielte das 1793 in Paris veranstaltete Einheitsfest, das der Maler Jacques-Louis David als Mitglied des Nationalkonvents organisierte. Es endete mit dem kollektiv geleisteten Schwur, die neue republikanische Verfassung unter Einsatz des eigenen Lebens zu verteidigen. Die Verfassungstafeln sowie die Urkunde über die erfolgte Volksabstimmung wurden sodann in einer heiligen Lade verwahrt.[5]
Östlich des Rheins beobachtete man die Ereignisse in Frankreich sehr aufmerksam und mit gemischten Gefühlen. Selbst jene, denen vor den Gewaltexzessen der Revolution und der jakobinischen Terrorherrschaft schauderte, konnten dem Verfassungskultus einiges abgewinnen. In den 1790er Jahren wurden auch in deutschen Landen Forderungen nach »Constitutionen« lauter, und es kursierten diverse Entwürfe. Doch dauerte es noch bis zur Auflösung des altehrwürdigen Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation 1806, dass in den nunmehr unter napoleonischem Einfluss stehenden Rheinbund-Staaten eine Phase intensiver politischer Reformen einsetzte. In Bayern erließ der König bereits 1808 eine »Konstitution«, und auch in Baden bereitete man sich darauf vor.[6] Dass die Verfassungsbewegung sogar vor dem spätabsolutistischen Preußen nicht Halt machte, zeigte sich 1810, als Friedrich Wilhelm III. seinen Untertanen höhere Konsumtionssteuern abverlangte und ihnen im Gegenzug »eine zweckmäßig eingerichtete Repräsentation, sowohl in den Provinzen als für das Ganze« versprach.[7] Doch das Versprechen, 1815 erneuert, wurde nicht eingelöst. Selbst die Bestimmung der auf dem Wiener Kongress verhandelten Bundesakte, wonach in allen Mitgliedsstaaten des neugeschaffenen Deutschen Bundes »eine landständische Verfassung stattfinden« sollte, drang nicht bis ins Berliner Stadtschloss durch.[8]
Dafür fand sie in den besser präparierten süddeutschen Staaten umso mehr Gehör. In Baden stürzte sich Carl von Rotteck in die Verfassungsarbeit, und auch in Bayern und Württemberg begannen intensive Verhandlungen und Beratungen.[9] Trotzdem ging es manchen nicht schnell genug. 1817 trafen sich etwa 500 Studenten aus mehreren deutschen Universitäten auf der thüringischen Wartburg, um ein »Nationalfest« zu feiern und ihren Unmut über die aus ihrer Sicht stagnierende politische Entwicklung in Deutschland zu äußern. In ihren Reden und Liedern beschworen sie die auf den Schlachtfeldern der antinapoleonischen Kriege erlebte Einheit des Vaterlandes und forderten das Ende von Kleinstaaterei und fürstlicher Willkürherrschaft. Nur ein einziger Landesherr, der Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach, habe bislang die Wiener Bestimmung befolgt und seinen Untertanen eine liberale Verfassung gegeben. Gemeinsam ließen ihn die Studenten hochleben und bedankten sich für die Gastfreundschaft:
Das dritte Hoch! wir rufen’s frei
Dir Herzog! hier zu Lande,
Der Du Dein Wort gelöset treu,
Wie Du es gabst zum Pfande.
Verfassung heißt das eine Wort,
Des Volkes und des Thrones Hort![10]
Die Verfassung, die ihnen für ganz Deutschland vorschwebte, war die einer konstitutionellen Monarchie, deren Minister dem Parlament verantwortlich waren und die den Schutz bürgerlicher Grundrechte garantierte.
Damit waren sie ihrer Zeit weit voraus. Der Ruf nach einem nationalen Vaterland, für das die Studenten »heiligste Gefühle« und »Begeisterung« hegten, kam bei den Fürsten des Deutschen Bundes nicht gut an, und die Verbindung von Einheit und Freiheit weckte das Misstrauen konservativer Zeitgenossen. Auch Hans Christoph von Gagern, niederländischer Gesandter beim Frankfurter Bundestag, stand den burschenschaftlichen Aktivitäten seines Sohnes Heinrich ablehnend gegenüber. Heinrich wiederum, der schon als 15-Jähriger vor Waterloo gegen Napoleons Armee gekämpft hatte, schrieb dem Vater selbstbewusst aus Jena:
Wir wünschen uns eine Verfassung für das Volk nach dem Zeitgeiste und nach der Aufklärung desselben, nicht daß jeder Fürst seinem Volke gibt, was er Lust hat und wie es seinem Privatinteresse dienlich ist. Überhaupt wünschen wir, daß die Fürsten davon ausgehen und überzeugt sein möchten, daß sie des Landes wegen, nicht aber das Land ihretwegen existiere. Die bestehende Meinung ist auch, daß überhaupt die Verfassung nicht von den einzelnen Staaten ausgehen solle, sondern daß die eigentlichen Grundzüge der deutschen Verfassung gemeinschaftlich sein sollten.[11]
Während sich der junge Burschenschafter an vaterländischen Verfassungsentwürfen versuchte, arbeitete der Deutsche Bund mit Hochdruck daran, die nationalen und freiheitlichen Bewegungen zu stoppen. Schon 1817 sahen sich die Teilnehmer des Wartburgfests bei ihrer Rückkehr mit polizeilichen Repressionen konfrontiert. Mit den zwei Jahre später gefassten Karlsbader Beschlüssen wurden dann Meinungs- und Pressefreiheit suspendiert, Burschenschaften verboten und liberale...
Erscheint lt. Verlag | 30.10.2024 |
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Zusatzinfo | z.T. farb. |
Verlagsort | Göttingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geschichte ► Allgemeine Geschichte ► Zeitgeschichte |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Schlagworte | 19. Jahrhundert • 20. Jahrhundert • 21. Jahrhundert • BRD • DDR • Demokratie • Deutsche Geschichte • Geteiltes Deutschland • Grundgesetz • Jubiläum • Staatsrecht • Verfassungsgeschichte • Wiedervereinigung |
ISBN-10 | 3-8353-8758-8 / 3835387588 |
ISBN-13 | 978-3-8353-8758-4 / 9783835387584 |
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