Italienische Literaturwissenschaft (eBook)

Eine Einführung
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
318 Seiten
Narr Francke Attempto (Verlag)
978-3-381-12413-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Italienische Literaturwissenschaft -  Maximilian Gröne,  Rotraud von Kulessa,  Frank Reiser
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Der Band bachelor-wissen Italienische Literaturwissenschaft richtet sich speziell an die Studierenden und Lehrenden in den literaturwissenschaftlichen Modulen der italienzentrierten Bachelor-Studiengänge. Die anschauliche Aufbereitung des fachlichen Grundwissens wird dabei von anwendungsorientierten Übungseinheiten gerahmt, die eine eigenständige Umsetzung des Erlernten ermöglichen und einen nachhaltigen Kompetenzerwerb unterstützen. Im Zentrum steht dabei einerseits die Methodik der Textanalyse, wobei neben traditionellen literarischen Texten auch das Medium Film mit in die Darstellung einbezogen wird. Im Weiteren werden die zentralen literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschungsansätze vorgestellt und damit die notwendige theoretische Basis für eine weiterreichende Textinterpretation gelegt. Der Veranschaulichung, Vertiefung und Anwendung dienen durchgängig originale Textauszüge und themenspezifische Aufgaben. Unter www.bachelor-wissen.de steht ferner eine Plattform für ergänzende Materialien zu den Lektionen des Bandes und für den Zugriff auf die Übungslösungen bereit.

PD Dr. Maximilian Gröne ist Akademischer Oberrat für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg. Prof. Dr. Rotraud von Kulessa ist ordentliche Professorin für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg. Dr. Frank Reiser ist Akademischer Oberrat am Romanischen Seminar der Universität Freiburg i.Br.

PD Dr. Maximilian Gröne ist Akademischer Oberrat für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg. Prof. Dr. Rotraud von Kulessa ist ordentliche Professorin für Romanische Literaturwissenschaft an der Universität Augsburg. Dr. Frank Reiser ist Akademischer Oberrat am Romanischen Seminar der Universität Freiburg i.Br.

1 Begriff ,Literatur'
2 Literaturgeschichtliche Ordnungsmodelle
3 Literaturwissenschaftliches Arbeiten
4 Grundlagen der Textanalyse am Beispiel der Lyrik
5 Lyrik analysieren: Beispiele und Übungen
6 Dramenanalyse
7 Übungen zur Dramenanalyse
8 Epik und Erzähltextanalyse
9 Epik analysieren - Beispiele und Übungen
10 Text, Autorschaft und Rezeption
11 Strukturalismus und Poststrukturalismus
12 Kultur, Macht und Kritik
13 Filmanalyse
14 Exemplarische Filmanalyse

1.2 Literatur medial


Bisher Intensiver vs. extensiver
Literaturbegriff
haben wir versucht, Literatur anhand bestimmter Eigenschaften von anderen, nicht-​literarischen Schriftstücken abzugrenzen. Wir haben damit einen sog. intensiven Literaturbegriff vertreten. Manche Schwierigkeit lässt sich umgehen, wenn man dagegen einen extensiven, also ausgedehnten Literaturbegriff zugrunde legt, zu unserer Eingangsdefinition zurückkehrt und Literatur gemäß der Ursprungsbedeutung des Wortes als geschriebene Sprache ! Extensiv verstanden: Literatur ist geschriebene Sprache versteht. Diese Definition umfasst ein ungleich größeres Textvolumen und freilich eine Unmenge von Schriftstücken, die gemeinhin kaum ‚Literatur‘ genannt würden (dabei, wie wir sahen, jedoch als Ready-​made relativ leicht Literatur werden könnten), lenkt zugleich aber die Aufmerksamkeit auf einen Aspekt, der bisher nicht erwähnt wurde und auch sonst häufig stillschweigend oder gar nicht beachtet wird: die Medialität von Literatur.

Hier ist Medium Datenträger gleich ein klärendes Wort zum Begriff ‚Medium‘ angebracht. Er wird in zweierlei Bedeutung gebraucht. Wir bezeichnen (1) Datenträger wie Zelluloidfilme, Videobänder oder DVD als „Medium“. Einen Spielfilm kann ich, die entsprechenden technischen Apparaturen vorausgesetzt, mit Hilfe aller genannten Datenträger rezipieren, ohne dass sich der Inhalt (das, was ich sehen und hören kann) deswegen ändert. Allerdings kann der Datenträger indirekt einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf den Inhalt ausüben: so wurden durch Publikation von Literatur in Massenmedien wie den auflagenstarken Tageszeitungen des 19. Jh. neue Leserschichten mit ihren spezifischen Erwartungen erreicht und die schriftstellerische Produktion beschleunigt und auf die Erhöhung der Verkaufszahlen ausgerichtet. Der Roman am Ende des 19. Jh. ist ohne die Massendistribution in Tageszeitungen nicht denkbar. – Wir bezeichnen (2) Zeichensysteme Zeichensysteme als Medien. Das Medium des Films beispielsweise sind bewegte Bilder und Töne, das von Literatur ist die geschriebene Sprache. Im Unterschied zur Bedeutung (1) ist hier der Inhalt nicht ohne Weiteres vom Medium abkoppelbar: Während es möglich ist, einen Roman ohne Informationsverlust als Text auf CD-​ROM zu übertragen und statt auf Papier auf dem Bildschirm zu lesen (Datenträgerwechsel), kann man ihn nicht eins zu eins ins Medium (Zeichensystem) des Films überführen (es sei denn, man würde das Quellmedium selbst übernehmen, indem man alle Seiten des Buchs abfilmte). Literaturverfilmung geht zugleich mit Informationsverlust und -zugewinn einher, ist Interpretation, und zwei Verfilmungen ein und desselben literarischen Textes werden stets deutlich voneinander abweichen (siehe Einheit 14).

Aufgabe 1.5? Versuchen Sie vor dem Weiterlesen, einige medienspezifische Grundeigenschaften von Literatur zu nennen. Der Vergleich mit anderen Medien (Zeichensystemen) wird Ihnen bei der Suche helfen, ebenso Ihre evtl. bereits erworbenen Grundkenntnisse der Linguistik.

Auch wenn Medialität jeder Wahrnehmung es uns bei der Lektüre eines fesselnd geschriebenen Romans oder bei der Betrachtung eines detailrealistischen Films so vorkommen mag, als ob wir dem Dargestellten unmittelbar begegnen, mitunter gleichsam ‚eintauchen‘ könnten – worin nach wie vor einer der Hauptreize der Rezeption gerade von Literatur und Film liegt –, so bleibt es ein unhintergehbares Faktum, dass zwischen uns und diesen Inhalten ein Medium steht und stehen muss: ‚Unmittelbar‘ dringt nichts in unsere Psyche ein (lassen wir religiöse oder parapsychologische Erlebnisse einmal beiseite), und das dazwischen liegende Medium ist nie völlig transparent.

Für die Literatur als ‚Wortkunst‘ liegt das mediale Apriori, die vor jeder Poetik liegenden Ausdrucksbedingungen, zunächst einmal in der Bindung an Sprache. Die Eigenschaften dieses Zeichensystems bestimmen die Eigenschaften von Literatur mit. Der Begründer der strukturalistischen Sprachwissenschaft, Ferdinand de Saussure (1857–1913), hat als zentrale Merkmale sprachlicher Zeichen ihre Linearität, Abstraktheit und Arbitrarität des sprachlichen Zeichens (Ferdinand de Saussure) Linearität, ihre Abstraktheit und ihre Arbitrarität herausgestellt. Linear ist Sprache, weil ihre Ausdrucksseite (der Signifikant, it. significante, m., also Laute oder Buchstaben) aus aufeinanderfolgenden, nicht gleichzeitig übermittelten Zeichen und Zeichenelementen besteht – ich vernehme einen Satz normalerweise eindimensional Laut für Laut, selbst wenn ich u. U. den durch ihn übermittelten Inhalt (die Bedeutung, Signifikant und Signifikat das Signifikat, it. significato) oder auch die grammatische Struktur des Satzes kognitiv nicht linear, sondern ganzheitlich erfasse. Literatur ist demnach eine Kunstform, die in der Linearität des Nacheinanders eine Bedeutung entwickelt, im Gegensatz etwa zum Film, der zwar auch linear abläuft, aber stets gleichzeitig einen zwei- oder dreidimensionalen Bildraum eröffnet und diesen mit einer großen Bandbreite von Geräuschen, Musik oder Stimmen überlagern kann. Abstrakt ist ein sprachliches Zeichen, weil es nach de Saussure zunächst auf ein Konzept im Kopf des Sprechers oder Hörers und (noch) nicht auf ein konkretes Objekt (Referent) aus der Umwelt verweist. Ein literarischer Text lässt demnach notwendigerweise eine relativ große Unbestimmtheit vor allem in Bezug auf Konkretes – was der Leser bei dem Wort „Haus“ denkt, ist individuell unterschiedlich, während ein Film eben dies sehr viel konkreter und detailgenauer steuert, wenn er „Haus“ ‚sagt‘, d. h. ein solches zeigt. Umgekehrt hat Literatur durch ihre mediale Grundlage eine besondere Stärke eben in der Darstellung von Abstrakta – ein Text kann „Friede“ sagen, ein Film muss, will er sich nicht seinerseits der Sprache bedienen, sondern auf sein Zeichensystem rekurrieren, Bilderfolgen entwickeln, die dem Zuschauer diese Bedeutung suggerieren, mit einem freilich viel höheren Aufwand auf der Ausdrucksseite und einer Fülle nicht relevanter Informationen. Arbiträr (willkürlich) sind sprachliche Zeichen in der Regel, weil zwischen ihrem Signifikanten und ihrem Signifikat keine Motivation, d. h. natürliches Verhältnis (Ursache-​Wirkung, Urbild-​Abbildung o. ä.), besteht, sondern Ausdruck und Bedeutung nur durch Konvention aneinander gebunden werden – es ist nicht zwingend, ein Gebäude variabler Größe mit Fenstern und Türen mit der Lautfolge <haus> zu bezeichnen, man kann es auch <casa>, <maison> oder beliebig anders nennen, wenn sich eine Sprechergemeinschaft im Gebrauch darauf einigt. Literatur ist unmittelbar abhängig von der Konvention eines Codes – ein Text in einer unbekannten Sprache ist noch nicht einmal hinsichtlich des Wortlauts verständlich, von symbolischen Bedeutungen ganz abgesehen –, während der Film zunächst einmal seinen Ausdruck jenseits eines Codes vom gefilmten Objekt selbst erzeugen lässt, das Zeichen also höher motiviert ist, abbildet – was nicht heißt, dass im Film nicht auch kulturelle Codes Kultureller Code eine zentrale Rolle spielen und ein Film nicht jenseits der unmittelbaren Bildinhalte völlig unverständlich sein kann.

Die Literatur in verschiedenen ‚Aufschreibesystemen‘ (Friedrich Kittler)Funktion, die eine Kunstform für eine bestimmte Gesellschaft zu einem bestimmten Zeitpunkt übernimmt, liegt dabei nicht allein in ihren eigenen medialen Möglichkeiten begründet, sondern ergibt sich auch aus dem Verhältnis zu konkurrierenden Kunstformen mit anderen medialen Grundlagen. Für dieses mediale Umfeld hat der Literatur- und Medienwissenschaftler Friedrich Kittler (1943–2011) den Begriff ‚Aufschreibesystem‘ geprägt. Er versteht darunter „das Netzwerk von Techniken und Institutionen […], die einer gegebenen Kultur die Adressierung, Speicherung und Verarbeitung relevanter Daten erlauben“ (Kittler: 2003, 501), also sowohl die zu einem Zeitpunkt zur Verfügung stehenden Medien (Datenträger und Zeichensysteme) als auch Einrichtungen wie Schulen oder Verlage, die den Umgang mit und den Zugang zu ihnen regeln. Die Rolle des Aufschreibesystems Aufschreibesystem von 1800für ein Medium und die auf ihm beruhende(n) Kunstform(en) veranschaulicht Kittler eindrücklich in der Gegenüberstellung zweier historischer Momente: 1800 und 1900. Um 1800 hatte die Schrift das Monopol serieller Datenspeicherung. Es war das einzige Medium, das Vorgänge in ihrer Prozesshaftigkeit für die Nachwelt festhalten konnte. Diese Speicherung funktioniert nur über menschliches Bewusstsein: keine Aufzeichnung ohne jemanden, der sie durchführt, niederschreibt. Insbesondere Sprache ist nur durch Schrift speicherbar. Die entscheidende Voraussetzung dafür, dass Schrift als das Universalmedium begriffen wurde, war eine millionenfache Alphabetisierung, bei der erstmals laut gelesen, Schrift an Stimme gekoppelt wurde. Im Gegensatz zu bisherigen Lernmethoden, die auf dem stummen Auswendiglernen von Wortgestalten bzw. (Bibel-)Versen beruhten,
Abb. 1.8
Dichtung im Aufschreibesystem von 1800
und zur mittelalterlichen Schriftkultur,...

Erscheint lt. Verlag 28.10.2024
Reihe/Serie bachelor-wissen
Verlagsort Tübingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Literaturwissenschaft
Schlagworte Dramenanalyse • Epik und Erzähltextanalyse • Filmanalys • Grundlagen der Textanalyse am Beispiel der Lyrik • Literatur • Literaturgeschichtliche Ordnungsmodelle • literaturwissenschaftliche Module der italienzentrierten Bachelor-Studiengänge • literaturwissenschaftliches Arbeiten • Lyrik analysieren • Strukturalismus und Poststrukturalismus • Text und Autorschaft • Textvergleich und Textwirkung
ISBN-10 3-381-12413-7 / 3381124137
ISBN-13 978-3-381-12413-8 / 9783381124138
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