Zwischen Willkommen und Ablehnung (eBook)

Die Fluchtbewegungen von 2015 in der deutschen, der slowakischen und der ungarischen Pressekommunikation
eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
273 Seiten
Narr Francke Attempto (Verlag)
978-3-381-12083-3 (ISBN)

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Zwischen Willkommen und Ablehnung -  Attila Mészáros
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Die Fluchtbewegungen von 2015 haben EU-weit einen neuen öffentlichen Diskurs über die Migration ausgelöst. Dabei geht es um ein breites Spektrum von verschiedenen Standpunkten der einzelnen Länder, die einen breiten Bogen zwischen Akzeptanz und Ablehnung darstellen, was sich u.a. durch den häufigen Gebrauch von sehr unterschiedlichen Schlagwörtern und Argumentationsmustern zeigt. Das Novum dieses Bandes besteht darin, dass ein politisch brisantes Thema einer vergleichenden linguistischen Analyse des sog. Migrationsdiskurses am Beispiel der deutschen, der slowakischen und der ungarischen Pressekommunikation präsentiert wird. Vor dem Hintergrund eines Mehrebenen-Analysemodells wird ein Blick in diskursspezifische Phänomene von der Mikroebene (Wort- und Toposanalyse) bis zur Makroebene (Akteure, Topoi) geboten. Das Werk liefert somit einen wertvollen Beitrag zum sich etablierenden Fachbereich der kontrastiven Diskursanalyse.

Dr. phil. habil. Attila Mészáros ist im Bereich der Germanistischen Sprachwissenschaft an der J.-Selye-Universität tätig und leitet den Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur.

Dr. phil. habil. Attila Mészáros ist im Bereich der Germanistischen Sprachwissenschaft an der J.-Selye-Universität tätig und leitet den Lehrstuhl für deutsche Sprache und Literatur.

Vorwort
1 Einleitung
2 Sprache und Wissen
3 Theoretische Einbettung
4 Diskurse im Vergleich
5 Forschungsdesign und Methodik
6 Aufbau des Untersuchungskorpus
7 Die Analyse des deutschsprachigen Diskurses
8 Analyse des slowakischen Diskurses
9 Analyse des ungarischen Diskurses
10 Zusammenfassung
Literatur

3.2 Der Diskursbegriff im Kontext der germanistischen Linguistik


Im Sinne des Foucaultschen Konzeptes können Diskurse als Formen gesellschaftlicher Interaktionen betrachtet werden. Sie gelten als Formationssysteme vom Wissen einer Gesellschaft, die zugleich die Mechanismen zur Entstehung von neuen Wissensbeständen steuern. Darüber hinaus gilt, dass diese Formationen grundlegend nur mittels Texte zugänglich sind. Die primäre Aufgabe einer Diskursanalyse soll daher in der Rekonstruktion der oben aufgeführten diskursiven Voraussetzungen und deren Transformationen liegen (vgl. FRAAS 2005: 3). Der hier angesprochene Dialog zwischen dem Diskurs als gesellschaftlicher Wissensformation und dem Text als einer Materialisierung vom Diskurs erscheint auch in weiteren, von FOUCAULT inspirierten Vorstellungen, u. a. im Sinne von „virtuellen Textkorpora“ bei BUSSE et al. (vgl. 1994: 14), von „Gespräche[n] zwischen Texten“ bei WICHTER (vgl. 1999: 261) und BUSSE (2000: 42ff.). Eine komplette Übersicht ist in WARNKE (2007a: vgl.) zu finden.

Einen umfassenden Überblick über die einzelnen Richtungen und Forschungsprogramme in der germanistischen Forschung liefern GARDT (2007) und KELLER (2011a: 13–63). GARDT (vgl. 2007: 24–26) unterscheidet zwischen Interpretationsmöglichkeiten in einem Feld der Kategorien Theorie, Methodik und Haltung. Verwirrend wirkt dabei auch die Bezeichnung Analyse, die im Sprachgebrauch sowohl im Sinne von Vorgang als auch von Resultat verwendet wird. Aus diesem Grund ist es besonders schwierig, die Diskursanalyse als Methode von jenen Ansätzen abzugrenzen, die dieser auch die Funktion von Theoriebildung zusprechen, wobei sie – zumindest im linguistischen Umfeld – „bei der Theoriebildung auf in anderen linguistischen Teildisziplinen bereits etablierte Modelle zurückgreift“ (BLUHM et al. 2000: 1). Die Diskursanalyse eindeutig als Methode zu bezeichnen zeigt sich jedoch vorerst weniger fruchtbar. Der Grund dafür wird hier in erster Linie darin gesehen, dass die meisten bekannten diskurslinguistisch orientierten Untersuchungen praktisch auf einigen wenigen mehrschichtig aufgebauten, sog. Mehr-Ebenen-Modellen basieren (vgl. SPITZMÜLLER/WARNKE 2011; Spieß 2011). Diese können jedoch vielmehr als Bündelungen von linguistischen Analyseverfahren im Umfeld von Textarbeit angesehen werden, als speziell für die Zwecke von diskurslinguistischen Untersuchungen entwickeltes Instrumentarium. Die textlinguistische Annäherung an die Diskursanalyse im Sinne einer Methodik ist insofern berechtigt, dass Diskurse primär mittels Texte zugänglich gemacht werden können. Diskursanalyse ist „damit Textanalyse, die sowohl den Text übergreifenden, trans- bzw. intertextuellen als auch den intratextuellen Zusammenhang erfassen sollte“ (ebd.: 185). Sie wird hier im Sinne einer Methode als regelgeleitetes Verfahren zur Erschließung von Diskursen verstanden (vgl. GARDT 2007: 27). Hierzu gehören einerseits jene Regeln, die in Abhängigkeit von dem jeweiligen Forschungsinteresse aufgestellt werden. Andererseits muss man hier auch die von FOUCAULT (1981: 73–103) festgelegten Formationsregeln berücksichtigen, die eine Basis zur Beschreibung von Diskursen als von dem gleichen Formationssystem zugehörenden Aussagekomplexen bilden. Diese konstituieren ein vertikales Abhängigkeitssystem, das im Rahmen der Diskursanalyse auf den einzelnen sprachlichen Ebenen entschlüsselt werden soll. Im Sinne dieser Auffassung wurde das oben erwähnte Mehr-Ebenen-Analysemodell von SPITZMÜLLER und WARNKE (2011: 201) erarbeitet, dass auch für die vorliegende Arbeit einen Ausgangspunkt darstellt.

Im Gegensatz zu den oben beschriebenen möglichen Interpretationen bietet GARDT (vgl. 2007: 36) die Option, Diskursanalyse als Haltung zu beschreiben. Diese Betrachtungsweise eröffnet eine breite Perspektive, sprachliche Zusammenhänge vor einem multidimensionalen – u. a. linguistisch, soziologisch, politisch, historisch ausgerichteten – wissenschaftlichen Hintergrund zu untersuchen (vgl. KELLER 2011a: 9).

Zur Diskursanalyse liegen daher mindestens zwei mögliche Verständnisse vor. Im breiteren Verständnis handelt es sich um einen eher theoretisch ausgerichteten Rahmen, in welchem die zugrundeliegende Diskursauffassung, das jeweilige Forschungsinteresse und dessen erweiterter wissenschaftlicher Kontext es bestimmen, welche konkreten Methoden bei der eigentlichen Untersuchung eingesetzt werden. Dies kann als ein Top-Down-Prozess betrachtet werden, wo diese höher angesiedelte theoretische Basis die praktischen Untersuchungsschritte steuert. Wichtig ist, dass durch dieses Verständnis die Diskursanalyse nicht auf das Niveau einer linguistischen Hilfsdisziplin degradiert wird. Vielmehr bedeutet es eine breite universelle Perspektive, die es ermöglicht, Diskurse in den unterschiedlichsten wissenschaftlichen Umfeldern, etwa im Kontext der Politikwissenschaft oder der Soziologie durchzuführen. Das bietet zugleich das Potential, Ergebnisse solcher Untersuchungen auch in der Linguistik fruchtbar zu machen bzw. umgekehrt, die auf dem Gebiet der Sprachwissenschaft bevorzugten Verfahren auch darüber hinaus einzusetzen.

Wenn eine diskurslinguistische Untersuchung die Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Komponenten des Diskurses, die Bezüge zwischen den Diskursakteuren und deren Äußerungen nicht nur auf der Ebene des Einzeltextes, sondern auch im Rahmen dieses transtextuellen Gewebes von Äußerungen ermitteln möchte, dann ist eine solche Haltung sogar ein Muss, das anschließend die Auswahl der konkreten Analyseverfahren auch mit bestimmt.

Wird der Begriff hingegen im engeren Sinne verwendet, dann handelt es sich um Diskursanalyse im Sinne einer Methodik, die ohne eine weitere Präzisierung jedoch keine Auskunft über die inhaltliche Seite gibt. Wie oben bereits angedeutet wurde, gibt es die eine Diskursanalyse nicht. Selbst im Umfeld der Linguistik kann man sowohl die Ermittlung von Leitbegriffen als Diskursanalyse bezeichnen als auch eine komplexe, mehrere Ebenen des öffentlichen Sprachgebrauchs umfassende Untersuchung. Es scheint daher zweckmäßig, den Oberbegriff Diskursanalyse je nach Forschungsinteresse zu präzisieren und etwa als linguistische, soziologische o.ä. Diskursanalyse zu bezeichnen. Andererseits entsteht dadurch der Zwang, die jeweilige Fragestellung dementsprechend disziplinär möglichst eindeutig zu verorten (vgl. SPITZMÜLLER/WARNKE 2011: 41ff.). Das bedeutet jedoch nicht, dass der eine Ansatz besser wäre als der andere. Vielmehr wird dadurch die Vielfalt von Diskursen widerspiegelt, sodass die unterschiedlichen Konzepte bzw. die dadurch gewonnenen Erkenntnisse sich gegenseitig ergänzen und die Erkenntnis von diesem komplexen Phänomen fördern.

Das Konzept der Diskursanalyse bei FOUCAULT bzw. generell der Diskursbegriff haben in die Sprachwissenschaft einen kontroversen Eingang gehalten. Die Gründe dafür liegen wohl darin, dass mit Diskurs ein potentieller linguistischer Untersuchungsgegenstand geschaffen wurde, der über den herkömmlichen linguistischen, mit dem Text abgeschlossenen Forschungsrahmen hinausgeht. Es handelt sich zugleich um ein Phänomen, dass im Gegensatz zu den herkömmlichen sprachlichen Einheiten wie Morphem, Wort oder Satz besonders schwer zu definieren ist und darüber hinaus eine vorläufige Deutungshandlung beim Forscher erforderlich macht, um den Diskurs mit linguistischen Methoden bzw. Werkzeugen überhaupt sichtbar und erforschbar zu machen. Nach diesen ablehnenden Positionen und durch die Forderung nach einer Klärung auf diesem inzwischen kaum mehr überschaubaren Gebiet entstand der Aufsatz Ist Diskurs ein sprachwissenschaftliches Objekt? von BUSSE und TEUBERT (1994). Sie versuchen hier, die Position des Diskurses im Feld des sprachwissenschaftlichen Interesses zu bestimmen und die Stellung des Diskursbegriffes zu präzisieren. Sie bieten einen stark forschungspraktisch ausgerichteten Diskursbegriff, der hier als ein virtuelles Korpus von Texten verstanden wird (vgl. Kap. 3.2). Somit werden Diskurse nicht nur als transphrastische bzw. transtextuelle Phänomene zum linguistischen Forschungsobjekt erhoben (vgl. WARNKE 2008: 36; SPITZMÜLLER/WARNKE 2011: 24), sondern es wird ein Forschungsprogramm eröffnet, das selbst in der germanistischen Sprachwissenschaft in mehreren unterschiedlichen Varianten realisiert wird.

Die Diskursanalyse grundsätzlich nicht als Methode, sondern als Forschungsperspektive zu betrachten, wird auch bei KELLER (vgl. 2011a: 9) betont, der zwischen sechs Perspektiven der Diskursforschung unterscheidet. Diese werden um zwei Lager gruppiert. Zu dem ersten gehören die primär linguistisch geprägten Ansätze, insbesondere die Kritische Diskursanalyse und die Historische Diskursforschung (vgl. Kap. 3.2). Die andere Richtung vertreten die primär sozialwissenschaftlich geprägten Ansätze, in erster Linie die kulturwissenschaftlich ausgerichtete Diskursforschung sowie die wissenssoziologische Diskursanalyse. Selbst diese Konzepte sind nicht einheitlich, innerhalb der einzelnen Richtungen setzten sich mehrere Schulen durch. Zu den bahnbrechenden Werken der germanistischen Diskurslinguistik gehört die Dissertation von Dietrich BUSSE (1987), die sich als ein erster Höhepunkt der Konzeption der sog. Heidelberger/Mannheimer Gruppe verstehen lässt; zu dieser zählen auch die Sprachwissenschaftler Fritz HERMANNS und Wolfgang...

Erscheint lt. Verlag 28.10.2024
Reihe/Serie Beiträge zur Interkulturellen Germanistik
Verlagsort Tübingen
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Sprach- / Literaturwissenschaft Germanistik
Schlagworte Argumentation • Diskursanalyse • kontrastiv • Migrationsdiskurs • Topoi
ISBN-10 3-381-12083-2 / 3381120832
ISBN-13 978-3-381-12083-3 / 9783381120833
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