Generation Toxic (eBook)
208 Seiten
Gutkind Verlag
978-3-98941-009-1 (ISBN)
Marcel Aygün, bekannt auf Social Media unter dem Namen Marcel Moses, ist Psychologe, Mental Health-Coach und Content-Creator. Nach seinem Studium der Psychologie in Hamburg absolvierte er das Design Thinking-Programm am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Marcel Moses arbeitet bei einem Bildungs- und Jugendhilfeträger in einem Projekt für junge Erwachsene und lebt in Berlin.
TEIL 1
Wer bin ich? Warum fühle ich (so)?
Liebe Post-2000 – Eine Bestandsaufnahme
Du und ich, wir sind Menschen. Und Menschen sind Individuen. Wir sind alle anders, und jede:r von uns hat eine andere Lebensgeschichte mit prägenden Momenten. Darunter können schöne Erinnerungen und Meilensteine sein, auf die wir gerne zurückblicken. Es können aber auch traumatische Erlebnisse und Erfahrungen von psychischer oder physischer Gewalt dabei sein, die uns ängstlich in die Zukunft blicken lassen. Dass wir alle anders sind, liegt also nicht nur daran, dass wir uns aufgrund unserer Genetik unterscheiden, sondern auch an dem, was wir im Laufe unseres Lebens erlebt haben.
Wie war das bei dir? Hattest du eine Kindheit geprägt von Gefühlen der Sicherheit, Stabilität und Leichtigkeit? Oder voller Chaos, Angst und Trauma? Bist du für die anderen „männlich“ oder „weiblich“ genug? Was ist mit dem dazwischen? Was sollen eigentlich immer diese ganzen Stereotype? Wurde dir schon mal dein Herz gebrochen? Oder warst du es, der oder die eines gebrochen hat? Bist du deutsch? Also deutsch-deutsch oder mit Migrationshintergrund?
Jede:r von uns ist anders. Unsere Persönlichkeit und unser Charakter sind einzigartig. Und wenn es uns mal nicht gut gehen sollte, dann liegt die Ursache dafür meist in der Tatsache, dass wir alle unterschiedliche Erfahrungen gemacht haben – positive wie negative –, mit denen jede:r von uns unterschiedlich umgeht. Doch mindestens eine Sache haben wir alle gemeinsam. Etwas ganz Bestimmtes prägt unsere Identität so stark wie nichts Vergleichbares. Sie sind bei uns allen komplett unterschiedlich und einzigartig, doch haben sie alle einen unglaublich starken Einfluss auf uns.
Sie sind überall, ständig präsent und für viele Menschen das ultimative Ziel im Leben. Wir bekommen sie vorgelebt, haben vielleicht schon einige geführt, trauern einer vergangenen nach, stecken aktuell in einer oder wünschen uns eine andere. Es gibt sie in unterschiedlichsten Variationen und Ausprägungen.
Wirklich jede einzelne von ihnen unterscheidet sich von der anderen. Ob es sich dabei um gesunde oder toxische handelt, sei mal dahingestellt. „Toxisch“ wird doch sowieso viel zu inflationär benutzt, findest du nicht? Vielleicht ahnst du schon, worum es geht: richtig – um Beziehungen! Nichts prägt uns im Leben so sehr wie die Beziehungen, die wir führen. Sie können uns gut auf das Leben vorbereiten und stärken. Sie können uns das Gefühl von Glück, Liebe, Vertrauen und Sicherheit vermitteln, doch genauso können sie uns (temporär oder langfristig) schädigen, schwächen oder traumatisieren.
Dabei müssen Beziehungen nicht immer romantischer Natur sein. Wir führen freundschaftliche, familiäre, geschäftliche, gesunde, toxische, lange, kurze, leichte oder schwere Beziehungen. Nicht zu vergessen: die evolutionär gesehen wohl frischeste, wenngleich prägendste Beziehungsentwicklung der letzten Jahre, die alle anderen unserer Beziehungen auf den Kopf gestellt hat. Und nein, damit meine ich nicht die Beziehung von Johnny Depp und Amber Heard. Ich meine die Beziehung zu unserem Smartphone. Damit verbunden dann natürlich die Beziehung zum Internet, zu sozialen Medien, Dating-Apps, Pornografie oder all den schlechten Nachrichten, die uns tagtäglich über diverse, omnipräsente Wege erreichen.
Eine ganz besondere Beziehung sollten wir an dieser Stelle jedoch nicht unter den Teppich kehren. Ich würde sogar so weit gehen und behaupten, dass es sich bei dieser Verbindung um die wohl wichtigste von allen handelt. Diese Beziehung soll einen Einfluss auf alle anderen Beziehungen haben und diejenige sein, die wir nie aus den Augen verlieren sollten. Nein, es handelt es sich hierbei nicht um die Beziehung, die du als Teenager zu deinem Boy- oder Girlband-Crush hattest, auch nicht um die Beziehung zu deinem Tamagotchi oder deiner Kindergartenfreundin. Überleg noch mal kurz! Hast du’s? Genau! Die Beziehung zu uns selbst, die wohl einflussreichste und wichtigste von allen.
So unterschiedlich all diese Beziehungen, die wir tagtäglich führen, auch sind – eines haben sie alle gemeinsam: Sie prägen uns, unsere Gedanken, unsere Gefühle und unser Verhalten. Beziehungen, die wir als ungesund wahrnehmen, wollen wir so schnell wie möglich hinter uns lassen, um neue, gesunde und glückliche Beziehungen aufzubauen. Doch was ist eigentlich eine glückliche und gesunde Beziehung? Was muss ich dafür tun? Wo soll man das bitte gelernt haben?
Unser Bildungssystem lehrt uns jahrelang die deutsche Grammatik, wie man Hypotenusen berechnet und was die Französische Revolution für die demokratische Ordnung gebracht hat. Doch wie wir gesunde zwischenmenschliche Beziehungen führen und aufrechterhalten können, steht nicht auf dem Stundenplan. Was, wenn meine Beziehung von der Norm abweicht und keinen heteronormativen, gesellschaftlich weit verbreiteten und als „normal“ angesehen Standards entspricht? – Führe ich dann eine schlechte Beziehung? Handelt es sich überhaupt um eine Beziehung?
Mutter-Vater-Kind – gesamtgesellschaftlich ist das wohl das Lebensmodell, nach dem die meisten streben beziehungsweise das den meisten von uns vorgelebt wurde. Aber was, wenn ich mir keine monogame Beziehung auf Lebenszeit vorstellen kann? Was, wenn Mutter-Vater-Kind einfach nicht meine Lebensrealität widerspiegelt, weil Sexualität kein starres, dichotomes Konstrukt ist und sich auf einem weiten Spektrum bewegt? Was, wenn ich nicht die Beziehungen eingehen kann, die ich gerne möchte, weil sie gegen Glaubenssätze, Traditionen oder andere Vorstellungen meiner Familie verstoßen? Gott bewahre! Kann ich überhaupt gute Beziehungen führen, wenn ich selbst nicht so recht weiß, wie ich gut zu mir selbst sein kann?
Irgendwie kann das alles schon ziemlich überfordern. Wer bin ich überhaupt? Das Wichtigste weiß ich: Mein Name ist Marcel, ich bin 1993 geboren und ich arbeite als Psychologe. Das bedeutet, dass ich viele Jahre damit verbracht habe, Psychologie zu studieren. In erster Linie bin ich aber ein Mensch. Geboren in der Stadt Delmenhorst in Niedersachsen (ja genau, da wo Sarah Connor herkommt), inzwischen bin ich aber Berlin-Zugezogener. Meine Pronomen sind er/ihn. Ich bin deutsch, mit Migrationshintergrund. Ich habe schon ein paar Mal gehört, dass ich dafür aber ziemlich gut Deutsch sprechen könne. Vielen Dank! Das nennt man dann übrigens positive Diskriminierung. Und ja, ich heiße Marcel, wirklich. Das glauben mir viele Menschen nicht, wenn sie mich sehen. „Marcel? Das hätte ich jetzt nicht erwartet! Wieso haben deine Eltern dich so genannt?“ – Wieso denn nicht? Wie sehen Deutsche in deiner Vorstellung denn aus? Ich bin aufgewachsen zwischen zwei Kulturen – der deutschen und der aramäischen. Marcel, der norddeutsche „Ausländer“. Der, der für viele nicht aussieht wie ein Marcel, sondern eher wie ein Mustafa (Shoutout geht raus an alle Mustafas). I’m not a kanack, not yet an alman! Und noch so viel mehr! Für viele meiner Freund:innen bin ich eine wichtige Bezugsperson, für meine Eltern ihr Kind, für meine Geschwister ihr Bruder. Dann bin ich aber auch noch mein Lebenslauf und natürlich meine selbst kuratierten Spotify-Playlists.
Aber zurück zur Frage: Wer bin ich wirklich? Und wer bist du? Sind wir einfach nur die Summe all unserer getroffenen Entscheidungen und gesammelten Erfahrungen? Sind wir unsere verflossenen Liebschaften? Sind wir, was wir denken? Oder doch nur unser individuelles Trauma, das wir gefühlt lebenslang zu lösen versuchen? Sind wir unser wahrhaftiges Selbst, wenn wir allein sind oder sozial interagieren? Bin ich das, was ich nach außen präsentiere, oder das, was ich innerlich fühle? Sind wir vielleicht Teil eines großen kollektiven Bewusstseins und alle miteinander verbunden? Wenn ja, wieso fühlen wir uns dann so oft so einsam? Wenn wir durch das Internet und unsere Smartphones Zugang zu gefühlt jedem Menschen auf der Welt haben, wieso sind wir trotzdem so oft allein? Wieso ist die Diskrepanz so groß zwischen dem, wie wir uns unser Leben und unsere Beziehungen in unserer Jugend vorgestellt haben, und dem tatsächlichen Empfinden im Hier und Jetzt?
Kann es sein, dass wir es verlernt haben, echte, authentische und tiefe Verbundenheit zu spüren? Wir sind Generation „Social Media“, Generation „Du bist was Besonderes und hast das Beste vom Besten verdient“, Generation „Selbstverwirklichung“ und Generation „Selbstdarstellung“. Manchmal habe ich aber auch das Gefühl, wir sind Generation „kollektive Psychose“. Die auffälligsten Symptome: Verlust von Mitgefühl und Verlust unserer eigenen Identität.
Wie können wir nun aber zurück zu uns selbst finden? Wie schaffen wir es, echte Beziehungen zu kreieren und Frieden mit den Dingen zu schließen, die uns belasten? Dazu sollten wir alle unsere bestehenden Beziehungen auf den Prüfstand stellen: Hast du eine gute Beziehung zu dir selbst? Und wie sieht es aus mit der Beziehung zu deiner Familie, deinen Freund:innen und deiner Liebesbeziehung? Zufrieden? Glückliche Kindheit gehabt? Nein? Dann ändere doch was! Aber was? Sollen wir uns von Dingen distanzieren, die uns triggern und dadurch aufwühlen? Oder kann unsere kollektive Psychose nur dann heilen, wenn wir damit anfangen, unsere Gedanken, unsere Gefühle und unser Verhalten zu beobachten und zu reflektieren?
Falls es Beziehungen gibt, die mich nicht triggern, dann bitte her damit. Denn ich habe ehrlich gesagt keine Lust mehr darauf, mich immer wieder zu distanzieren und noch mal von vorn anzufangen. Du etwa? Aber scheint ja irgendwie nicht so einfach zu sein. Überall Trigger, Trauma, toxische...
Erscheint lt. Verlag | 26.9.2024 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
ISBN-10 | 3-98941-009-1 / 3989410091 |
ISBN-13 | 978-3-98941-009-1 / 9783989410091 |
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