Emotionsfokussiertes Skilltraining (EFST) für Familien (eBook)

Vorwort der Autorinnen

Alle Menschen, die beraterisch oder therapeutisch mit Eltern arbeiten, kennen ihn – den Moment, in dem wir denken: Diese Eltern sind ihrer Aufgabe nicht gewachsen – vielleicht sogar gänzlich unfähig und ungeeignet, Eltern zu sein. Trotz all unserer guten Absichten stoßen wir früher oder später in unserer Beratungstätigkeit mit Eltern auf diese Gefühle und Einschätzungen: Dieser Elternteil ist nicht in der Lage, sein Kind zu erziehen. Er oder sie sollte gar keine Kinder haben.

Vielleicht haben Sie auch schon mit Eltern gearbeitet, die Ihnen das Gefühl gegeben haben, sich gar nicht verändern zu wollen oder zu können? Eine Mutter, die unfähig ist, ihr Kind vor sexuellem Missbrauch zu schützen. Ein Vater, der seinen Kindern die Schuld für alles gibt. Eine Mutter, die trinkt und kaum in der Lage ist, für sich selbst zu sorgen. Ein Vater, der so aggressiv ist, dass Sie ihm nicht mal selbst in Ihrem Büro begegnen wollen. Eine Mutter, die so ununterbrochen redet, dass Sie kaum dazwischenkommen. Ein Vater, der gar nicht redet.

Wer regelmäßig mit Eltern arbeitet, ist vermutlich schon bei dem Versuch verzweifelt, so einen Elternteil zu erreichen. Wahrscheinlich sind Ihnen Eltern begegnet, die Sie verärgert, eingeschüchtert oder sogar angeekelt haben. Vielleicht haben Sie auch sich selbst im Angesicht dieser Erfahrungen schon mal als völlig ungeeignet und nutzlos erlebt. An besonders schwierigen Tagen haben Sie sich vielleicht sogar gefragt, ob Beratung überhaupt etwas bringt.

Wenn Sie am Anfang Ihrer Arbeit als Therapeut oder Beraterin stehen, werden Sie rasch merken, wie sehr die Arbeit mit Eltern Auswirkungen auf Ihr persönliches körperliches und emotionales Wohlbefinden hat. Elternarbeit geht häufig mit Selbstzweifeln, Selbstkritik und energieraubendem Pessimismus einher. Besetzt von diesen eigenen Empfindungen, verlieren wir leicht den Kontakt zu den Menschen unmittelbar vor uns, die eigentlich zu uns gekommen sind, um Hilfe zu erfahren und sich uns anzuvertrauen. Auch die Eltern selbst sitzen oft in einem emotionalen Gefängnis aus Hoffnungslosigkeit, Angst und Scham.

Mit diesem Buch möchten wir Sie dabei unterstützen, ihre eigenen herausfordernden Gefühle zu verstehen, zu verarbeiten und zu nutzen – um genau dabei auch den Eltern und Kindern zu helfen, die Sie begleiten. Unser Ziel ist es, Ihnen ein Verständnis von Gefühlen zu vermitteln, das Ihnen hilft, in ihrer Beratungsrolle wirksam zu bleiben. Je besser wir für unsere eigenen Gefühle sorgen können, desto leichter wird es, Eltern dabei zu unterstützen, konstruktiv mit Angst, Sorge, Ärger oder Trauer umzugehen. Eltern können so Zugang zu ihren intuitiven elterlichen Kompetenzen finden. Sie können lernen, mit ihren schmerzlichen Gefühlen umzugehen, ohne von ihren eigenen Emotionen »gekapert« zu werden. Wir befähigen die Kinder und Eltern, ihre Gefühle wahrzunehmen, zu erkennen, was sie brauchen, und entsprechend zu handeln. So entwickelt sich emotionale Kompetenz – und emotionale Kompetenz unterstützt uns dabei, psychische Probleme zu bewältigen, seelisch gesund zu werden oder gar nicht erst zu erkranken.

Dieses Buch stellt einen neuen Zugang in der Elternberatung vor – Emotionsfokussiertes Skilltraining für Familien (EFST). Unabhängig vom Alter (Kleinkind, Jugendliche:r, erwachsene Kinder) wirft EFST einen neuen Blick auf die Bedeutung von Eltern für die seelischen Erkrankungen ihrer Kinder. Wir hoffen, dass dieser Ansatz für Sie hilfreich ist, sei es in Ihrer Arbeit als Familientherapeut:in, in der Elternberatung oder an all den anderen Stellen, an denen Kinder, Jugendliche und Erwachsene davon profitieren, wenn ihre Eltern emotional kompetenter werden. Unser Ziel ist es, Ihre Arbeit leichter zu machen, motivierender, hoffnungsvoller, sinnvoller – sodass Sie im Gegenzug die Bezugspersonen unterstützen können, deren Kinder mit seelischen Problemen kämpfen. Wenn die Eltern dabei unterstützt werden, ihren Kindern zu helfen, sinkt vielleicht auch deren Therapiebedarf. Wir glauben fest daran, dass ein wesentlicher Schlüssel im Umgang mit psychischen Problemen oder Verhaltensauffälligkeiten von Kindern darin liegt, Eltern zu befähigen, die emotionalen Bedürfnisse ihrer Kinder zu beantworten. Therapeutische Hilfe zu bekommen ist wertvoll, für die meisten Kinder ist es jedoch bei Weitem wichtiger zu spüren, dass ihre Eltern versuchen, sie zu verstehen und zu unterstützen. Auch wenn die elterlichen Versuche, anders auf ihre Kinder zuzugehen, unbeholfen sein mögen – sie hinterlassen oft eine größere Wirkung als jede noch so perfekte therapeutische Intervention. Aufgrund der tiefen emotionalen Verbundenheit zwischen Eltern und Kind können kleine Veränderungen bedeutsame positive Auswirkungen auf die Beziehung haben. Wir sind davon überzeugt: Eltern können und wollen ihren Kindern beistehen. Sie brauchen jedoch Hilfe, um mit den Gefühlen umzugehen, die ihren guten Absichten im Weg stehen.

In den letzten dreißig Jahren ist die Forschung zu Emotionen enorm gewachsen. Wir nähern uns einem Paradigmenwechsel, verstehen mehr und mehr, was Gefühle sind und wie sie wirken. Wir begreifen, warum Gefühle wichtig sind, wie sie uns in die Irre leiten können, wie sie unsere Gedanken, unser Verhalten, unser Gedächtnis, unsere Psyche und unsere Beziehungen prägen und wie wir sie verändern können. Auch wenn der traditionelle Fokus der Familientherapie und Elternarbeit in der Vergangenheit mehr darauf lag, Verhalten zu verstehen und zu verändern, erfahren auch hier Emotionen mehr und mehr Aufmerksamkeit. EFST bietet einen erfahrungsbasierten und empirisch fundierten Ansatz, mit Gefühlen zu arbeiten. Wir reden nicht nur über Gefühle und stellen psychoedukativ Informationen oder Ratschläge zur Verfügung. Wir arbeiten mit den Emotionen, erkunden sie, unterstützen ihre Verarbeitung mithilfe präziser empathischer Begleitung. Darüber hinaus nutzen wir Werkzeuge, die Perspektivwechsel anregen, und klar operationalisierte therapeutische Interventionen. Wir verstehen EFST deshalb als wichtige Ergänzung und Erweiterung zu bestehenden Elternprogrammen.

Dieses Buch ist das Ergebnis der Zusammenarbeit zwischen drei norwegischen Autorinnen und Dr. Joanne Dolhanty. Dolhanty entwickelte gemeinsam mit Leslie Greenberg die Emotionsfokussierte Therapie für Essstörungen (EFFT) und die Emotionsfokussierte Familientherapie in Zusammenarbeit mit Dr. Adele LaFrance (Dolhanty u. Lafrance, 2018). Dolhanty entwickelte das Emotionsfokussierte Skill Training (EFST) auf der Basis ihrer Erkenntnisse zum Einfluss von Emotionen auf die Veränderungsmotivation in Therapieprozessen. Grundlage des EFST ist zudem die zentrale Bedeutung von Eltern für den Genesungsprozess von Kindern mit schweren seelischen Erkrankungen und Verhaltensauffälligkeiten. Die Autorinnen dieses Buches verfügen alle über umfangreiche Erfahrung in der Arbeit mit Familien, Kindern und Erwachsenen. Sie lehren und implementieren Emotionsfokussierte Therapie (EFT), Emotionsfokussierte Paartherapie (EFT-C) und Emotionsfokussiertes Skilltraining (EFST). Joanne Dolhanty ist zudem eine der führenden international engagierten Trainerinnen im Bereich EFST.

In unseren Trainings und Kursen mit professionellen Helfer:innen werden wir oft nach guten Büchern zu diesem Ansatz gefragt. Bis jetzt gab es dieses Buch nicht. Als Therapeutinnen haben wir persönlich erfahren und beobachtet, wie wertvoll die Methoden des EFST für Eltern, Therapeut:innen und Berater:innen sein können.

Diese Erfahrungen und die Begegnungen mit den Familien haben uns motiviert, dieses Buch zu schreiben. Wir hoffen, dass es allen an EFST Interessierten nützlich sein wird. Wir haben entschieden, dieses Buch in der ersten Person zu schreiben. Wir sprechen aus unserer Erfahrung als Eltern, Therapeutinnen und Autorinnen. Und wir sprechen zu Eltern und allen, die mit Eltern arbeiten. Wenn wir von »wir« aus der Elternperspektive reden, meinen wir die stellvertretende Stimme aller Eltern beziehungsweise Bezugspersonen. Genauso verwenden wir das »wir« als Therapeut:innen aus der Perspektive des »Therapeuten im Allgemeinen.« In den Begriff des Therapeuten schließen wir Psycholog:innen, Familientherapeut:innen, Elterncoaches und andere professionelle Helfer:innen in der Elternberatung mit ein.

EFST kann in der Einzeltherapie genutzt werden, in Elternworkshops, genauso wie in Gruppentherapien. Das ganze Buch hindurch erzählen wir Beispiele aus allen drei Settings. Die klinischen Beispiele entstammen überwiegend der praktischen Arbeit der Autorinnen, einige aus ihrem persönlichen Leben. Diese Beispiele spiegeln die Vielfalt der begleiteten Eltern wider – sie handeln von Eltern mit sehr unterschiedlichem sozioökonomischem Status, unterschiedlichen Bildungsniveaus, Eltern mit oder ohne Arbeit, verschiedenem kulturellem und ethnischem Hintergrund. Viele Eltern werden sich in den Beispielen wiedererkennen, meist suchen Eltern uns mit sehr ähnlichen Anliegen auf. Alle im Buch erwähnten Eltern haben ihre Zustimmung zur Veröffentlichung ihrer Geschichten gegeben. In allen Beispielen haben wir...