Das Ende denken (eBook)
326 Seiten
Campus Verlag
978-3-593-45863-2 (ISBN)
Silvia Berger Ziauddin ist ordentliche Professorin für Schweizer und Neueste Allgemeine Geschichte an der Universität Bern. Sara Kviat Bloch ist Religionswissenschaftlerin und Geschäftsführerin des Collegium generale der Universität Bern. Mathias Wirth ist Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern.
Silvia Berger Ziauddin ist ordentliche Professorin für Schweizer und Neueste Allgemeine Geschichte an der Universität Bern. Sara Kviat Bloch ist Religionswissenschaftlerin und Geschäftsführerin des Collegium generale der Universität Bern. Mathias Wirth ist Professor für Systematische Theologie mit dem Schwerpunkt Ethik an der Theologischen Fakultät der Universität Bern.
Das Ende denken – zum Anfang
Claus Beisbart, Silvia Berger Ziauddin, Sara Kviat Bloch und Mathias Wirth
Das Ende ist ziemlich nah, titelte kürzlich der Soziologe Andreas Reckwitz.1 Damit traf er zweifellos einen Nerv unserer Zeit. Angesichts sich häufender und einander überlagernder Krisen, angesichts des Klimawandels und verschärfter kriegerischer Auseinandersetzungen ist vermehrt von Endzeitszenarien die Rede. Teilweise macht sich sogar Endzeitstimmung breit. Auf jeden Fall nennen sich junge Menschen, die sich um die katastrophalen Folgen des Klimawandels sorgen, die letzte Generation. »Geht jetzt die Welt unter?« fragte kürzlich Bettina Dyttrich in der Wochenzeitung.2 Und schon vor ein paar Jahren sprachen Claus Leggewie und Harald Welzer vom »Ende der Welt, wie wir sie kannten«.3
Aber um welches Ende geht es dabei eigentlich genau? Ist wirklich das Ende der Welt zu befürchten? Oder ist das Ende des Menschen gemeint? Das Ende der Geschichte? Oder »bloß« das Ende einer bestimmten Zivilisation, vielleicht sogar »nur« das Ende eines Staates?
Wenn wir solche Fragen stellen, dann wird deutlich, dass wir es mit unterschiedlichen Endpunkten zu tun haben können. Einige davon hat die Menschheit schon häufig erlebt. Schon oft sind Staaten an ein Ende gekommen. Auch Zivilisationen haben ein Ende gefunden. In den letzten Jahren mussten wir vermehrt das Ende biologischer Arten zur Kenntnis nehmen. Und was den einzelnen Menschen angeht, so hat er zwar als heute lebend das eigene Ende noch vor sich. Aber er weiß vom Tod anderer Menschen und muss damit rechnen, dass sein Leben an ein Ende kommt.
Als Menschen haben wir es also dauernd mit Endpunkten zu tun. Wir fürchten oder erwarten sie, wir rechnen mit ihnen, wir stellen sie fest oder rufen sie aus, und manchmal erinnern wir uns an sie. Denn der Mensch ist das Wesen, welches das Ende denkt. Als Menschen leben wir nicht nur in der Gegenwart, sondern bilden uns Vorstellungen über die Vergangenheit und die Zukunft. Zu diesen Vorstellungen gehört auch die Idee, dass wir an ein Ende kommen. »Der entscheidende Einschnitt, der den Menschen vermutlich von den übrigen Lebewesen unterscheidet, ist das Wissen seiner Endlichkeit: dass er sterben wird«, heißt es in diesem Sinne bei Friedrich Dürrenmatt.4 Da wir nicht nur auf uns selbst bezogen sind, werden wir auch berührt vom möglichen Ende anderer Menschen oder vom Ende von Dingen, die uns wichtig sind, und wir bemerken auch das Ende von Zeitabschnitten, die eine Einheit bilden.
Vor diesem Hintergrund möchte dieses Buch vergegenwärtigen, wie der Mensch schon immer das Ende denkt, wie er also diverse Endpunkte gedanklich vorstellt, antizipiert, rekonstruiert und erfasst. Es geht somit darum, wie wir uns in Vorstellungen auf Endpunkte beziehen: Wie wir das eigene Ende befürchten, wie wir uns aber auch das Ende einer schlimmen Zeit herbeisehnen, wie wir das Ende erleben und gestalten, wie wir im Nachhinein Endpunkte markieren und erinnern oder auch zum Neuanfang umdeuten. Dabei unterliegt der Umgang mit diversen Endpunkten selbst einem geschichtlichen Wandel, der sich etwa in Veränderungen der Bestattungskultur zeigt oder im Wandel der Endzeitdiskurse.
Mit seinem Ziel, den menschlichen Umgang mit dem Ende zu thematisieren, möchte das Buch die gegenwärtige Endzeitstimmung kontextualisieren und historisieren. So manche aktuelle Endzeitbehauptung relativiert sich, wenn wir uns verdeutlichen, wie das Ende der Welt oder der Menschheit schon früher immer wieder beschworen wurde. In Nachhinein betrachtet drücken die Befürchtungen eines Weltendes oft mehr über diejenige Zeit aus, in der sie gehegt wurden, als über das Ende der Zeiten. Außerdem kann ein Panorama über die unterschiedlichen Vorstellungen von Enden vielleicht helfen, mehr oder weniger zutreffende Endzeitbehauptungen voneinander zu unterscheiden. Gleichzeitig kann es dazu beitragen, gelungene Umgangsformen mit Endpunkten als solche auszuzeichnen.
Aber welche Endpunkte thematisiert der Mensch eigentlich und wie lässt sich etwas Ordnung in das Denken des Endes bringen? Im Folgenden tragen wir zunächst Beobachtungen zu Endpunkten und dem Denken darüber zusammen und schlagen einige systematisierende Unterscheidungen vor. Dann geben wir einen Überblick über die Beiträge des Buchs, die freilich das Thema nur exemplarisch beleuchten können.
Das Wort »Ende« markiert im Deutschen eine räumliche oder zeitliche Grenze. Wenn vom Ende eines Dorfs die Rede ist, dann ist das räumlich gemeint, ebenso, wenn es in der Bibel heißt: »viele Könige werden sich aufmachen von den Enden der Erde.«5 In diesem Buch geht es aber vor allem um zeitliche Endpunkte.
Ein (zeitliches) Ende ist immer das Ende von etwas. »The End«, heißt es zwar manchmal lapidar am Ende eines Buchs oder Films, aber die Frage, was denn zu Ende sei, kann auch hier gestellt und beantwortet werden. Im Sinne der klassischen Substanzontologie ist es zunächst naheliegend, dasjenige Etwas, das an ein Ende kommt, als Gegenstand oder Ding anzusehen: Ein bestimmter Gegenstand (in einem sehr weiten Sinn von »Gegenstand«) bestand eine Weile und hört nun auf zu bestehen. In diesem Sinne können wir etwa vom Ende eines Menschen sprechen. Auch das Ende eines Staates können wir so denken. Allerdings klingt es alltagssprachlich für viele Dinge eher komisch, wenn wir von ihrem Ende sprechen. Nimmt die Kaffeetasse ein Ende, wenn sie zu Boden fällt und zerspringt? Oder sagen wir, dass der Computer endet, wenn er nicht mehr richtig funktioniert? Bei genauerer Betrachtung ist es oft ein ausgedehnter Prozess oder eine bestimmte Zeitspanne, die endet. Paradigmatisch ist hier sicher das menschliche Leben, das mit dem Tod endet. In einem ähnlichen Sinn können von Menschen veranstaltete Anlässe wie Theateraufführungen oder Festakte enden. Es geht hier um länger andauernde Ereignisse oder Prozesse, die irgendwann einmal beginnen und später an eine zweite Grenze kommen, an der sie aufhören. Ähnlich kann auch ein Jahr enden; ein Jahr bildet zwar keinen einheitlichen Prozess, aber es ist ein ausgedehnter Zeitabschnitt, der irgendwann einmal vorbei ist. Mehr als das Ende eines Jahres interessiert uns aber im Allgemeinen das Ende von Zeitabschnitten, die durch etwas Besonderes gekennzeichnet sind, etwa dadurch, dass ein Mensch darin lebt. Auch wenn wir vom Ende einer Beziehung sprechen, meinen wir letztlich, dass eine bestimmte Zeitspanne endet, nämlich eine Lebensphase, in der die Beziehung besteht.
Die Rede vom Ende basiert auf einigen Annahmen, die so offensichtlich sind, dass wir sie uns nur selten bewusst machen. So setzt die Rede vom Ende die Zeit voraus. Weil wir uns die Zeit linear vorstellen, hat jedes Ding, jeder Prozess nur ein Ende. Mit dieser Voraussetzung spielt der Faschingsspruch »Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei«, wo die Wurstenden eben keine zeitlichen Enden mehr sind. Rein zeitlich gemeint, gibt es Enden im Plural nicht; wenn wir von mehreren Enden oder Endpunkten sprechen, dann meinen wir das Aufhören unterschiedlicher Gegenstände oder Prozesse.
Der Begriff des Endes führt dann aber schnell zu philosophischen Fragen, die keineswegs einfach zu beantworten sind: Ist das Ende punktförmig, findet es also zu einem ganz bestimmten Zeitpunkt statt? Oder kann ein Ende auch zeitlich ausgedehnt sein und länger dauern, wie man es manchmal vom Sterben eines Menschen sagt? Eine weitere schwierige Frage lautet, ob es Dinge oder Vorgänge gibt, die kein Ende haben. Und ob alles, das einen Anfang hat, auch ein Ende hat. Mit solchen Fragen beschäftigt sich die Philosophie, aber zum Glück ist das meiste menschliche Denken von Endpunkten möglich, ohne dass die Fragen beantwortet werden.
Doch was heißt es eigentlich, dass ein Ende gedacht wird? Im Rahmen dieses Buches meinen wir mit dem Denken des Endes alle geistigen Einstellungen, die in der einen oder andere Weise auf ein Ende Bezug nehmen. Wie schon angedeutet, kann ein Ende in Einstellungen ganz unterschiedlicher Art vorkommen: Wir können ein Ende betrauern oder befürchten, wir können ein Ende neutral feststellen oder vorhersagen, wir können sogar planen, etwas zu Ende zu bringen.
Viele dieser Einstellungen beruhen auf bestimmten Voraussetzungen. So kann ich nur traurig über ein Ende sein, wenn ich das, was an ein Ende kommt, wertvoll finde. Wenn ...
Erscheint lt. Verlag | 9.10.2024 |
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Co-Autor | Matthias Bartelmann, Claus Beisbart, Silvia Berger Ziauddin, Fernando Esposito, Karin Harrasser, Marianne Kneuer, Sara Kviat Bloch, Isabelle Noth, Georg Pfleiderer, Stefan Rebenich, Christian Rohr, Heinz Rüegger, Heinz-Peter Schmiedebach, Tine Stein, Mathias Wirth, Hansjörg Znoj |
Verlagsort | Frankfurt am Main |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie ► Allgemeines / Lexika |
Schlagworte | Apokalypse • Artensterben • Ende der Antike • Ende der Demokratie • Ende der Geschichte • Ende der Menschheit • Ende der Welt • Endzeit • Endzeitdenken • Ethik • Geschichtswissenschaft • Klimakatastrophe • Last Generation • Lebensende • letzte Generation • Ökologische Krise • Pandemie • Philosophie • Postapokalypse • Sterben • Theologie • Tod • Trauer |
ISBN-10 | 3-593-45863-2 / 3593458632 |
ISBN-13 | 978-3-593-45863-2 / 9783593458632 |
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