Die Metamoderne (eBook)
312 Seiten
Vandenhoeck und Ruprecht (Verlag)
978-3-647-99306-5 (ISBN)
Worum geht es in diesem Buch?
Unsere lange Zeit so prosperierende westliche Welt taumelt inzwischen von einer Krise zur nächsten. Tragfähige Lösungen sind nicht in Sicht. Viele Menschen sind verunsichert. Manche ziehen sich zurück und versuchen, sich nur noch um ihr eigenes Wohl zu kümmern und sich noch besser als bisher vor allem zu schützen, was sie verängstigt. Manche stürmen aber auch nach vorn und glauben, die Welt ließe sich durch den effizienteren Einsatz von Lösungsstrategien retten, die sich längst als ungeeignet erwiesen und die Probleme nur noch weiter zugespitzt haben.
Aber vielleicht braucht unsere gegenwärtige Welt diese Krisen, damit sich das endlich entwickeln und ausbreiten kann, was erfolgsverwöhnten Menschen am allerschwersten fällt: in sich hinein spüren, sich wieder mit dem verbinden, was unser Menschsein ausmacht, sich aus den eigenen Verwicklungen befreien und sich mit den aus den eigenen Fehlern gewonnenen Erkenntnissen auf den Weg machen. Bewusster, mitfühlender, verständiger, achtsamer, kreativer, mutiger und vor allem liebevoller als bisher.
Wenn das die Lösung ist, dann sollten sie einige, von Krisen vielleicht besonders durchgeschüttelte Menschen zumindest für sich selbst gegenwärtig schon gefunden haben. Von ihnen heißt es, sie hätten einen inneren Transformationsprozess durchlaufen und neue Bereiche ihres Bewusstseins aktiviert. Möglicherweise haben sie aber auch nur die beglückende Erfahrung gemacht, dass liebevolles Einfühlen in ein Gegenüber wesentlich angenehmere Folgen hat als alle Versuche, sich möglichst klar von anderen abzugrenzen. Vielleicht hat es ihnen auch nur das Herz geöffnet, als sie bemerkt haben, dass die Suche nach dem, was Menschen miteinander und mit allem Lebendigen verbindet, viel mehr Freude macht als das Lebendige in seine Einzelteile zu zerlegen und alles fein säuberlich in unterschiedliche Kisten zu packen.
Wahrscheinlich ist bei diesen Menschen beides, das Einfühlen- und das Verbindenwollen, zu einer inneren Einstellung und einem neuen Lebensgefühl geworden, die nun fortan ihr Verhalten bestimmen. Es mag sein, dass sie nun nicht mehr so recht in die alte Welt passen, aber jeder noch einigermaßen zum eigenen Denken befähigte Mensch weiß, dass wir die selbstverschuldete Unmündigkeit nur überwinden können, indem wir ihrem Vorbild folgen. Diese sich der Fragwürdigkeiten unserer bisherigen Vorstellungen bewusst gewordene Menschen wären dann die Vorhut einer neuen Bewegung, und die Erfahrung lehrt uns, dass diejenigen, die anders zu denken und zu fühlen beginnen, oft genug zunächst als Außenseiter diffamiert werden. Weil sich ihnen aber gleichzeitig immer mehr Menschen anschließen, entsteht gerade eine in vieler Hinsicht erstaunliche, noch unter der alten verborgene neue Welt – die Metamoderne.
Experten und Expertinnen aus verschiedenen Bereichen der Gesellschaft – aus Kultur und Wissenschaft, aus Wirtschaft und Technologie, auch aus der Politik – tragen in diesem Buch überraschend viele Indizien dafür zusammen, dass wir am Beginn dieser neuen Epoche – der Metamoderne – stehen.
Wie schnell sich diese Bewegung ausbreitet und wie gut es ihren Followern gelingt, die bedrohlichen Krisen der Gegenwart in attraktive und zukunftsweisende Möglichkeitsräume zu verwandeln, lässt sich nicht vorhersehen. Aber einige Qualitäten und Haltungen der diese neue Epoche gestaltenden Menschen sind bereits erkennbar:
Eine ihrer Kernqualitäten besteht darin, dass sie in der Lage sind, andere Menschen einzuladen, zu ermutigen und zu inspirieren, sich aus ihren bisherigen persönlichen Gewohnheiten, Denk-, Gefühls- und Handlungsmustern und anderen Verwicklungen zu befreien. So wird es immer mehr Menschen möglich, auch scheinbar unvereinbare Positionen und Meinungen zu verstehen und aus einer Metaebene als deren jeweilige Lösungen für die zu bewältigenden Probleme zu begreifen.
Bisher noch scheinbar gegenteilige Ansichten, Vorstellungen und Überzeugungen lassen sich so als das verstehen, was sie immer nur sein können: zumindest vorübergehend brauchbare Lösungen, die Menschen – als Einzelne, aber auch als Gemeinschaft oder als ganze Gesellschaft – auf der Suche nach dem gefunden haben, worauf es aus ihrer Sicht im Leben ankommt. Statt sie als falsch oder abwegig zu diskreditieren, sie zu nivellieren oder gar zu bekämpfen, kann es so endlich gelingen, unsere bisherige, von Abgrenzungs- und Abspaltungsversuchen bestimmte Beziehungskultur in eine Kultur der Begegnung und des wahrhaftigen Interesses an der Entfaltung der in jedem Menschen angelegten Potenziale zu verwandeln. Für alle Menschen, die sich so eine Kultur des Miteinander wünschen, ist dieses Buch die gegenwärtig zu empfehlende Lektüre.
Wie ist dieses Buch aufgebaut und wie kann es gelesen werden?
Um eine neue Bewegung und vielleicht sogar Epoche verstehen zu können, brauchen wir auch neue Begriffe und Weltkonzepte, da die alten unser Denken, Fühlen und Handeln zu sehr begrenzen und im Alten festhalten. Daher experimentieren die Autoren und Autorinnen dieses Buches mit solchen neuen Begriffen und Konzepten.
Im ersten Teil geht es eher um theoretische Grundlagen und im zweiten Teil eher um praktische Entwicklungen dieser neuen Epoche. Da beide Teile letztlich zusammengehören, überschneiden sie sich in den einzelnen Beiträgen.
Auch wenn das Buch aus Beiträgen vieler Autoren besteht, ist es nicht einfach ein Sammelband, sondern in seiner Form selbst Ausdruck einer oben bereits umrissenen Qualität der Metamoderne. Nur von einzelnen Menschen geschriebene Werke sind in sich runder und begrifflich einheitlicher, doch immer auch mit den mentalen, konzeptuellen und sprachlichen Begrenzungen dieser Einzelnen behaftet. Sammelbände hingegen bringen verschiedene Sichtweisen zur Sprache, doch stehen diese meist relativ unbezogen nebeneinander. Dieser Band versucht in Form und Qualität beides zu verbinden. Die alle Beiträge vereinende Essenz ist der Versuch, eine neue, erst entstehende Bewegung und Epoche zu verstehen und so in uns bewusster und hoffnungsvoller werden zu lassen. Dazu braucht es die Expertise und Kreativität von Menschen aus vielen unterschiedlichen Bereichen, die sich darin jeweils mit all ihren Kompetenzen und Erfahrungen auf neue Weise verwirklichen und weiterentwickeln können. Und es braucht zugleich deren miteinander denkendes und wirkendes Zusammenspiel, denn nur so wird das Ganze mehr als die Summe seiner Teile.
Wir laden Sie als Leserinnen und Leser ein, diese besondere Qualität der Metamoderne auch in der Art des Lesens dieses Buches zu erproben: Es geht darum, die einzelnen Beiträge, auch wenn sie sich in ihrer experimentellen Suche nach Verständnis und Worten für eine neue Wirklichkeit teilweise widersprechen, teilweise wiederholen und vieles offenlassen, nicht als Neben- oder Gegeneinander zu verstehen. Im Sinne der später im Buch noch näher erläuterten Metaxie – aus der das »Meta« der Metamoderne folgt – wird es vielleicht möglich, zwischen den verschiedenen Beiträgen zu »oszillieren« und so den Gesamtsinn des Buches beim Lesen jeweils auf eine persönliche, individuelle Weise zu erfassen und zu erspüren.
Neben diesem Oszillieren betrifft ein weiterer Aspekt der Metaxie eine Art von Hinauswachsen über das Bisherige. Und dabei gelegentlich auch das Berühren einer Dimension oder Möglichkeit, die vielleicht schon immer darüber hinaus ist, zu der wir jedoch nur hin und wieder Resonanz finden. Die Begründer der modernen Soziologie versuchten diese vor gut hundert Jahren auch im Raum der Wissenschaft zu erhalten, mit dem Fortschreiten der Moderne verlor sich diese Verbindung jedoch immer mehr. So sprach Max Weber vom »Geist« einer Epoche und Georg Simmel von der Seele als »höchste Einheit« und von Kultur als »Weg der Seele«.
Mehrere der Beiträge des Buches versuchen auf je ihre Weise wieder Worte zu finden für die Verbundenheit und schöpferische Resonanz mit dieser Dimension, die der modernen Welt weitgehend verloren ging und aus deren Nichtbezug manche Probleme dieser Welt erwachsen sind. Es geht darum, diese neu zu entdecken und als wesentliche Quelle menschlicher Existenz, Kultur und Entwicklung bewusster als bisher einzubeziehen, ohne dabei jedoch in vormoderne Formen ihrer Dogmatisierung oder Vermachtung zurückzufallen.
Der Beitrag des Arztes, Bewusstseinsforschers und Unternehmers Udo Boessmann untersucht die Voraussetzungen und erstaunlichen Möglichkeiten und Qualitäten von Metakognition und Metabewusstsein.
Der Psychotherapeut Johannes Schmidt entwirft in seinem Text eine neue Bedeutung von Transzendenz für die freie individuelle Entwicklung des Menschen. Und er reflektiert dabei die Möglichkeiten und Grenzen verschiedener Begriffe, welche im Verlauf unserer Kulturgeschichte dafür gefunden und verwendet worden sind, ob »Transzendenz«, »Feld«, »Raum«,...
Erscheint lt. Verlag | 6.5.2024 |
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Co-Autor | Udo Boessmann, Ralph Buchner, Malene Gürgen, Karl Hosang, Mike Kauschke, Birgit Permantier, Jonathan Rowson, Johannes B. Schmidt, Markus Strobel, Bernd Villhauer, Angela Zinser, Maik Hosang, Gerald Hüther |
Zusatzinfo | mit 17 Abb. |
Verlagsort | Göttingen |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Philosophie |
Schlagworte | Anthropologie • befriedung • Bewusstsein • Bewusstseinsentwicklung • Conditio Humana • Entpolariserung • Frieden • Gesellschaft • Gesellschaftliche Entwicklung • Kreativität • Krise • Krisenzeit • Kulturentwicklung • Lebensgefühl • Liebe • Menschsein • Metamoderne • metamoderne Lebensgefühl • Metamodernismus • Philosophie • Postmoderne • Zeitenwende • Zukunftsforschung |
ISBN-10 | 3-647-99306-9 / 3647993069 |
ISBN-13 | 978-3-647-99306-5 / 9783647993065 |
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