Der nach den Sternen griff (eBook)
353 Seiten
Verlag C.H.Beck
978-3-406-81363-4 (ISBN)
Volker Reinhardt ist Professor em. für Geschichte an der Universität Fribourg. Bei C.H.Beck erschienen von ihm zuletzt der Bestseller "Die Macht der Seuche" (C.H.Beck Paperback 2022), das viel gerühmte Buch "Die Macht der Schönheit. Kulturgeschichte Italiens" (4. Auflage 2022) sowie "Montaigne. Philosophie in Zeiten des Krieges" (2023). Für sein Lebenswerk wurde er 2020 mit dem Preis der Kythera-Kulturstiftung ausgezeichnet.
EINLEITUNG
Die Entgrenzung der Welt
Seine überlebensgroße Bronzestatue beherrscht den Platz, auf dem er starb, und verwandelt den Feuertod in einen späten Triumph, wie die Inschrift darunter erläutert: «Gewidmet Giordano Bruno, von dem Jahrhundert, das er vorhergesagt hat, dort, wo der Scheiterhaufen loderte.» Das Antlitz der düsteren Gestalt wird von der Kapuze überschattet und trägt die Züge eines von seiner Zukunftsschau ergriffenen Visionärs. Die Reliefs am Sockel, darunter ein winziges Luther-Porträt, sind eine wütende Abrechnung mit der katholischen Kirche und ihrer Inquisition. Sie zeigen den stolzen, unbeugsamen Angeklagten vor einer Phalanx aus feisten Mönchen, seinen Richtern. Sie werfen ihm mit der platten und selbstgerechten Beschränktheit wortklauberischer Kleingeister eine Lehre vor, die sich im hellen Licht der Wissenschaft als Wahrheit erwiesen hat: Dass sich die Erde um die Sonne dreht und der Kosmos nicht aus begrenzten Himmelsschalen besteht, sondern unendlich ist und einer Vielzahl von Welten Raum bietet.
Ettore Ferraris Bronzestatue Giordano Brunos auf dem römischen Campo de’ Fiori verschmilzt philosophischen Tiefsinn, ungebrochene Widerstandskraft und Verachtung für Kerkermeister und Inquisitoren zu düsterer und expressiver Monumentalität.
Die Einweihung des Giordano Bruno-Denkmals am Pfingstsonntag des Jahres 1889 auf dem römischen Blumen-, Fisch- und Gemüsemarkt Campo de’ Fiori war eine von langer Hand geplante und sorgfältig inszenierte Großdemonstration gegen das Papsttum, das sich der nationalen Einigung Italiens jahrzehntelang entgegengestellt hatte, aber am 20. September 1870 vor den Truppen des 1861 ausgerufenen Königreichs Italien kapitulieren und seinen Kirchenstaat nebst Hauptstadt dem Monarchen aus dem Haus Savoyen-Piemont abtreten musste. Das Festkomitee, in dem Freidenker aus aller Herren Länder wie Henrik Ibsen, Victor Hugo und Ernst Haeckel vertreten waren, verstand und verkündete seine Veranstaltung als einen Triumph der Wissenschaft und des Fortschritts über Aberglauben und Ignoranz als Herrschaftsmittel der rückständigen und repressiven katholischen Kirche.
Das Monument an der Stelle, wo Giordano Bruno am 17. Februar 1600 verbrannt wurde, zeigt, wie das geeinte Italien und das liberale Europa diesen ideologisch vereinnahmten: Der große Philosoph und Naturforscher aus dem Städtchen Nola bei Neapel, der für seine Zeit zu früh kam, dafür mit seinem Leben bezahlte und erst angemessen geehrt werden konnte, als der Fanatismus, den er lebenslang bekämpfte, durch die vereinten Kräfte der Vernunft und der Nation niedergerungen worden war. Dieses Urteil blieb nicht unwidersprochen, aber auch die Einsprüche gegen diese Heroisierung boten überwiegend verzerrte Bilder: Nur wenige historische Gestalten sind mit so unvereinbaren Abstempelungen in die Erinnerung eingegangen wie der «Nolaner».
Pietro Masullis Marmorstatue von 1863 im Cortile del Salvatore der Universität Neapel spiegelt die Vereinnahmung Brunos durch das Risorgimento wider: Dynamisch, mit geballter Kraft, als Kämpfer gegen klerikale Unterdrückung und politische Unfreiheit tritt er für ein besseres und geeintes Italien ein.
Auch in der heutigen Wahrnehmung steht Bruno, der Pionier der modernen Astronomie und Kosmologie, unverbunden neben Bruno, dem Seher und Begründer einer intuitiv ausgerichteten Welterforschung, die durch die Einbeziehung von Herz, Gemüt und Ahnung die seelenlose Schulwissenschaft widerlegt und überwindet. Ebenso schroff kontrastiert Bruno, der Vorkämpfer für Gewissens-, Denk- und Schreibfreiheit, mit Bruno, dem unduldsamen Verächter aller etablierten Glaubensrichtungen und der mit ihnen verbundenen Kulte. So polarisiert der Mann aus Nola bis heute. Es fehlt nicht an Websites, die ihn als Ahnenfigur aller ehrenfesten Atheisten feiern, als Autorität zur Aufdeckung von Weltverschwörungen zitieren oder als Teufel in Menschengestalt anprangern, der im Auftrag der Hölle den Gottesglauben aus der Welt vertreiben möchte.
Viele dieser Legenden können sich auf einzelne biographische Fakten und aus dem Zusammenhang gerissene Textpassagen stützen. Manche Gegensätze bleiben aber auch bestehen, wenn man Brunos Gedankenwelt als ganze und zugleich näher und differenzierter betrachtet. So verspottete er sämtliche Religionen der Geschichte als Triumph einer menschlichen Dummheit, für die er den Begriff «Eseligkeit» prägte; trotzdem war er davon überzeugt, dass keine Gesellschaft ohne Religion auskommen könne. Ebenso plädierte er wortgewaltig für die absolute Freiheit des Denkens und Glaubens und rief dennoch dazu auf, besonders schädliche Konfessionen wie die calvinistische zu bekämpfen, da sie durch ihre Lehre den Menschen herabwürdige und entmutige. Die logische Schlussfolgerung daraus lautete, dass die Herrschaft der Vernunft notfalls mit Gewalt durchgesetzt werden musste; so hegten die venezianischen und römischen Inquisitoren den Verdacht, dass Bruno eine Verschwörung zum Sturz aller politischen und kirchlichen Ordnungen und zur Einführung der von ihm entworfenen Weltreligion plante, die Wissen und Glauben miteinander versöhnen sollte. Tiefe Kontraste scheinen auch zwischen den verschiedenen Lebensphasen des Nolaners auf. So machte sich Bruno anfangs als Literat und Philosoph in geistvollen Spottschriften über Astrologie, Alchemie und ähnliche Scharlatanerie lustig, um sich in späteren Traktaten als Großmeister aller magischen Künste zu präsentieren.
Begnadeter Satiriker und begeisterter Verkünder besserer Welten, nüchterner Rationalist und hochfliegender Phantast, präzise argumentierender Mathematiker und kühn spekulierender Philosoph, elitärer Verächter der ignoranten Masse und engagierter Verteidiger der kleinen Leute – alle diese scheinbar unvereinbaren Gegensätze verschmolz Giordano Bruno in seinem Leben und Denken zu einem spannungsreichen Ganzen und wurde gerade dadurch zum exemplarischen Zeitzeugen, der Moden und Trends seiner Zeit aufnahm, bündelte, weiterentwickelte und zuspitzte, oft bis zum Extrem. Vor allem aber wehrte und stemmte er sich vehement gegen alle Beschränkungen und Einengungen im Denken und Schreiben, die das Zeitalter der streitenden Konfessionen und Kirchen mit ihren immer detaillierter ausgearbeiteten Rechtgläubigkeitsregelungen, ihrer wechselseitigen Verteufelung und absoluten Unduldsamkeit prägten.
Auf diese Weise ist Bruno, der freieste aller Freidenker, intellektueller Anarchist und Albtraum aller Orthodoxiewächter, durch seine lebenslange Opposition gegen die Regeln und Normen seiner Zeit zugleich deren rebellischstes Produkt. Wie kaum ein anderer Mensch hat er in den dreieinhalb Jahrzehnten seines Erwachsenendaseins zwischen 1565 und 1600 Verdammung, Zwänge und Verfolgung der Mächtigen und der Wohlgesinnten erfahren, zuerst als Mönch in Neapel, dann als Kritiker aller anerkannten Autoritäten und Verkünder einer neuen Philosophie des grenzenlosen Kosmos an den intellektuellen, politischen und kirchlichen Brennpunkten Europas: in Genf, Toulouse, Paris, Oxford, London, Wittenberg, Prag, Helmstedt, Zürich, Frankfurt am Main, Padua, Venedig und Rom. An allen diesen Orten hoffte er nach eigenen Worten auf die Freiheit zu denken, zu schreiben und zu veröffentlichen, und erlebte am Ende seiner Aufenthalte mit niederschmetternder Regelmäßigkeit das Gegenteil: Empörung, Ablehnung, Ausweisung. Denn die umfassende Freiheit, die Bruno meinte, war damals (und ist auch heute) überall ein Ärgernis und zur Fahndung ausgeschrieben.
Die Unfreiheit, die Bruno auf seiner Wanderung durch Europa antraf, war nicht überall total. Relativ zwanglos ging es in London zu, wo schöngeistig interessierte Höflinge darin wetteiferten, lässige Überlegenheit in kleinlichen Glaubenskontroversen an den Tag zu legen, und sich für jede intellektuelle Neuheit, und sei sie noch so exzentrisch, offen zeigten. Einigermaßen duldsam war das Klima eine Zeitlang in der Lutherstadt Wittenberg, aus Faszination und Hass gemischt in Paris. Gegen Null tendierte die Toleranz in Genf, wo Bruno zuerst nach seiner Religion und erst danach nach seinen Fähigkeiten gefragt wurde, und später in Rom. An allen Stätten seines Wirkens suchte und forderte der Nolaner die Bereitschaft der Anderen, ihm zuzuhören und sich auf eine Debatte ...
Erscheint lt. Verlag | 15.2.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Literatur ► Historische Romane | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Geisteswissenschaften ► Religion / Theologie ► Christentum | |
Schlagworte | 16. Jahrhundert • Astronom • Biografie • Dichter • Freigeist • Geschichte • Giordano Bruno • Inquisition • Italien • Ketzerei • Kirche • Mönch • Philosoph • Priester • Religion • Scheiterhaufen |
ISBN-10 | 3-406-81363-1 / 3406813631 |
ISBN-13 | 978-3-406-81363-4 / 9783406813634 |
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