Reisen im Mittelalter (eBook)

Unterwegs mit Pilgern, Rittern, Abenteurern

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024 | 1. Auflage
480 Seiten
S. Fischer Verlag GmbH
978-3-10-491583-8 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Reisen im Mittelalter -  Anthony Bale
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»Lebendig, spannend und erstaunlich. Hier erleben wir, was es heißt, in fremden Ländern unterwegs zu sein, damals wie heute«, schreibt John Arnold, Professor für Geschichte des Mittelalters in Cambridge, über »Reisen im Mittelalter«. Farbig und anschaulich erzählt der Historiker Anthony Bale, wie es war, im Mittelalter durch die Welt zu reisen. Ob Pilgerinnen oder Kaufleute, Ritter, Mönche oder Spione - schon damals packte die Menschen die Leidenschaft für das Reisen. Getrieben von Fernweh und Abenteuerlust die einen, auf der Suche nach religiöser Erleuchtung oder Ruhm auf dem Kreuzzug die anderen. Für alle war die Reise lang und gefährlich, gute Vorbereitung und ein Reiseführer mit Tipps für Rast und Übernachtung und Hinweisen auf Gefahren waren unerlässlich. Vom mittelalterlichen Ulm, damals ein Eldorado der Touristen, über Aachen und Köln führen uns die Reisen verschiedener Menschen bis nach Rom mit seinen wunderbaren Sehenswürdigkeiten. Von dort geht es in das schon damals von Touristen bevölkerte Venedig und nach Rhodos, Hotspot der Kosmopoliten und Adligen. Wir erkunden Konstantinopel und die heilige Stadt Jerusalem und gelangen bis in die sagenhaften Länder der Amazonen, Riesen und Fabelwesen, nach Indien, China und Tibet, nach Persien und Äthiopien, Java und Sumatra. Ein farbiges Panorama der mittelalterlichen Welt, wie sie von Europa aus erlebt und gesehen wurde - ein Buch wie ein Roman von Umberto Eco und die ideale Lektüre für die Sommerferien. 

Anthony Bale, geboren 1975, ist Historiker und Professor für Literatur des Mittelalters und der Renaissance am Birkbeck College der University of London. 2011 erhielt er den Philip Leverhulme Prize für herausragende junge Wissenschaftler. Er hat zahlreiche Bücher publiziert und war 2019 Fellow an der Harvard University. Er lebt in London.

Anthony Bale, geboren 1975, ist Historiker und Professor für Literatur des Mittelalters und der Renaissance am Birkbeck College der University of London. 2011 erhielt er den Philip Leverhulme Prize für herausragende junge Wissenschaftler. Er hat zahlreiche Bücher publiziert und war 2019 Fellow an der Harvard University. Er lebt in London. Karin Hielscher, geboren 1969, hat an der Universität Bielefeld Geschichte, Soziologie und Literaturwissenschaften studiert und zunächst als freie Journalistin und Medienreferentin gearbeitet. Seit einigen Jahren übersetzt sie Fach- und Sachbücher mit historischem oder soziologischem Schwerpunkt aus dem Englischen, u.a. von Benjamin Carter Hett und Tim Bouverie.

ein in Fülle und Weite gut geschriebener und vergnüglich zu lesender Reiseführer in ein fernes Zeitalter

Der britische Historiker Anthony Bale hat ein so fundiertes wie unterhaltsames Buch darüber geschrieben, was es bedeutete, im Mittelalter zu reisen.

Wem Zugverspätungen, Stau oder langwierige Flughafen-Checks auf die Nerven gehen, der sollte in das mitreis(s)ende Buch von Anthony Bale hineinlesen.

Der Mediävist Anthony Bale zeigt in seinem so unterhaltsamen wie informativen Buch, dass das Reisen älter ist, als man annehmen würde.

So zeichnet Bale ein anrührendes Bild einer Zeit, in der Europäer fremde Kulturen noch selten unterjochten, sich ihnen öfter neugierig näherten.

Was Anthony Bale mit sichtlichem Spaß gesammelt hat, erinnert an moderne Zeitungsberichte, denen zufolge Einwohner Maßnahmen ergreifen müssen, um zivilisatorische Errungenschaften aufrechtzuerhalten.

Anthony Bale […] macht nicht bloss eine Reise in die Zeit, sondern eine Reise in der Zeit von damals – hinreissend und herausragend.

Lesen ist Reisen? Das klingt nach einer Plattitüde, trifft auf dieses tolle Buch aber wirklich zu

Lehrreiche und spannende Lektüre.

Kapitel 1
Die Gestalt der Welt im Jahre 1491 oder: Beginnen wir mit Martin Behaim


Nürnberg

Eisenbalken. Hölzerne Bügel. Eimer mit Leinwand und Leim. Eine Lehmform. Farben und Tuschen in vielen Farben. Die Kunstfertigkeit und der Schweiß von Handwerksmeistern. Schmiede, Buchmaler und ein Glockengießer lassen aus alldem eine Kugel entstehen (Durchmesser: etwas mehr als fünfzig Zentimeter). Wir schreiben das Jahr 1491, und in einer erfolgreichen deutschen Handelsstadt – in Nürnberg – wird an einem nicht nur kostbaren, sondern erstaunlichen Kunstwerk gearbeitet.

Die Handwerker sind eifrig damit beschäftigt, einen Globus herzustellen: ein Modell der ganzen Welt, wie sie sie kennen. Dabei orientieren sie sich an einer eigens dafür gedruckten Landkarte.

Als die Hohlkugel fertig ist, wird sie mit Gipskreide, einem kalkhaltigen Leim, überzogen. Pergamentstreifen werden auf die Kugelschale gelegt. Dann überträgt ein Illuminator aus der Region über einen Zeitraum von fünfzehn Wochen die Weltkarte auf den Globus, basierend auf der gedruckten Karte, die zunächst gezeichnet und dann farbig ausgemalt wird. Bis die Kolorierung abgeschlossen ist, geht die Rechnung für jeden Humpen Wein oder Bier zu den Mahlzeiten an die Nürnberger Stadtkasse, die bis zum letzten Pfennig für das Ganze zahlt. Aufgestellt wird der Globus nach seiner Vollendung in einem der Empfangsräume des Nürnberger Rathauses – zur Freude und Erbauung der Ratsherren, die im prächtigen gotischen Gebäude im Zentrum der Stadt ein und aus gehen. Der Globus verspricht künftigen Reichtum, denn mit seiner Hilfe soll sich genau bestimmen lassen, wo kostbare Edelsteine, reiche Perlengründe, exotische Hölzer und die besten Gewürze zu finden sind: eine ganze Welt voller Gelegenheiten, die sich die Nürnberger für ihren Handel erschließen wollen.

Verantwortlich für dieses arbeitsaufwendige Unterfangen ist Martin Behaim (1459–1507) – Kaufmann, Reisender und Seefahrer. Ende der 1480er Jahre ist er beim portugiesischen König João II. (1455–1495) zum Hofgeographen aufgestiegen. João II. will den portugiesischen Handel und die Ausdehnung seines Imperiums vom Atlantik über Afrika bis in den Fernen Osten vorantreiben – und er als Hofgeograph, davon ist Behaim überzeugt, ist entscheidend für dieses Vorhaben. In Nürnberg zumindest hat Behaim den Status einer Berühmtheit, hat er doch, nach eigenen Angaben, »ein Drittel der Welt umsegelt«.

Der Behaim-Globus ist einer der frühesten noch erhaltenen europäischen Versuche, die ganze Welt auf einem physischen Globus darzustellen. Er zeigt uns, wie sich eine Gruppe von Reisenden, Handwerkern, Gelehrten und Kaufleuten zu Beginn der 1490er Jahre – am Vorabend der Begegnung Europas mit dem amerikanischen Kontinent – die Welt vorstellte.

Abb. 2

Der Behaim-Globus, heute im Germanischen Nationalmuseum in Nürnberg ausgestellt, sieht wie ein moderner Globus aus. Er ist aufwendig in vielen Farben verziert und zeigt Länder, Flüsse, Völker, Orte, Berge, Tiere – mitsamt ausführlicher Beschriftung. Da der Globus etwa 2000 Ortsnamen, hundert Abbildungen und über fünfzig längere Beschreibungen wiedergibt, ist er also sowohl eine Skulptur, die den Planeten Erde zeigt, als auch eine Art Enzyklopädie zum Nachlesen. Der Globus ist im Laufe der Zeit gealtert und nachgedunkelt (und wurde mehrfach dürftig restauriert). Auf den ersten Blick ist daher schwer zu erkennen, was auf der Oberfläche abgebildet ist. Aber sobald sich die Augen darauf eingestellt haben, tauchen Kontinente, Inseln, Meere und winzige Zeichnungen auf und werden lebendig: eine Welt voller Details und Ziele.

Martin Behaim wurde in Nürnberg geboren, und sein Globus ist ein Produkt dieser besonderen Konstellation von Zeit und Ort. Zu dem Zeitpunkt, als er die Herstellung des Globus überwachte, war Nürnberg eine der größten Handelsmetropolen Europas und ein Ort immensen Reichtums. Das Geld der Familie Behaim stammte aus dem Handel mit Tuchen, genauer mit Luxustextilien, einem Geschäftszweig, der durch und durch international aufgestellt war: Aus dem Nahen Osten, aus Persien und sogar aus China stammten die feinen Baumwoll- und Seidenstoffe, Bänder und Tapisserien, der Damast und Taft, und ausgehend von Venedig wurden sie quer durch ganz Europa gehandelt. Nürnberg gehörte – wie Augsburg, Brügge, Köln, Florenz, Frankfurt, London, Lübeck und Paris – zu den schnell wachsenden, weltoffenen und gut vernetzten Handelsstädten des mittelalterlichen Europas. Martin Behaims wohlhabender Vater, der ebenfalls Martin hieß, war Kaufmann im damaligen kosmopolitischen Zentrum der europäischen Welt: in Venedig – wobei der Nachname »Behaim« wohl »aus Böhmen« bedeutet. Der Reichtum des mittelalterlichen Nürnbergs gründete auf dem Status der Stadt als wichtigster Marktplatz in Zentraleuropa. Auf den Nürnberger Märkten handelten die Kaufleute mit Waren aus dem Fernen Osten, insbesondere Gewürzen. So war die Stadt auch der Mittelpunkt des europäischen Handels mit dem hochgeschätzten und kostspieligen Safran, der nicht nur zur Verfeinerung von Lebensmitteln, sondern auch als medizinisches Heilmittel, zum Färben und für Parfüms verwendet wurde. Die Nürnberger Kaufleute waren in einem riesigen Gebiet tätig, das von Schottland bis zur Krim reichte, und unterhielten Handelsbeziehungen mit den Genuesen in Konstantinopel und den Tataren von Tana.

Es ist daher nicht verwunderlich, dass auch Martin Behaim Teile seines Lebens weit von Nürnberg entfernt verbracht hat. Als junger Mann, der die ersten Schritte in Richtung Berufsleben unternahm, absolvierte er nach damaligem europäischen Brauch seine Wanderjahre. Ein Wandergeselle (bezahlt pro Arbeitstag) zog von Stadt zu Stadt und ließ sich, nachdem er ein Handwerk erlernt hatte, nieder und schloss sich einer Zunft an. Es handelte sich also nicht um eine Form des ziellosen Reisens, sondern um eine Ausbildung, mit der das Wandern einherging. Als junger Mann aus einer Nürnberger Patrizierfamilie ging Martin in den Tuchhandel und arbeitete in den großen Handelsstädten Mechelen, Antwerpen und Frankfurt; auch Lissabon besuchte er, und in Portugal sollte er den Grundstein für einen Großteil seines späteren Lebens legen. Er heiratete dort seine Frau Joanna, die einer flämisch-portugiesischen Familie entstammte. Sie war auf der Azoreninsel Faial aufgewachsen, ihr Vater war dort Gouverneur der flämischen Siedlung.

Ende der 1480er Jahre unternahm Martin Behaim ausgedehnte Seereisen – Expeditionen nach Guinea in Westafrika, zu den Kapverden und möglicherweise auch darüber hinaus. Er lebte viele Jahre auf den Azoren und starb im Jahr 1507 in Lissabon. In seinem Leben hatte er einige der entlegensten Winkel der damals bekannten Welt besucht: Orte, die auf seinem Globus verzeichnet sind.

Behaim und sein Globus befinden sich im Zentrum Europas, dort, wo die Verbindungen zwischen Ost und West zusammenlaufen. Der Handel, der Behaim selbst, seine Familie und seine Geburtsstadt reich gemacht hat, ist die Anbindung nach Osten; die Verbindung nach Westen ergibt sich durch Behaims Aktivitäten in Portugal und seine Ambitionen, Teile des Atlantiks zu befahren, rund um die Azoren und die afrikanische Küste entlang.

Was auf Behaims Globus geschrieben steht, kombiniert Fakten zum internationalen Handel mit folkloristischem Klatsch. So instruiert uns der Globus, dass in Seilan (Sri Lanka) die Menschen nackt herumlaufen. Auf den Neucuran-Inseln (den Nikobaren) östlich von Indien haben die Menschen einen Hundekopf, lesen wir. Und wir erfahren, dass die Isländer gutaussehende weiße Menschen sind, die Hunde zu stolzen Preisen verkaufen und ihre Kinder zwecks Bevölkerungskontrolle ausländischen Händlern überlassen. Auf Island können die Menschen achtzig Jahre alt werden, ohne jemals in ihrem Leben Brot gekostet zu haben (da dort kein Getreide wächst); statt Brot essen sie getrockneten Fisch. Und sie fangen den Kabeljau, der in Deutschland auf den Tisch kommt. Woher wissen wir, was davon wahr oder falsch, ein Gerücht oder eine Tatsache ist? Wenn wir – wie die meisten Menschen im Nürnberg des 15. Jahrhunderts – noch nie in Sri Lanka, Indien oder Island waren, können wir nur aus den Berichten anderer erfahren, was dort vor sich geht.

In den folgenden Kapiteln werden wir viele der Orte besuchen, die auf Behaims Globus erwähnt sind, und eine der Hauptquellen der Globus-Darstellung wird uns in groben Zügen die Reiseroute liefern: das Sir John Mandeville zugeschriebene (und circa 1356 entstandene) »Buch der Wunder und der Reisen«. Mandeville, dessen wahre Identität nicht eindeutig gesichert ist, bleibt darin eine Randfigur, sein Buch war jedoch – in zahlreiche Sprachen übersetzt und in unzähligen Handschriften, aber auch in gedruckten Ausgaben im Umlauf – einer der populärsten mittelalterlichen Reiseberichte. Die Reise, die der Autor beschreibt, beginnt in England als Pilgerfahrt und hat Jerusalem zum Ziel. Sie entwickelt sich aber zusehends zu einer Unternehmung, die seinen Wissensdurst weckt, so dass ihn sein Entdeckungseifer bis in den Fernen Osten führt. Diese Grundhaltung Mandevilles zieht sich durch die folgenden Kapitel. Die Darstellung seiner abwechslungsreichen Reise war nicht nur seinerzeit populär, sie greift auch einige wichtige Facetten des mittelalterlichen Reisens auf. Schließlich – und das ist vielleicht das Wichtigste – finden wir dort eine Reise geschildert, auf die häufig verwiesen wird, die aber gar nicht...

Erscheint lt. Verlag 27.3.2024
Übersetzer Karin Hielscher
Zusatzinfo Mit 15 s/w-Abbildungen
Verlagsort Frankfurt am Main
Sprache deutsch
Themenwelt Sachbuch/Ratgeber Geschichte / Politik Mittelalter
Geschichte Allgemeine Geschichte Mittelalter
Schlagworte Aachen • Adel • Alltagsgeschichte • Amazonen • Behaim-Erdapfel • Behaim-Globus • England • Fabelwesen • Felix Fabri • Heiliges Land • Köln • Konstanz • Kostantinopel • Kreuzzug • Kulturgeschichte • Martin Behaim • Nürnberg • Pilgerreise • Reiseliteratur • Rhodos • Rom • Tourismus • Ulm • Venedig
ISBN-10 3-10-491583-0 / 3104915830
ISBN-13 978-3-10-491583-8 / 9783104915838
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