Grundlage und Ausbildung des Charakters nach dem Hl. Thomas von Aquin (eBook)
124 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7583-6297-2 (ISBN)
Joseph Mausbach studierte in Münster katholische Theologie und war dort Mitglied im wissenschaftlichen katholischen Studentenverein Unitas-Frisia. 1883 musste er nach Eichstätt wechseln, wo er 1884 zum Priester geweiht wurde. Noch im selben Jahr übernahm er eine Pfarrstelle in Köln. 1888 wurde er in Münster zum Dr. theol. promoviert und übernahm ein Jahr später eine Stelle als Religionslehrer am Gymnasium in Mönchengladbach. Bereits 1892 wurde Mausbach als Professor für Moraltheologie und Apologetik nach Münster berufen. Er war 1899 an der Gründung des Collegium Marianum, einer Bildungsstätte für Ordensfrauen und andere weibliche Studierende beteiligt. 1912 erfolgte die Ernennung zum päpstlichen Hausprälaten. 1918 wurde er zusätzlich zum Dompropst berufen. Für die Magdeburgische Zeitung war Mausbach nicht nur einer der größten katholischen Gelehrten Deutschlands, der wiederholt als Bischofskandidat der Regierung vorgeschlagen worden war, sondern auch der theologische Führer der Kölner Richtung. Mit seinen Aussagen zur Moraltheologie und zur katholischen Soziallehre hat er einen wesentlichen Beitrag zur Neubestimmung des Verhältnisses zwischen Katholischer Kirche und Republik, vor allem in Fragen der Sozialpolitik und Schulpolitik, geleistet. Den entscheidenden Beitrag zur Entwicklung der Moraltheologie leistete Mausbach mit seinen Reformvorschlägen zur Bewältigung der Krise der Moral in den ersten Jahren des 20. Jahrhunderts, wobei darin die Forderung nach einer Relativierung der Kasuistik und einer theologischen Grundlegung der Moraltheologie im Mittelpunkt standen. Mit seinem Handbuch der Moraltheologie (1918-20) blieb er jedoch weit hinter seinen eigenen Vorschlägen zurück, wie er auch selbst eingestand: Er sah die Zeit für einen Neuentwurf noch nicht gekommen. Die Reformvorschläge aber blieben fast ein halbes Jahrhundert richtungsweisend für die katholische Moraltheologie.
Zweiter Vortrag.
Die formelle Grundlage des Charakters: Die sittliche
Ordnung und ihre Verkündigung im Gewissen.
1. Die sittliche Ordnung.
Der Hl. Thomas geht wiederholt auf die sprachliche Herkunft des Wortes „Moral“ ein und bemerkt unter Anspielung auf die verwandten griechischen Worte, dass man unter mos, mores, moralis bald eine äußere Gewohnheit und Übung, bald eine innere Verfassung und sittliche Neigung der Seele versteht. Diese innere Neigung liege, da das Moralische einen gewissen Gegensatz zum Naturhaften bilde, wesentlich im Willen, im freien Streben und Lieben. „Dem sittlichen Lebenskreise gehört etwas insofern an, als es freiwillig ist“; das vernünftige Wesen „heißt insofern gut, als es einen guten Willen hat“. Äußerliche Korrektheit und Tüchtigkeit, ja auch intellektuelle Schaffenskraft machen nicht den sittlichen Charakter aus.
Die thomistische Sittenlehre ist nicht „Erfolgsmoral“; sie ist „Gesinnungsmoral“ insofern, als sie Ursprung und Wesen der Sittlichkeit ins Innere, in die freie Willensrichtung verlegt. Sie ist aber nicht Gesinnungsmoral im Sinne derjenigen, die mit Kant von objektiven Gütern als Normen des Sittlichen nichts wissen wollen. Sie ist auch eine Moral der Zielgüter, sie ist durch und durch auf der Ordnung der Zwecke aufgebaut. Im Zweck besitzt die Gesinnung ein Objekt, einen sachlichen Ruhepunkt; nicht den Zufallserfolg äußerer Wirklichkeit, sondern den vom Willen geschauten und erstrebten Erfolg; im Zweck begegnen und durchdringen sich Erfolg und Gesinnung. Die „Gesinnung“ moderner Ethiker ist ein Wort ohne Gehalt und Klarheit; objektlose Gesinnung ist zugleich kraft- und erfolglos. Es gibt Menschen, denen diese Unklarheit willkommen ist, weil sie ihnen die Illusion lässt, der Mensch erringe die sittliche Vollkommenheit voraussetzungslos, rein aus sich selbst; sie drehen sich logisch im Kreis, um sich praktisch weiter um ihr Ich als Mittelpunkt drehen zu können. Sie folgen nur ihrer „Überzeugung“, sie bleiben unerschütterlich im Bewusstsein ihrer edelsten Gesinnung, die von keinen äußeren Maßstäben und Interessen abhängig sei; während tatsächlich nur eine feinere Selbstsucht den Platz eingenommen hat, den sonst die äußeren Interessen einzunehmen pflegen. Dieser gefälligen und uralten Täuschung gegenüber hatte schon Augustin mit tiefer Schlichtheit gesagt: „Sie machen kein gutes oder schlechtes Benehmen, außer gute oder schlechte Liebe“: statt Gesinnung setzt er das deutlichere Wort Liebe; diese innerste Neigung und Teilnahme des Willens entscheidet über den sittlichen Wert und Unwert des Menschen. Bei der Liebe aber kann man die Beziehung auf den Gegenstand, auf die geliebte Sache oder Person nicht übersehen: „Es ist die Kraft zu lieben, was geliebt werden soll.“ Sittliche Gesinnung ist Teilnahme und Begeisterung für das in sich Liebenswürdige und Gute; in letzter Instanz für ein Zielgut, das den suchenden und strebenden Willen an Reichtum und Würde überragt und ihn so durch Liebe zu veredeln und zu vollenden imstande ist. Dieser Auffassung schließt sich Thomas mit voller Überzeugung an; so oft er den Willen als den Träger der Sittlichkeit nennt, fügt er sogleich hinzu, dass der Wille stets auf ein vorgestelltes Gut und Ziel schaut und dadurch auch sein sittliches Handeln in spezifischer Weise prägt: „Voluntas autem respicit finem ut proprium obiectum; voluntatis autem obiectum est finis et bonum; unde a fine speciem moralia sortiuntur.“ (Nun betrachtet der Wille den Zweck als sein eigentliches Ziel; aber der Zweck des Willens ist der Zweck und das Gute; woraus sich am Ende die Art der Moral ergibt.“) Das Wort „finis“ hat bei Augustin und Thomas einen weiteren Sinn als bei uns das Wort „Zweck“, zumal in der stereotypen Verbindung „finis et bonum“. Als Zweck bezeichnen wir das durch Wollen zu Erreichende oder zu Schaffende; Ziel und Gut aber nennen wir auch das vom Willen Geschätzte und Geliebte, das nicht Gegenstand des Begehrens oder Schaffens ist. Das Geld oder der Lebensunterhalt ist Zweck der Arbeit des Handwerkers; die Familie aber, für die er arbeitet, ist Ziel und Mittelpunkt seines Strebens. Das Kunstwerk ist Zweck vielfacher geistiger und technischer Bemühung; die Kunst selbst ist manchen Lebensziel. Der vollkommenste Akt der Sittlichkeit, die selbstlose Liebe zu Gott, zielt auf Gott, das höchste, in sich vollendete Gut; aber sie bezweckt nichts, weder Genuss noch Werkleistung, sie ist sittlich Selbstzweck. Hierdurch rückt die Moral eines Augustin und Thomas noch weiter von der reinen Erfolgsmoral ab; sie richtet unser Augenmerk nicht nur auf das werktätige Handeln mit seinen zeitlich-veränderlichen Leistungen, sondern darüber hinaus auf ideale Ziele, die in ewiger, geistiger Größe über uns stehen und als solche nur innerlich ergriffen, nur durch Affekte seelischer Hingabe und Ehrfurcht – durch die hermetische Praxis – angeeignet werden können. Dadurch entgeht sie auch einem anderen Vorwurf, den man der christlichen und speziell der thomistischen Ethik gemacht hat, dem Vorwurf des Eudämonismus; dieser Begriff der antiken Philosophie führt auf ein ausgeglichenes Gemüt durch Befolgung philosophischer Prinzipien zielende Richtung der Ethik zurück.
Wird aber die Innerlichkeit der christlichen Gesinnung nicht doch durch eine stark hervortretende Seligkeitshoffnung gefälscht? Hat nicht gerade Thomas seine Moral in der „Summa theologica“ auf den unabweislichen Drang nach Seligkeit (Vollkommenheit) aufgebaut und damit von vornherein wenigstens diesen einen großen „Erfolg“ zum Hauptinteresse der Sittlichkeit gemacht? Tatsächlich beginnt Thomas den zweiten Teil der Summa mit Erörterungen über das beseligende Endziel des Menschen, scheint also der Ethik in der Tat eine eudämonistische Grundlage zu geben. Allein dieser Schluss ist unberechtigt; das Verhältnis von Sittlichkeit und Seligkeit stellt sich vielmehr nach Thomas in folgender Weise dar:
1. Was die Stellung der Seligkeitslehre im theologischen System angeht, so ist es ungenau, zu sagen, Thomas eröffne mit ihr seine Moral. Die „Summa theologica“ behandelt Dogmatik und Moral nicht als getrennte Wissenschaften, sondern in lebendiger Einheit; wenn der zweite Teil im Allgemeinen die Sittenlehre darstellt, so enthält er doch auch wichtige Traktate der Glaubenslehre (Erbsünde, Gnade). So schließt sich denn an die Lehre von der Erschaffung und Ausstattung des Menschen im ersten Teil der Summa ungezwungen in der 1. Quästion des zweiten Teils die Lehre vom Endziel und von der Seligkeit (beatitudo) des Menschen an. Das ist die zweckmäßige Überleitung zur Sittenlehre; aber das Wesen der Sittlichkeit wird einstweilen nicht erörtert. Von der 6. Quästion an nähert sich Thomas diesem Thema, indem er das menschliche Handeln, das allgemeinste Objekt der „moralische Rücksichtnahme“ ins Licht rückt. Erst bei der 18. Quästion tritt dann die Frage nach der sittlichen Unterscheidung der Handlungen auf: „Danach müssen wir die Güte und Bosheit menschlichen Handelns bedenken.“
2. Es war für Thomas historisch wie psychologisch durchaus begründet, zur Feststellung des sittlichen Endzieles das menschliche Seligkeitsverlangen als Ausgangspunkt zu wählen, wie es die ganze Antike und der Hl. Augustin getan hatten. Das Seligkeitsstreben als allgemeinste Tatsache des Seelenlebens ist der natürlichste Weg, um unser Denken und Wollen über die irdischen Interessen hinaus zum Ewigen und Göttlichen emporzuführen.
3. Das Wort beatitudo hat, wie das griechische nicht den stark subjektiven, gefühlsmäßigen Klang des deutschen Wortes „Seligkeit“. Es bedeutet vielmehr die reale Vollendung des Menschen, die Steigerung seiner Wesenskräfte zur harmonischen, vollkommenen Tätigkeit, an welche sich die subjektive, lustvolle Befriedigung als Folge anschließt. Ausdrücklich weist Thomas nach, dass dieses Glücksgefühl nicht ein Letztes, in sich Ruhendes sein kann, vielmehr einen geistigen Grund und Inhalt voraussetzt. Seligkeit in diesem Sinne muss aber jede Ethik dem Menschen als Ziel setzen, wenn sie nicht auf ihre eigene Werbekraft verzichten und die innere Bedeutung und Größe des Sittlichen preisgeben will.
4. Thomas weist lichtvoll nach – auch an den erwähnten Stellen –, dass diese geistige, tätige Seligkeit nicht anthropozentrisch ist, sondern Gott zum eigentlichen Mittelpunkt des Schauens und Liebens hat, dass alles Denken und Tun der Seligen um Gott als Gut sich bewegt. Er zeigt weiter, dass das Streben nach Seligkeit auch hienieden nicht bei sich selbst stehen bleibt, sondern von der persönlichen Hoffnung notwendig zur vollkommenen Liebe hinüberführt. Nicht die Hoffnung, sondern die Liebe Gottes um seiner selbst willen ist die Tugend, in der sich der Christ dem „letzten Ende“ in der Weise, wie es sich gebührt, zuwendet. Wer seine wahre Vollendung und Beseligung erstrebt, kann diese nicht als absolut Höchstes, sondern nur in Unterordnung unter Gott und seine Herrlichkeit, als „Ende unter Ende“...
Erscheint lt. Verlag | 20.12.2023 |
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Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
ISBN-10 | 3-7583-6297-0 / 3758362970 |
ISBN-13 | 978-3-7583-6297-2 / 9783758362972 |
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Größe: 173 KB
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