Wer radelt, der findet (eBook)

Aus den Reisetagebüchern des Fahrrad-Pfarrers

(Autor)

eBook Download: EPUB
2024
224 Seiten
Kösel-Verlag
978-3-641-31372-2 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Wer radelt, der findet - Gereon Alter
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Mit meinem Gott überspringe ich Mauern
»Eine Radreise ist für mich nicht nur eine sportliche Herausforderung oder eine Jagd nach besonderen Erlebnissen. Sie ist immer auch eine Reise zu mir selbst, zu anderen Menschen und zu Gott.« Gereon Alter

Dass das Radreisen eine gesunde, umweltverträgliche und abwechslungsreiche Urlaubsform ist, hat sich längst herumgesprochen - einmal mehr seit der Pandemie. Was vielleicht noch nicht jeder weiß: Ein Radurlaub kann auch zu einer Reise durch das eigene Leben werden. Denn wer auf dem Fahrradsattel durch die Welt fährt, bekommt es mit seiner Kraft und seinen Grenzen zu tun, mit seiner Lust auf Neues und seiner Angst vor dem Fremden, mit seiner Sehnsucht nach Gemeinschaft und dem Bedürfnis allein zu sein - kurzum: mit allem, was das Leben auch sonst ausmacht. Und in all dem kann man auch Gott begegnen.

Gereon Alter hat reichlich Erfahrung damit. Der aus dem Fernsehen bekannte und beliebte Pfarrer hat schon mehr als 70 Reisen mit dem Rad unternommen, kürzere und längere, in einer Gruppe, zu zweit oder auch allein. Er ist alten Pilgerwegen gefolgt, endlosen Highways und ruppigen Pisten; hat Millionenstädte durchquert, reißende Flüsse und einsame Wüsten; ist in der Sahara unterwegs gewesen, im Himalaya und in Alaska. Begonnen hat das alles mit einer unbändigen Lust aufs Leben; aufs Entdecken und Ausprobieren; auf das, was im Leben wirklich zählt. Und davon erzählt er in diesem Buch.

Gereon Alter, geb. 1967, hat in Bochum, Münster, Innsbruck und Rom studiert und leitet seit 2011 die Essener Großpfarrei St. Josef Ruhrhalbinsel mit mehr als 20.000 Mitgliedern. Darüber hinaus ist er in der katholischen Hörfunk- und Fernseharbeit tätig, gestaltet immer wieder TV-Gottesdienste und gehörte von 2010 bis 2021 dem Sprecherteam der ARD-Sendung »Das Wort zum Sonntag« an. Privat liebt er das Kochen, den Fußballverein Schalke 04 und das Reisen mit dem Rad.

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Bekenntnis eines Fahrrad-Pfarrers

Meine Hände schmiegen sich um die ergonomisch geformten Lenkergriffe, die Fußballen tasten sich auf die Pedale und finden Halt, ich stoße mich ab und gleite in den noch kühlen Ledersattel. Die erste Umdrehung des Kettenblatts, das sanfte Klicken der Gangschaltung, das Surren der Räder, das sich mit dem Rauschen des Windes vermählt … Es klingt wie die behutsam einsetzende Ouvertüre zu einer großen Symphonie. Von Takt zu Takt fügt sich Neues ein: das Sonnenlicht, das durch die Baumwipfel blinzelt, das Wiegen der Gräser am Straßenrand, das Flattern der Vögel, die mich mal begleiten, mal aufgeregt vor mir herfliegen, das freundliche Grüßen eines Menschen … Mein Atem wird tiefer und gleichmäßiger. Ich spüre meinen Körper, seine wohlige Wärme, die wachsende Kraft. Der Kopf wird frei, der Alltag entflieht. Ich liebe es, mit dem Rad unterwegs zu sein!

Am Anfang glich diese Liebe einem winzigen Senfkorn. Mit der Zeit ist daraus ein riesiger Baum geworden. Eine ausgewachsene Liebesgeschichte. Begonnen hat diese Liebesgeschichte vor mehr als vierzig Jahren, als das Wort »Radreise« für viele noch ein Fremdwort war. Als es noch keine E-Bikes gab, keine Fitness-Tracker und Navigationsgeräte, nicht mal eine ordentliche Fahrradkarte. Meine ersten Touren habe ich auf einem schlichten Jugendrad unternommen, mit dem ich ansonsten zur Schule gefahren bin. Zunächst waren es nur Tagestouren. Dann eine erste Ausfahrt mit Übernachtung. Und schließlich die erste Unternehmung, die man als Radreise bezeichnen könnte.

Mittlerweile habe ich über 50 Länder mit dem Fahrrad bereist, mehr als 70 große Touren unternommen und eine Vielzahl kleinerer. Ich habe mein Rad durch den feinen Sand der Sahara geschoben, mich in die dünne Luft des Himalaya hinauf gewagt und in das von Bären und Moskitos beherrschte Alaska. Ich bin alten Pilgerwegen gefolgt, endlosen Highways und ruppigen Pisten, habe das windumtoste Nordkap erreicht, den majestätischen Kilimandscharo und die sagenumwobenen Pyramiden der Azteken.

Das alles begann mit einer großen Sehnsucht. Der Sehnsucht nach dem, was jenseits des schon Bekannten liegt. Ich hatte, als ich zwölf oder dreizehn Jahre alt war, bereits die Hälfte aller Karl-May-Bände gelesen. Jack Londons Ruf der Wildnis stand in meinem Bücherregal, Knut Hamsuns Segen der Erde und Michael Holzachs Das vergessene Volk. Ich habe die Fernsehserie Daktari geliebt, die in British Columbia gedrehten Lassie-Filme und natürlich Winnetou. All diese Geschichten haben in mir ein tiefes Fernweh geweckt, das sich mindestens ebenso schmerzhaft anfühlen konnte wie das Heimweh am Ende einer Klassenfahrt.

Mein erster Ansatz, dieses Fernweh zu stillen, war es, einer kirchlichen Jugendgruppe beizutreten, aus der dann später ein ausgewachsener Pfadfinderstamm geworden ist. Denn da wurden regelmäßig Fahrten unternommen. Mal ging es in die Berge, mal ins Zeltlager, mal auf eine Fahrradtour. Das waren ungemein spannende Unternehmungen und wunderschöne Gemeinschaftserlebnisse, für die ich bis heute dankbar bin. Aber es zog mich weiter hinaus. In Länder, die für unsere Pfadfinderlager nicht infrage kamen – zu teuer, zu aufwendig, zu weit entfernt. Doch zum Glück gab es meinen Freund Alex. Denn der hatte nicht nur dieselben Bücher gelesen wie ich, er trug auch das gleiche unbändige Fernweh in sich: die Lust, andere Länder kennenzulernen, den Drang, aufzubrechen, die Neugier auf Menschen, die man noch nicht kennt. Mit ihm habe ich eine ganze Reihe von Touren unternommen – und dabei unter anderem gelernt, dass eine Radtour durch ferne Länder überhaupt nicht aufwendig und teuer sein muss. Eine Tour durch Island zum Beispiel, das schon damals exotischste und teuerste Reiseland Europas, hat uns nur unwesentlich mehr gekostet als das vorjährige Pfadfinderlager. Zugegeben: Wir haben äußerst spartanisch gelebt. Aber das gehörte einfach dazu. »Die weite Welt für wenig Geld« – so oder so ähnlich könnte man diese frühe Phase meiner Radreise-Geschichte überschreiben.

Aus der Not ist mittlerweile eine Tugend geworden, aus dem Geldmangel eine ganz eigene Reiseform: mit dem Nötigsten auskommen; einfach und umweltverträglich reisen; nah bei den Menschen und in der Natur sein; mich nicht gegen alles und jedes absichern; auch mit Unvorhergesehenem klarkommen, es sogar als reizvoll empfinden. Die Amerikaner nennen diese Art des Reisens adventure cycling und bringen es damit auf den Punkt. Es geht nicht darum, sportliche Höchstleistungen zu vollbringen, möglichst weite Strecken zu fahren oder in vielen Ländern gewesen zu sein. Es geht darum, sich auf ein Abenteuer einzulassen. Auf etwas Herausforderndes. Auf etwas so noch nicht Gekanntes. Auf neue Eindrücke und Einsichten.

Ich habe durch meine Radreisen ungemein viel gelernt. Schon, als ich noch ein Schüler war. Da kam meine Mutter eines Tages von einem Elternsprechtag zurück und erzählte mir voller Stolz, dass sowohl mein Englisch- als auch mein Erdkundelehrer sich lobend über mich geäußert hätten, weil meine Noten nach oben geklettert seien und ich mich viel aktiver in den Unterricht einbringen würde. »Das hat wohl mit den Radtouren Ihres Sohnes zu tun«, habe ihr der Erdkundelehrer gesagt. Und tatsächlich: Ich habe auf einmal nicht mehr nur für die Schule gelernt, sondern auch um mich auf meiner nächsten Tour besser verständigen zu können oder um noch mehr über ein bestimmtes Land zu erfahren.

Aus diesem frühen Wissensdurst ist im Laufe der Zeit ein sehr viel breiteres und tieferes Interesse an der Welt und ihren vielen Geheimnissen geworden. Meine Radreisen haben mir Einblick in fremde Kulturen und Religionen gewährt. Ich bin mit den verschiedensten politischen Systemen in Kontakt gekommen und habe Menschen aus den unterschiedlichsten Gesellschaftsschichten kennengelernt. Ich habe begriffen, was Armut bedeutet und was sie mit einem Menschen macht. Mein Verständnis für den Nord-Süd-Konflikt und andere globale Zusammenhänge ist gewachsen. Ich bin sensibler für all die Fragen des Klima- und Umweltschutzes geworden, die uns heute mehr denn je beschäftigen. Es ist etwas anderes, darüber nur in der Zeitung zu lesen oder durch einen dreiminütigen Fernsehbeitrag informiert zu werden, als es mit eigenen Augen zu sehen und am eigenen Leib zu spüren.

Irgendwann musste ich schauen, wie sich meine Sehnsucht nach fernen Ländern und Kulturen mit jener anderen Sehnsucht vereinbaren lässt, die ich ebenfalls in mir trug und die schließlich meinen beruflichen Werdegang bestimmt hat. Im Kern war das eine ganz ähnliche Sehnsucht. Denn auch sie war auf ein »Jenseits« des schon Bekannten gerichtet. Aber sie hat sich doch ganz andere Wege gesucht. Ich habe Theologie studiert, bin Priester geworden und arbeite seitdem in der Gemeindeseelsorge. Während des Studiums war es noch relativ leicht, beide Leidenschaften unter einen Hut zu bekommen. Denn da gab es ja die Semesterferien. Nach der Priesterweihe wurde es dann schon schwieriger. Denn zu bestimmten Zeiten hat ein Priester schlichtweg in seiner Gemeinde zu sein. Das gilt vor allem für den Advent und die Weihnachtszeit, die Fasten- und die Osterzeit, die vielen Feiertage im Mai, die Schulferien, in denen all die verreisen, die Kinder im schulpflichtigen Alter haben, und für den berühmt-berüchtigten »heißen Herbst«, in dem eine Veranstaltung die nächste jagt – also zu fast allen Zeiten im Jahresverlauf, in denen man üblicherweise Urlaub macht. Und dennoch habe ich das Radreisen nicht drangegeben. Ich habe es sogar neu entdeckt: als eine Art Rettungsinsel, die mich davor bewahrt, in den vielen Anforderungen meines Berufes unterzugehen.

Ob denn so eine Radreise wirklich erholsam sei, werde ich immer wieder gefragt. Das sei doch auch sehr anstrengend? Natürlich kostet es auch Kraft, den ganzen Tag an der frischen Luft zu sein, stundenlang in die Pedale zu treten und ständig an anderen Orten zu schlafen. Gerade das aber empfinde ich als erholsam. Weil es genau das Gegenteil dessen ist, was meinen Alltag oft bestimmt: die trockene Büroluft, die vielen Gespräche, die Schreibtischarbeit, der Bewegungsmangel und das immer gleiche Bett, in das ich mich Abend für Abend hineinfallen lasse. Das Unterwegssein mit dem Rad tut nicht nur meinem Körper gut, es erfrischt auch meine Seele und meinen Geist. Ich kann mir jedenfalls nicht vorstellen, meinen Jahresurlaub in einer All-inclusive-Anlage oder einem Priestererholungsheim zu verbringen, wie es manche meiner Amtsbrüder tun.

Dass meine Radreisen nicht nur der Erholung dienen, sondern sich auch motivierend und inspirierend auf mein berufliches Tun auswirken, ist mir erst nach und nach aufgegangen. Am deutlichsten spüre ich das bei meinen Predigten. In den Gottesdiensten kurz vor einer Radreise, wenn die letzte schon Monate, manchmal ein ganzes Jahr zurückliegt, fällt mir das Predigen oft schwer. Ich fühle mich müde und ideenlos. Mir fehlt es an guten Gedanken und Worten. Kehre ich dagegen von einer Tour zurück, sprudelt es nur so aus mir heraus. Dann ist mein Reden wieder kraftvoll, anschaulich und lebensnah.

Ob ich ohne diese Motivations- und Inspirationsquelle wohl noch Priester wäre? Diese Frage habe ich mir schon einige Male gestellt, und ich stelle sie mir von Jahr zu Jahr ernsthafter. Denn die katholische Kirche in Deutschland steckt bekanntermaßen in einer schweren Krise, die sie zu einem Großteil selbst verschuldet hat. Durch Verbrechen an Kindern und Schutzbefohlenen, durch die damit einhergegangenen Verdrängungs- und Vertuschungsversuche, einen...

Erscheint lt. Verlag 28.2.2024
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte 2024 • Abenteuer & Reiseberichte • außergewöhnliche Reiseziele • Bibel katholisch • eBooks • Fahrrad • Gastfreundlichkeit • Gott • Griechenland • Irland • Island • Jesus • mit meinem gott überspringe ich mauern • Neuerscheinung • Norwegen • Pilgern • Polarkreis • Reisetagebuch • Ruhrgebiet • Rumänien • sauerland radfahren • Ungarn • Urlaub mit dem Rad • wer suchet, der findet
ISBN-10 3-641-31372-4 / 3641313724
ISBN-13 978-3-641-31372-2 / 9783641313722
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