Das Ende toxischer Männlichkeit (eBook)
224 Seiten
REDLINE Verlag
978-3-96267-588-2 (ISBN)
Sophie Bieber arbeitete in diversen Branchen wie Automotive, Pharma, Tech u. a. in teilweise leitenden Positionen und war neun Jahre für SAP tätig. Seit 2023 ist sie bei Uipath aktiv, der führenden Plattform zur Automatisierung von Roboterprozessen. Auf LinkedIn engagiert sie sich zu Themen wie Frauen in Führungspositionen, Unternehmenskultur oder Frauen in der Tech-Branche, womit sie bereits über 15.000 Follower für sich gewinnen konnte.
Sophie Bieber arbeitete in diversen Branchen wie Automotive, Pharma, Tech u. a. in teilweise leitenden Positionen und war neun Jahre für SAP tätig. Seit 2023 ist sie bei Uipath aktiv, der führenden Plattform zur Automatisierung von Roboterprozessen. Auf LinkedIn engagiert sie sich zu Themen wie Frauen in Führungspositionen, Unternehmenskultur oder Frauen in der Tech-Branche, womit sie bereits über 15.000 Follower für sich gewinnen konnte.
TOXISCHE MÄNNLICHKEIT IM BERUF
Wie eingangs beschrieben, möchte ich in diesem Buch Menschen eine Stimme geben, die mir ihre Geschichten aus ihrem Berufsleben erzählt haben. Hierbei muss ich die Anonymität gewährleisten, da einige von ihnen Konsequenzen fürchten und diese teilweise auch angedroht bekommen haben. Ich habe also zugehört, mitgeschrieben und Namen sowie teilweise irrelevante Details verändert. Diese Geschichten lassen sich in »Personas« zusammenfassen. Und diese Personas sowie ihre Geschichten möchte ich nun vorstellen.
DIE PRAKTIKANTIN
Meine berufliche Karriere begann ich als Studentin: Während des Studiums hatte ich verschiedene Jobs als Werkstudentin und Praktikantin inne. Außerdem hatte ich diverse Aushilfsjobs, beispielsweise wie anfangs erwähnt als Kellnerin, aber ich räumte auch Regale im Supermarkt ein, oder leerte und putzte Vasen im Blumenladen. All diese Jobs vor dem Beginn meiner eigentlichen beruflichen Laufbahn brachten mir viel bei: den Umgang mit Kund:innen, körperliche Arbeit zu unbequemen Uhrzeiten, die Bedeutung eines guten Teams und nicht zuletzt auch Demut. Mir war schnell klar, dass die Tätigkeiten, die ich im Laufe meiner Karriere erledigen würde, andere sein würden als die, mit denen ich während des Studiums meinen Autotank füllte, und dass ich das auch meinen Privilegien zu verdanken hatte. Mein Elternhaus ermöglichte es mir, recht sorgenfrei zu studieren, und mir war immer bewusst, dass ich alle denkbare Unterstützung erhielt, die vielen anderen Menschen verwehrt blieb.
Diese Nebenjobs, denen ich studienbegleitend nachging, waren eine gute Schule, auch wenn der Ton manchmal etwas rauer war. Ich persönlich war zu diesem Zeitpunkt noch nicht sensibilisiert in Bezug auf Sexismus, aber natürlich sind mir auch hier schon unterschwellig Punkte aufgefallen, wie die Sexualisierung von Kellnerinnen oder die schiefen Blicke, wenn man nicht auf Annäherungsversuche von Gästen einging. Doch abgesehen von den offensichtlichen Situationen wurde ich im weiteren Verlauf mit unterschwelligem Sexismus konfrontiert, den ich als Berufseinsteigerin nicht sofort als solchen identifizierte. Erst rückblickend wurde mir bewusst, dass diese Ungleichbehandlung aufgrund meines Geschlechts passierte und eine toxische Sozialisierung der Grund dafür war.
Als Praktikantin war es für mich an der Tagesordnung, meinem Manager Heißgetränke zu bringen – mal Kaffee, mal Tee, mal heiße Schokolade. Ich betrachtete das als Zeichen der Hierarchie und machte mir zunächst keine weiteren Gedanken darüber. Spannend wurde es erst, als ein männlicher Praktikant startete und dieser nicht um solche Dienstleistungen gebeten wurde. Dass ich an der Kaffeemaschine die anderen Praktikantinnen traf, die ebenfalls für die Heißgetränke zuständig waren, während die männlichen Praktikanten oft Terminen beisitzen durften, verstärkte das langsam aufkommende komische Gefühl.
Dass ich kurz darauf auch gegenteilige Erfahrungen machte, ließ mich jedoch den Gedanken, dass es sich um – wenn auch möglicherweise unbewusste – Diskriminierung handle, wieder verwerfen. Paul war zu meiner Studierendenzeit einer meiner Manager in diesem Unternehmen und völlig unbeeindruckt von Geschlechterklischees. Er gab mir früh viel Verantwortung, die mit Zahlen, Controlling und Excel-Formeln zu tun hatte. Er ließ mich knobeln, grübeln und selbst erkunden, bis ich zum gewünschten Ergebnis kam. Dass ich als Frau in einem rein männlich besetzten Team herausstach, kam weder zur Sprache, noch wurde es mir unterschwellig vermittelt. Ich war für ihn eine Kollegin, nicht mehr und nicht weniger. Von diesen Fähigkeiten, die Paul mir in dieser Zeit beibrachte – nicht zuletzt: nicht aufzugeben und eigenständig auf Lösungswege zu kommen –, profitiere ich noch heute. Ich bin mir sicher, dass Paul in seinem Verhalten nichts Besonderes erkennen kann. Er gab mir Aufgaben und animierte mich dazu, diese zu lösen. Doch rückblickend hat mich genau diese Gleichbehandlung, mit der er mich keine Sekunde an meinen Fähigkeiten zweifeln ließ, wachsen lassen und mir Selbstbewusstsein gegeben.
Immer wieder mit auch solchen starken, mich fördernden Männern arbeitend ordnete ich rückblickend einiges falsch ein. Ich sah so die sexistischen Bemerkungen, toxischen Ansichten und patriarchischen Anforderungen als Eigenarten einzelner Menschen statt als Grundproblem der Gesellschaft und Arbeitswelt, in der ich mich befand.
Heute blicke ich teilweise mit Erschrecken auf meine eigenen Reaktionen, aber auch auf die meiner Kolleginnen zurück. Es wurde so viel hingenommen und als normal erachtetet, was hochgradig sexistisch war. Und ein Nebeneffekt davon, dass man beobachtet, wie Kolleginnen ein solches Verhalten hinnehmen und kleinreden, ist, dass man selbst nicht darauf kommt, bestimmte Dinge zu hinterfragen.
So gab es während eines anderen Praktikums den Manager Walther, der bekannt dafür war, seine sehr attraktiven Mitarbeiterinnen (die Attraktivität war natürlich kein Zufall, sondern Einstellungskriterium) gerne auf Leitern steigen zu lassen, um Ordner aus hohen Schränken zu holen, und dabei durchaus offensichtlich hinter ihnen zu stehen und jede Bewegung genau zu beobachten. Auch seine Hände an den Oberschenkeln »zum Stützen« mit anschließendem Klaps auf den Hintern der Frauen, mit den begleitenden Worten »ich helfe dir mal« und »gut gemacht«, musste ich beobachten. Besonders bei Laura und Anja »half« er oft auf diese Art. Ich war verdutzt und fragte nach einiger Zeit nach, ob die beiden das denn nicht störte. Die Antwort fand ich damals irritierend und heute inakzeptabel: Sowohl Laura als auch Anja erwiderten, dass er nun mal zu Hause keine Zuneigung mehr von seiner Frau bekomme, er so nun mal sei und im Prinzip ja keinem etwas tue. Letztendlich habe er auch Kontakte ins höhere Management und diese Belästigungen seien ein kleiner Preis für einen gesicherten Job mit gutem Einkommen.
Toxische Männlichkeit in Reinform, unterstützt und gefördert von Frauen, die sich gezwungen fühlten, jenes Verhalten zu relativieren und hinzunehmen. Die Bezeichnung »Belästigungen« kommt hierbei von mir – vor Ort wurde es nie so definiert, was ich rückblickend als gefährlich erachte, vermittelt es doch das Bild, dass solche Übergriffe zum Berufsleben dazugehören. Glücklicherweise befand ich mich in einem privaten Umfeld, das mir zeigte und vorlebte, dass solches Verhalten niemals in Ordnung ist. Doch nicht jede:r hat ein solches Korrektiv in der direkten Umgebung.
Es wird also in einigen Unternehmen vorgelebt, dass »Männer nun mal so sind« und man als Frau einfach Rücksicht darauf nehmen müsse; die Männer könnten ja schließlich nichts dafür. Dies ist aber nicht nur hochgradig gefährlich für die Frauen, die diese Relativierung sehen und sich gegebenenfalls angewöhnen, Übergriffe als wenig dramatisch anzusehen, sondern auch für Männer per se. Denn wie schon festgestellt, liegen dieses beschriebene Verhalten und die sexistischen Ansichten nicht in der Natur des Mannes, sondern sind antrainiert und bei Weitem nicht in jedem Mann verankert. Dennoch wird schon heranwachsenden Jungen vermittelt, dass es ihnen an Impulskontrolle fehlen würde. Bereits in der Schule werden Mädchen angehalten, ihre Kleidung entsprechend zu wählen, um zu vermeiden, die männlichen Schulkameraden abzulenken. Andersherum fehlt es an solchen Richtlinien. Es wird also suggeriert, dass Männer ihre Impulse und Triebe nicht kontrollieren können, Frauen aber sehr wohl. Zu sagen, dass Männer aufgrund ihres Geschlechts Interesse daran haben, Frauen zu belästigen und zu erniedrigen, Macht auszuüben und, falls sie »zu Hause keine Zuneigung bekommen«, die nächstbeste Frau anfassen, ist realitätsfern und falsch. Diese Vorfälle sind abstoßend und haben rein gar nichts damit zu tun, dass »Männer so sind«. Und je eher das von der gesamten Gesellschaft verstanden wird, desto eher kann ein solches Verhalten als toxisch identifiziert und bekämpft werden.
Ich wünschte, ich könnte nun schreiben, dass meine Erfahrungen extrem gewesen seien und somit ein Mahnmal für toxische Männlichkeit darstellten. Allerdings ist das Gegenteil der Fall: Spreche ich mit anderen Frauen, höre ich viele weitere Geschichten, die meinen ähneln und sie in ihrer Absurdität noch weit übertreffen. Vivien beispielsweise erzählte mir eine solche Geschichte. Sie absolvierte gerade ihr zweites Studium und war seit einem Jahr als studentische Aushilfe in einem Unternehmen tätig.
Als studentische Aushilfe half Vivien bei der Organisation einer Veranstaltung für Kund:innen und Mitarbeitende. Hier war Tobias eingeladen, ein Manager aus der mittleren Führungsebene, unglücklich verheiratet und einem ihm vorauseilenden Ruf. Für ihn scheint es Liebe auf den ersten Blick gewesen zu sein, denn er wich nicht mehr von Viviens Seite. Bereits an dem Abend der Veranstaltung sagte er ihr – in Anwesenheit und Hörweite anderer Kolleg:innen –, dass er glaube, sie sei die Liebe seines Lebens, und dass er die Nacht mit ihr verbringen würde, sie müsse nur »ja« sagen. Im nächsten Urlaub, den er gerade plante, solle sie ihn begleiten, und auf die nächste Dienstreise nehme er sie als Begleitperson mit. Ich möchte anmerken, dass dieser Manager einige Hierarchieebenen über der Studentin stand und ihm definitiv bewusst war, dass sie auf der Suche nach einer permanenten Stelle im Anschluss an ihr Studium war.
Vivien lehnte das Angebot ab, verhielt sich ihm gegenüber aber für den Rest des Abends freundlich. Er schien die Ablehnung auf den ersten Blick gut wegzustecken, doch das sollte nicht lange anhalten. Am nächsten Morgen rief er sie auf dem Firmenhandy an und schickte ihr Nachrichten und sogar Geschenke an ihre...
Erscheint lt. Verlag | 17.3.2024 |
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Verlagsort | München |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Sprach- / Literaturwissenschaft ► Sprachwissenschaft |
Schlagworte | Ausbeutung • Belästigung • Benachteiligung • business • Chefs • Diskriminierung • Diversity • Feindseligkeit • Gleichstellung • Karriere • Macht • Machtmissbrauch • Management • Männlichkeit • metoo • Patriachat • Personal • Unternehmensführung • Veränderung • Vorgesetzte • Work-Life-Balance |
ISBN-10 | 3-96267-588-4 / 3962675884 |
ISBN-13 | 978-3-96267-588-2 / 9783962675882 |
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