Emotionsregulation und psychische Störungen im Kindes- und Jugendalter (eBook)
309 Seiten
Kohlhammer Verlag
978-3-17-040336-9 (ISBN)
Prof. Dr. phil. Tina In-Albon ist Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau.
Prof. Dr. phil. Tina In-Albon ist Professorin für Klinische Psychologie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Rheinland-Pfälzischen Technischen Universität Kaiserslautern-Landau.
1 Theoretischer Hintergrund zur Emotionsregulation
Tina In-Albon
When afraid, we may run, but do not always do so.
When angry, we may strike, but do not always do so.
And when amused, we may laugh, but do not always do so.
How we regulate our emotions matters:
Our well-being is inextricably linked to our emotions.
(Gross, 2002, S. 281)
1.1 Emotionen
Emotionen wie Freude, Trauer, Wut und Angst prägen unser Leben. Sie können uns vieles erleichtern (z. B. soziale Beziehungen), aber auch zum falschen Ort, zur falschen Zeit und in falscher Intensität auftreten. Emotionen steigen auf, wenn uns etwas Wichtiges berührt (Greenberg & Paivio, 2000) oder wenn wir einer Situation einen für uns aktuellen und relevanten Zweck zuschreiben (Lazarus, 1991). Zentral ist, dass es die Bedeutung ist, die wir einer Situation zuschreiben, welche Emotionen auslöst. Da sich diese Bedeutungen über die Zeit hinweg verändern können, ändern sich auch Emotionen. Schließlich sollen uns Emotionen motivieren, etwas zu tun. Dabei lassen sie Raum für das Ausmaß und die Art der Reaktion.
Bereits Aristoteles (384 – 322 v. Chr.; 1999) hat sich mit der Definition von Emotionen beschäftigt. Dabei hat er sich vor allem mit der Emotion Wut auseinandergesetzt. »Jeder kann wütend werden, das ist einfach. Aber wütend auf den Richtigen zu sein, im richtigen Maß zur richtigen Zeit, zum richtigen Zweck und auf die richtige Art, das ist schwer« (S. 61, übersetzt durch die Autorin). Dieses Zitat ist noch immer zeitgemäß. Es verweist darauf, dass Emotionen unser Verhalten prägen und eine bedeutsame Rolle für zwischenmenschliche Beziehungen spielen. Somit hat der Umgang mit Emotionen eine zentrale Bedeutung für die allgemeine psychische Gesundheit. Aristoteles' Analyse von Wut beinhaltet denn auch eine kognitive Komponente, einen sozialen Kontext, eine Verhaltenstendenz und körperliches Arousal. Der kognitiven Komponente hat er einen besonders wichtigen Stellenwert zugeschrieben. So ging er davon aus, dass durch Argumente Emotionen verändert werden können, d. h. ein Gedanke kann dazu führen, eine Situation anders zu bewerten und somit eine andere Emotion auszulösen.
Eine konkrete Definition von Emotion gibt es nicht. LeDoux hat es folgendermaßen ausgedrückt: »Eines der wichtigsten Dinge, was jemals über Emotionen gesagt wurde, könnte sein, dass alle wissen, was damit gemeint ist, bis sie gefragt werden, sie zu definieren« (LeDoux, 1996, S. 23. übersetzt durch die Autorin). Ganz allgemein können positive Emotionen wie Freude abgegrenzt werden von negativen Emotionen wie Angst, Wut oder Trauer. Allen theoretischen Ansätzen ist gemein, dass es sich bei Emotionen um komplexe Antworten auf die für den Organismus wichtige interne oder externe Situationen handelt, welche Reaktionen auf Verhaltens-, Wahrnehmungs- und physiologischer Ebene auslösen (Buck, 1988; Garber & Dodge, 2004; Frijda, 1986). Beispielsweise wenn wir Angst empfinden, spüren wir physische Reaktionen, wie z. B. Schwitzen, Zittern und/oder Herzklopfen. Emotionen sind auch handlungsweisend. Das Wort »motion« für Bewegung findet sich bereits im Wort Emotion, so ist die Absicht einer Emotion, in Bewegung bzw. in Handlung zu kommen, im Wort eingebettet. Emotionen beeinflussen ebenso die kognitiven Prozesse und tragen dazu bei, eine Entscheidungsfindung entweder zu erleichtern oder zu erschweren (Greenberg & Paivio, 2000). Des Weiteren sind Emotionen zentral für die Gestaltung von interpersonellen Beziehungen. Dies geschieht in Form von Mimik, Gestik, empathischem Verständnis und Verhalten (Ekman et al., 1972; Fridlund, 1994).
Neben der Beeinflussung von Entscheiden, Aufmerksamkeit, Verhalten, psychischer Gesundheit und sozialer Interaktion sind Emotionen veränderbar. Emotionen können dabei unkonditionierte Reaktionen auf intrinsische Reize oder gelernte konditionierte Reaktionen darstellen und eher automatisiert oder bereits moduliert auftreten (Barnow, 2020). Für das Verständnis der Bedeutung ist der jeweilige Kontext relevant.
Die primäre Funktion von Emotionen ist, den Organismus zu befähigen, schnell auf Anforderungen zu reagieren. Zum Beispiel weichen wir ohne zu überlegen automatisch zurück, wenn wir einer Schlange begegnen. So verweist LeDoux (2001) darauf, dass das Gehirn Verhaltensziele oft ohne Beteiligung des Bewusstseins verwirklicht. Dies ist so zu verstehen, dass das Ergebnis einer emotionalen Bewertung zwar bewusst wird, aber nicht, dass wir die Grundlage der Bewertung bewusst verstehen. Emotionen beeinflussen zudem, wie wir auf Herausforderungen und Gelegenheiten reagieren (Gross, 2002).
Bereits William James (1884) sah Emotionen als Antworten an, welche durch verschiedene Faktoren moduliert werden können. Die Funktion, dass Emotionen uns unterbrechen können, in dem, was wir gerade tun, und in unser Bewusstsein vordringen können, nannte Frijda (1986) »control precedence«. Gross (2002) geht davon aus, dass dieser Aspekt der Fähigkeit zur Emotionsmodulation zentral ist, indem sie die Grundlage darstellt, dass Emotionsregulation überhaupt stattfinden kann.
Während Affekt als Oberbegriff für Gefühlszustände wie Emotionen, Stimmungen und Stressreaktionen verwendet wird (Gross & Thompson, 2007), sind Stimmungen eher ungerichtet, diffus, länger andauernd und weisen meist eine geringere Intensität auf. Emotionen dagegen sind eher instabil, intensiv, von kurzer Dauer und gerichtet.
1.2 Emotionen und Kognitionen
Bower (1981) stellte eine Netzwerktheorie der Emotionen auf, in welcher Emotionen als Knoten in einem semantischen Gedächtnisnetzwerk repräsentiert sind. Diese Emotionsknoten stehen in Verbindung mit anderen Knoten, die emotionsbezogene Informationen enthalten (z. B. Ereignisse, bei denen die jeweilige Emotion auftrat, Ausdrucksverhalten, auslösende Bewertungen, physiologische Reaktionen, sprachliche Bezeichnungen der Emotionen). Durch die vielfältigen Verbindungen erklärt sich, dass Emotionen durch viele unterschiedliche Reize aktiviert werden können. Nach Bower kann die Aktivierung der Netzwerkstrukturen schon vor der bewussten Wahrnehmung wirksam werden. Aus dieser Theorie lässt sich ableiten, dass sich Informationen, die z. B. mit Angst assoziiert sind, in ängstlicher Stimmung besser abrufen lassen als in anderen emotionalen Zuständen, während der Abruf anderer Inhalte erschwert ist.
Die Emotionstheorie von Lang (1979, 1988) baut auf Bowers Modell auf. Nach Lang sind – um bei der Emotion Angst zu bleiben – angstbezogene Informationen über Reize, Reaktionen und Bedeutungen in einem assoziativen Netzwerk gekoppelt, d. h. Angst kann durch Reaktionen, Bedeutungen und durch Reize ausgelöst werden. Lang betont die Schnelligkeit und den Automatismus der Informationsverarbeitungsprozesse bei Ängsten. Foa und Kozak (1986) erweiterten die Theorie von Lang. Ihre Informations-Prozess-Theorie besagt, dass auch Informationen über die Auftretenswahrscheinlichkeit und die Wertigkeit von Ereignissen im Netzwerk gespeichert sind. Ihrer Ansicht nach sind potentielle Angstauslöser über die Gedächtnisstruktur mit einer Schadensüberzeugung, d. h. befürchteten Konsequenzen, verbunden. Die Autor:innen nehmen an, dass bei der Angstentstehung immer Bewertungsvorgänge beteiligt sind. Diese sind den Betroffenen häufig nicht bewusst. Mithilfe einer Expositionstherapie kann die Gedächtnisstruktur durch Informations- und Habituationsprozesse so verändert werden, dass die Wahrscheinlichkeitseinschätzungen betreffend der befürchteten Konsequenzen realistischer werden.
Appraisal-Theorien sehen Kognitionen, körperliche Zustände als Bestandteil emotionaler Prozesse, die insbesondere die Bedeutung der Emotion für die jeweilige Person festlegen (Damasio & Carvalho, 2013; Scherer, 2009).
Die 2-System-Modelle gehen von reziprok agierenden Systemen aus, die sich wechselseitig beeinflussen. Kahneman (2003, 2013) beschreibt System 1 als intuitiv, implizit, automatisch, schnell, assoziativ operierend, welches sich auch als Bottom-up oder Lower-Level-System verstehen lässt. System 2, welches langsam, flexibel, seriell, kontrolliert, neutral agiert und komplexere Informationen verarbeitet, sowie auf exekutive Funktionen zugreift. Die Folge ist ein reziprokes Zusammenspiel. Hingegen tragen integrative Modelle, die von einem dimensionalen emotionalen/kognitiven Aspekt ausgehen, die je nach Kontext und Motiv schwächer oder stärker miteinander agieren, zu einem ausgeprägteren Verständnis bei (Pessoa, 2013).
1.3 Emotionen und Emotionsregulation: Sind sie unterscheidbar?
Emotionen und Emotionsregulation (ER) sind miteinander verbunden, so dass kontrovers diskutiert wird, ob diese unterscheidbar sind oder nicht. Die eine Seite argumentiert, dass Emotionen und ER nicht zu unterscheiden sind und dass alle Emotionen zu einem gewissen Maß reguliert werden, so dass die ER als Teil der Emotionen zu betrachten sei (Campos, Frankel & Camras, 2004; Frijda, 1986). Die andere Seite argumentiert gegen die Annahme, dass...
Erscheint lt. Verlag | 18.10.2023 |
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Co-Autor | Björn Albrecht, Anne Mareike Altgassen, Diana Armbruster-Genc, Ulrike Basten-Wissel, Margarete Bolten, Mira-Lynn Chavanon, Hanna Christiansen, Matthias Gallei, Rapahel Gutzweiler, Nina Heinrichs, Andrea B. Horn, Alexandra Iwanski, Verena Kathmann, Laura Kraus, Anett Kretschmer-Trendowicz, Lucie Lichtenstein, Katajun Lindenberg, Michael W. Lippert, Arleta Angelika Luczejko, Johanna Maxwill, Cornelia Mohr, Verena Müller, Simone Munsch, Simone Pfeiffer, Patrick Pössel, Marc Schmid, Silvia Schneider, Christina Schwenck, Christina Stadler, Peter Zimmermann, Celia Steilin-Danielsson |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | Autismus • Borderline • Emotion • Essstörungen • Psychische Störungen • Trauma |
ISBN-10 | 3-17-040336-2 / 3170403362 |
ISBN-13 | 978-3-17-040336-9 / 9783170403369 |
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Größe: 4,7 MB
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