Perfektionismus: (fast) eine Liebeserklärung (eBook)
400 Seiten
Kailash (Verlag)
978-3-641-28473-2 (ISBN)
Perfektionisten haben den Ruf, verspannt und anstrengend zu sein. Dabei ist Perfektionismus per se nicht schlecht - wenn man ihn zulässt und gekonnt für sich nutzt. Katherine Morgan Schafler ist überzeugt, dass es höchst befreiend ist, wenn man ihn als Gabe annimmt und darin eine Superkraft sieht. Sie räumt mit der Überzeugung auf, dass Perfektionist*innen loslassen müssen, um ausgeglichener, gesünder und glücklicher zu sein. Genau das Gegenteil ist der Fall: Es gilt, die richtige Balance zu finden, einerseits die extreme Herausforderung in perfektionistischem Handeln zu suchen und andererseits bewusst Dinge geschehen zu lassen. Denn es wirkt durchaus wohltuend, nicht rund um die Uhr perfekt und effizient zu sein. Dieses positive Spannungsfeld beflügelt zu Höherem, beschert große Erfüllung und seelische Gesundheit. Ein unterhaltsamer, motivierender und durch und durch optimistisch gestimmter Guide zu einem weitverbreiteten Phänomen.
Katherine Schafler ist Psychotherapeutin und Autorin mit eigener Praxis New York City. Die Berkeley-Absolventin arbeitete zunächst bei Google und beriet größere Firmen wie Sephora, AirBnB und Hilton als Mental-Health-Expertin. Sie schreibt regelmäßig für Zeitungen und Magazine wie The Huffington Post, The New York Times, Elle, Glamour oder InStyle. Mit ihrem Mann und ihrer Tochter lebt sie in New York City.
Vorwort
Perfektionismus ist eine Stärke
Am Abend vor unserer Hochzeit beschlossen mein Mann und ich, getrennt zu schlafen, damit jeder von uns den Abend vor unserem großen Tag so entspannt wie möglich verbringen konnte. Nach der Dinner-Probe kehrte ich etwa um 22.30 Uhr nach Hause zurück, ging mit meinen Hunden Gassi und beantwortete dabei E-Mails. Dann absolvierte ich mein abendliches Fitness-Programm und gönnte mir eine ausgiebige Dusche.
Danach verpackte ich die Geschenke neu, die ich am nächsten Tag meinen Brautjungfern überreichen wollte (die Verpackung aus dem Geschäft war mit zu viel Klebeband verunstaltet und sowieso zu kitschig). Anschließend heftete ich ein paar klinische Aufzeichnungen ab, übte im Bett etwa zwanzig Minuten lang mein Ehegelübde und checkte nochmal meine E-Mails. Kurz nach 2 Uhr morgens schlief ich schließlich ein. Es war eigentlich ein perfekter Abend.
Perfektionistinnen sind keine ausgeglichenen Menschen, und das ist in Ordnung. Es ist nicht gesund, vorgefertigte Konzepte von Ausgeglichenheit und allgemeinem Wohlbefinden zu übernehmen, wenn sie nicht zur eigenen Persönlichkeit passen. Das ist bloßer Gehorsam. Ich schrieb dieses Buch für Frauen[1], die es leid sind, »gut« zu sein. Ich schrieb dieses Buch für Frauen, die bereit sind, sich zu befreien.
Wenn du in diesem Augenblick mir gegenüber auf meiner Therapiecouch sitzen würdest, könnten wir uns augenrollend daran erinnern, wie dir bis zum Überdruss erzählt wurde, dass Perfektionistinnen sich selbst befreien können, indem sie sich ihren Perfektionismus abgewöhnen. Ich sage dir gleich, dass das nie funktionieren wird.
Tausendmal »Ich werde keine Perfektionistin mehr sein« auf eine imaginäre Schultafel zu schreiben, ist eine totale Zeitverschwendung. Wie kannst du dich also befreien oder auch nur ansatzweise verstehen, wie Freiheit für dich aussieht? Der erste Schritt ist Ehrlichkeit dir selbst gegenüber.
Du gestehst dir ein, dass du mit einem durchschnittlichen Leben nie zufrieden wärst. Du sehnst dich danach zu brillieren, und das weißt du. Du gibst zu, dass du aufblühst, wenn du unter Druck stehst – du brauchst eine Herausforderung, sonst droht deine Langeweile in eine depressive Verstimmung umzuschlagen. Und du hörst auf, dich klein zu machen und deine Talente zu verleugnen – du wurdest geboren, um dein Licht leuchten zu lassen, und das spürst du.
Bis jetzt hast du deine perfektionistischen Tendenzen unterdrückt, weil Perfektionismus in unserer Gesellschaft sehr verzerrt und einseitig dargestellt wird. Das Negative an ihm (das durchaus existiert, aber keineswegs alles ist) wird betont, um aufzuzeigen, dass er schlecht und folglich ungesund ist, also kuriert werden muss.
Interessanterweise (sprich: wie vorauszusehen) richtet sich der Druck, den eigenen Perfektionismus zu zügeln und »vollkommen unvollkommen« zu sein, direkt gegen Frauen. Hast du je gehört, dass ein Mann sich als »genesenden Perfektionisten« bezeichnete? Wenn Steve Jobs oder Gordon Ramsay oder James Cameron Perfektion fordern, werden sie als Genies auf ihrem jeweiligen Gebiet gepriesen. Wo sind die gefeierten Perfektionistinnen?
Du könntest einwenden, dass Martha Stewart auf ihren Perfektionismus ein Imperium aufbaute und vielleicht die meistgefeierte Perfektionistin unserer Zeit ist, aber bedenke, worauf ihr Unternehmen Martha Stewart Living Omnimedia spezialisiert ist: schnelle Brunch-Rezepte, alles rund um die Freizeitunterhaltung, knallbunte Farbpaletten, Hochzeiten.
Das sind klassische Interessensgebiete von Hausfrauen. Martha Stewart trägt ihren Perfektionismus unter tosendem Beifall zur Schau. Sie bekommt nicht zu hören, sie solle »ausgeglichener« werden (also ihren Ehrgeiz zügeln), denn ihre Interessen bleiben in dem Bereich, in dem Frauen öffentlich Ehrgeiz zeigen dürfen. Nichts davon ist Zufall.
Ein Grund für das Bestreben, Perfektionismus bei Frauen auszubremsen, ist, dass Perfektionismus eine mächtige Energie ist. Wie jede Art von Macht (die Macht des Geldes, der Sprache, der Schönheit, der Liebe etc.) kann Perfektionismus dein Leben zerstören, wenn du ihn nicht richtig einzusetzen verstehst. Perfektionismus ist großartig, wenn er uns dient, und schrecklich, wenn er uns beherrscht. Lass uns auch in diesem Punkt ehrlich sein.
Können wir es einfach aussprechen?
Wir wissen beide, dass dein Perfektionismus dich in der Vergangenheit in allen Lebensbereichen gequält hat: in Liebesdingen, auf künstlerischem Gebiet, körperlich und geistig. Weil du ihn nicht als eine Stärke und eine Gabe verstanden hast. Du hast ihn nicht geschätzt, sondern versucht, ihn zu verleugnen. Und du hast ihn auf ein Streben nach Ordnung, Sauberkeit und Pünktlichkeit reduziert, obwohl echter Perfektionismus wenig mit all dem zu tun hat. Je mehr du deinen Perfektionismus weggeschoben hast, desto stärker drängte er zurück. Du hast versucht, ihn loszuwerden, aber das kannst du gar nicht, weil er Teil deiner Persönlichkeit ist.
Zu deinem Glück lassen die tiefsten und stärksten Teile deiner Persönlichkeit dich nie im Stich. Was du auch getan hast, um die mächtige Energie in dir, mit der du nichts anzufangen wusstest, zu betäuben, herunterzuspielen oder zu unterdrücken, ich tat es auch. Das macht nichts. Nichts davon hat funktioniert. Glücklicherweise ist dein Perfektionismus immer noch da, und nun hast du eine echte Lösung für dein Problem.
Dein Problem ist nicht, dass du eine Perfektionistin bist. Einige der humorvollsten, außergewöhnlichsten, glücklichsten Menschen der Welt sind perfektionistisch. Dein Problem ist, dass du nicht ganz du selbst bist.
Frauen erhalten Tag für Tag Ratschläge, was sie tun sollten, um weniger so zu sein, wie sie sind. Um weniger zu wiegen, weniger zu wollen, weniger emotional zu sein, weniger oft Ja zu sagen und auf jeden Fall weniger perfektionistisch zu sein. In diesem Buch geht es darum, wie du mehr von dem bekommst, was du willst, indem du mehr so bist, wie du bist.
Ich habe in meiner Praxis in New York City jahrelang mit perfektionistischen Menschen gearbeitet. Dieses Buch basiert auf dieser Arbeit sowie auf meiner klinischen Erfahrung in ganz unterschiedlichen Bereichen. Ich arbeitete unter anderem als Therapeutin bei Google, in der stationären Behandlung von psychisch Erkrankten und als Beraterin in einem Rehabilitationszentrum für Suchtkranke.
Schon lange erforsche ich mit brennendem Interesse, womit wir zu kämpfen haben, wie wir wachsen und gedeihen. Ich machte meinen Bachelor in Psychologie an der University of California in Berkeley, bevor ich mein Studium und meine klinische Ausbildung an der Columbia University abschloss. Nach einer postgradualen Weiterbildung an der Association for Spirituality and Psychotherapy in New York City legte ich meine Lizenz-Prüfung ab. Bei meiner Forschungsarbeit am Institute of Human Development und im Hammen Lab der University of California in Los Angeles ergaben sich Fragen, mit denen ich mich in den letzten zwanzig Jahren beschäftigt habe. Weil es mich nach wie vor brennend interessiert, wie Menschen sich miteinander verbinden, werde ich immer mehr Fragen als Antworten haben. Meine Absicht beim Schreiben dieses Buches war, es mit den Antworten zu füllen, die ich bisher gefunden habe.
Eine Frage, die ich mir lange gestellt habe, lautet: Was meinen Menschen damit, wenn sie sagen »Ich bin perfektionistisch«?
Die umgangssprachliche Definition von Perfektionismus lautet: Perfektionistische Menschen wollen, dass immer alles perfekt ist, und regen sich auf, wenn etwas nicht perfekt ist.
So einfach ist es nicht.
Wenn Menschen sagen, dass sie perfektionistisch sind, meinen sie damit nicht, dass sie erwarten, dass sie selbst perfekt sind, dass andere perfekt sind, dass das Wetter perfekt ist und dass alles, was sich im Leben ereignet, perfekt ist.
Perfektionistinnen sind intelligente Menschen, die sehr wohl wissen, dass nicht immer alles perfekt laufen kann. Doch manchmal fällt es ihnen schwer zu verstehen, warum sie trotz dieses Wissens so enttäuscht sind, wenn etwas nicht perfekt ist. Manchmal fragen sie sich, warum sie sich dazu getrieben fühlen, unaufhörlich nach etwas zu streben. Manchmal ist ihnen nicht einmal klar, wonach sie überhaupt streben. Oft fragen sie sich, warum sie es nicht »wie normale Menschen« einfach genießen können, sich zu entspannen. Sie wollen wissen, wer sie eigentlich sind, unabhängig von dem, was sie leisten.
Jeder Mensch wird irgendwann mit solchen existenziellen Fragen konfrontiert. Doch Perfektionistinnen denken ständig über sie nach.
Ich habe fünf Typen von Perfektionistinnen identifiziert. Indem du herausfindest, welcher Typ du bist, entdeckst du deine Talente und kannst sie entfalten. Du wirst dein intensives Streben nach Bestleistungen besser verstehen und aufhören, deine Willenskraft mit krampfhaften Versuchen zu vergeuden, dir deinen Perfektionismus abzugewöhnen. Und dann kannst du all die dadurch freigesetzte Energie in den Dienst deines authentischen Selbst stellen.
In der ersten Hälfte dieses Buches zerlege ich den Perfektionismus in seine Bestandteile, damit du sie besser verstehst. In Kapitel 1 stelle ich dir die fünf Typen von Perfektionistinnen vor. In Kapitel 2 mache ich dich mit dem adaptiven Perfektionismus vertraut, einer vorteilhaften Form des Perfektionismus, die unter Forschenden gut bekannt ist, aber in der Welt der kommerziellen Wellness kaum thematisiert wird. In Kapitel 3 untersuche ich den Perfektionismus aus einer feministischen Perspektive. In Kapitel 4...
Erscheint lt. Verlag | 1.5.2023 |
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Übersetzer | Anja Lerz, Franka Reinhart, Sigrid Schmid, Renate Weitbrecht |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | The Perfectionist's Guide to Losing Control - |
Themenwelt | Geisteswissenschaften ► Psychologie |
Schlagworte | 2023 • Alltag optimieren • Alltag organisieren • Am Arsch vorbei geht auch ein Weg • Booktok • booktokgermany • eBooks • Eigene Werte • Glücklich leben • JAMES CLEAR • Marie Kondo • Mental Health • Neuerscheinung • Perfektionismus überwinden • Selbstliebe • Selbstmitgefühl • Selbstwertgefühl • TikTok • Zeitmanagement |
ISBN-10 | 3-641-28473-2 / 3641284732 |
ISBN-13 | 978-3-641-28473-2 / 9783641284732 |
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