Psychotherapie bei Komplextraumata (eBook)
196 Seiten
Klett-Cotta (Verlag)
978-3-608-11959-6 (ISBN)
Roland Kachler, Diplom-Psychologe, ist approbierter Psychologischer Psychotherapeut und evangelischer Theologe; der erfolgreiche Buchautor arbeitet in eigener Praxis in Remseck bei Stuttgart; seine Schwerpunkte: Traumatherapie, Paartherapie, Trauerbegleitung. >> Psychotherapeutische Praxis Roland Kachler
Roland Kachler, Diplom-Psychologe, ist approbierter Psychologischer Psychotherapeut und evangelischer Theologe; der erfolgreiche Buchautor arbeitet in eigener Praxis in Remseck bei Stuttgart; seine Schwerpunkte: Traumatherapie, Paartherapie, Trauerbegleitung. >> Psychotherapeutische Praxis Roland Kachler
Einleitung: Das Projekt dieses Buches – ein neuer Ansatz in der Traumatherapie
… erleben wir eine Zeitenwende?
Beim Fertigstellen dieses Buches geschieht eine unvorstellbare Katastrophe in unmittelbarer geografischer Nähe bei uns in Europa, die wohl eine Zeitenwende in der Geschichte unseres Kontinents und unseres Landes darstellt. Ein Aggressor überfällt ein benachbartes Land und beginnt eine zerstörerische Invasion. Wenn Sie dieses Buch lesen, werden sich Ihnen ganz sicher immer wieder Parallelen zwischen einem individuellen traumatisierenden Täter und dem politisch agierenden Aggressor aufdrängen. Es steht wohl auch eine Wende in der Therapie von Komplextraumata an, insbesondere in der Arbeit mit dem traumatisierenden Täter.
Es ist wohl nur Zufall, dass die politische Zeitenwende und die grundlegenden Veränderungen in der Therapie von Komplextrauma zusammenfallen. Dennoch wird der hier vorgestellte Traumaansatz durch die gegenwärtige bedrohliche Lage aktueller und auch politischer, als ich es mir je hätte denken können. Und so lässt sich dieses Buch und dieser neue Ansatz für die Therapie von Komplextraumata nicht ohne das beängstigende politische Geschehen lesen, von dem wir zum jetzigen Zeitpunkt im März 2022 überhaupt noch nicht wissen, welche destruktiven Eskalationen entstehen werden. Es bleibt mir nur zu hoffen, dass zu dem Zeitpunkt, an dem Sie dieses Buch in den Händen halten werden, das Schlimmste vorbei ist – was immer das Schlimmste ist. Nun also zur Therapie von Komplextraumata.
Mein Unbehagen mit der Täter-Introjekt-Arbeit bei Komplextraumatisierungen
Die Traumatherapie bei Man-made-Traumata, also von Tätern verursachten Traumata, ist ein wichtiger Teil meiner Arbeit, der zwar nicht einfach, doch immer auch sinnerfüllend ist. Doch die Arbeit mit dem Inneren Täter scheitert immer wieder. Dabei erachte ich die Bearbeitung des Inneren Täters für unbedingt nötig, weil er im inneren System der Klientinnen destruktiv und retraumatisierend weiterwirkt. Ohne dessen Bearbeitung ist daher eine Traumaheilung nicht möglich. Doch habe ich mich dem Inneren Täter gegenüber oft ohnmächtig und hilflos erlebt. Bei Traumabehandlungen hatte ich versucht, mit dem Inneren Täter in einen Dialog zu kommen, ihn in seiner Tat zu verstehen, und die traumatisierten Klientinnen angeleitet, dies ebenso zu tun. Das allein schon war immer wieder schwierig. Zudem erlebte ich mein Verständnis für den Täter, das dabei verbalisiert werden musste, oft auch als Verrat an den schwer traumatisierten Klientinnen. Der Versuch, im Dialog beim Inneren Täter Einsicht, Verantwortungsübernahme oder gar Reue zu erreichen, scheiterte ebenfalls sehr häufig. Die Klienten, meist Frauen, blieben zurück mit einer erneuten Ohnmachtserfahrung, die auch mich wiederum enttäuscht oder resigniert zurückließ. Natürlich habe ich die Ursache für das wiederholte Scheitern an der für die Traumatherapie so wichtigen Stelle bei mir gesucht. Habe ich etwas übersehen, habe ich die Methoden, wie sie in der Ego-State-Therapie angewandt werden, falsch verstanden oder nicht richtig angewandt, habe ich einen blinden Fleck im Umgang mit Inneren Tätern? Ich habe mich dann entschieden, die Man-made-Traumata und Komplextraumata noch einmal von Grund auf neu zu analysieren und verstehen zu wollen, insbesondere das Handeln der Täter und deren destruktive Wirkung. Ich habe meine Klientinnen nochmals genau befragt, was bei einer gewaltförmigen, intrusiven Traumatisierung eigentlich mit ihnen geschieht.
Mein Unbehagen mit der Traumaheilung als Traumakonfrontation
Doch noch an einer anderen Stelle empfand ich Unbehagen. Natürlich ist nach der Stabilisierungsarbeit das Trauma mit Methoden wie der Bildschirmtechnik zu bearbeiten und damit emotional in die Vergangenheit zu verweisen. Doch in mir entstand die Frage, was mit den Traumawunden und mit den Traumaverletzungen passiert. Ich hatte den Eindruck, dass ich mit meiner Traumaarbeit auf dem halben Weg stehen blieb, das Trauma im Wortsinn als innere Verletzung und Verwundung nicht ausreichend sah und die Klientinnen mit diesen bis ins Tiefste reichenden ungeheuer schmerzlichen Erfahrungen alleinließ.
Auf dem Weg zu einer neuen Traumatherapie bei Komplextraumata
Zunächst begann ich die Konzepte für das Verständnis des sogenannten Täter-Introjektes zu hinterfragen, die mir in meiner konkreten Arbeit mit dem Inneren Täter nicht hilfreich waren und allmählich nicht mehr richtig erschienen. Deshalb will ich in diesem Buch einen neuen Ansatz für die Traumatisierung durch destruktive, gewalttätige Täter1 und deren Weiterwirken im inneren System der Betroffenen2 entwickeln.
Wenn wir nun die Prozesse der Traumatisierung durch einen traumatisierenden Täter und den Inneren Täter neu verstehen lernen, können wir auch erkennen, was die Betroffenen bei einer Traumatisierung erleben. Traumatisierungen bei sexueller, bei körperlicher oder emotionaler Gewalt müssen wir neu als massive Verletzung der Innenräume der Betroffenen sehen. Das Eindringen des Täters und die Verwundung der Betroffenen sind schmerzhaft, beschämend, verletzend und zerstörend. Dies ist mit dem Wort »traumatisierend«, also verwundend im eigentlichen Sinne, zu beschreiben. Erst wenn wir die Verletzungen, die Schmerzen und die schmerzende Zerstörung der Innenräume der Betroffenen wieder ins Zentrum unseres Traumaverständnisses rücken, können wir ihr Leid besser würdigen. Und schließlich können wir ihnen auch traumatherapeutisch auf neue Weise helfen. Ich möchte Sie, die mit von schweren Man-made-Traumata und Komplextraumata verwundeten Betroffenen arbeiten, einladen, einen neuen Ansatz der Traumaheilung bei Komplextraumata kennenzulernen. In dieser Herangehensweise sollen einerseits die Prozesse bei der Traumatisierung durch den Täter und andererseits die tiefen Verwundungen bei den Betroffenen besser und neu verstanden werden.
Wir wollen uns folgenden Fragen stellen, die wir auf dem Weg zu einem neuen Traumaansatz für Komplextraumata beantworten wollen und mit deren Beantwortung dieses neue Trauma-Konzept seine Grundstruktur erhält:
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Was geschieht bei einer gewaltförmigen Traumatisierung durch einen Täter im Genaueren?
Hier werden wir die destruktiven und traumatisierenden Aktionen des Täters bei der Traumatisierung genauer analysieren. Dabei spielt der Prozess des Eindringens eine zentrale Rolle, den wir genauer verstehen müssen und den ich präzise beschreiben werde. Ich bezeichne dieses grenzüberschreitende und grenzverletzende Eindringen des traumatisierenden Täters in diesem Buch als Intrusion. In der gegenwärtigen Traumapsychologie wird der Begriff vorwiegend für das überfallartige Auftauchen von Traumabildern, -filmen und -gefühlen aus dem Inneren von traumatisierten Betroffenen verwendet. Dies ist aber nach meinem Verständnis eine sekundäre Folge des ersten, nämlich traumatisierenden Eindringens des Täters in den Innenraum der Betroffenen.
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Bei wem liegt die Verantwortung für eine gewaltförmige und damit intrusive Traumatisierung durch einen Täter?
Diese Frage scheint sich selbst zu beantworten, weil die Verantwortung für das Zufügen eines Traumas immer beim Täter liegt. Allerdings implizieren die zurzeit genutzten Konzepte der Internalisierung und Introjektion des Täters durch die Betroffenen oft sehr subtil, dass die Betroffenen bzw. deren Gehirn den Täter selbst nach innen nehmen. Aus meiner Sicht aber liegt bei einem gewaltförmigen Eindringen des Täters die Aktivität eindeutig beim Täter und es gibt dabei keine bewusste oder unbewusste Hereinnahme des Täters als Inneren Täter durch die Betroffenen, seien es vom Trauma betroffene Kinder und Jugendliche wie bei sexueller Gewalt oder Erwachsene bei einer Vergewaltigung oder bei Folter. Wir werden vielmehr sehen, dass der Täter aktiv und grenzüberschreitend in die Betroffenen eindringt und deshalb die Verantwortung für dieses Eindringen, also für die Intrusion, ganz beim Täter liegt.
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Welche neuen Konzepte helfen uns, die Entstehung des Inneren Täters besser zu verstehen?
Ich möchte die Konzepte der Internalisierung und Introjektion...
Erscheint lt. Verlag | 24.9.2022 |
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Reihe/Serie | Leben lernen |
Leben Lernen | Leben Lernen |
Verlagsort | Stuttgart |
Sprache | deutsch |
Themenwelt | Geisteswissenschaften |
Medizin / Pharmazie ► Medizinische Fachgebiete ► Psychiatrie / Psychotherapie | |
Schlagworte | emotionale Vernachlässigung • Innerer Täter • Intrusion • Komplextrauma • körperliche Gewalt • Man-made-Trauma • Posttraumtische Belastungsstörung • Psychische Gewalt • Sexualisierte Gewalt • Täter-Imprint • Täter-Introjekt • Traumaheilung • Traumatherapie • Traumatisierung im Jugendalter • Traumatisierung im Kindesalter |
ISBN-10 | 3-608-11959-0 / 3608119590 |
ISBN-13 | 978-3-608-11959-6 / 9783608119596 |
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Größe: 3,5 MB
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