Putins Netz. Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste (eBook)
640 Seiten
Harpercollins (Verlag)
978-3-365-00011-3 (ISBN)
»Ein augenöffnendes Buch über das System Putin.«
Süddeutsche Zeitung
Als Ende der 1980er-Jahre die Sowjetunion zusammenbrach, ahnte niemand, dass ein ehemaliger KGB-Agent sich über Jahrzehnte als russischer Präsident behaupten würde. Und kaum jemand rechnete damit, dass Putin seine Drohungen wahrmachen und einen Krieg beginnen würde.
Doch ein Alleinherrscher ist Wladimir Putin nicht. Seine Macht stützt sich auf ein Netzwerk ehemaliger sowjetischer KGB-Agenten, dessen Einfluss weit über Russland hinausreicht.
Catherine Belton, ehemalige Moskau-Korrespondentin der Financial Times, hat mit zahlreichen ehemaligen Kreml-Insidern gesprochen. Etwas, das bisher einmalig sein dürfte. Es sind Männer, deren Macht Putin zu groß wurde und die nun selbst vom Kreml »gejagt« werden.
Belton beleuchtet ein mafiöses Geflecht aus Kontrolle, Korruption und Machtbesessenheit und zeichnet damit eine jahrzehntelange Entwicklung, die dem Westen eine Warnung hätte sein müssen.
Ihr Buch liest sich in aller seine Komplexität so spannenden wie beängstigend. Ein machtpolitischer Thriller, der im Februar 2022 zur schlimmstmöglichen Realität geworden ist.
Nominiert als bestes Buch des Jahres von The Economist, Financial Times, The New Statesman und The Telegraph
»Catherine Belton hat Männer zum Reden gebracht, bei denen man nicht unbedingt erwarten würde, dass sie reden wollen. Mit vielen Details entwickelt sie ein lebendiges Bild der wirtschaftlichen und politischen Umbrüche, die Russland in den vergangenen 30 Jahren erlebt hat.«
Reinhard Veser, FAZ
»Dieses fesselnde, fundiert recherchierte Buch ist wohl das Beste, das über Putin und die Menschen um ihn herum geschrieben wurde. Vielleicht sogar das beste über das heutige Russland.«
Peter Frankopan
»Sensationell ist ihr Einblick in die Strukturen des KGB. Dokumentiert wird, wie sich die KGB-Führung bereits zu Sowjetzeiten auf das nächste Kapitel der russischen Geschichte vorbereitete - basierend auf Geheimdienst-Traditionen, die noch aus der Zarenzeit stammten.«
John Kornblum, ehemaliger Botschafter der USA
»Schritt für Schritt seziert Belton Putins Aufstieg und den Putinismus. Ihr Buch zeigt, wie Russlands Präsident in jeder Phase seiner Karriere die Methoden, Kontakte und Netzwerke des KGB in vollem Umfang nutzte. Ihre Darstellung wird maßgebend sein.«
Anne Applebaum, The Atlantic
»Furchtlos und faszinierend. Das Buch liest sich stellenweise wie ein John le Carré-Roman. Eine bahnbrechende und sorgfältig recherchierte Anatomie des Putin-Regimes. Beltons Buch wirft ein Licht auf die Gefahren, die vom russischen Geld und Russlands Einfluss auf den Westen ausgehen.«
Daniel Beer, The Guardian
»Bücher über das moderne Russland gibt es viele. Catherine Belton übertrifft sie alle. Ihr lang erwartetes Buch ist das beste und wichtigste über das heutige Russland.«
Edward Lucas, The Times
<p>CATHERINE BELTON berichtete von 2007 bis 2013 für die <i>Financial Times</i> aus Moskau und schreibt, nach Stationen bei der Nachrichtenagentur Reuters, heute für die <i>Washington Post</i>. Ihr 2020 erschienenes Buch »Putins Netz« (OA: »Putin's People«) wurde von <i>The Economist</i>, der <i>Financial Times</i>, <i>The New Statesman</i> und <i>The Telegraph</i> zum Buch des Jahres gekürt. In Deutschland gehörte »Putins Netz« 2022 zu den meistverkauften Sachbüchern. Catherine Belton lebt in London.</p>
1
»OPERATION LUTSCH«
SANKT PETERSBURG – Anfang Februar 1992 fährt ein offizieller Wagen der Stadtverwaltung langsam die Hauptstraße hinab. Der graue Schneematsch ist teilweise von den Gehwegen geräumt worden, und die Menschen stapfen in dicken, gleichförmigen Mänteln durch die Kälte, mit Tüten beladen, die Schultern hochgezogen gegen den Wind. Hinter den heruntergekommenen Fassaden der einst prachtvollen Bauten am Newski-Prospekt sind die Geschäfte fast leer, durch die Nachbeben der abrupt kollabierten Sowjetunion befinden sich in den Regalen praktisch keine Waren. Es sind kaum sechs Wochen vergangen, seit die Sowjetunion aufhörte zu existieren: seit dem schicksalhaften Tag, an dem der russische Präsident Boris Jelzin und die Regierungschefs der anderen Sowjetrepubliken ihre Union mit einer Unterschrift aufgelöst hatten. Die Lebensmittellieferanten der Stadt haben Schwierigkeiten, auf die plötzlichen Veränderungen zu reagieren, seit die strikten Vorgaben, die jahrzehntelang sämtliche Lieferketten und Preise steuerten, plötzlich wegfielen.
In den Schlangen an den Bushaltestellen und auf den improvisierten Märkten, die überall in der Stadt entstanden sind, weil die Bewohner Schuhe und andere private Besitztümer zu Geld machen wollen, drehen sich die Gespräche schon den ganzen Winter über um Versorgungsengpässe, Lebensmittelkarten und Schwermut. Zu allem Unglück frisst die Hyperinflation auch noch die Ersparnisse auf. Manche Stimmen warnen sogar vor einer Hungersnot, was in einer Stadt, in der die Erinnerungen an die Blockade im Zweiten Weltkrieg mit ihren täglich bis zu tausend Hungertoten noch lebendig sind, die Alarmglocken läuten lässt.
Doch der städtische Beamte hinter dem Steuer des schwarzen Wolga wirkt ruhig. Bei der schlanken, entschlossenen Gestalt, die konzentriert nach vorn schaut, handelt es sich um Wladimir Putin. Er ist neununddreißig Jahre alt, stellvertretender Bürgermeister von Sankt Petersburg und vor Kurzem zum Vorsitzenden des städtischen Komitees für Außenbeziehungen ernannt worden. Das Ganze ist ein Dreh für eine Dokumentarreihe über die neue Stadtregierung, und in diesem Teil geht es um den jugendlich wirkenden stellvertretenden Bürgermeister, in dessen Verantwortungsbereich auch die Versorgung mit Lebensmitteln fällt. 1 Schnitt zu seinem Büro in dem im Smolny-Institut angesiedelten Rathaus, während Putin eine Reihe von Zahlen herunterrattert – wie viele Tonnen Getreide im Rahmen der humanitären Hilfe aus Deutschland, England und Frankreich erwartet würden. Es gebe keinen Anlass zur Sorge, sagt er. Fast zehn Minuten lang legt er dar, welche Maßnahmen sein Komitee ergriffen habe, um die Notversorgung mit Lebensmitteln sicherzustellen. Dazu zählt auch ein wegweisendes Abkommen über Viehfutter im Wert von zwanzig Millionen Pfund, geschlossen bei einem Treffen zwischen dem Bürgermeister der Stadt, Anatoli Sobtschak, und dem britischen Premierminister John Major. Ohne diese großzügige Geste der Briten hätten der junge Viehbestand in der Region nicht überlebt, sagt er.
Sein Detailwissen ist beeindruckend, ebenso wie sein Verständnis der enormen Probleme, denen die Wirtschaft der Stadt gegenübersteht. Er spricht ganz selbstverständlich darüber, wie wichtig die Schaffung kleiner und mittelständischer Betriebe als Rückgrat der neuen Marktwirtschaft sei. Seine Worte lauten: »Die Unternehmer sollten die Basis für das Florieren unserer Gesellschaft im Allgemeinen bilden.«
Putin spricht sehr konkret über die Schwierigkeiten, die immensen sowjetischen Rüstungsfabriken in der Region zu zivilen Produktionsstätten umzubauen, um sie am Leben zu halten. Weitläufige Anlagen wie das Kirow-Werk, eine riesige Geschütz- und Panzerproduktion im Süden der Stadt, bildeten seit der Zarenzeit die größten Arbeitgeber der Region. Als die endlosen Militäraufträge, die die sowjetische Wirtschaft befeuert und später in den Bankrott getrieben hatten, plötzlich ausblieben, standen die Maschinen auf einmal still. Man müsse westliche Partner ins Boot holen und die Werke in die globale Wirtschaft integrieren, sagt der junge Vertreter der Stadtverwaltung.
Mit abruptem Nachdruck kommt er auf das Leid zu sprechen, das der Kommunismus durch die künstliche Abgrenzung der Sowjetunion von den freien Marktbeziehungen zwischen den übrigen Industrieländern bewirkt habe. Die Überzeugungen Marx’ und Lenins »haben unserem Land enorme Verluste eingebracht«, sagt er. »Auch in meinem Leben gab es eine Zeit, in der ich die Theorien des Marxismus und des Leninismus studiert habe und sie interessant und, wie viele von uns, schlüssig fand. Doch als ich älter wurde, erkannte ich die Wahrheit – diese Theorien sind nichts als hinderliche Märchen.« Die bolschewistischen Revolutionäre von 1917 seien verantwortlich für die »Tragödie, die wir heute erleben – die Tragödie des Zusammenbruchs unseres Staates«, erklärt er dem Interviewer geradeheraus. »Sie teilten das Land in Republiken auf, die es zuvor nicht gab, und zerstörten dann, was die Bevölkerung zivilisierter Länder verbindet: die Marktbeziehungen.«
Putin ist erst seit wenigen Monaten stellvertretender Bürgermeister von Sankt Petersburg, legt aber bereits einen professionellen, sorgsam arrangierten Auftritt hin. Er sitzt lässig mit gespreizten Beinen auf einem umgedrehten Stuhl, doch alles andere strahlt Präzision und Vorbereitung aus. Der fünfzigminütige Film zeigt ihn dabei, wie er Judogegner über die Schulter auf die Matte befördert, sich in fließendem Deutsch mit einem Geschäftsmann auf Besuch in der Stadt unterhält und sich telefonisch mit Sobtschak über die jüngsten Hilfsabkommen mit ausländischen Regierungen austauscht. Seine minutiöse Vorbereitung erstreckt sich sogar auf den Mann, den er explizit für die Interviewführung und die Regie des Films angefordert hat: einen Dokumentarfilmer, der in der Sowjetunion für die Serie Test für Erwachsene bekannt und beliebt war, in der er aus nächster Nähe das Leben einer Gruppe von Kindern verfolgte. Igor Schadchan ist ein Jude, der kürzlich nach Sankt Petersburg zurückgekehrt ist, nachdem er eine Reihe von Dokumentationen über die Schrecken der sowjetischen Gulags hoch oben im Norden des Landes gedreht hat, jemand, der beim Gedanken an die antisemitischen Beschimpfungen der Sowjetzeit noch immer zusammenzuckt und, wie er selbst zugibt, weiterhin ängstlich den Kopf einzieht, wenn er das ehemalige Hauptquartier des KGB am Liteini-Prospekt passiert.
Trotzdem hat Putin ihn ausgewählt, um ihm bei einer ganz besonderen Enthüllung zu helfen: Er soll der Welt eröffnen, dass Putin selbst Mitglied des gefürchteten und gehassten KGB war. Wir befinden uns immer noch in der ersten Welle der Demokratisierung, als ein solches Geständnis auch Putins Chef Sobtschak schaden konnte, einem glänzenden Redner, der gerade wegen seiner scharfen Kritik an der Geheimniskrämerei des alten Regimes und am Machtmissbrauch durch den KGB zum Bürgermeister aufgestiegen war.
Schadchan überlegt bis heute, ob Putins Entscheidung für ihn Teil eines genau kalkulierten Plans zur Wiederherstellung seines Rufes war. »Ich frage mich immer, warum er mich auswählte. Er verstand, dass ich der Richtige für sein Vorhaben war, von seiner KGB-Vergangenheit zu erzählen. Er wollte zeigen, dass es auch progressive KGBler gab.« Putins Entscheidung erwies sich als richtig. »Ein Kritiker hat einmal zu mir gesagt, dass ich mein Filmobjekt immer menschlich wirken lasse, egal wer es ist«, erinnert sich Schadchan. »Und so war es auch bei ihm. Ich wollte wissen, wer er war und was er sah. Ich hatte die sowjetischen Autoritäten immer kritisiert. Sie hatten mir hart zugesetzt. Aber er war mir sympathisch. Wir wurden Freunde. Ich hatte den Eindruck, dass er das Land voranbringen würde, dass er tatsächlich etwas bewirken würde. Er zog mich wirklich auf seine Seite.« 2
Im Verlauf des Films schafft Putin es immer wieder gekonnt, die Vorzüge des KGB zu preisen. In seinem Umfeld, beharrt er angesichts der heiklen Frage, ob er seine Position missbraucht und Schmiergelder angenommen habe, sei so etwas als »Vaterlandsverrat« angesehen und mit der vollen Härte des Gesetzes bestraft worden. Was die Frage anging, ob er ein tschinownik, ein »Staatsbeamter« gewesen sei, so müsse dieser Ausdruck nicht unbedingt negativ behaftet sein. Er habe seinem Land als militärischer tschinownik gedient, und jetzt sei er ein Zivilbeamter, der sich – wie schon zuvor – »jenseits des politischen Wettbewerbs« für sein Land einsetze.
Zum Ende der Dokumentation scheint Schadchan Putin vollends zu Füßen zu liegen. Der Film endet mit einer symbolischen Verneigung vor einer glorifizierten KGB-Vergangenheit: Man sieht Putin, wie er an der vereisten Newa entlangfährt, auf dem Kopf eine Fellmütze gegen die Kälte, ein Mann des Volkes hinter dem Steuer eines weißen Schiguli, des zu jener Zeit allgegenwärtigen Autos. Während er mit kühlem und aufmerksamem Blick über die Stadt wacht, endet der Film zu den Klängen der Titelmelodie einer beliebten Sowjetfernsehserie – Siebzehn Momente des Frühlings –, deren Held, ein Geheimagent des KGB, tief in die Führungsebene der nazideutschen Regierung vordrang. Diese Musik hatte Schadchan ausgewählt. »Er war ein typischer Mann seiner Profession. Ich wollte zeigen, wie es dazu kam, dass er immer noch in diesem Metier tätig war.«
Dabei hatte Putin sich im Interview große Mühe gegeben, den Anschein zu...
Erscheint lt. Verlag | 7.2.2022 |
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Übersetzer | Elisabeth Schmalen, Johanna Wais |
Sprache | deutsch |
Original-Titel | Putin's People. How the KGB Took Back Russia and Then Took on the West |
Themenwelt | Literatur ► Biografien / Erfahrungsberichte |
Sachbuch/Ratgeber ► Geschichte / Politik ► Politik / Gesellschaft | |
Geisteswissenschaften ► Geschichte ► Regional- / Ländergeschichte | |
Sozialwissenschaften ► Politik / Verwaltung ► Staat / Verwaltung | |
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ISBN-10 | 3-365-00011-9 / 3365000119 |
ISBN-13 | 978-3-365-00011-3 / 9783365000113 |
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