Schaut hin und seht -  Ehrw. Myokyo-ni Irmgard Schlögl

Schaut hin und seht (eBook)

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2021 | 1. Auflage
144 Seiten
Books on Demand (Verlag)
978-3-7557-8729-7 (ISBN)
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Dieses kleine Buch ist eine Sammlung von Geschichten und Gleichnissen aus verschiedenen buddhistischen Traditionen, welche die Jahrhunderte hindurch dazu gedient haben, den Übenden zu inspirieren und die Lehren lebendig zu machen. Die Kommentare der Ehrw. Myokyo-ni behandlen die Art und Weise wie man im Buddhismus den Prüfungen des Lebens begegnet. Ihre Erklärungen nehmen immer Bezug auf die allgemein menschliche Erfahrung und auf die praktische Anwendung im täglichen Leben.

Die Zen Meisterin Myokyo-ni, Irmgard Schlögl (1921-2007), erhielt ihre Ausbildung in der Rinzai Tradition im Kloster Daitoku-ji in Japan, wo sie über zwölf Jahre unter den Meistern Oda Sesso Roshi und Sojun Kannun Roshi studierte. Später wurde sie Äbtissin von zwei Übungstempeln des Zen Centre: Shobo-an in London und Fairlight in Luton. Myokyo-ni ist Autorin von vielen lehrreichen Büchern über Zen Training und sie übersetzte auch viele wichtige Chinesische und Japanische Zen Klassiker. Dazu gehören unter anderen Die Sanfte Wandlung des Bullen, Das Lied der Erleuchtung, Die Suche nach der Ganzheit und Die Abhandlung über die Unauslöschliche Lampe der Zen Schule von Torei Enji.

EINLEITUNG


Die Saat für dieses kleine Buch wurde vor etwa dreißig Jahren auf einem Frachtschiff gesät, oder vielmehr säte sich wie von selbst aus. Ich war eine „Schülerin ohne Lehrer“, d. h. ich war nach dem Tod von Sesso Roshi für einen kurzen Besuch nach London zurückgekehrt und wollte jetzt die Training in Japan unter seinem Nachfolger fortsetzen. Am ersten Abend an Deck bot mir mein Tischnachbar an, eine Flasche Wein mit ihm zu teilen, und nachdem wir uns näher bekannt gemacht hatten, berichtete er mir beim Abendessen, dass er regelmäßig derartige Schiffsreisen unternahm. Er war Polizeibeamter in Indien gewesen, schon seit langer Zeit im Ruhestand. Seine Kinder waren gut geraten, und seine Frau war vor einigen Jahren gestorben. Er war kurz gesagt einsam, und derartige Reisen sorgten für Ablenkung und neue Bekanntschaften. Die anderen Passagiere hatten anscheinend ähnliche Beweggründe – also „alle saßen wirklich in demselben Boot“. Ich wollte antworten und etwas Einfühlendes und Aufmunterndes zu meinem Nachbarn sagen. Dabei wurde mir klar, dass mein gesamtes Vokabular nach sechs Übungsjahren in einem traditionellen japanischen Zen-Kloster und nach jahrelanger Beschäftigung mit dem Buddhismus fast ausschließlich buddhistisch geprägt war. Und so glaubte ich, dass meine Ausdrucksweise in der kleinen Gruppe von einsamen Leuten, die wohl oder übel für einige Wochen zusammen waren, gänzlich unpassend wäre. So griff ich auf meine übliche Art der Problemlösung zurück – und habe mich in meiner Kabine vergraben, um das Problem „auszubrüten“. Tatsächlich gab es am dritten Tag „einen Durchbruch“, es fiel mir wie Schuppen von den Augen und mir wurde klar, was für eine Närrin ich doch war. Ich hatte über Jahre hinweg in einem buddhistischen Vokabular daher geredet, ohne zu bemerken, dass dieses nur eine Art von Kurzschrift für unsere gemeinsamen menschlichen Probleme, Schwierigkeiten und Sorgen ist. Für einen buddhistischen Weggefährten ist diese Kurzschrift verständlich, könnte aber doch ebenso gut in eine gewöhnliche Ausdrucksweise übersetzt werden und damit für alle nützlich sein.

So gab ich mich wieder in das Leben an Bord hinein, ernüchtert aber frohen Mutes, und da ich jetzt den „Schlüssel“ besaß, konnte ich frei über die allgemein menschlichen Probleme wie Alter, Einsamkeit usw. sprechen, und auch wie man sie nutzbringend betrachten und ihnen mit einer positiveren Haltung gegenüber treten könnte, welche zu innerem Frieden und Herzenswärme, ja sogar zu einem neuen Interesse am Leben verhelfen könnte. Denn genau das ist die Botschaft der Buddhalehren.

Geschichten und Gleichnisse sind ein wesentlicher Bestandteil traditioneller Lehrtexte. Sie sind so schlicht, dass man geneigt ist, sie zu belächeln und sie für kindisch und irrelevant für unser heutiges Leben anzusehen. Aber bei näherer Vertrautheit enthüllen sie eine tiefe Einsicht in die menschliche Natur, verkünden immer gültige Wahrheiten und dienen als Wegweiser oder Führer. Sie trösten, helfen und schaffen eine positivere Einstellung, die zu stärkerer Anteilnahme am Leben führt. Dies erzeugt wiederum Kraft und Stärke, welche den Einzelnen beleben und sein Herz in mitfühlendem Verständnis für seine Mitmenschen öffnen. Eine derartige Anteilnahme am Leben als echtes menschliches Wesen bedeutet auch, sich über alles bewusst zu sein, was ist, und damit in Einklang zu stehen, wiederum „eins“ zu sein mit der Essenz des Seins, welche alle Formen „in-formiert“ als ihr innewohnendes Gesetz. Zu dieser Einsicht „erwachte“ der Mann Gotama und wurde zum Buddha, dem All-Weisen und Mitfühlenden“ – denn diese beiden Aspekte sind innerlich miteinander verwoben.

Natürlich ist es nicht möglich, diese Einsicht zu definieren oder zu sagen, woraus sie besteht. Die Lehren zeigen nur den Weg auf, der zu dieser Einsicht beschritten werden muss, und die Gleichnisse und Analogien sind Bildkarten der Stadien und der Fallstricke auf diesem Weg. Sie tun dies auf direkte, gegenständliche und erfrischend erdhafte Weise, aber eine tiefere, universellere Resonanz ist in sie eingebettet, zu der sich das menschliche Herz hingezogen fühlt und dadurch seine Erfüllung findet. Jedes egozentrierte Denken verkennt diese Neigung als ein „ich will“; und dieses Missverstehen ist eine stets ergiebige Quelle unserer gemeinsamen Probleme, Sorgen, Streitereien, Kämpfe, Klagen, Unruhen, Frustrationen, Ängste – die Liste ist unendlich lang.

Ein Kind hat sich gerade in den Finger geschnitten, das Blut tropft, es heult vor Schreck und Schmerz. Gewiss ist die erste Antwort darauf eine Umarmung, ein Trösten, ein Pflaster; das Kind ist beruhigt, und bald ist der Schreck vergessen. Jetzt ist die Zeit gekommen, es zu erinnern: „Wie oft schon wurde dir gesagt, nicht mit dem Messer herumzuspielen – du siehst, was dabei heraus kommen kann.“ Wir sind alle solche Kinder; auch wenn wir es irgendwie immer wissen, neigen wir dennoch impulsiv dazu, unbedacht zu handeln. Und so gibt es einfache und anscheinend eindeutige Geschichten aller Traditionen. Sie verkörpern Jahrtausende menschlicher Erfahrung und wirken auf zwiefache Weise, wobei sie augenblicklich trösten und helfen, aber gleichzeitig auf etwas darüber hinaus Gelegenes hinweisen. Obwohl wir dies oft unterschwellig erahnen, wird es gewöhnlich durch den Aufruhr emotionaler Reaktionen erstickt, wie im Beispiel des Kindes mit dem Messer.

Die hier vorliegenden Geschichten stammen aus verschiedenen buddhistischen Quellen. Gemeinsam zeigen sie die buddhistische Art und Weise, wie man den „Prüfungen des Lebens“ begegnet. Solche Prüfungen sind uns nur allzu vertraut, aber wenn sie plötzlich aus einem ganz anderen, d. h. buddhistischen Blickwinkel heraus betrachtet werden, können sie uns wachrütteln und uns für etwas empfänglich machen, was uns bisher entgangen war. Dies kann dann zu einer klareren Wahrnehmung und zu einer besseren Einstellung führen, und folglich eine Handlungsweise hervorrufen, welche im Hinblick auf die aktuelle Situation geeigneter und auch weniger aufreibend und entspannter ist.

Im Buddhismus wird das Leiden in unserer allgemein menschlichen Erfahrung folgendermaßen ausgedrückt: „Getrennt sein vom Geliebten; das zu haben, was man nicht haben möchte“ in stets sich verändernder wechselvoller Runde. In dieser Runde finden sich alle Eventualitäten und individuelle Kombinationen wie Gesundheit, Reichtum, Ruhm, Geliebtes, Leben usw. und ihr jeweiliges Gegenteil. Tatsächlich bestehen unser Leben und die Welt aus Hell und Dunkel, Sommer und Winter und all den anderen Gegensatzpaaren. In diesem Sinne ist die Bühne unseres Planeten Erde „vorgegeben“ oder „festgelegt“, mit seiner Sonne und dem Mond, den Jahresszeiten usw. Auf dieser Bühne wandeln wir alle einher, spielen unsere Rolle und sterben dann. Diesbezüglich haben wir keine Wahlmöglichkeit; aber wie wir individuell oder kollektiv Geschehnisse wahrnehmen und auf sie reagieren, das bestimmt unser Wohl und Weh. Der alte Scherz, ob wir dasselbe Glas als halb voll oder halb leer ansehen, drückt dies bildlich gut aus.

Da es niemandem Probleme bereitet, das Helle im Leben zu genießen, können wir es momentan beiseitelegen und die dunkle Seite anschauen, ihre Schmerzen, Sorgen, die Verluste und Ängste. Von dort her erreicht uns die Botschaft, dass es in jeder schmerzlichen Erfahrung die Möglichkeit einer Transformation gibt. Diese kann angestrebt und auf besonderen Wegen erarbeitet werden, aber auch aus heiterem Himmel oder zu Zeiten dringenden Bedarfs oder der Verzweiflung vor sich gehen. Was ich als mein unerträgliches Schicksal oder für eine Last halte und was einen bitteren Groll hervorruft im Sinne von „Warum passiert das gerade mir? Warum bin ich betroffen?“, wirkt wie ein Gift in mir: Es verdirbt, verbittert oder verhärtet, kurz gesagt, es „trennt mich ab“ vom Netz unserer Gemeinsamkeit, was meine einsame Verbitterung noch weiterhin verstärkt – und so geht es weiter, wie in einem Circulus vitiosus.

Dasselbe Ereignis kann jedoch, wie schmerzlich oder entsetzlich es auch sein mag, zu einem Hilfsmittel für eine vollständige Transformation werden, die weit über mein mögliches Verständnis, tatsächlich über jegliches Verstehen hinausgeht, das wir gewöhnliche Menschen aufbringen können. In allen Religionen zeigen die Geschichten von Heiligen und Weisen derartige Wandlungen auf und auch die Schwierigkeiten, die dazu geführt haben. Das besagt aber nicht, dass derartige Schwierigkeiten zur Wandlung führen. Ohne entsprechende Vorbereitung und Glauben kann sogar das Gegenteil eintreten mit der Tendenz, die „andere Richtung“ einzuschlagen, hin zu Groll und Rache.

Was ermöglicht also die Wandlung?

Wenn anstelle des egoistischen „warum nur ich?“ bemerkt wird, dass auch andere Menschen Kummer, Schmerz und Sorgen erfahren, dann kommen echte Wärme und Mitgefühl für diesen beklagenswerten Zustand im Herzen auf. Das Leiden wird dann als unser...

Erscheint lt. Verlag 22.11.2021
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Buddhismus
ISBN-10 3-7557-8729-6 / 3755787296
ISBN-13 978-3-7557-8729-7 / 9783755787297
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