Lebenslehre (eBook)

Eine Theologie für das 21. Jahrhundert
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2022 | 1. Auflage
776 Seiten
Gütersloher Verlagshaus
978-3-641-28726-9 (ISBN)

Lese- und Medienproben

Lebenslehre -  Klaas Huizing
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Eine längst überfällige, frische Theologie für die Gegenwart
Wenn es um die Gottesbeziehung des Menschen geht, hat die Theologie bisher auf die »Schuld« gesetzt: Das Heil des Menschen besteht in der Erlösung von der Sünde! Die meisten Menschen erleben sich aber gar nicht als sündig - und entsprechend gering ist das Interesse am Christentum.

Einen neuen Weg geht Klaas Huizing. Die Weisheitstheologie der Bibel entdeckt er für eine Neubestimmung der Rede von Gott. Zentral darin steht die Leiblichkeit des Menschen. Es ist das leibliche in der Welt sein, das dem Menschen Erfahrungen des Heiligen ermöglicht und es sind die Weisheitstraditionen der Bibel, die diesen Erfahrungen Gestalt und so dem Leben Orientierung geben. Sie wiederzuentdecken heißt, beim Leben selbst in die Lehre zu gehen.

Ein Augen öffnendes Buch über die ungebrochene Kraft der Bibel und des Glaubens für das 21. Jahrhundert.

  • Eine längst überfällige, frische Theologie für die Gegenwart
  • Positionsstark, sprachmächtig, faszinierend
  • Für Leser*innen von Hartmut Rosa, Jörg Lauster und Navid Kermani


Dr. Dr. Klaas Huizing, geb. 1958, ist Professor für Systematische Theologie und theologische Gegenwartsfragen an der Universität Würzburg. Er ist einer der produktivsten Theologen der Gegenwart. Neben zahlreichen theologischen Publikationen hat er mehrere Romane veröffentlicht, die weite, auch internationale Verbreitung fanden. 2003/2004 erhielt er das Jahresstipendium im Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia.

Basics


Ziemlich gut

Eine weisheitliche Lebenslehre


»Eine sanfte Zunge zerbricht Knochen.«
Proverbien (Sprüche Salomos) 25,15

1. Protestantisches Farbenspiel


»Du bringst nie den Müll raus.«

»Du kommst immer zum Elternabend zu spät.«

»Du putzt nie das Bad.«

»Du drückst dich immer vor dem Rasenmähen.«

»Du wählst immer Fleisch, sofern der feine Herr sich dazu herablässt, zu kochen.«

Ich lasse einen Platzhalter, weil jeder aus dem eigenen Reservoir an Erfahrungen hier applausverdächtige Ergänzungen beisteuern kann.

Eleonore Höfner hat in ihrem Longseller »Die Kunst der Ehezerrüttung«1 Temporaladverbien wie immer und nie als Schwergewichte ausgemacht, die die ehelichen Balancen schleichend ruinieren. Höfner, Leiterin des Deutschen Institutes für Provokative Therapie (D.I.P.), die einen Humor einbindenden Ansatz vertritt, ist offenbar sehr erfolgreich, auch privat, denn seit über fünfzig Jahren ist sie en suite mit demselben Mann verheiratet. Man darf ihr in diesen Fragen also nachhaltig trauen.

Die Ehe steht hier pars pro toto für alle denkbaren Formen längerfristiger Beziehungen, die, das lehrt die Erfahrung, krisenanfällig sind. Das gilt auch für die Beziehung zwischen Mensch und Gott, sofern man an dieser nicht ganz konfliktarmen Verbindung interessiert ist und mit dem Wort »Gott« überhaupt noch einen Sinn verbindet. Das ist beileibe nicht mehr selbstverständlich. Aber auch für diejenigen, die weiterhin diese Beziehung pflegen, gibt es Beziehungsberater*innen2 mit staatlichem Examen: Die Theologinnen und Religionspädagoginnen.3 Keine ganz einfache Arbeitsplatzbeschreibung. Gilt das von Höfner Gesagte, dann sind auch für das Verhältnis von Gott und Mensch Immer- und Nie-Aussagen das pure Gift. Doch viele theologische Beziehungsberater im protestantischen Milieu besitzen geradezu ein Faible für dieses Vokabular, das eine Beziehungskrise nicht befriedet, sondern just anheizt: Wer nur genau hinschaue, der entdecke, dass ausnahmslos jeder Mensch immer zur Sünde neige und Sünder sei, sprich: nie auf Gnade verzichten könne. Diese Radikalität in Sündenfragen macht jedoch, wie Friedrich Nietzsche hellsichtig und überraschend gelassen formuliert, unsensibel für Gradunterschiede: »›Alle Menschen sind Sünder‹ ist eine solche Übertreibung, wie ›alle Menschen sind irre‹, auf welche Ärzte geraten könnten. Hier sind Gradunterschiede außer Acht gelassen.«4

Ulrich H. J. Körtner, Systematischer Theologe aus Wien, bringt die genuin reformatorische Denkweise auf den Punkt: »Während katholische Theologie mit einer verbleibenden Neigung zur Sünde rechnet, die als solche noch nicht Sünde ist, sondern lediglich der Anlass für eine Sünde werden kann, bezeichnet die reformatorische Tradition nicht nur die Tatsünden der Christen, sondern auch die in ihnen noch lebendige Neigung zur Sünde als Sünde selbst. Auf Lateinisch wird die in Rede stehende Neigung concuspiscentia genannt.«5 Schon die Neigung zur Sünde als Sünde zu definieren, scheint mir gewaltig überzogen. Ist es nicht an der Zeit, sich von der lauten Konversionsrhetorik zu verabschieden und mit Zwischentönen zu arbeiten? In Zeiten der Genese des Protestantismus waren diese Einseitigkeit und dieser Extremismus vielleicht werbewirksame Aufmerksamkeitsgeneratoren. Reformatoren waren häufig semantische Eiferer, um die Abspaltung von gängigen Mehrheitspositionen für willige Konvertiten sichtbar und vor allem lärmend und türenschlagend zu inszenieren. Hier drohen Überstunden für einen »Tatortreiniger« und den »Sündenräumdienst«.

Mir scheint die bleibende Neigung der protestantischen Theologie zu Immer- und Nie-Formulierungen, die auffällig häufig bei dem Theologen Karl Barth (1886–1968) und bei seinen Nachmietern und Nachmieterinnen6 auszumachen sind, dem Selbstbild geschuldet, das sich der spielerischen Identifikation mit der Figur des Propheten verdankt. Karl Barth ist bestes Beispiel für den »Intellektuellentyp« des Propheten7. Der Theologe, linksliberaler Politiker und einer der Hauptvertreter des Kulturprotestantismus, Martin Rade (1857–1940), Barths früher Mentor, schreibt seinem ehemaligen Schützling nach der Lektüre der »Christlichen Dogmatik im Entwurf« (1927) mit sehr kritischem Unterton: »Ich rechne dich mit vollem Ernst unter die Propheten. Wobei wir uns das Prophetenamt nicht gleich ins Übermaß hinaus auszudenken brauchen. Aber ich habe keine andere Kategorie für dich.«8 Die Zuschreibung trifft. Barth startet als sprachmächtiger Unheilsprophet des »Nein!«- Gottes. Prophetie, namentlich die Unheilsprophetie, neigt zur Schwarz- Weiß-Malerei und zum sprachlichen Extremismus, der durchaus anziehend sein kann. Ich gestehe: Während meines Studiums in den Niederlanden, extrem lange eine Hochburg, nein uneinnehmbare Festung des Barthianismus, bewunderte ich Karl Barths frühe Versuche, auf dem Kopf zu gehen. Dann aber vollzieht Karl Barth in seinem Opus magnum »Die Kirchliche Dogmatik« (ab 1932) noch vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs eine rasante Drehung zum Heilspropheten. Diesen Mut wertschätze ich noch heute.9 Nicht ganz ohne Neid habe ich später sehnsüchtig in die linksbarthianische Ecke geschielt und deren Echos abgelauscht, weil deren Vertreter vor dem Hintergrund des Heilsversprechens mit viel Feuereifer gesellschaftliche Missstände angeprangert haben. Hier konnte meine Altersklasse, die für die 68er-Revolte bedauerliche zehn Jahre zu spät kam, noch auf den Zug der Revolte aufspringen. Ich habe den schnaufenden Zug mit tief in den Hosentaschen vergrabenen Händen fahren lassen, auch, weil ich den Anspruch eines prophetischen kirchlichen »Wächteramtes« in einem demokratischen Gemeinwesen als höchst problematisch empfand.

Zeuge der Prophetenkür war ich während unzähliger Gottesdienstbesuche in meiner Kindheit und Jugend, jeden Sonntag jeweils um 10 und 14 Uhr. (In den Nachmittagsgottesdiensten war stets eine Frage des Heidelberger Katechismus Thema der Predigt. Keine leichte Kost.) Zunächst wurde in schwärzesten Farben das Immer- und Nie-Vokabular in der Sünden-Strafpredigt über uns ausgeschüttet. Prophetische Theologie ist Bluthochdruck-Theologie. Anschließend kam es zur sichtbaren Verwandlung, weil der Pastor mit einer tollkühnen Spitzkehre in das Heilsvokabular hinüberwechselte: Plötzlich strahlte das weiße Beffchen auf dem tiefschwarzen Talar. Und unser sprachmächtiger Pastor, der später für einige Zeit mein Professor für Neues Testament in den Niederlanden wurde, ausgestattet mit einem Fanfarenmund, füllte mit gewaltiger Kraft und sichtbar zufrieden seine Rolle aus: ganz Sünder geworden, leuchtete uns Christus als alleiniger Retter und ausschließlicher Heilsbringer umso heller. Dem Immer und Nie korrespondierten das Allein und Ausschließlich (sola) der Gnade. Bei mir haben diese dramatischen, aber stets nach dem gleichen Muster choreografierten Auftritte zu einer wachsenden religiösen Appetitlosigkeit geführt; ich verstehe aber heute die Attraktivität, sich als Pastorin oder Pastor spielerisch mit dem Typus des Propheten zu identifizieren: das Selbstbild verspricht nachhaltige Autorität.10

Auch vom Naturell her bin ich nicht dafür prädestiniert, als berufenes Mundstück Gottes aufzutreten. Wer wie ich in einem strengen calvinistischen Gespinst aufgewachsen ist, wurde mit der Vokabel Berufung gerne fürsorglich belagert. Berufung! Meine Großmutter pflegte in einem fein austarierten zeitlichen Rhythmus mir einzuschärfen: Zum Pfarramt oder zum Predigtamt muss man sich berufen fühlen! Für uns reformierte Christen war klar: Nur ein Pastor (Pastorinnen waren noch nicht zugelassen) hat einen Beruf dank Berufung. Niemand sonst. Damit konnte ich nicht dienen, bin deshalb mit der Philosophie gestartet und über diesen Umweg und die schöne Literatur final bei der Theologie gelandet. Wenn ich eine Berufung erlebt habe, dann durch die Romane und Poesie, die mir die biblischen Texte, einige zählen zur Weltliteratur, wieder nähergebracht haben. Mir fehlen bis heute kräftig ausgeprägte cholerische Anteile, die für einen (Unheils-)Propheten nahezu unabdingbar sind, deshalb suchte ich eine andere Arbeitsplatzbeschreibung. Denn Theologinnen müssen sich nicht zwangsläufig dem Typus des mit Emphase und Inbrunst auftretenden Propheten oder einer Prophetin verschreiben. Die theologische Tradition kennt durchaus alternative Selbstbilder und Theorieformate, die ebenso legitim sind und vielleicht sogar resonanter auf das aktuelle Lebensgefühl vieler Menschen reagieren. Zu diesen Theorieformaten gehört die Weisheitstheologie, für die ich hier vielseitig werben will.

Lange galt die biblische Weisheitstheologie als theologisches Souterrain. Als latent unernste, aus anderen Quellen importierte »Hallodri-Theologie«, die daher auch nicht als Quelle systematisch-theologischen Denkens in Frage kam. Es war die alttestamentliche Wissenschaft, zunächst in der Gestalt ihres Großmeisters Gerhard von Rad (1901–1971)11, unterstützt und nachdrücklich inspiriert vom damals jungen Systematischen Theologen Hermann Timm, die dieses Thema auf die Agenda setzte. Inzwischen ist es, nach mehreren Anläufen, auf der Aufmerksamkeitsskala der alttestamentlichen Wissenschaft weit nach oben gerückt. Auch in der neutestamentlichen Wissenschaft ist der...

Erscheint lt. Verlag 27.6.2022
Zusatzinfo mit 16-seitigem Farbbildteil
Sprache deutsch
Themenwelt Geisteswissenschaften Religion / Theologie Christentum
Schlagworte 2022 • Altes Testament • Bibel • Bibelhermeneutik • christliche Lebenshaltung • Das Testament der Kühe • Die Bibel • Dogmatik • eBooks • Einführung Christentum • Einführung Systematische Theologie • Gottesbilder • Hartmut Rosa • Holm Tetens • Jesus von Nazareth • Jörg Lauster • Navid Kermani • Neuerscheinung • Neues Testament • Neupositionierung Kirche • Philosophie • Rosa Bibel • Rudolf Otto • Weisheitstheologie • Weisheitstraditionen
ISBN-10 3-641-28726-X / 364128726X
ISBN-13 978-3-641-28726-9 / 9783641287269
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